Tobias Smollett
Die Abenteuer des Roderick Random
Tobias Smollett

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Neunundfünfzigstes Kapitel

Ein Wortwechsel mit Lord Quiverwit wegen Melinde, die sich durch eine bittere Äußerung von mir beleidigt findet, zieht einen Zweikampf zwischen diesem Herrn und mir nach sich

 

Kaum war Freeman fortgegangen, um meinen Charakter bei seinen Freunden und Bekannten zu rechtfertigen, so begab ich mich alsbald nach dem großen Saal. An der Tür traf ich einen Aufwärter, der mir ein Billett ohne Namensunterschrift reichte. Meine Gegenwart, hieß es darin, wäre der Gesellschaft unangenehm, und man bäte mich, ohne weiteres diesen Wink zu nutzen und sie nur nicht weiter zu behelligen.

Diese kecke Botschaft machte mich so entrüstet, daß ich dem Burschen, durch den ich sie erhalten hatte, auf dem Fuße nachfolgte, ihn bei der Gurgel ergriff und im Beisein der ganzen Gesellschaft auf der Stelle umzubringen drohte, wenn er mir nicht sogleich den Schuft nennte, der ihm diesen unverschämten Auftrag gegeben hätte, damit ich ihn züchtigen könnte, wie er es verdiente.

Der Bote, den meine Drohungen und wütenden Blicke in Furcht gejagt hatten, fiel auf die Knie nieder und sagte, der Herr, der ihm diesen Zettel gegeben habe, wäre kein anderer als Narzissas Bruder, der gerade am anderen Ende des Saales stand und mit Melinde sprach. Sogleich ging ich auf ihn zu und redete ihn folgendergestalt an, so daß seine Liebste es hören konnte:

»Ich muß Ihnen nur sagen, Squire, wenn nicht eine gewisse Rücksicht Sie vor meinem Unwillen schützte, so würde ich Sie hier auf der Stelle mit meinem Stock für die Unverschämtheit züchtigen, mir eine so niederträchtige Warnung zu schicken.« Damit riß ich das Billett in Stücke und warf es ihm ins Gesicht. Zugleich schoß ich einen zornigen Blick auf seine Gebieterin und sagte, es täte mir leid, daß ich ihr über ihre schöne Erfindung nur auf Kosten ihres guten Herzens und ihrer Wahrheitsliebe ein Kompliment machen könnte.

Ihr Bewunderer, der nur Mut hatte, wenn ihn Wein beseelte, war weit davon entfernt, diese Beschimpfung so zu ahnden, wie es unter rechtlichen Leuten Sitte ist. Er drohte vielmehr, mich wegen dieser Beleidigung vor Gericht zu belangen, und rief zu dem Zweck Zeugen auf. Seine Dame ward über sein feiges Benehmen ärgerlich und geriet über meine Spötterei ganz außer sich.

Sie bemühte sich daher, aus dieser Streitigkeit eine öffentliche Angelegenheit zu machen, und weinte vor Verdruß ganz laut.

Die Tränen dieses Frauenzimmers erregten notwendig die Aufmerksamkeit und Teilnahme der Zuschauer, gegen die sie sich über mein ungesittetes Benehmen mit großer Bitterkeit beschwerte und hinzusetzte, wenn sie eine Mannsperson wäre, sollte ich ihr so nicht begegnen.

Die meisten der anwesenden Herren, die schon ohnedies gegen mich eingenommen waren, äußerten durch Blicke ihre Unzufriedenheit, daß ich mir solche Freiheit genommen habe. Allein keiner legte auf eine andere Art sein Mißfallen darüber an den Tag als Lord Quiverwit, der es wagte, mir mit einem spöttischen Lächeln zu sagen, ich wäre es der Welt schuldig gewesen, meinen Charakter in sein volles Licht zu setzen, und er seinerseits hege nun darüber keinen Zweifel mehr. Diese bittere Zweideutigkeit, die ein großes Gelächter erregte, wurmte mich so sehr, daß ich mit einiger Hitze entgegnete, ich wäre nicht wenig stolz darauf, in dem Stück Ihrer Lordschaft zuvorgekommen zu sein. Darauf gab er keine Antwort, sondern ging mit einem verächtlichen Lächeln fort und hinterließ mich in einer sehr unangenehmen Lage.

