Tobias Smollett
Die Abenteuer des Roderick Random
Tobias Smollett

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Achtundfünfzigstes Kapitel

Meine Eifersucht wird durch Narzissa gedämpft. Melinde spielt mit mir, wie ich vermutet hatte

 

Da ich in meinem Logis das Feuer im Kamin beinahe erloschen fand, ließ ich meinen Zorn an dem armen Strap aus. Ich kniff ihn so in die Ohren, daß er ganz jämmerlich zu brüllen anfing. Ja, als ich ihn schon losgelassen hatte, machte er noch immer eine so albern-erschrockene Miene, daß jeder unbefangene Zuschauer über diesen Anblick hätte laut auflachen müssen.

Kurz darauf ging es mir sehr nahe, den ehrlichen Jungen zu übel behandelt zu haben, und ich bat ihn deshalb herzlich um Verzeihung. Mein treuer Bedienter schüttelte den Kopf und sagte: »Ich vergeb es Euch, mög es Euch Gott auch vergeben.« Doch konnte er sich nicht enthalten, über mein unfreundliches Benehmen einige Tränen zu vergießen.

Ich fühlte über meine Tat unaussprechliche Reue, verfluchte meine Undankbarkeit und betrachtete seine Tränen als Vorwürfe, die meine Seele in ihrer jetzigen Stimmung nicht ertragen konnte. Alle meine Affekte gerieten in Gärung. Ich tat fürchterliche Flüche, doch ohne daß jemand deren eigentlicher Gegenstand gewesen wäre; Schaum stand mir vor dem Munde, ich warf alle Stühle um und beging eine Menge unsinniger Streiche, so daß mein Freund vor Furcht fast den Verstand verlor. Endlich legten sich die wilden Aufwallungen, ich wurde schwermütig und fing an zu weinen wie ein Kind.

In dieser Abspannung erstaunte ich nicht wenig, plötzlich die Miß Williams vor mir zu sehen. Strap, der noch immer heulte, hatte sie ins Zimmer geführt, ohne mir davon etwas vorher zu sagen. Sie ward durch den Zustand, worin sie mich erblickte und den sie von meinem Getreuen erfahren hatte, äußerst gerührt. Flehentlich bat sie mich, meine Hitze zu mäßigen, meinen Mutmaßungen Einhalt zu tun und ihr augenblicklich zu Narzissa zu folgen, die mich sofort zu sprechen verlangte.

Dieser teure Name wirkte wie ein Zauber auf mich. Ich sprang auf und ging mit ihr, ohne meine Lippen zu öffnen. Sie führte mich durch eine heimliche Gartentür in das Zimmer ihrer Herrschaft. Ich fand das anbetungswürdige Geschöpf in Tränen gebadet. Dieser Anblick rührte mich sehr. Wir blieben eine Zeitlang sprachlos. Mein Herz war zu voll, als daß ich hätte reden können. Ihr schneeweißer Busen hob sich vor zärtlichem Unwillen, und sie rief endlich schluchzend: »Was hab ich denn getan, das Sie hat beleidigen können?«

Diese zärtliche Frage durchbohrte mein Herz. Ich näherte mich ihr mit der ehrfurchtsvollsten Zärtlichkeit, fiel vor ihr nieder auf die Knie, küßte ihre Hand und rief: »Oh, Sie sind ganz Güte und Vollkommenheit! Ich bin unglücklich, weil es mir an Verdiensten fehlt! Ich bin es nicht wert, diese Reize zu besitzen, die der Himmel für die Arme eines glücklicheren Wesens bestimmt hat.«

Sie erriet die Ursache meiner Unruhe und gab mir einen so sanften Verweis über meinen Verdacht und so schmeichlerische Versicherungen ihrer Treue, daß alle meine Zweifel und Besorgnisse schwanden und Ruhe und Zufriedenheit wieder in meiner Brust herrschten.

Um Mitternacht beurlaubte ich mich bei meiner Schönen, um sie nicht weiter am Schlaf zu verhindern. Die Williams ließ mich durch das Gartenpförtchen heraus, zu dem ich hineingekommen war. Als ich so im Dunkeln forttappte, hörte ich hinter mir ein Geräusch, als ob ein Pavian mit den Zähnen knirsche. Sogleich drehte ich mich um, und da ich etwas Schwarzes erblickte, glaubte ich, ich wäre von einem Spion entdeckt worden, der mir habe auflauern sollen. Der Leumund der tugendhaften Narzissa schien mir in Gefahr zu schweben; dies vermochte mich, den Degen zu ziehen. Schon war ich im Begriff, den Lauscher dem guten Namen meiner Geliebten aufzuopfern, als Straps Stimme meinen Arm zurückhielt. »Tu-tu-tu-tun Sie's nur«, stammelte er mit vieler Mühe hervor. »Bri-bri-bringen Sie mich um, wenn Sie Lust dazu haben.« Kälte und Angst wirkten nämlich so auf seine Kinnbacken, daß ihm die Zähne wie Kastagnetten zusammenschlugen.

