Tobias Smollett
Die Abenteuer des Roderick Random
Tobias Smollett

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierundvierzigstes Kapitel

Die Schlacht bei Dettingen. Ein neuer Zweikampf mit meinem alten Gegner, in dem ich die Oberhand behalte. In unserem Winterquartier treffe ich einen meiner ältesten Freunde

 

An demselben Tage noch besuchte mich ein irländischer Trommelschläger, der von meinem Unstern gehört hatte. Er tröstete mich damit, daß das Kriegsglück veränderlich sei, und gab mir sodann zu verstehen, er wäre ein guter Fechtmeister und wolle mich in dieser edlen Wissenschaft in kurzem so weit bringen, daß ich imstande sein sollte, den alten Gascogner für die unverschämten Prahlereien zu züchtigen, die er sich auf meine Kosten erlaubte.

Dies freundschaftliche Anerbieten, gab er vor, rühre aus Achtung für mich als Landsmann her; allein wie ich nachher erfuhr, war der eigentliche Beweggrund Eifersucht auf den Franzosen wegen des Umgangs mit seiner Frau gewesen, wofür er sich in Person zu rächen nicht für ratsam fand. Wie dem auch sein mochte, ich benutzte sein Anerbieten und nahm durch seine Lektionen, auf die ich viel Fleiß wandte, dermaßen an Geschicklichkeit zu, daß ich gar bald meinem Überwinder gewachsen zu sein glaubte.

Mittlerweile setzten wir unseren Marsch fort und kamen die Nacht vor der Schlacht bei Dettingen im Lager des Marschalls de Noailles an. Soviel Strapazen wir auch ausgestanden hatten, so war unser Regiment dennoch eins von denen, welche Order erhielten, unter dem Kommando des Duc de Grammont über den Fluß zu gehen und einen Engpaß zu besetzen, durch welchen die Alliierten zu ihrem großen Nachteil gehen mußten, wenn sie nicht da, wo sie waren, bleiben und vor Hunger umkommen oder sich auf Gnade und Ungnade ergeben wollten.

Wie diese Leute sich auf eine solche Art haben einschließen lassen können, dies zu melden ist nicht meine Sache. Ich will nur noch anführen, daß ich, als wir jenen Posten in Besitz genommen hatten, einen alten Offizier gegen einen anderen seine Verwunderung über diesen Schritt des Lords Stair äußern hörte, der in dem Ruf eines guten Generals stand. Allein es scheint, daß dieser würdige Mann überstimmt worden ist und bloß subordiniert hat handeln können. Da er sein Mißfallen über dies Vergehen, wodurch die ganze Armee in die äußerste Gefahr geriet, an den Tag legte, kann ihn selbst hierüber keinen Tadel treffen.

In dieser schlimmen Lage tat die Vorsehung oder das Schicksal Wunder für meine Landsleute. Es trieb den Duc de Grammont an, seinen vorteilhaften Posten zu verlassen, durch den Engpaß zu gehen und die Engländer anzugreifen. Diese standen auf der Ebene in voller Schlachtordnung und empfingen uns so rauh, daß wir nach einem Verlust von vieler Mannschaft ihnen ohne weiteres den Rücken drehten. Unsere Flucht geschah mit solcher Übereilung, daß allein durch Furcht und Verwirrung manche hundert Menschen im Flusse umkamen. Der Feind war so großmütig, uns keinen Zollbreit nachzusetzen, so daß wir uns in der größten Ordnung und mit aller Vorsicht hätten zurückziehen können, wenn unsere Bestürzung uns dies erlaubt hätte.

Ungeachtet der überschwenglichen Milde des Königs von Großbritannien, der die Alliierten in eigener Person anführte und unstreitig dem Gemetzel ein Ende machen wollte, belief sich unser Verlust auf fünftausend Mann, worunter sich viele Stabsoffiziere befanden.

