Tobias Smollett
Die Abenteuer des Roderick Random
Tobias Smollett

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Einundzwanzigstes Kapitel

Ein schändliches Komplott nötigt mich, meinen Prinzipal zu verlassen und ein Dachstubenrevier zu beziehen, wo ich eine alte Bekannte antreffe

 

Indes ich mich in dieser Stimmung befand und es mir dabei recht gut sein ließ, vermietete mein Herr seinen ersten Stock an meinen Landsmann und Bekannten, den Squire Gawky. Er war unter der Zeit Leutnant geworden und hatte ein so kriegerisches Betragen angenommen, daß mir bange ward, er möchte sich unserer Zwistigkeiten in Schottland erinnern und es durch die größte Pünktlichkeit gutzumachen suchen, daß er dort meine Herausforderung versäumt hatte. Allein er mochte mich nun ganz vergessen haben oder mich das glauben machen wollen – genug, er ließ es sich, wie er mich zu Gesicht bekam, nicht im allergeringsten merken, daß er mich kenne; und so verschwand meine Besorgnis gänzlich. Doch hatte ich nicht lange darauf Gelegenheit, wahrzunehmen, daß, wenn sich gleich sein Äußeres geändert hatte, er doch im Grunde noch eben der Gawky sei, den ich bereits beschrieben habe.

Ich kam nämlich einmal spät in der Nacht von einem Patienten zurück, als ich einen Tumult auf der Straße hörte. Es waren zwei Herren, die von drei Wächtern fortgeschleppt wurden. Die Gefangenen waren von Kot jämmerlich entstellt und beklagten sich bitterlich über den Verlust ihrer Hüte und Perücken. Der eine, den ich am Dialekt für einen Schotten erkannte, beklagte sich gar erbärmlich und bot den Wächtern eine Guinee für seine Freiheit. Allein sie weigerten sich, weil einer aus ihrer Mitte schwer verwundet worden sei und sie für die Folgen haften müßten.

Die Vorliebe für mein Vaterland war zu stark, als daß ich einen Landsmann hätte in einer solchen Klemme können stecken sehen. Daher bediente ich mich meines treuen Spazierstockes und schlug den Wächter, der die Person hielt, für die ich mich am meisten interessierte, mit einem Streich zu Boden. Kaum sah sich diese in Freiheit, so gab sie Fersengeld und überließ es mir, die Fehde zu endigen, wie ich es für gut fände. In der Tat kam ich gar übel weg. Denn ehe ich mich fortmachen konnte, hatte mir einer von den beiden übrigen einen solchen Schlag auf das Auge gegeben, daß ich beinahe auf immer um dessen Gebrauch gekommen wäre.

Ich sputete mich indessen, nach Hause zu kommen. Hier erfuhr ich, daß unser Leutnant von einem Trupp Spitzbuben sei beraubt und mißhandelt worden. Mein Herr befahl mir, ein erweichendes Klistier und ein schmerzstillendes Tränkchen zuzubereiten, um des jungen Mannes empörte Lebensgeister niederzuschlagen, welche durch die ihm widerfahrene barbarische Behandlung in die heftigste Wallung geraten wären. Unter der Zeit zapfte er dem Patienten sogleich zwölf Unzen Blut ab.

Als ich mich näher nach diesem Vorfall erkundigte, vernahm ich durch den Bedienten, daß Gawky gerade einen Augenblick vor mir ohne Hut und Perücke sich eingefunden habe. Nun hielt ich ihn ohne Bedenken für denjenigen, den ich befreit hatte, und wurde, sobald ich seine Stimme hörte, die mir vor dieser Begebenheit fremd gewesen war, in meiner Meinung bestätigt. Ich konnte, da sich mein Auge merklich geschwollen und entzündet befand, an meine Tat nicht denken, ohne meine Torheit zu verwünschen, und beschloß, den wahren Verlauf dieser Geschichte aufzudecken, um mich an dem feigen, elenden Tropf zu rächen, für den ich gelitten hatte.