Herzlich erfreut, daß mein Knappe der vermeinte Kundschafter war, lachte ich über seine Bestürzung und fragte, was ihn hierhergeführt habe. Angst um meinetwillen, gab er mir zu verstehen. Deshalb sei er mir hierher nachgefolgt und habe bis jetzt auf mich gewartet. Auch bekannte er mir offenherzig, ungeachtet seiner guten Meinung für die Williams sei ihm doch meinetwegen nicht wenig bange geworden, und wäre ich noch einen Augenblick länger ausgeblieben, so würde er die ganze Nachbarschaft in Alarm gebracht haben. Diese Nachricht von seinem Vorhaben bestürzte mich sehr. Ich stellte ihm die übeln Folgen vor, die dieser rasche Schritt würde gehabt haben, warnte ihn ernstlich, sich künftig dergleichen nicht wieder zu unterstehen, und schloß mit der Versicherung, wenn er je wieder solchen Querkopfsstreich machte, würde ich ihn ohne alles Bedenken auf der Stelle umbringen. »Geduldet Euch nur noch ein kleines bißchen«, entgegnete er in einem kläglichen Ton, »das wird Eure Unzufriedenheit ohnedies zustande bringen, da braucht Ihr nicht erst Hand an mich zu legen.«

Dieser Vorwurf rührte mich. Sobald wir zu Hause waren, hatte ich nichts Angelegentlicheres zu tun, als ihn zu besänftigen. Ich eröffnete ihm nämlich die Ursache, weshalb ich in die Hitze geraten war, während welcher ich ihn so unwürdig behandelt hatte.

Des folgenden Tages, als ich in den großen Assembleesaal trat, sah ich, daß augenblicklich verschiedene Personen sich etwas zuwisperten. Ich zweifelte gar nicht, daß Melinde mit meinem guten Namen schon weidlich umgesprungen sei. Aber ich tröstete mich mit Narzissas Liebe, auf die ich mich völlig verließ, und ging an den Spieltisch. Dort gewann ich meinem vermutlichen Nebenbuhler einige Pfund ab. Er ließ sich auf das leutseligste mit mir in ein Gespräch ein und bat mich, ihn ins Kaffeehaus zu begleiten, wo er mir Tee und Schokolade vorsetzte.

Ich erinnerte mich Strutwells und stand gegen sein einschmeichelndes Benehmen auf der Hut. Mein Verdacht war begründet. Quiverwit (so hieß er) lenkte gar künstlich das Gespräch auf Narzissa, eröffnete mir sodann eine Intrige, darin er selbst verwickelt wäre, und suchte durch dies Vorgeben zu erfahren, auf was für einem Fuß ich mit jenem Frauenzimmer stünde. Doch alle seine Feinheit half nichts. Von seiner Verstellung überzeugt, gab ich ihm so allgemeine Antworten, daß er sich genötigt sah, dieses Thema wieder fahrenzulassen und von etwas anderem zu sprechen.

Indes wir uns so miteinander unterhielten, kam Bruder Petz mit einem Herrn herein, der ihn Seiner Lordschaft vorstellte. Er wurde von diesem mit solchen vorzüglichen Achtungsbeweisen aufgenommen, daß ich daraus schloß, der Hofschranz sei willens, dieses Menschen Bekanntschaft auf eine oder die andere Art zu benutzen, und eine üble Vorbedeutung daraus zog.

Den folgenden Tag hatte ich noch mehr Ursache, bekümmert zu sein. Ich sah den Squire in Gesellschaft von Melinde und ihrer Mutter, die mich mit verschiedenen verächtlichen Blicken beehrten. Und als ich ihm nachher geflissentlich in den Weg kam, erwiderte er meinen Gruß nicht wie sonst mit einem herzlichen Händedruck, sondern mit einem frostigen »Diener! Diener!« Er sprach diese Worte so gleichgültig oder, besser gesagt, so verächtlich aus, daß ich ihn auf der Stelle würde dafür gezüchtigt haben, wenn er nicht Narzissas Bruder gewesen wäre.

Diese Vorfälle beunruhigten mich nicht wenig. Ich sah von fern ein Ungewitter sich gegen mich zusammenballen und rüstete mich für den Fall mit Entschlossenheit. Denn da meiner Geliebten Besitz auf dem Spiel stand, so war ich weit entfernt, den Kampf ruhig aufzugeben. Ich hätte auf jedes andere günstige Ereignis mit einiger Standhaftigkeit Verzicht getan, allein die Aussicht, meine Narzissa zu verlieren, machte meine Philosophie zuschanden und mich beinahe wahnsinnig.

Miß Williams fand mich den folgenden Morgen in der größten Angst und Bekümmernis. Die Nachricht, die sie mir brachte, war nicht imstande, diese zu verringern. Sie erzählte mir nämlich, der Squire habe den Lord Quiverwit bei seiner Schwester eingeführt, weil er rechtschaffene Absichten gegen deren Person geäußert hätte. Er habe, fuhr sie fort, Melindes Berichten zufolge, von mir als einem dürftigen irischen Glücksjäger gesprochen, der nur durch Gaunerei und tausend schändliche Praktiken imstande wäre, die Figur eines rechtlichen Mannes zu spielen. Mein Herkommen sei so dunkel, daß ich selbst darüber keine rechte Auskunft wüßte.