Unser Unglück öffnete den Feinden den Weg nach Hanau, wohin sie unmittelbar den Marsch antraten; die Sorge für ihre Toten und Verwundeten überließen sie unserer Armee. Diese nahm auch am folgenden Tage das Schlachtfeld in Besitz, begrub die Toten und behandelte die Lebendigen mit vieler Menschlichkeit.

Dieser Umstand der Besitznahme des Schlachtfeldes war ein großer Trost für uns, denn wir nutzten die Gelegenheit, uns den Sieg zuzuschreiben. Nie zeigte sich der Charakter der Franzosen in stärkerem Lichte als jetzt. Sie ergingen sich in Großsprechereien von ihrem Edelmut und ihrer Herzhaftigkeit. Jeder hatte seiner Meinung nach – Taten verrichtet, wodurch alle Helden des Altertums waren verdunkelt worden. Der eine verglich sich mit einem Löwen, der sich ganz allmählich vor seinen feigen Verfolgern zurückzieht, die sich in vorsichtiger Entfernung von ihm halten und ihn von da aus mit ihren Wurfspießen beängstigen. Ein anderer wollte einem Bären geglichen haben, welcher sich allemal mit dem Gesicht gegen seinen Feind zurückzieht, der keinen Angriff gegen ihn wage. Ein dritter behauptete, er habe sich wie ein in Verzweiflung gesetzter Hirsch benommen, der sich gegen die Koppel Hunde umdreht und sie sich vom Leibe hält. Kurz, unter den gemeinen Soldaten, die mit im Treffen gewesen waren, befand sich keiner, der nicht durch seinen tapferen Arm eine Rotte Infanteristen niedergemacht oder eine Eskadron in die Flucht gejagt hätte.

Unter anderen erhob auch mein winddürrer Gascogner seine Taten weit über die des Herkules und Karls des Großen. Aber ich, der seit meinem unglücklichen Gefecht mit ihm noch immer Groll gegen ihn hegte und mich nach einer Gelegenheit sehnte, meine Ehrenscharte auszuwetzen – wozu ich mich jetzt völlig imstande glaubte – pries die Tapferkeit der Engländer mit allen nur erdenklichen Hyperbeln und schilderte auf ebendie Art die Kleinmütigkeit der Franzosen. Ich verglich die letzteren mit Hasen, die vor Windhunden, oder mit Mäusen, die vor Katzen fliehen, und machte ein ironisches Kompliment über die Eilfertigkeit, die er auf seiner Flucht bewiesen hätte, die ich in Betracht seines Alters und seiner Schwachheit für etwas höchst Bewunderungswürdiges erkannte.

Meine Spötterei beleidigte ihn aufs empfindlichste. Er sah mich mit einem Blick voll drohender Verachtung an und riet mir, in mich zu gehen und mich der Züchtigung zu erinnern, die ich schon einmal für meinen Übermut von ihm bekommen habe. »Mir steht der Kopf nicht immer so«, schloß er, »einen elenden Kerl zu schonen, der meine Güte mißbraucht.« Auf diese Warnung antwortete ich nur durch einen Fußtritt, der ihn augenblicklich über den Haufen warf. Er raffte sich mit erstaunlicher Schnelligkeit auf, zog seinen Degen und ging mit großer Wut auf mich los. Verschiedene Leute wollten sich dazwischenlegen; als sie aber von ihm erfuhren, es sei eine Ehrensache, so traten sie zurück und ließen sie uns allein ausmachen.

