Tobias Smollett
Die Abenteuer des Roderick Random
Tobias Smollett

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Vierundzwanzigstes Kapitel

Ich gerate in großes Elend, werde zum Matrosen gepreßt, an Bord des Kriegsschiffes ›Donner‹ gebracht, in Ketten und Bande geworfen und durch einen alten Bekannten wieder befreit

 

Für mich sah ich nun keinen weiteren Ausweg, als Dienst bei den Land- oder den Seetruppen zu nehmen. Zwischen beiden schwankte ich so lange, daß ich mich endlich im tiefsten Elend befand. Mein Geist fing an, sich unter meiner Bettlerlage so zu biegen, daß ich mich nach Wapping begab, um da einen ehemaligen Schulkameraden aufzusuchen, welcher, wie ich erfahren hatte, einen kleinen Küstenfahrer kommandierte, der auf der Reede lag. Diesen Mann wollte ich um Beistand ansprechen. Allein das Schicksal hielt mich von diesem niedrigen Schritte ab.

Wie ich über den Themsekai gehe, kommt ein krummgebückter, schwarzbrauner Mensch mit einem Hirschfänger an der Seite und einem Prügel in der Hand auf mich los und ruft: »Holla, Bruder, Ihr müßt mit mir kommen!« Da mir seine Miene gar nicht gefiel, so beschleunigte ich meinen Schritt, ohne seinen Gruß zu beantworten, in der Hoffnung, diese Gesellschaft loszuwerden. Darauf pfiff er laut, und sogleich erschien ein anderer Seefahrer vor mir, der mich beim Kragen packte und mich fortzuschleppen anfing.

Ich war nicht in der Laune, an dieser Behandlung Geschmack zu finden; daher machte ich mich von meinem Gegner los und legte ihn durch einen einzigen Stockstreich bewußtlos zu Boden. In ebendem Nu sah ich mich von zehn oder zwölf Leuten der nämlichen Klasse umringt. Ich verteidigte mich so geschickt und mit so gutem Erfolg, daß einige von meinen Widersachern mich mit bloßen Hirschfängern anzugreifen genötigt waren.

Nach einem hartnäckigen Gefecht, worin ich eine tiefe Wunde am Kopf und eine an der linken Backe erhielt, ward ich entwaffnet, gefangengenommen und an Bord eines Spitalschiffs gebracht, das mit gepreßten Personen besetzt war. Hier wurde ich wie ein Missetäter gebunden und in den Kielraum unter ein Rudel elender Geschöpfe geworfen, deren Anblick mich beinahe wahnsinnig machte.

Da der kommandierende Offizier nicht so viel Menschlichkeit hatte, meine Wunden verbinden zu lassen, und ich meine Hände nicht gebrauchen konnte, so ersuchte ich einen meiner Mitgefangenen, der nicht gebunden war, mir das Schnupftuch aus der Tasche zu nehmen und es um meinen Kopf zu binden. Das erste tat der Mensch auch wirklich; statt es aber sodann zu dem von mir bestimmten Gebrauch zu verwenden, ging er damit an das hölzerne Gitter vor der Tür zum Deck. Daselbst verkaufte er es unter meinen Augen mit erstaunlicher Kaltblütigkeit an eine Achterbootsfrau, die just an Bord war, für ein Quart Wacholder. Hiermit bewirtete er die Umstehenden, ohne sich an meinen Zustand oder meine inständigen Bitten auch nur im mindesten zu kehren.

Ich beschwerte mich bitterlich über diese Räuberei bei dem Seekadetten, der eben auf dem Deck war, und sagte ihm zugleich, ich würde mich ganz verbluten, wenn meine Wunden keinen Verband bekämen. Allein Mitleid gehörte nicht zu den Schwächen, deren man diesen Mann mit Recht beschuldigen konnte. Er spritzte mir einen Mundvoll Tabaksaft durch das Gitter zu und sagte, ich wäre ein widerspenstiger Hund und möchte immerhin verrecken und zum Teufel fahren.