Den folgenden Tag brachte er in Gegenwart meines Prinzipals, dessen Frau und Tochter, die einen Besuch bei ihm ablegten, tausenderlei Windbeuteleien von der Tapferkeit vor, die er bei seiner Flucht bewiesen habe. Jetzt wagte ich es, meinem Entschlusse gemäß, das Geheimnis aufzuklären, berief mich zum Zeugnis auf mein zerquetschtes Auge und warf ihm Feigheit und Undankbarkeit vor.

Gawky war über diese Reden so erstaunt, daß er dagegen kein Wort vorbringen konnte, und die übrigen von der Gesellschaft starrten einander an. Endlich gab mir meine Prinzipalin wegen meines übermütigen Benehmens einen starken Verweis und drohte, mich wegen meiner unverschämten Dreistigkeit wegzujagen. Nunmehr hatte sich der tapfere Gawky wieder gesammelt und sagte, der junge Mann müsse einen anderen für ihn angesehen haben; er könne ihm also seine Äußerungen gar leicht vergeben, zumal da er für seine Höflichkeit gelitten zu haben schiene. Zugleich riet er mir, künftig in meinen Mutmaßungen sicherer zu sein, ehe ich mich unterstände, sie laut werden zu lassen.

Die Miß rühmte den Edelmut des Herrn Leutnants, daß er jemandem verzeihe, der ihn so niederträchtig verleumdet habe; und ich fing an zu mutmaßen, daß ihr Lob nicht ganz ohne allen Eigennutz sei. Allein der Apotheker, der vielleicht mehr Einsicht oder weniger Parteilichkeit hatte als seine Frau und Tochter, war mit ihnen nicht einer Meinung und ließ sich im Laden folgendermaßen gegen mich aus: »Ah, mon pauvre Roderigue, Ihr habt mehr von der véracité denn von der prudence – aber mein Weib und meine Tochter sind diablement sage und Monsieur le Lieutenant un fanfaron, pardieu!« Diese Lobrede auf seine Frau und Tochter war, wiewohl aus Ironie gesagt, buchstäblich wahr. Dadurch, daß sie sich Gawkys so eifrig annahmen, machte die eine sich einen schätzbaren Mietsmann verbindlich, und die andere erwarb sich einen Ehemann zu einer Zeit, wo er ihr schlechterdings notwendig war. Denn die junge Dame, welche bemerkte, daß die Folgen ihres Umgangs mit O'Donnell täglich ersichtlicher wurden, wußte sich in die Neigung ihres neuen Mietsmannes so geschickt einzuschmeicheln, daß sie in weniger als vierzehn Tagen unter dem Vorwande, in die Komödie zu fahren, sich ins Fleet begaben und sich dort kopulieren ließen. Von da verfügten sie sich in ein Bagnio, wo die Ehe vollzogen wurde. Den Morgen darauf kamen sie nach Hause und baten Vater und Mutter um ihren Segen.

So eilfertig dieses Bündnis auch zustande gebracht war, so fanden es dennoch die klugen Eltern nicht für ratsam, ihre Einwilligung zu versagen. Der Apotheker war nicht übel damit zufrieden, seine Tochter mit einem jungen Mann von so guten Aussichten, der noch keine Silbe von Heiratsgut gegen ihn erwähnt hatte, verheiratet zu sehen. Seine Frau war ihrerseits voller Freude, in ihren Liebschaften keine Rivalin und bei ihren Vergnügungen keinen Kundschafter mehr zu haben. Auch ich war über diesen Vorfall vergnügt, wenn ich bedachte, daß ich ohne mein Wissen mich an meinem Feinde gerächt und ihm im voraus Hörner aufgesetzt hatte.