Ich hielt mich nur verteidigungsweise und bekam durch seine Attacken weiter keinen Schaden als eine kleine Schramme auf der rechten Schulter. Als ich seinen Odem und seine Kräfte mehrenteils erschöpft merkte, griff ich meinerseits ihn an, ging ihm dicht an den Leib und drehte ihm den Degen aus der Hand. Nachdem ich auf die Art den Sieg über ihn davongetragen hatte, verlangte ich von ihm, er solle um sein Leben bitten. Auf dies Begehren gab er keine Antwort, sondern zog die Schultern bis an die Ohren hinauf, breitete die Hände auseinander, zog die Stirnhaut nebst den Augenbrauen in die Höhe und ließ die Winkel seines Mundes auf eine solche Art herunterhängen, daß ich über diesen possierlichen Anblick notwendig laut auflachen mußte. Um seine Eitelkeit zu kränken, die ehemals über meinen Unfall ganz ohne Maß und Ziel triumphiert hatte, stieß ich seinen Degen bis ans Heft in ein nicht sauberes Häuflein, das ich auf dem Felde erblickte, und ging mit einem ruhigen und gleichgültigen Wesen zu meinen Kameraden zurück.

Während des übrigen Feldzuges fiel von beiden Armeen eben nichts von Belang vor. Die Engländer marschierten, wie er zu Ende war, nach den Niederlanden zurück. Ein Teil von unserer Armee ward nach Französisch-Flandern geschickt und unserm Regiment das Winterquartier in der Champagne angewiesen.

Die Grenadierkompanie, in der ich damals stand, kam nach Reims, wo es mir an allem fehlte. Meine Löhnung, die den Tag fünf Sous betrug, reichte bei weitem nicht hin, mir die Notwendigkeiten des Lebens zu verschaffen. Kaum war sie zu einem armseligen Unterhalte hinlänglich, um Leib und Seele damit zusammenzuhalten. Hunger und mein harter Dienst machten mich so mager wie die übrigen Soldaten.

Mein Leinenvorrat schmolz von drei leidlichen Hemden bis auf zwei Paar Ärmel und Halsbinden zusammen; die Rümpfe waren schon längst in Gamaschen verwandelt worden. Bei alledem war ich dennoch besser mit Wäsche versehen als irgendein Gemeiner im Regiment.

In dieser höchst bedrängten Lage schrieb ich an meinen Oheim nach England, wiewohl meine Hoffnungen von der Seite, aus den vorher angeführten Ursachen, nicht gar stark waren. Inzwischen nahm ich zu meinem alten Heilmittel, der Geduld, meine Zuflucht und richtete mich durch die schmeichelhaften Phantasien einer lebhaften Einbildungskraft auf, die mich bei meiner Not nie im Stiche ließ.

Als ich eines Tages vor der Tür eines Stabsoffiziers Schildwache stand, kam ein gewisser Edelmann ins Haus, dem ein Herr in Trauerkleidern folgte. Er sagte zu diesem: »Sie können sich auf mich verlassen, ich werde mein möglichstes in der Angelegenheit tun.« Diese Versicherung beantwortete der Mann im schwarzen Anzuge mit einer tiefen Verbeugung und ging dann seines Weges.

Als der Trauernde sich umdrehte, entdeckte ich in seinem Gesicht die völlige Physiognomie meines alten Freundes Strap. Vor Erstaunen über diesen Anblick vermochte ich kein Wort hervorzubringen, und ehe ich mich hatte besinnen können, war er schon fortgegangen, ohne Notiz von mir genommen zu haben. Doch wäre er auch dageblieben, so würde ich es kaum gewagt haben, ihn anzureden. Denn wiewohl ich seine Gesichtszüge genau kannte, so war ich doch in Rücksicht seiner übrigen Figur schwankend. Diese hatte sich, seit er London verlassen, sehr zu seinem Vorteil verändert. Ebensowenig konnte ich begreifen, durch was für Mittel er dahin gelangt wäre, den Gentleman zu spielen, wonach, solange ich ihn kannte, nie sein Ehrgeiz gestanden hatte.