Vergebens bemühte ich mich, mit verschiedenen meiner Bekannten in ein Gespräch zu kommen, weil ich hoffte, daß sich meine Verwirrung dadurch legen würde. Jedermann mied mich, als hätte ich eine ansteckende Krankheit. Nur der Gedanke an die immer getreue und zärtliche Narzissa konnte mich bei diesem widrigen Vorfall aufrechterhalten. Ich verließ in kurzem den Ort, wo mir so viele Kränkungen widerfahren waren, und streifte in der Stadt herum.

Als ich aus meinen Betrachtungen erwachte, befand ich mich gerade vor einem Galanteriewarengeschäft. Ich ging hinein und kaufte für zehn Guineen einen Ring, in welchem ein Rubin in Gestalt eines Herzens eingefaßt und von kleinen Diamanten umgeben war. Damit wollte ich der Besitzerin meines Herzens ein Geschenk machen.

Um die bestimmte Zeit wurde ich in das Zimmer dieses göttlichen Mädchens geführt. Ungeachtet der nachteiligen Gerüchte, die sie von mir gehört hatte, empfing sie mich mit der äußersten Zutraulichkeit und Zärtlichkeit. Da sie von der Miß Williams nur einen allgemeinen Umriß meiner Schicksale bekommen hatte, äußerte sie Verlangen, die näheren Umstände zu wissen. Ich erzählte ihr alle meine Begebenheiten mit großer Aufrichtigkeit und ließ immerhin nur das weg, wovon ich vermuten konnte, daß es ihrem Ohr mißfällig sein würde – Ereignisse meines Lebens, die der Leser leicht selbst herausfinden mag.

Da meine Geschichte nichts als eine Kette von Widerwärtigkeiten war, so floß während der ganzen Zeit, daß ich sie erzählte, ihr bezauberndes Auge von Mitleid über; und als ich sie zu Ende gebracht hatte, belohnte sie mich für meine Bemühung mit den entzückenden Versicherungen ewiger Liebe. Sie beklagte die Einschränkung, worunter sie lebte, weil derentwegen mein Glück müsse aufgeschoben werden; sodann erzählte sie mir, Lord Quiverwit habe diesen Nachmittag mit Einverständnis ihres Bruders Tee bei ihr getrunken und ihr seine Hand angetragen.

Als sie wahrnahm, wie tief mich diese Nachricht kränkte, erbot sie sich, mir dadurch einen überzeugenden Beweis von ihrer Zärtlichkeit zu geben, daß sie mich insgeheim heiraten und das übrige dem Schicksal überlassen wolle. Dieser Beweis ihrer Achtung rührte mich ungemein; um ihr aber an Großmut nichts nachzugeben, widerstand ich aus Rücksicht auf ihre Ehre und ihr Interesse dieser so lockenden Versuchung. Dabei überreichte ich ihr meinen Ring, als ein Unterpfand unverbrüchlicher Zuneigung, und flehte den Himmel kniend an, seinen Zorn über mich auszugießen, wenn ich den geringsten Gedanken hegte, welcher die eben jetzt gestandene Leidenschaft schändete.

Sie nahm mein Geschenk an und erwiderte es mit ihrem in Gold eingefaßten und sehr treffend gemalten Miniaturbildnisse. Zugleich rief sie gleich mir auf den Knien den Himmel zum Zeugen und Richter ihrer Liebe an. Nachdem wir diese gegenseitigen Gelübde getan hatten, schien unsere Hoffnung mehr Zuversicht zu gewinnen, und unsere Zärtlichkeit stimmte uns auf den vertraulichen Fuß, welchen die Unschuld billigt.

Ich merkte gar nicht, wie die Zeit indes verstrich, und es war Morgen, ehe ich mich von dem Lieblinge meiner Seele fortreißen konnte! Mein guter Engel sah voraus, was geschehen würde, und verstattete mir in Rücksicht der leidigen Trennung, zu der ich verdammt war, mir bei dieser Gelegenheit so gütlich zu tun.

Sowie ich zu Hause angekommen war, begab ich mich zur Ruhe. Ungefähr zwei Stunden mochte ich geschlafen haben, als Strap in großer Verwirrung mich aufweckte und mir sagte, es wäre ein Bedienter mit einem Briefe unten, den er an niemanden als an mich selbst abgeben wollte. Ich bat meinen Freund, den Menschen heraufzuführen, der mir folgenden Brief einhändigte, worauf er, wie er mir sagte, sofort Antwort haben mußte:

›Sir!