Da ich kein anderes Mittel fand, appellierte ich an meine Geduld und legte diesen Vorfall in mein Gedächtnis nieder, um mich seiner bei bequemer Gelegenheit wieder zu erinnern. Inzwischen zog der starke Blutverlust, der Verdruß und der Mangel an Nahrung, womit sich der scheußliche Geruch an diesem Ort vereinigte, mir eine Ohnmacht zu. Ein derber Zwick in die Nase erweckte mich.

Dieses Mittels hatte ein Seemann, der bei uns Schildwache stand, sich bedient. Er labte mich nun mit einem Trunk Flip und der tröstenden Nachricht, ich würde morgigen Tages an Bord der ›Donner‹ geschafft, dort meiner Handschellen entledigt und von einem Arzt verbunden werden.

Kaum hatte ich den Namen dieses Schiffes gehört, als ich ihn fragte, ob er schon lange darauf gedient hätte. »Fünf ganze Jahre«, versetzte er. Nun bat ich ihn, mir zu sagen, ob er den Leutnant Bowling gekannt habe.

»Den Leutnant Bowling gekannt?« sagte er. »Tausend Element, das hab ich! Das ist ein guter Seemann, wie nur je einer auf dem Vorderdeck gestanden hat; ein so braver Kerl, wie nur je einer Zwieback geknabbert hat. Keins von Euren Guineaschweinen, Euren Süßwasserherzchen, Euren Schönwetterhühnchen. Manch einen rauhen Sturm haben wir uns zusammen um die Nase wehen lassen, der ehrenhafte Tom Bowling und ich. Hier trink ich auf sein Wohl, von ganzem Herzen. Wo immer er auch stecken mag, oben oder unten, im Himmel oder in der Hölle, das ist einerlei – der kann sich überall sehen lassen!«

Diese Lobrede rührte mich so, daß ich mich nicht enthalten konnte, ihm zu sagen, ich wäre der Schwestersohn vom Leutnant Bowling. Dies bewog ihn, zu äußern, er wolle mir nach seinem Vermögen beistehen. Als er abgelöst war, brachte er mir ein Stück kaltes, gekochtes Ochsenfleisch auf einer hölzernen Schüssel und Zwieback. Wir ließen es uns herzlich schmecken und tranken eine Kanne Flip zusammen.

Während der Zeit erzählte er mir viele Heldentaten von meinem Oheim. Wie ich fand, wurde er von der Mannschaft auf dem Schiff sehr geliebt und wegen seines Unglücks auf Hispaniola ungemein bedauert. Zu meiner größten Freude vernahm ich, daß es so groß nicht sei, als wir es uns vorgestellt hatten. Denn der Kapitän Oakum war von seinen Wunden wiederhergestellt und jetzt noch Befehlshaber auf dem Schiff.

Von ungefähr hatte ich meines Oheims Brief, den er aus Hispaniola geschrieben hatte, noch bei mir. Ich gab ihn meinem Wohltäter (der Jack Rattlin hieß), daß er ihn lese; allein der ehrliche Jack sagte mir frank und frei, er könne nicht lesen, doch möchte er wohl den Inhalt wissen. Ich teilte ihm denselben sogleich mit.

Bei der Stelle, wo es hieß, er habe an seinen Wirt zu Deal geschrieben, rief Rattlin: »Potz Blitz! Das war der alte Ben Block! Der war schon tot, bevor der Brief ankam. Wäre Ben noch am Leben gewesen, hätte sich Leutnant Bowling nicht so lange zu verstecken brauchen. Der wackre Ben hatte ihn Segeln, Reffen und Steuern gelehrt. Je nun, wir müssen alle sterben, das ist gewiß – müssen alle miteinander in den Hafen einlaufen, früher oder später, zur See oder zu Lande, einmal müssen wir alle fest vor Anker liegen. Der Tod ist der große Steuerbordanker, wie man sagt. Der bringt uns mal alle auf.«