Indessen ging diese Sache mich zu nahe an, als daß ich hätte versäumen dürfen, nähere Aufschlüsse darüber zu suchen. Sonach nahm ich die erste Gelegenheit wahr, den Türsteher zu fragen, ob er den Herrn kenne, der mit dem Marquis gesprochen habe. »Der heißt Monsieur d'Estrapes«, sagte mir der Schweizer, »und war Kammerdiener bei einem vor kurzem verstorbenen englischen Herrn. Dieser und der Marquis waren gar gute Freunde, und der Marquis hält auf Monsieur d'Estrapes große Stücke wegen seiner Treue für seinen Herrn.«

Nichts konnte mir angenehmer sein als diese Nachricht, welche allen Zweifel verbannte, daß dies mein ehemaliger Freund gewesen sei, der, wie ich merkte, nur seinen Namen und sein Betragen französiert hatte. Sowie ich abgelöst war, begab ich mich nach seinem Logis, das mir vom Schweizer war bezeichnet worden, und traf ihn glücklicherweise zu Hause. Um ihn desto mehr zu überraschen, verbarg ich sowohl meinen Namen als meine Angelegenheit und bat den Hausknecht, Herrn d'Estrapes zu sagen, ich erbäte mir die Ehre, auf eine halbe Stunde mit ihm sprechen zu dürfen.

Diese Botschaft von einem Soldaten machte ihn höchlich bestürzt, wiewohl er sich keiner Verbrechen bewußt war. Alles, was er von der Bastille gehört hatte, stand jetzt in doppeltem Licht vor seiner Einbildungskraft. Ich mußte eine geraume Zeit warten, ehe er sich entschließen konnte, dem Hausknecht zu sagen, er möchte mich nur heraufführen.

Als ich in sein Zimmer trat, erwiderte er meine Verbeugung mit großer Höflichkeit. Er suchte unter erzwungener Freundlichkeit seine Furcht zu verstecken, die sich durch seine Leichenblässe, seine verwirrten Blicke und das Zittern seines ganzen Körpers nur zu deutlich offenbarte. Ich weidete mich an seiner Bestürzung und vermehrte sie dadurch um ein großes, daß ich ihn auf französisch anredete und ihm sagte, ich hätte ihm etwas Geheimes zu sagen und wünschte daher, ihn unter vier Augen zu sprechen. Sowie der Hausknecht fort war, fragte ich ihn in derselben Sprache, ob er d'Estrapes hieße, worauf er mit stammelnder Zunge antwortete: »Ja, mein Herr.« – »Sind Sie Franzose?« fragte ich. – »Ich habe nicht die Ehre, Franzose von Geburt zu sein: aber ich bringe diesem Lande eine unbegrenzte Hochachtung entgegen«, war seine Antwort. Dann bat ich ihn, mich eines Blickes zu würdigen. Kaum schaute er mich an, so fuhr er voller Bestürzung über meinen Anzug zurück und rief englisch: »O Jesus! Aber das kann ja nicht sein! Nein, das ist unmöglich!« Ich sagte mit lachendem Munde: »Ich glaube, Sie sind zu vornehm geworden, um Ihren alten Freund in der Not wiederzuerkennen.«

Als er mich dies in unserer Muttersprache sagen hörte, sprang Strap mit freudiger Aufwallung auf mich zu, hängte sich mir an den Hals, küßte mich von einem Ohr bis zum andern und heulte wie ein großer Schulknabe, dem man die Rute gegeben hat. Dann sah er auf meine Kleidung und rief, so laut er konnte: »Ach, du lieber Gott, mußt ich das erleben! Meinen Herzensfreund so heruntergekommen, als einen französischen Infanteristen, zu sehen! Warum habt Ihr mich von Euch gehen lassen? Doch ich weiß wohl, warum. Ihr hattet Eurer Meinung nach vornehmere Freunde bekommen, darum schämtet Ihr Euch meiner Bekanntschaft. Ach! Gott erbarm sich! Etwas kurzsichtig bin ich freilich, aber nicht ganz blind. Zwar hab ich davon nichts merken lassen, aber 's ging mir recht nahe, daß Ihr so protzig gegen mich tatet und die Nase so hoch trugt. Bloß darum ward ich zum Landläufer und ging Gott weiß wohin, aber ich muß gestehen, meine Landstreicherei ist recht gut ausgeschlagen. Darum vergeb ich es Euch, und Gott wird's Euch auch verzeihen. – Ach herrjemine! Herrjemine! Daß es so weit gekommen ist!«

