Tobias Smollett
Die Abenteuer des Roderick Random
Tobias Smollett

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Sechsundvierzigstes Kapitel

Der Doktor wird in einem Wirtshause am langsamen Feuer geröstet

 

An diesem Ort traf ich eine große Menge munterer und geputzter Figuren, die bald da-, bald dorthin flatterten und mit sehr vertrautem Wesen zum Arzt sprachen. Einige standen, um das Feuer herum. Ich erkannte sogleich in ihnen dieselben Personen, die den vorigen Abend durch ihr Gelächter bei mir einen Verdacht gegen das Frauenzimmer erregten, die ich unter meinen Schutz genommen hatte.

Kaum sahen sie mich mit Doktor Wagtail – so hieß mein Führer – hereintreten, so fingen sie an zu kichern und zu flüstern.

Ich war nicht wenig bestürzt, als ich fand, daß gerade dies die Herren waren, mit denen er mich bekannt machen wollte. Denn als er sie beisammen sah, sagte er mir, wer sie wären, und verlangte zu wissen, unter was für einem Namen er mich ihnen vorstellen solle. Hierüber gab ich ihm die gehörige Auskunft.

Nunmehr näherte sich der Arzt diesem frohen Zirkel mit großer Gravität und sagte: »Meine Herren, Ihr ganz gehorsamster Diener! Erlauben Sie, daß ich meinen Freund, Mister Random, Ihnen vorstelle.« Darauf wandte er sich zu mir und sagte: »Mister Random, das ist Mister Bragwell, Mister Banter, Sir – Mister Chatter, mein Freund Mister Slyboot und Mister Ranter, Sir.« Ich begrüßte diese Personen nach der Reihe, und wie ich an Slyboot kam, bemerkte ich, daß er mir einen schiefen Mund machte, worüber sich die Gesellschaft nicht wenig freute. Für jetzt hielt ich es für gut, davon keine Notiz zu nehmen. Ranter – der, wie ich nachher erfuhr, ein Schauspieler war – legte seine Geschicklichkeit dadurch an den Tag, daß er mein Aussehen, meine Gebärden und Stimme kopierte, als er meine Begrüßung erwiderte. Dies würde ich vielleicht nicht so gut bemerkt haben, wenn ich nicht gesehen hätte, daß er meinem Freunde Wagtail ebenso begegnete, wie dieser ihn und die anderen zuerst anredete. Allein ich ließ den jungen Herrn für diesmal die Früchte seiner Geschicklichkeit genießen, ohne irgendeine Frage oder einen leichten Seitenhieb zu tun; indes beschloß ich, ihn für seinen Übermut bei der ersten guten Gelegenheit zu züchtigen.

Slyboot, der mich für einen Fremden hielt, fragte mich, ob ich kürzlich in Frankreich gewesen wäre. Ich bejahte dies. Darauf erkundigte er sich, ob ich die Galerie im Palais du Luxembourg gesehen hätte. Mehr denn einmal, versicherte ich, und zwar mit großer Aufmerksamkeit.

Darüber entstand eine Unterredung, aus der ich entdeckte, daß er ein Maler sei.

Indes wir über die verschiedenen Stücke sprachen, welche diese Galerie enthält, hörte ich Banter Wagtail fragen, wo er mich denn aufgefischt habe. Auf diese Frage erwiderte der Doktor: »Auf meine Ehre, es ist ein recht artiger, feiner junger Herr – ein wohlhabender Mann, Sir. Er hat die Grand tour gemacht und die beste Gesellschaft in Europa gesehen, Sir.« – »Das hat er Ihnen unstreitig erzählt«, versetzte jener. »Ich meinesteils halte ihn für nichts mehr und nichts weniger als für einen französischen Kammerdiener.« – »Oh, ein unmenschliches Urteil!« rief der Doktor, »das ist, auf meine Ehre, unverantwortlich! Ich kenne seine Familie recht gut, Sir. Er ist von den Randoms aus Nordbritannien. – Ein sehr altes Haus und mit mir weitläufig verwandt.«

Banters Vermutung wurmte mich nicht wenig, und ich begann, von der Gesellschaft überhaupt eine sehr schlechte Meinung zu fassen. Da ich aber durch ihre Vermittlung ausgebreitetere und interessantere Bekanntschaften zu erlangen hoffte, so beschloß ich, diese kleinen Kränkungen so lange zu ertragen, als dies geschehen könnte, ohne mir etwas zu vergeben.