Ich konnte nicht umhin, Jacks richtiger Anmerkung meinen Beifall zu geben, und erkundigte mich bei der Gelegenheit nach der Zwistigkeit, die der Kapitän Oakum mit meinem Oheim gehabt habe. Jack erzählte mir dieselbe auf folgende Art: »Käpt'n Oakum ist ja bestimmt ein ganz guter Kerl, und noch dazu mein Vorgesetzter. Aber was schiert mich das. Ich tu meine Pflicht und Schuldigkeit und frage nach dem Zorn eines Mannes genausoviel wie nach einem Ende Tau. Nun geht ein Gerücht, daß der Kapitän ein Lord ist oder Bruder von einem Lord oder so etwas; und darum, sehen Sie, tut er sehr stolz und schätzt seine Offiziere gering, obgleich sie ihm vielleicht manchmal an Vornehmheit nichts nachgeben. – Da lagen wir nun in Tuberoon Bay vor Anker; Leutnant Bowling hatte gerade Mittelwache, und da er immer gut Ausschau hält, verstehen Sie, entdeckt er drei Lichter in der offenen See. Er rennt flugs runter in die große Kabine, um sich Befehle zu holen, und findet den Kapitän im Schlaf. Er weckt ihn, und der gerät darüber so in Wut, daß er anfängt, heillos auf den Leutnant zu fluchen, ihn lausigen Schotten zu schimpfen, Hurensohn, Kehrwisch, Tölpel und, der Deibel weiß, was noch mehr, – ich stand nämlich gerade Schildwache am Steuer, drum könnt ich alles mit anhören. – Der Leutnant blieb ihm nichts schuldig, und sie beschimpften sich gegenseitig, bis der Kapitän schließlich davonlief, einen Stock holte und Mister Bowling eins überzog. Dieser schrie, wenn der Kapitän nicht sein Vorgesetzter wäre, würde er ihn über Bord werfen, und verlangte Genugtuung auf dem Lande. Um die Morgenwache sind sie dann ans Ufer gefahren, der Kapitän in einer Pinasse, der Leutnant hinterher im Kutter.

Sie ließen die Bootsleute bei den Rudern und gingen zusammen landeinwärts; und dann, sehen Sie, hörten wir in weniger als einer Viertelstunde Schüsse. Wir eilten sofort hin und fanden den Kapitän verwundet auf dem Strande. Wir brachten ihn an Bord zum Arzt, der stellte ihn in weniger als sechs Wochen wieder her. Aber der Leutnant hißte alle Segel und war schon weit davon, bevor wir verstanden, was los war. Wir haben ihn danach niemals wiedergesehen und waren sogar froh darüber, denn der Kapitän war fuchsteufelswild und hätte ihm bestimmt übel mitgespielt. Bald danach ließ er ihn aus den Schiffsbüchern streichen, wodurch der Leutnant seinen Sold verlor, und wäre er gefaßt worden, so hätte man ihn als Deserteur vor Gericht gestellt.«

Dies Benehmen brachte mir vom Kapitän nicht die günstigste Vorstellung bei, und ich konnte mich nicht enthalten, mein Schicksal zu beklagen, das mich einem solchen Befehlshaber unterworfen hatte. Inzwischen machte ich aus der Not eine Tugend und eine gute Miene zu diesem bösen Spiel.

Den folgenden Tag wurde ich wirklich mit den andern gepreßten Leuten an Bord der ›Donner‹ gebracht. Als wir dicht an diesem Schiff waren, befahl der Hochbootsmann, der die Aufsicht über uns gehabt hatte, mir die Handeisen abzunehmen, damit ich leichter an Bord kommen könnte.