So gerecht diese Beschuldigung auch war, so hielt ich sie doch für unschicklich angebracht und ward darüber unwillig. Daher versetzte ich mit einiger Bitterkeit, sein Verdacht möchte nun begründet sein oder nicht, so hätte er nicht die beste Gelegenheit gewählt, ihn an den Tag zu legen. Jetzt wäre bloß davon die Rede, ob er sich geneigt fühle, mir einigen Beistand zu leisten oder nicht.

»Geneigt?« entgegnete er mit großer Gemütsbewegung. »Ich dächte, Ihr kenntet mich zu sehr, als daß Ihr nicht überzeugt sein solltet, ich stehe mit allem, was ich habe, zu Eurem Befehl. – Inzwischen sollt Ihr mit mir zu Mittag essen, und ich will was erzählen, was Euch vielleicht nicht unlieb zu hören sein wird.« Er setzte sodann mit einem treuherzigen Händeschütteln hinzu: »Das Herz blutet mir, Euch in solchem Aufzuge zu sehen.«

Ich dankte ihm für seine Einladung und merkte dabei an, sie müsse einem Menschen höchst willkommen sein, der seit sieben Monaten keine ordentlichen Speisen zu sich genommen habe. Hierauf äußerte ich, ich hätte eine Bitte an ihn, die ich noch vor dem Essen erfüllt wünschte, die nämlich, mir ein Hemd zu leihen. (Denn wiewohl mein Rücken dieser wohltätigen Bedeckung schon seit vielen Wochen entbehrte, so hatte ich meine Haut doch gar nicht daran gewöhnen können.)

Er sah mich bei dieser Erklärung mit einem Jammergesicht starr an und konnte mir kaum Glauben beimessen. Um ihn völlig zu überzeugen, knöpfte ich meine Weste auf und zeigte ihm meinen nackten Körper. Dies erschütterte den weichherzigen Strap gewaltig. Mit Tränen in den Augen lief er zu einer Kommode und brachte mir ein Manschettenhemd von sehr feiner holländischer Leinwand und ein Halstuch aus Batist, nebst der Versicherung, er habe noch drei Dutzend von ebendieser Art zu meiner Verfügung.

Diese angenehme Nachricht machte mich sehr froh. Ich kleidete mich in einem Moment an, umarmte meinen Wohltäter für sein großmütiges Anerbieten und sagte, ich sähe mit großem Vergnügen, daß das Glück, welches gemeiniglich das beste Herz zu verderben pflege, ihn unverändert gelassen habe.

Strap bestellte eine Bouillon, ein paar gebratene Hühner und eine Schüssel mit Spargel für uns; inzwischen setzte er mir Biskuit und eine Flasche Burgunder vor. Nach dem Imbiß bat er mich, seine große Begierde, alle meine Schicksale seit seiner Abreise aus London umständlich zu wissen, gefälligst zu befriedigen.

Dieses Gesuch erfüllte ich sofort, begann von meinem Abenteuer mit Gawky und erzählte ihm jeden besonderen Vorfall, der mich von dem Tage an bis zur jetzigen Stunde betroffen hatte.