Indes ich mich daran weidete, ließ ich mir von dem Ungewitter nichts träumen, das gegen mich im Anzug war. Gawky hatte sich zwar, als ich die Wächtergeschichte entdeckte und in Vorwürfe gegen ihn ausbrach, äußerlich nichts merken lassen, aber innerlich war der Eindruck desto tiefer gewesen. Der Same der Feindschaft hatte so tief in seiner Brust Wurzel gefaßt, daß er seiner Frau den Unwillen gegen mich offenbarte. Diese war so begierig wie er, das Verderben eines Menschen zu befördern, der nicht nur ihre Liebkosungen verschmäht hatte, sondern sich auch imstande befand, gewisse Dinge zu verraten, die ihrem Ruf eben nicht viel Ehre machten. Daher war sie sogleich geneigt, sich in eine Verschwörung einzulassen, die, wenn sie nach ihrer Erwartung ausgefallen wäre, mir unfehlbar einen schimpflichen Tod zugezogen haben würde.

Mein Prinzipal hatte schon lange sehr viele Medikamente vermißt, von denen ich ihm keine Rechenschaft abzulegen imstande gewesen war. Endlich verlor er die Geduld und beschuldigte mich mit dürren Worten, ich hätte sie unterschlagen und zu meinem Gebrauch verwandt. Ich konnte seinem Verdacht nichts als die feierliche Behauptung vom Gegenteil entgegenstellen.

»Ma foi«, sagte er eines Tages, »Euer Wort allein genügt mir nicht. – Ich muß selbst nach meiner Medizin suchen. Pardonnez-moi, il faut chercher. Gebt mir den Schlüssel von Eurem coffre à cette heure.« Sodann erhob er seine Stimme, um seine Besorgnis, daß ich mich widersetzen möchte, zu verbergen, und fuhr so fort: »Oui, foutre, ich verlange, daß Ihr mir den Schlüssel von Eurem coffre gebt. Moi – si, moi, qui vous parle

Ich geriet über diese Anklage so in Unmut und Ärger, daß ich Tränen vergoß, die er für einen Beweis meines Verbrechens ansah. Inzwischen gab ich ihm meinen Schlüssel und sagte, er möchte sich augenblicklich Gewißheit verschaffen: doch würde es ihm nicht leichtfallen, mir Genugtuung für die Kränkung meines Leumunds zu verschaffen, der unter seinem ungerechten Verdacht litte.

Lavement nahm den Schlüssel und stieg mit den Worten »Nous verrons, nous verrons!« nach meiner Kammer hinauf. Das ganze Haus folgte ihm. Er öffnete meinen Koffer; aber wie erschrak ich, als er eine Handvoll von ebenden Sachen herauszog, die ihm fortgekommen waren.

»Ah, ah, vous êtes bien venus!« rief er. »Pardi, Monsieur Roderique, Ihr seid fort innocent!«

Ich war nicht imstande, nur ein Wort zu meiner Verteidigung hervorzubringen, und hatte Bewegung und Sprache gänzlich verloren. Jeder von den Umstehenden machte seine Bemerkungen über diesen Fund. Die Dienstboten bedauerten mich und gingen mit den Worten weg: »Wer sollte das wohl von ihm gedacht haben!« Die Frau vom Hause nahm aus dieser Entdeckung Gelegenheit, überhaupt gegen die Gewohnheit loszuziehen, fremde Leute im Dienst zu haben! Mistreß Gawky versicherte, sie habe von meiner Treue nie eine gute Meinung gehabt, und schlug vor, mich sogleich vor den Friedensrichter und von da nach Newgate zu bringen.

Ihr Mann war bereits auf der Treppe, um die Polizei zu holen; aber Lavement, der voraussah, was für Kosten und Mühe ihm eine Klage machen würde, für die er einstehen mußte, und dem zugleich bange war, ich möchte von seiner Art, Arzneien zuzubereiten, etwas in mein Bekenntnis mit einfließen lassen, rief ihm nach: »Restez, mon fils, restez. Es ist zwar véritablement ein großes Verbrechen, das dieser pauvre diable begangen hat, aber peut-être gibt ihm der gute Gott Buße, und ich will nicht, daß das Blut dieses Sünders über mich kommt.«

Der Leutnant und seine Gemahlin bedienten sich aller der christlichen Argumente, die ihnen ihr Eifer nur eingeben konnte, um den Apotheker dahin zu vermögen, mich bis zu meinem Untergange zu verfolgen. Sie stellten ihm vor, wie unbillig er gegen die Zunft verführe, deren Mitglied er sei, wenn er einen Nichtswürdigen entwischen ließe, der, weil er diesmal so leicht durchgekommen wäre, noch mehr schlechte Streiche in der Welt verüben würde.