Einige von der Mannschaft, die auf dem Verdeck standen, um uns einsteigen zu sehen, wurden dies gewahr. »He, Jack«, rief einer meinem Beschützer Rattlin zu, der im Begriffe war, mir diesen Liebesdienst zu erweisen, »was für eine Newgatesgaleere habt Ihr geentert, wie Ihr den Fluß heraufkamt? Haben wir denn nicht Diebszeug genug unter uns?« Ein anderer sah meine der Luft ausgesetzten Wunden und sagte, meine Kopffugen wären nicht dicht, sie müßten erst mit Werg verstopft werden. Ein dritter, der inne ward, daß meine von Blut zusammengeklebten Haare wie eine Kollektion von Stricken aussahen, bemerkte, bei mir wäre statt der Seite der Bug mit roten Seilen versehen. Ein vierter fragte mich, ob ich meine Rahen nicht ohne eiserne Klammern aufrecht halten könnte? Kurz, tausend witzige Einfälle von der Art wurden über mich ausgeschüttet, eh ich auf das Schiff kam.

Nachdem wir alle in die Schiffsbücher waren eingetragen worden, fragte ich einen von meinen Kameraden, wo der Chirurgus wäre, um für meine Wunden einen Verband zu erlangen.

Schon war ich auf dem mittleren Deck (denn unser Schiff führte achtzig Kanonen) und wollte zum Verbandplatz hinuntersteigen, als ich auf ebenden Seekadetten stieß, der im Spitalschiff so barbarisch mit mir umgegangen war. Da er mich von den Ketten befreit sah, fragte er mich unverschämt, wer mir die Bande habe abnehmen lassen? Unbesonnenerweise versetzte ich: »Wer's auch gewesen sein mag, so bin ich fest überzeugt, daß er Sie darüber nicht um Rat gefragt hat.«

Kaum hatte ich diese Worte vorgebracht, als er rief: »Hol Euch der Teufel, Ihr unverschämter Schlingel! Ich will Euch lehren, so mit Eurem Offizier zu sprechen.« Wie er dies sagte, gab er mir einige Streiche mit einem Ende Tau, das er in der Hand hatte. Sodann ging er zu dem kommandierenden Offizier und stattete ihm einen solchen Bericht von mir ab, daß ich unmittelbar nachher in Ketten und Bande gelegt und mir eine Schildwache gegeben wurde.

Sowie der biedere Rattlin meinen Zustand erfahren hatte, kam er zu mir und tröstete mich, so gut er konnte. Sodann ging er selbst zum Wundarzt, um ihn zu bitten, daß er meine Wunden verbinden ließe. Dieser schickte mir sogleich zu diesem Behufe einen seiner Gehilfen. Wie freute ich mich, als ich in ihm meinen Freund Thompson fand, den ich, wie oben erwähnt worden, auf dem Schiffsamt kennengelernt hatte!

Wenn ich ihn auch beim ersten Blick erkannte, so wurde ihm dies bei mir nicht so leicht; Blut, Schmutz und das ausgestandene Elend hatten mich ganz entstellt. So unbekannt ich ihm jedoch war, so betrachtete er mich doch mit Blicken des Mitleids und behandelte meine Wunden mit vieler Schonung.

Als er das Nötige besorgt hatte und bereits im Begriff war fortzugehen, fragte ich, ob meine Unglücksfälle mich so unkenntlich gemacht hätten, daß er sich meines Gesichts gar nicht mehr erinnerte? Über diese Anrede sah er mich eine Zeitlang sehr ernsthaft an und beteuerte darauf, auch nicht auf einen Zug könne er sich besinnen.

Um ihn nun nicht länger im Zweifel zu lassen, sagte ich ihm meinen Namen. Als er den gehört hatte, umarmte er mich mit vieler Herzlichkeit und bezeugte mir, es ginge ihm außerordentlich nahe, mich in einer so unangenehmen Lage zu sehen.