Die verschiedenen Situationen, die ich meinem Freunde beschrieb, machten jede einen besonderen Eindruck auf ihn. Er fuhr vor Erstaunen plötzlich auf, glühte vor bitterem Unwillen, gaffte mich voller Neugier an, zitterte vor Furcht und weinte vor Betrübnis, so wie die Wechselfälle meines Lebens diese verschiedenen Affekte in ihm rege machten. Wie meine Geschichte zu Ende war, äußerte er seine große Verwunderung über alle meine Erlebnisse und beteuerte, indem er Hände und Augen gen Himmel hob, wiewohl ich ein junger Mann wäre, so hätte ich doch schon mehr ausgestanden als alle heiligen Märtyrer zusammengenommen.

Nach dem Essen bat ich meinerseits, mir seine Reisen und die darauf erlebten Begebenheiten mitzuteilen. Er befriedigte meine Neugier kurz und bündig und sagte mir, er habe mit seinem Herrn ein Jahr in Paris zugebracht. Nachdem dieser die Sprache des Landes und die ritterlichen Übungen vollkommen erlernt gehabt, habe er eine Reise durch Frankreich und Holland gemacht. Unterwegs wäre er leider mit dreien von seinen Landsleuten in Bekanntschaft geraten, die sich auch auf Reisen befunden hätten. In ihrer Gesellschaft habe er sich den Ausschweifungen so sehr überlassen, daß seine Gesundheit darüber zugrunde gegangen und er in eine auszehrende Krankheit gefallen sei.

Auf Anraten der Ärzte wäre der junge Mann der gesunden Luft wegen nach Montpellier gereist und hier in sechs Wochen so gut wiederhergestellt worden, daß er dem Anschein nach ganz gesund nach Reims zurückgekehrt sei. Dort wäre er kaum wieder vier Wochen gewesen, als er den Durchfall bekommen, der ihm, zu unaussprechlicher Betrübnis aller, die ihn gekannt, in zehn Tagen ein Ende gemacht habe.

Strap zumal, der sich in seinen Diensten recht gut gestanden hatte, war dieses plötzliche Hinscheiden außerordentlich nahegegangen. Sein Herr, der ihm wegen seiner Sorgsamkeit, Mäßigkeit und Anhänglichkeit sehr gewogen geworden war, hatte ihn auf seinem Totenbett verschiedenen Personen von Stand empfohlen und ihm durch sein Testament seine ganze Garderobe, Degen, Ringe, goldene Uhr, bares Geld samt aller beweglichen Habe vermacht, die er in Frankreich hinterlassen. Der Ertrag davon belief sich auf beinahe dreihundert Pfund.

»Dies alles«, schloß mein biederer Freund, »übergebe ich Euch jetzt im Angesicht Gottes und der Menschen. Schaltet damit, wie Ihr wollt. Hier sind die Schlüssel. Nehmt, nehmt, ich bitte Euch, und Gott laß Euch das alles gesund und vergnügt verzehren und vertragen.«

Dieser plötzliche Glückswechsel machte mein Gehirn bei einem Haar drehend, und kaum konnte ich ihn für wirklich halten. Indessen schlug ich dies verschwenderische Anerbieten schlechterdings aus und brachte dem wackeren Strap in Erinnerung, daß ich ein Soldat sei, der davon keinen Gebrauch machen könne. Bei diesem Wink fuhr er zurück und sagte: »Ja so, es ist wahr! Man muß Euch loszumachen suchen. Ich stehe bei einem gewissen Kavalier gut angeschrieben, der mir den Gefallen leicht tun wird.«

Wir gingen sodann über diese Angelegenheit zu Rate, und wir wurden eins, Monsieur d'Estrapes solle morgen dem Marquis seine Aufwartung machen und ihm sagen, er habe gestern zufälligerweise seinen Bruder, den er seit vielen Jahren nicht gesehen, als gemeinen Soldaten unter dem Regiment Picardie angetroffen. Er bäte daher den gnädigen Herrn, ihm durch seine Fürsprache loszuhelfen.