Ihre Beredsamkeit machte keinen Eindruck auf meinen Prinzipal. Er wandte sich zu mir und sagte: »Geht fort, Elender. Verlaßt mein Haus, schnell, schnell, und bereut eure mauvaises actions.« Indes war das Erstaunen, das bisher meine Zunge und alle Glieder gefesselt hatte, durch Entrüstung verdrängt worden, und ich begann folgendermaßen zu sprechen: »Der Schein, Sir, ist freilich wider mich: allein Sie sind ebensosehr hintergangen, wie ich mißhandelt worden bin. Ich werde ein Opfer des Hasses von diesem elenden Menschen« (hier zeigte ich auf Gawky). »Er hat Ihre Sachen hierherzupraktizieren gewußt, damit er mich, wenn sie gefunden würden, um meinen guten Namen und ins Unglück bringen möchte. Sein Groll gegen mich rührt von dem Bewußtsein her, mich in meinem Vaterlande beleidigt und mir aus Feigheit die Genugtuung versagt zu haben, die rechtliche Leute einander zu geben pflegen. Überdies weiß er, daß sein memmenhaftes Betragen in dieser Stadt nicht unbekannt ist; ich habe ihn entlarvt. Es verdrießt ihn, daß ein solcher Zeuge seiner Undankbarkeit und seines Kleinmuts auf Erden befindlich ist. Seine teuflische Bosheit ist daher bemüht, mich auf die Seite zu schaffen. Und ich fürchte, Mistreß«, (wandte ich mich zur Gawky) »Sie haben Ihres Mannes Gesinnungen nur zu leicht angenommen. Ich habe Sie oft als meine Feindin befunden und weiß die Ursache recht gut. Doch find ich es nicht für ratsam, sie jetzt zu entdecken. Allein ich rate Ihnen um Ihrer selbst willen, treiben Sie mich nicht zum Äußersten.«

Diese Anrede machte sie so wild, daß sie mit einem Gesicht so rot wie Scharlach und den Augen einer Furie auf mich losging. Sie stemmte die Hände in die Seiten, spie vor mir aus und sagte, ich wäre ein ehrenschändrischer Bube; aber sie böte meiner Bosheit Trotz. Wofern ihr Papa mich nicht als einen Dieb, der ich ganz ausgemacht wäre, in die Hände der Gerechtigkeit liefere, wolle sie nicht einen Augenblick länger unter seinem Dach verweilen.

Gawky warf zu gleicher Zeit einen trotzigen Blick auf mich und sagte, er sähe auf die Lügen, die ich gegen ihn vorbrächte, mit Verachtung herab; wenn ich mich aber unterstände, die Ehre seiner Frau anzugreifen, so wolle er mich, so wahr der Himmel über ihm sei, gleich umbringen.

Zeichnung: George Cruikshank

. . . indem ich eine neben mir stehende alte Flasche ergriff

»Ich wünschte«, versetzte ich auf diese Drohung, »ich träfe dich an irgendeinem abgelegenen Ort, wo ich bequeme Gelegenheit hätte, mich an deiner Treulosigkeit zu rächen und die Welt von einem Bösewicht, wie du bist, zu befreien. Allein was hindert mich«, fuhr ich fort, indem ich eine neben mir stehende alte Flasche ergriff, »mir diese Gerechtigkeit nicht augenblicklich zu verschaffen?«

Kaum hatte ich mich auf diese Art bewaffnet, als Gawky und sein Schwiegervater sich so schnell entfernten, daß sie einander überrannten und die Treppe hinunterrollten. Die Frau vom Hause fiel indes vor Furcht in Ohnmacht, und die Tochter fragte mich, ob ich etwa gesonnen sei, sie zu ermorden. »Ganz und gar nicht«, versetzte ich; »ich will Sie Ihren Gewissensbissen überlassen. Allein Ihrem Mann hau ich ganz zuverlässig die Nase weg, wenn ihn mein gutes Glück mir in die Hände führt.«

Als ich die Treppe hinunterging, kam mir Lavement zitternd und bebend, mit der Mörserkeule in der Hand, entgegen, und Gawky, mit dem Degen bewaffnet, schob ihn vor sich her. Ich begehrte mit ihnen zu sprechen und versicherte sie dabei meiner friedfertigen Gesinnung.