Jetzt machte ich ihn mit meiner Geschichte bekannt; und als er hörte, wie unmenschlich man auf dem Spitalschiff mit mir umgegangen war, verließ er mich plötzlich mit der Versicherung, ich solle ihn bald wiedersehen. Ich hatte kaum Zeit gehabt, mich über sein schnelles Weggehen zu verwundern, als der Schiffsrüstmeister kam und mir befahl, ihm auf das Achterdeck zu folgen. Dort wurde ich von dem ersten Leutnant, der in Abwesenheit des Kapitäns das Schiff kommandierte, über die Behandlung befragt, die mir auf dem Spitalschiff widerfahren sei. Mein ›Freund‹, der Seekadett, befand sich gegenwärtig, um mir gegenübergestellt zu werden.

Ich erzählte sein Verfahren gegen mich, nicht nur auf dem Spitalschiff, sondern auch an Bord der ›Donner‹, umständlich. Jack Rattlin und einige andere Matrosen, die meinem Tyrannen nicht sehr ergeben schienen, zeugten für mich. Daher wurden mir die Ketten abgenommen und dafür jenem angelegt anstatt meiner.

Dies war nicht das einzige Glück, das mir begegnete. Auf Ansuchen des Oberwundarztes wurde ich von allen anderen Arbeiten freigesprochen, das Geschäft ausgenommen, den Unterwundärzten in Verfertigung der Arzneien und Versorgung der Kranken an die Hand zu gehen.

Diesen großen Dienst hatte ich Thompsons Freundschaft zu verdanken. Auf die vorteilhafte Schilderung, die er dem Oberwundarzt von mir gemacht, hatte dieser sich meine Wenigkeit vom Leutnant an die Stelle des dritten Unterchirurgen erbeten, der vor kurzem gestorben war.

Mein Freund Thompson führte mich nun ins untere Deck, nach dem Platze, wo die Unterchirurgen wohnen. Erstaunen und Abscheu erfüllten mich, als er ihn mir zeigte. Wir mußten verschiedene Leitern nach einem Ort hinuntersteigen, der so dunkel war wie ein Gefängnis und, wie ich erfuhr, einige Fuß unter dem Wasser lag, denn er befand sich dicht über dem Kielraume.

Kaum hatte ich mich diesem fürchterlichen Abgrunde genähert, als ein unerträglicher Geruch von verfaultem Käse und ranziger Butter meine Nase begrüßte. Dieser kam aus einer Bucht am Fuße der Leiter, die einem Fettkrämerladen glich. Dort ward ich beim matten Scheine eines Lichts, hinter einer Art von Pult, eines mageren, blassen Mannes gewahr, der auf der Nase eine Brille und in der Hand eine Feder hatte. Dieses war, wie mir Thompson sagte, der Proviantmeister des Schiffes, der hier saß, um den Mundvorrat aufzuzeichnen, den jeder bekam. Darauf sagte ihm mein Freund, wie ich hieße, und bat, mich in sein Buch einzutragen. Sodann nahm er ein Licht und führte mich an den Ort, wo er mit seinem Kollegen wohnte. Dies war ein Quadrat von ungefähr sechs Fuß, worin der Arzneikasten nebst den Kisten der Unterchirurgen ringsum stand und wo man ein Brett statt des Tisches an der hinteren Pulverkammer befestigt hatte. Sackleinene Tücher, die an den Schiffsbalken festgenagelt waren und die teils vor der Kälte, teils vor den neugierigen Blicken der Seekadetten und der Hochbootsmänner schützen sollten, die auf den beiden Seiten neben uns logierten, bildeten die Wände.

In diesem düsteren Aufenthalt setzte mir Thompson ein Stück kaltes Pökelschweinefleisch vor, das er aus einer Art von Schrank langte, welcher über dem Tisch befestigt war. Hierauf gebot er dem Jungen, der unserer Tischgesellschaft aufwartete, eine Kanne Dünnbier zu holen, woraus er, um das Bankett zu krönen, vortrefflichen Flip machte.