Mittlerweile ließen wir es uns bei einer Flasche guten Burgunders recht wohl sein und brachten den Abend mit Entwürfen für unsere künftige Lebensart hin, wenn ich etwa so glücklich wäre und meinen Abschied erhielte. Uns durch Straps Legat bequeme Tage für immer zu verschaffen, das war jetzt, worauf es ankam. Ein sehr schwieriges Unternehmen, welches sich nach der gewöhnlichen Art und Weise, sein Geld anzulegen, gar nicht ausführen ließ. Daher konnten wir nach langen Überlegungen an diesem Abend nicht schlüssig werden und empfahlen diese Materie, als wir auseinandergingen, einander zum ernsthaften Nachdenken.

Ich meinesteils zerquälte meine Einbildungskraft hierüber fruchtlos. Dachte ich daran, Kaufmann zu werden, so schreckten mich die Kleinheit unseres Kapitals und das Risiko zur See, Feinde und schlechter Absatz zurück. War ich willens, mich als Wundarzt in meinem Vaterlande festzusetzen, so fiel mir ein, daß es mit solchen Leuten mehr als genug versehen sei. Wollte ich in England dies Gewerbe anfangen, so wußte ich, daß ich mit Hindernissen zu kämpfen hätte, welche selbst die hervorstechendsten Talente kaum zu übersteigen imstande sind – mit Mangel an Freunden und mächtigem Widerstand. Ebensowenig konnte ich hoffen, meine Bemühungen, eine gute Staatsstellung zu bekommen, würden mir glücken, da ich den Hofschranzen weder schmeicheln noch ihnen feine Liebchen zuschanzen oder mich durch Verteidigungsschriften für eine schändliche und verächtliche Staatsverwaltung entehren konnte. Bevor ich einen tunlichen Entwurf ausfindig gemacht hatte, schlief ich ein, und meine Träume beglückten mich durch das Bild meiner teuren Narzissa. Mir deuchte, sie lächelte meiner Leidenschaft Beifall zu und bot mir zur Vergeltung alles ausgestandenen Ungemachs ihre Hand an.

Ganz früh am Morgen ging ich nach dem Logis meines Freundes, den ich voller Jubel über den glücklichen Gedanken antraf, den er ausgesponnen hatte. Kaum war ich in die Stube getreten, als er mir mit einem selbstgefälligen Lächeln zurief: »Nicht wahr, mein bester Random, eine blinde Henne findet manchmal auch ein Körnchen? Ich hab's weg. – Ich verwette Kopf und Kragen, ich habe was Besseres ausspintisiert als Ihr mit aller Eurer Gelehrsamkeit. Doch Ihr sollt hierin, wie in allen anderen Stücken, den Vorrang haben. Macht also nur fort und laßt mich hören, was Ihr ausspekuliert habt, dann will ich Euch meine einfältigen Gedanken vorlegen.«

Ich versicherte ihm, keiner von allen den Anschlägen, auf die ich gekommen wäre, verdiente die geringste Aufmerksamkeit, und bezeigte meine Ungeduld, mit den Früchten seines Nachdenkens bekannt zu werden.