Nunmehr schnaubte Gawky: »Ha, Nichtswürdiger, hast du mein teures Weib umgebracht?« – »Ah, coquin, rief der Apotheker, »wo ist mein Kind?« – »Die Dame«, sagte ich, »ist oben; ich habe ihr kein Leid getan, und sie wird, glaub ich, in wenig Monaten sich für Ihre Teilnahme erkenntlich zeigen.«

Die junge Frau rief ihnen hierauf zu, sie möchten den elenden Kerl nur gehen lassen und sich nicht weiter um ihn bemühen. Hiermit war der Vater vollkommen einverstanden; dessenungeachtet machte er die Anmerkung, meine Reden wären sehr mystisch.

Ich fand, daß es unmöglich sei, meine Unschuld zu beweisen; daher verließ ich unmittelbar das Haus und begab mich zum Schulmeister. Ihm wollte ich meine Rechtfertigung vorlegen und mir einen guten Rat wegen meines künftigen Verhaltens von ihm erbitten. Allein zu meinem höchsten Mißvergnügen hörte ich, daß er nicht in der Stadt sei und erst in zwei oder drei Tagen wiederkommen würde. Ich ging daher zu einigen Bekannten, die ich mir in der Nachbarschaft meines ehemaligen Prinzipals erworben hatte, um sie zu Rate zu ziehen. Allein meine Geschichte war durch die Dienstfertigkeit von Lavements Gesinde herumgekommen, und keiner von meinen Freunden wollte mich des geringsten Gehörs würdigen.

So fand ich mich durch die Unbilligkeit der Menschen in einer kläglicheren Lage als jemals. Denn wiewohl ich mich zuvor ebenso arm befunden hatte, so war doch mein Leumund ungekränkt und meine Gesundheit bis dahin ungeschwächt geblieben. Jetzt aber war mein guter Name verloren, mein Geld fort, meine Freunde mir abgeneigt, mein Körper von einer Krankheit angegriffen, die ich mir durch meine Liebeleien zugezogen hatte; und Strap, von dem ich allein Mitleid und Beistand erwarten konnte, war ich weiß nicht wo.

Der erste Entschluß, den ich in dieser melancholischen Lage ergriff, bestand darin, meine Kleider nach dem Hause des Mannes zu schaffen, bei dem ich zuvor gewohnt hatte. Hier blieb ich zwei Tage in der Hoffnung, durch Concordances Verwendung eine andere Stelle zu bekommen. Ich zweifelte gar nicht, daß ich imstande sein würde, mich gegen diesen Mann zu rechtfertigen; allein ich hatte die Rechnung ganz ohne den Wirt gemacht. Lavement war mir schon zuvorgekommen. Als ich daher dem Schulmeister die ganze Sache zu erläutern bemüht war, fand ich ihn so gegen mich eingenommen, daß er mich kaum bis zu Ende anhören wollte.

Als ich mit meiner Rechtfertigung zu Rande war, schüttelte er den Kopf und begann mit seinem gewöhnlichen Ausruf: »Du lieber Heiland! Das will mir ganz und gar nicht gefallen. Mir tut's leid, daß ich das Unglück hab, in die Sache mit verwickelt zu sein. Aber künftig werd ich vorsichtiger sein. Von jetzt an werd ich keinem Menschen mehr trauen, weder meinem Vater, der mich gezeugt hat, noch meinem Bruder, der mit mir unter demselben Mutterherzen gelegen hat. Selbst Daniel, wenn er von den Toten aufstünde, würd ich für einen Betrüger halten, und wenn der Genius der Wahrheit persönlich erschiene, so würde ich seine Wahrhaftigkeit in Zweifel ziehen.«

Ich sagte ihm, er würde vermutlich noch einmal überzeugt werden, daß mir unrecht geschehen sei, und dann seinen voreiligen Entschluß bereuen.