Um die Zeit hatte ich mich von der außerordentlichen Niedergeschlagenheit wieder erholt, in die jeder Gegenstand, der mir in die Augen fiel, mich versetzt hatte. Länger konnte ich mich nun nicht enthalten, meinen Freund zu fragen, wie es ihm seit der Zeit ergangen sei, da ich ihn in London gesehen hätte.

Er erzählte mir, die Hoffnung, Geld geliehen zu bekommen, womit er die Habgier des Sekretärs im Schiffsamt habe befriedigen wollen, sei ihm fehlgeschlagen. Nun wäre er außerstande gewesen, länger in der Stadt zu leben. Daher habe er sich als Gehilfen dem Wundarzt auf einem Kauffahrer angeboten, der auf den Sklavenhandel nach Guinea gehen wollte.

Eines Morgens sei ein junger Mensch, mit dem er einige Bekanntschaft gehabt, zu ihm gekommen und habe ihm gesagt, er hätte auf dem Schiffsamt eine Bestallung für ihn als zweiter Unterchirurgus auf ein Schiff vom dritten Range ausfertigen sehen. Kaum habe er dieser unerwarteten guten Nachricht Glauben beimessen können, zumal, da ihn das Collegium chirurgicum nur zum dritten Unterchirurgus tüchtig erklärt hatte. Um inzwischen seinerseits nichts zu versäumen, wäre er hingegangen, hätte sich danach erkundigt und die Sache wirklich so gefunden. Darauf habe er seine Bestallung gefordert, sie sogleich erhalten und sei unmittelbar danach vereidigt worden.

Noch denselben Nachmittag wäre er mit einem verdeckten Boote nach Gravesend und von da mit der Landkutsche nach Rochester gegangen. Den folgenden Morgen habe er sich an Bord der ›Donner‹ begeben, für die er bestimmt war und die in Chatham vor Anker lag, und noch desselben Tages wäre er gemustert und eingeschrieben worden.

Und es war gut für ihn, daß es so schnell ging, denn in weniger als zwölf Stunden kam ein zweiter William Thompson an Bord. Letzterer behauptete, für ihn sei die Bestallung ausgefertigt worden und der andere wäre ein Betrüger. Dieser Vorfall beunruhigte meinen Freund nicht wenig. Sein Namensvetter war ihm an Dreistigkeit sowohl als an Kleidung weit überlegen. Zum Glück hatte mein Freund verschiedene Briefe bei sich, die aus Schottland unter seiner Adresse an ihn geschrieben waren. Diese zeigte er, um den Verdacht eines Betrügers von sich zu entfernen. Überdies besann er sich auf seinen Lehrbrief, den er in einer Kiste an Bord hatte. Er holte ihn herbei und überzeugte alle Anwesenden, daß er keinen Namen führte, der ihm nicht zukäme.

Sein Mitbewerber, für den wirklich die Bestallung bestimmt gewesen war, geriet in Wut, daß man ihm nicht sogleich Gerechtigkeit widerfahren ließ. Sein Ton wurde so heftig und unmanierlich, daß der kommandierende Offizier (der Leutnant, den ich eben auf dem Achterdeck gesehen hatte) und der Wundarzt dadurch sich äußerst beleidigt fanden. Sie verwandten sich nun durch ihre Freunde in London so eifrig für Thompson, daß er in knapp acht Tagen in seinem Posten bestätigt wurde.

»Seit der Zeit«, sagte er, »bin ich beständig an Bord gewesen und diese Lebensart so gewohnt worden, daß ich mein Schicksal ganz behaglich finde. Der Oberwundarzt ist ein recht guter, aber gleichgültiger Mann; der erste Unterchirurgus, der jetzt Amtsverrichtungen auf dem Lande hat, ist zwar ein wenig stolz und hitzig, wie alle Waliser, allein im Grunde ist der alte Knabe brav und freundschaftlich. Mit den Leutnants habe ich nichts zu tun, folglich kann ich Ihnen diese nicht schildern. Was nun den Kapitän anlangt, so ist der viel zu vornehm, um einen Unterchirurgus von Gesicht zu kennen.«


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