Wenn jemand meine Ehre beleidigt, so bin ich stets, so verschieden wir auch an Range sein mögen, geneigt, das Vorrecht meines Standes aufzuopfern, mich ihm ganz gleichzustellen und mir so Genugtuung zu verschaffen. Ihre unverschämte Antwort gestern im großen Saal hätte ich noch vielleicht hingehen lassen, allein Ihre Anmaßung, mir in einer weit interessanteren Angelegenheit den Vorzug streitig machen zu wollen, und eine Entdeckung, die ich heute früh gemacht habe, bestimmen mich zu dem Entschluß, Ihre Verwegenheit mit meinem Degen zu züchtigen. Haben Sie nun Mut genug, Ihren angenommenen Charakter durchzusetzen, so werden Sie nicht ermangeln, dem Überbringer dieses nach einem zu unserm Vorhaben gelegenen Ort zu folgen, wo Sie gewiß antreffen werden

Quiverwit.‹

Ob mich nun Narzissas Liebe und Gewogenheit mutlos machte oder ob mich der Rang meines Gegners eingeschüchtert hatte, weiß ich nicht – genug, ich hatte noch nie weniger Neigung, mich zu schlagen, gehabt als eben jetzt. Da ich aber die Notwendigkeit einsah, sowohl den Ruf meiner Geliebten zu verteidigen als meine Ehre zu behaupten, so stand ich sofort auf, zog mich in voller Eile an, schnallte meinen Degen um, befahl Strap, mich zu begleiten, und folgte meinem Führer. Unterwegs verfluchte ich mein Mißgeschick, daß man mich bei meiner Rückkehr von meinem Engel bemerkt hatte, denn so legte ich des Lords Entdeckung aus.

Als ich nahe genug war, um meinen Nebenbuhler zu sehen, sagte mir sein Lakai, er habe Befehl, nicht weiterzugehen. Daher hieß ich Strap, er solle gleichfalls zurückbleiben. Ich meinesteils ging mit dem festen Entschluß weiter, womöglich mit meinem Herausforderer zu einer Erklärung zu kommen, ehe wir uns schlügen. An dieser Gelegenheit fehlte es nicht. Denn kaum hatte ich mich ihm genähert, als er mich mit ernster Miene fragte, was ich frühmorgens in Mister Topehalls Garten zu tun gehabt habe. »Ich weiß nicht, Mylord«, sagte ich, »wie ich auf eine Frage antworten soll, die mir in so gebieterischem Ton gestellt wird. Wollen aber Mylord auf eine glimpflichere Art hierüber von mir Auskunft verlangen, so dürfte Sie diese Herablassung nicht gereuen. Andererseits können Sie versichert sein, daß ich mir kein Bekenntnis erpressen lasse.«

»Hier kann kein Leugnen stattfinden, ich habe Sie mit meinen eigenen Augen herauskommen sehen«, erwiderte Quiverwit.

»Sah mich außerdem noch jemand?« fragte ich.

»Das weiß ich nicht, bekümmere mich auch wenig darum; ich bedarf weiter keines Zeugnisses als meiner eigenen Sinne«, antwortete er.

Mir war es ungemein lieb, daß noch niemand weiter als er jenen Verdacht gefaßt hatte, und ich suchte seine Eifersucht durch das Geständnis zu beruhigen, daß ich mit dem Kammermädchen eine Intrige habe. Allein er war zu klug, um sich so leicht täuschen zu lassen. Der einzige Weg, ihn von der Wahrheit meines Vorgebens zu überzeugen, wäre der, sagte er sodann, daß ich allen meinen Ansprüchen auf Narzissa durch einen Eid entsagte und auf mein Ehrenwort verspräche, inskünftige nie mehr mit ihr zu reden.

Dieser Antrag erbitterte mich äußerst. Ich zog den Degen und rief: »Tod und Hölle! Was haben Sie, Sir, oder irgendein Mensch auf der Welt für ein Recht, mir solche Bedingungen vorzuschreiben?« Auch er zog den Degen, ging mit gerunzelter Stirn auf mich los und sagte, ich wäre ein Bube und hätte Narzissa um ihre Ehre gebracht. Dieses setzte mich nun in die heftigste Wut, und ich rief: »Derjenige, der mich mit solcher Beschuldigung brandmarkt, ist selbst der nichtswürdigste Bube! Sie ist tausendmal keuscher als die Mutter, die Sie unter ihrem Herzen getragen hat, und ich will ihre Ehre mit meinem Herzblut verteidigen.« Bei diesen Worten stürmte ich mit mehr Hitze als Geschicklichkeit auf den Lord ein. Ich bemühte mich, ihn zu unterlaufen, und bekam dabei eine Wunde in den Hals, die meine Wut verdoppelte. Quiverwit übertraf mich sowohl an Kaltblütigkeit als an Gewandtheit. Mit vieler Ruhe parierte er meine Stöße, bis ich meine Kräfte fast erschöpft hatte. Wie er dies wahrnahm, drang er desto lebhafter auf mich ein. Da er aber mehr Widerstand traf, als er erwartete, beschloß er, mir schärfer an den Leib zu gehen. Bei dem ersten Ausfall fuhr mir nun sein Degen beim Brustbein vorbei, zwischen Hemd und Haut durch und zur linken Schulter wieder heraus.