»Mein Herz soll hüpfen und springen vor Freude, wenn Ihr Eure Unschuld beweisen könnt. Aber bis das geschieht, muß ich Euch bitten, mir jede Gemeinschaft mit Euch zu ersparen. Mein guter Name steht auf dem Spiel. Man wird mich für Euren Komplicen und Helfershelfer halten. Die Leute werden sagen, Jonathan Wild ist mein Modell und Muster gewesen. Die Kinder werden mich verhöhnen, wenn ich vorbeigehe, und die Lumpenweiber werden mir Schimpfreden nachsenden, die mit Wacholdergeist geschwängert sind. So werd ich die Zielscheibe der Verleumdung sein und die Kloake der Schande.«

Ich war nicht in Laune, an der Überschwenglichkeit Geschmack zu finden, worauf sich dieser Mann in allen seinen Reden etwas zugute tat, darum verließ ich ihn ohne alle Umstände. Alle Schrecknisse, die meine gegenwärtige Lage nur einflößen konnte, drückten jetzt hart auf mich. Inzwischen nahm ich mir in den lichten Augenblicken meiner Verzweiflung vor, meine Ausgaben einigermaßen nach meinen bedrängten Umständen einzurichten. In dieser Rücksicht mietete ich mir nicht weit von St. Giles ein Bodenkämmerchen für neun Pence die Woche. Hier beschloß ich, mich vor allen Dingen zu kurieren; ich hatte drei Hemden versetzt, um mir Arzneien und die notwendigen Bedürfnisse anzuschaffen.

Eines Tages, als ich in diesem einsamen Aufenthalt meinem unglücklichen Schicksale nachsann, erschreckte mich ein Ächzen, das aus der Kammer kam, die an die meinige stieß. Ich rannte sogleich nach diesem Ort und fand dort eine Frauensperson auf einem elenden Schiebebett, ohne die geringsten Anzeichen von Leben, ausgestreckt liegen. Ich hielt ihr ein Riechbüchschen vor die Nase, und sogleich begann das Blut in ihre Wangen zurückzukehren, und ihre Augen öffneten sich. Aber, gütiger Himmel, wie sehr wurde ich erschüttert, als ich sah, daß sie ebendas Mädchen war, das über mein Herz gesiegt und mit dessen Schicksal ich bei einem Haar das meinige unauflöslich verbunden hätte! Ihre beklagenswerte Lage füllte meine Brust mit Mitleid, und meine ehemalige Zärtlichkeit erwachte wieder ganz für sie. Ich flog in ihre Arme.

Sie erkannte mich sogleich, drückte mich sanft an sich und vergoß einen Strom von Tränen, in die ich die meinigen zu mischen nicht umhin konnte. Endlich warf sie einen matten Blick auf mich und sagte mit schwacher Stimme: »Mein lieber Mister Random, ich verdiene so viele Teilnahme von Ihnen nicht. – Ich bin ein elendes Geschöpf, das einen schändlichen Plan auf Sie gemacht hatte. Lassen Sie mich diese und meine übrigen Vergehungen durch einen jammervollen Tod aussöhnen, der mich unfehlbar in wenigen Stunden aus der Welt nehmen wird.«

Ich suchte ihr, so gut ich nur immer konnte, Mut einzusprechen, versicherte ihr, ich habe ihr alle ihre Pläne gegen mich von Herzen verziehen und wolle, so armselig auch meine Umstände wären, meine letzten Heller mit ihr teilen. Sodann bat ich sie, mir die unmittelbare Veranlassung der Ohnmacht zu eröffnen, von der sie sich eben erholt habe, um ähnlichen Anfällen durch meine medizinischen Kenntnisse vorbeugen zu können.