Sosehr ich auch auf die Bosheiten der jungen Dame gefaßt war, so konnte ich sie doch nicht mit Gelassenheit anhören, zumal, da sie die Wahrheit so mit Unwahrheiten verwebt hatte, daß es mir unmöglich fiel, sie zu meiner Rechtfertigung auseinanderzusondern. Allein, da ich nur ungeduldig war, zu wissen, wie Narzissa diese Entdeckung aufgenommen habe, so äußerte ich nichts über diesen Punkt. Das edelmütige Mädchen hatte, wie mir die Williams sagte, jenen Beschuldigungen keinen Glauben beigemessen.

»Kaum befand sie sich mit mir allein«, erzählte meine Vertraute, »so zog sie mit vieler Wärme über die Bosheit der Menschen los und setzte alles, was zu Ihrem Nachteil war gesagt worden, auf deren Rechnung. Sie untersuchte Ihr Benehmen gegen sie aufs genaueste und fand es in allen Stücken so fein, edel und uneigennützig, daß sie gar nicht zweifeln konnte, Sie wären der Mann, für den Sie sich ausgäben. ›Ich habe‹, sagte sie, ›mich mit Fleiß nicht nach seinen Schicksalen näher erkundigen wollen, weil ich besorgte, die Wiederholung verschiedener Unglücksfälle, die er erlebt hat, möchte ihm nur peinlich sein. Und was seine Vermögensumstände anlangt, so muß ich gestehen, ich habe mich gescheut, darüber bei ihm Erkundigung einzuziehen und ihm den Zustand meines Vermögens vorzulegen. Mir war bange, daß wir durch diese Aufschlüsse uns beiderseits unglücklich machen würden. Denn leider! hängt meine Mitgift von gewissen Bedingungen ab, und ich habe nichts zu hoffen, wenn ich ohne meines Bruders Einwilligung heirate.‹«

Diese Nachricht traf mich wie ein Donnerschlag. Es dunkelte mir vor den Augen, meine Wangen wurden blaß, und jedes Glied an meinem Leibe zitterte. Meine Freundin bemerkte diese Erschütterung und suchte mir durch Versicherungen von Narzissas Beständigkeit und durch die Hoffnung Mut zu machen, daß sich noch ein unserer Liebe günstiger Vorfall ereignen könne. Um mich noch mehr zu trösten, entdeckte sie mir, sie habe meiner Geliebten eine Skizze meines Lebens gegeben, und wiewohl diese von meinen jetzt gar niedrig stehenden Finanzen unterrichtet wäre, so habe dennoch die Kenntnis meiner Umstände ihre Liebe und Achtung für mich mehr vergrößert als vermindert. Diese Versicherung, die mich von einer Menge Sorgen und Beängstigungen mit einem Mal befreite, richtete mich nicht wenig auf. Denn einmal hätte ich doch der teuren Narzissa meine Lage entdecken müssen, und das hätte nicht ohne Scham und Verwirrung geschehen können.

Da ich nicht zweifelte, daß Melindes boshafte Verleumdungen sich durch die ganze Stadt würden verbreitet haben, so beschloß ich, all meine Dreistigkeit zusammenzuraffen, um ihrer Tücke die Spitze zu bieten. Zugleich nahm ich mir vor, ihr Abenteuer mit dem französischen Barbier als Repressalie überall bekanntzumachen.

Die Williams, der ich versprochen hatte, mich um Mitternacht bei der Gartentür einzufinden, nahm inzwischen von mir Abschied, nachdem sie mich zuvor gebeten hatte, fest auf die Neigung meiner teuren Narzissa zu rechnen, die ebenso innig als dauerhaft sei.

Ehe ich ausging, besuchte mich Freeman, um mir die schändlichen Histörchen mitzuteilen, die auf mein Konto in der Stadt umliefen. Ich hörte sie mit vieler Mäßigung an und erzählte ihm darauf alles, was zwischen Melinde und mir vorgefallen war; unter anderem auch die Begebenheit mit dem Barbier und den Anteil, den sein Freund Banter an dieser Schnurre gehabt hatte. Er wurde dadurch überzeugt, daß mein guter Name unrechtmäßigerweise litt; und da er wegen des Kanals, woraus diese Lästerungen hervorgesprudelt waren, gar keinen Zweifel weiter hegte, so nahm er es über sich, das Publikum in betreff meiner aus seiner Täuschung zu ziehen und den Strom der Verleumdungen wieder zu seiner Quelle zurückzutreiben. Mittlerweile riet er mir, mich nicht öffentlich sehen zu lassen, solange man noch so sehr gegen mich eingenommen sei, weil ich mich sonst Beschimpfungen aussetzen möchte, die unangenehme Folgen haben könnten. Ich dankte ihm für diesen Wink, allein mein Stolz und Unwille erlaubten mir nicht, ihn zu befolgen.


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