»Da wir nicht Geld genug haben«, hub er an, »so lange zu warten, bis uns das Glück aufsucht, so denke ich, müssen wir ein kühnes Stückchen machen. Am allerbesten, bilde ich mir so ein, wäre es wohl, wenn Sie sich als ein Gentleman ausgäben, wie Sie es denn auch wirklich sind, und suchten sich mit einer oder der anderen reichen Frau bekannt zu machen und auf die Art mit einem Male auf einen grünen Zweig zu kommen. Gucken Sie mich nicht so an. Mein Vorschlag ist ebenso ehrlich gemeint als vernünftig. Ich will ja gar nicht raten, sich an eine alte, zahnlose, kurzatmige Person fortzuwerfen, deren übler Atem Sie in weniger als drei Monaten an der Schwindsucht unter die Erde bringt. Ebensowenig bin ich dafür, daß Sie den vornehmen Squire spielen sollen, wie es so viele Glücksjäger zu machen pflegen und manch armes weibliches Geschöpf in den Ehestand hereinschwatzen und -locken. Statt des vorgespiegelten Schlaraffenlebens wird dann die Mitgift des guten Dinges von den raubgierigen Gläubigern ihres Mannes weggenommen, und sie selbst sieht sich an den Bettelstab und zur Verzweiflung gebracht. – Nein, ich weiß, daß Ihnen solche Prellereien gar nicht genehm sind und daß Sie bei Ihrer Figur und bei Ihrem Kopf Ansprüche auf die Hand einer Frauensperson machen dürfen, wodurch Sie sich über alles in der Welt hinwegsetzen können. Ich habe Kleider, die ein Herzog zu tragen sich nicht schämen dürfte, und ich glaube, sie werden Ihnen so, wie sie sind, passen wie angegossen. Wo nicht, je nun, so haben wir ja Schneider die schwere Menge in Frankreich. Wir machen einen Abstecher nach Paris, versehen uns allda mit dem, was wir noch nötig haben, und gehen dann nach England. Dort werde ich die Ehre haben, Ihnen als Bedienter aufzuwarten. Auf die Art sparen Sie, was Sie ein Lakai, ein Barbier und Friseur kosten würde, und ich zweifle gar nicht, daß wir es mit Gottes Segen bald zu einem glücklichen Ende bringen werden.«

So ausschweifend dieser Vorschlag auch war, so hörte ich ihn dennoch mit Vergnügen an, weil er meiner Eitelkeit schmeichelte und die lächerliche Hoffnung, die ich zu hegen begann, begünstigte, Narzissa Gegenliebe einzuflößen.

Nach dem Frühstück machte Monsieur d'Estrapes beim Marquis seine Aufwartung. Er war in seiner Verwendung so glücklich, daß ich in wenigen Tagen meinen Abschied erhielt. Darauf traten wir sogleich unsere Reise nach Paris an.

Hier hatte ich Zeit, über meinen plötzlichen Glückswechsel nachzudenken, der, um mit Mäßigung ertragen zu werden, einen hohen Grad von Philosophie und Selbstverleugnung erforderte. Mit einem Male von der äußersten Dürftigkeit und Verachtung in Hülle und Fülle versetzt zu sein war in der Tat kein schlechter Prüfstein des Gehirns.

Meine Garderobe bestand in fünf vollständigen, sehr reichen und modischen Anzügen, aus kostbaren Westen, einer großen Menge der prächtigsten Wäsche und vielen Bijouterien von beträchtlichem Wert. Überdies besaß ich noch mehr als zweihundert Pfund bares Geld, die mein Freund aus verschiedenen anderen Effekten seines verstorbenen Herrn gelöst hatte.

So ausgestattet, konnte ich als ein rechtlicher Mann auftreten. Mein rechtschaffener Freund, der sich damit begnügte, meinen Bedienten vorzustellen, begleitete mich nach dem Louvre, nach der Galerie im Luxemburgischen Palais und nach Versailles, wo ich die Ehre hatte, Seine Allerchristlichste Majestät eine ansehnliche Menge Oliven speisen zu sehen.

Den Monat über, den ich mich in Paris aufhielt, ging ich verschiedene Male an den Hof, in die Italienische Komödie, in die Oper und in die übrigen Schauspiele, tanzte auf der Maskerade, kurz, ich sah alles, was sich nur an Merkwürdigem in dieser großen Stadt und deren Umgebung befand. Dann machten wir uns über Flandern nach England auf; wir passierten Brüssel, Gent und Brügge und schifften uns zu Ostende ein. Von da langten wir nach vierzehn Stunden in Deal an, mieteten eine Postchaise und trafen nach zwölf Stunden wohlbehalten in London ein; unser schweres Gepäck hatten wir der Landkutsche mitgegeben.


 << zurück weiter >>