Sie schien durch diese Äußerungen sehr gerührt zu sein. Darauf nahm sie meine Hand, drückte sie an ihre Lippen und sagte: »Sie sind zu großmütig. Ich wünschte noch länger zu leben, um Ihnen meine Dankbarkeit bezeigen zu können. Aber ach! Ich sterbe aus Mangel an Nahrung.« Sie schloß damit ihre Augen und sank von neuem in Ohnmacht.

Bei diesem hohen Grade von Elend hätte ein steinernes Herz von Erbarmen und Mitleid erweicht werden müssen. Was für Wirkung mußte das nicht auf mich tun, der ich von Natur zu jeder zärtlichen Leidenschaft gestimmt war! Ich rannte die Treppe hinunter und schickte meine Wirtin in die Apotheke, um Zimtwasser zu holen.

Inzwischen kehrte ich zu dem unglücklichen Geschöpf zurück und bediente mich aller Mittel, die in meiner Macht standen, um es wieder zu sich zu bringen. Nur mit vieler Mühe gelang es mir.

Darauf ließ ich sie ein Glas von dem Herzmittel trinken, um ihre Lebensgeister wieder zu stärken. Alsdann machte ich Glühwein und geröstete Brotscheiben für sie zurecht. Sowie sie das zu sich genommen hatte, fand sie sich recht sehr erquickt und sagte mir, daß sie in achtundvierzig Stunden keine Nahrung genossen habe.

Als ich nun meine Ungeduld äußerte, zu wissen, wodurch sie in ein solches Elend gekommen sei, gestand sie mir, sie sei ein öffentliches Mädchen gewesen und habe sich durch diese Lebensart eine Krankheit zugezogen, welche Personen von ihrer Klasse gemeiniglich befiele. Dies Übel habe täglich mehr überhandgenommen, so daß sie endlich sich und andern zum Abscheu geworden wäre. Daher hätte sie beschlossen, sich in irgendeinen dunkeln Winkel der Stadt zurückzuziehen, um sich mit so wenigem Aufsehen und so geringen Kosten wie nur möglich kurieren zu lassen. Sie habe demnach dies Logis bezogen und sich einem Kurpfuscher anvertraut. Dieser hätte ihr nicht nur alles Geld abgenommen, was sie gehabt oder habe auftreiben können, sondern sie auch noch vor drei Tagen in einem weit schlimmeren Zustande verlassen, als er sie gefunden. Die Kleider ausgenommen, die sie trüge, hätte sie alles und jedes, was sie besessen, zum Pfandleiher schicken müssen, um den habsüchtigen Quacksalber und die tobende Wirtin zu befriedigen, die ihr noch immer drohte, sie auf die Straße hinauszuwerfen.

Nachdem wir über diese Schicksale trefflich moralisiert hatten, schlug ich ihr vor, um den Mietzins zu sparen, mit mir zusammenzuziehen. Zugleich versicherte ich ihr, daß ich so gut ihre als meine Kur übernehmen wolle; in der Zeit sollte sie alle die Bequemlichkeiten genießen, die ich mir selbst zu verschaffen imstande wäre.

Sie nahm mein Anerbieten mit ungeheuchelter Erkenntlichkeit an, und ich begann sogleich mein Versprechen zu erfüllen. Ich fand an ihr nicht nur eine angenehme Gesellschafterin, deren Unterhaltung meinen Kummer in einem hohen Grade erleichterte, sondern auch eine sorgsame Wärterin, die mich mit äußerster Treue und Zuneigung pflegte.

Eines Tages bezeigte ich ihr mein Erstaunen, daß ein Frauenzimmer von ihrer Schönheit, ihrem Verstande und ihrer Erziehung – sie besaß von jedem eine gute Dosis – zu einer so schändlichen, elenden Lebensart habe herabsinken können. »Eben diese Vorzüge«, versetzte sie mit einem Seufzer, »sind an meinem Verderben schuld gewesen.« Diese Antwort fiel mir auf und machte meine Neugier so rege, daß ich sie bewog, mich mit ihrer Geschichte näher bekannt zu machen. Sie erfüllte mein Verlangen in folgenden Worten:


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