Ich glaubte, der Stich sei durch die Lunge gegangen und die Wunde demnach tödlich. Daher beschloß ich, nicht ungerächt zu sterben, und ergriff das Stichblatt, das gerade vor meiner Brust war, ehe er den Degen zurückziehen konnte. Mit der linken Hand hielt ich es fest und verkürzte den rechten Arm, um ihm meinen Degen ins Herz zu rennen. Allein der Stoß drang nur in den linken Arm bis zum Schulterblatt vor. Da mir diese Erwartung fehlgeschlagen war und ich immer fürchtete, der Tod möchte meine Rache vereiteln, so rang ich mit meinem Gegner und warf ihn, da ich stärker war, zu Boden. Ich drehte ihm sodann den Degen aus der Hand und stieß ihm in meiner Verwirrung, statt die Spitze zu gebrauchen, mit dem Griff drei von seinen Vorderzähnen aus.

Unsere Bedienten, die uns hatten fallen sehen, kamen nun herzu, um uns entweder auseinanderzubringen oder uns beizustehen. Allein noch ehe sie sich völlig genähert hatten, war ich bereits auf den Füßen und hatte gefunden, daß meine vermeint tödliche Wunde eine bloße Schramme war. Da ich mich so wenig verletzt merkte, legte sich meine Rachgier großenteils, und ich fing an, den Zustand meines Gegners mit einiger Teilnahme zu untersuchen.

Er lag noch immer auf der Erde, und das Blut stürzte ihm reichlich aus Mund und Arm. Ich half seinem Bedienten, ihn aufzuheben, verband seine Wunde mit einem Schnupftuch und versicherte ihm, sie sei nicht gefährlich. Zugleich gab ich ihm seinen Degen wieder und erbot mich, ihn nach Hause zu begleiten. Allein er dankte mir mit einem verdrießlichen und vornehmen Gesicht, lehnte sich auf seines Bedienten Schulter und wisperte mir zu, ich sollte bald mehr von ihm hören.

Dies Versprechen, das ich für eine Drohung nahm, machte mich stutzig, und ich beschloß, wenn er mich noch einmal herausforderte, mich aller der Vorteile, die mir das Glück über ihn geben würde, zu bedienen, auf was für Art es auch immer sein möchte. Inzwischen hatte ich Zeit, meine Aufmerksamkeit auf Strap zu richten, der vor Schreck ganz erstarrt schien. Ich tröstete ihn mit der Versicherung, ich hätte keinen Schaden bekommen, und erzählte ihm während des Nachhausegehens den Zusammenhang dieser Ehrensache.

Als wir auf meinem Zimmer waren, untersuchte ich sogleich die Wunde am Halse, der ganz steif war und schmerzte. Ein gut Teil geronnenes Blut stürzte auf mein Hemd. Ich zog deshalb Rock und Weste aus und machte meine Halsbinde ab, um desto leichter meine Wunde verbinden zu können. Kaum sah mein Freund mein Hemd ganz mit Blut gefärbt, so bildete er sich ein, ich hätte wohl zwanzigtausend Wunden, und fiel mit einem lauten »O herrje!« platt zu Boden.

Ich stillte mein Blut, legte ein Pflaster auf die Wunde, wusch mich und warf Hemd und Schlafrock über, indes Strap noch immer ohne Besinnung zu meinen Füßen lag. Als ich ihn wieder zu sich gebracht hatte und er mich ganz gesund sah, wollte er seinen Augen kaum trauen.

Nun, da die Gefahr vorüber war, freute ich mich über den Vorfall recht sehr. Ich hoffte, er sollte bekannter werden und ich dadurch in besseren Ruf kommen. Zugleich war ich nicht wenig stolz darauf, mich Narzissas Liebe einigermaßen würdig bezeigt zu haben, und der festen Meinung, sie würde wegen dieses Handelns nicht schlimmer von mir denken.


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