Nachdem wir eine Zeitlang vom Wetter, vom Theater, Politik und dergleichen Kaffeehausmaterien gesprochen hatten, tat man den Vorschlag, den Abend in einem bekannten Wirtshaus in der Nachbarschaft hinzubringen. Kurz darauf verfügten wir uns nach diesem Ort, wo wir uns ein eigenes Zimmer geben ließen. Wir verlangten sofort französischen Wein und bestellten uns ein Abendbrot. Das Glas ging inzwischen weidlich herum, und die Charaktere der Tischgenossenschaft fingen an, sich mir immer mehr zu offenbaren.

Ich hatte bald weg, daß der Maler und der Schauspieler sich des Doktors als Zielscheibe ihres Witzes bedienten, um der Gesellschaft ein Vergnügen zu machen. Ranter fing die Schafshetze damit an, daß er den Medikus fragte, was gegen Heiserkeit, Mattigkeit der Lebensgeister und Verdauungsstörungen gut sei. »Denn von allen diesen Übeln«, sagte er, »werd ich sehr inkommodiert.«

Wagtail unternahm es sogleich, die Art und Weise dieses Falles zu erklären, und handelte auf eine sehr weitschweifige Art über die Prognostica, Diagnostica, Symptomatica, Therapeutica und über Entkräftung und Vollblütigkeit ab. Dann berechnete er die Stärke des Magens und der Lungen in ihren respektiven Funktionen; schrieb die Krankheit des Schauspielers einer Unordnung in diesen Organen zu, die von zu starkem Trinken und Sprechen herrühre. Deshalb verschrieb er ihm Stomachalia und gebot ihm, sich der Frauenzimmer, des Weins, des lauten Redens, des Lachens, Singens, Hustens, Schnaubens und Schreiens zu enthalten.

»Pah«, unterbrach ihn Ranter. »Das Mittel ist ja ärger als die Krankheit selbst. – Ich wollte, ich könnte nur etwas Zunderwasser bekommen.«

»Zunderwasser?« sagte der Doktor. »Auf meine Ehre, ich verstehe Sie nicht, lieber Ranter.«

»Es ist Wasser, aus Zunder abgezogen«, erwiderte der andere, »eine Universalarznei gegen alle Krankheiten, die den Menschen treffen können. Ein gelehrter deutscher Mönch hat dies Geheimmittel erfunden und es für eine entsprechende Belohnung dem Paracelsus offenbart.«

»Um Verzeihung«, rief der Maler, »Salomo bediente sich dieses Mittels zuerst. Man kann das aus einem griechischen Manuskript von der eigenen Hand dieses Königs ersehen, das kürzlich am Fuß des Libanons von einem Bauern entdeckt wurde, der nach Kartoffeln grub.« – »Schön«, sagte der Doktor, »ich habe doch sehr viel gelesen und von diesem Präparat noch nichts gefunden. Auch wüßt ich bis auf diese Minute noch nicht, daß Salomo Griechisch verstand oder daß Kartoffeln in Palästina wachsen.« – Hier mischte sich Banter ein: »Ich wundere mich, lieber Doktor, daß Sie im geringsten daran zweifeln, ob Salomo Griechisch verstanden, da er uns doch als der weiseste und wohlerzogenste Fürst von der Welt dargestellt wird. Was nun die Kartoffeln anlangt, so sind die zu den Zeiten der Kreuzzüge aus Irland von einigen Rittern dieses Landes dorthin verpflanzt worden.« Hierauf antwortete der Doktor: »Nichts ist wahrscheinlicher, das muß ich gestehen. Ich wollte wirklich viel drum geben, wenn ich das Manuskript nur mal könnte zu sehen bekommen. Es muß unschätzbar sein. Wüßt ich nur die Zusammensetzung von diesem Wasser, ich machte mich sogleich an dessen Verfertigung.«

Ranter versicherte, die Zusammensetzung sei höchst einfach. »Sie brauchen nur hundert Pfund trockenen Zunder in eine gläserne Retorte zu tun und sie durch die Kraft der animalischen Hitze destillieren zu lassen, so gibt es einen halben Skrupel unschmackhaften Wassers, von dem ein Tropfen eine ganze Dosis ausmacht.«

»So wahr ich ehrlich bin«, rief der gutgläubige Doktor, »das ist ganz bewundernswürdig und außerordentlich, daß ein Caput mortuum überhaupt Wasser gibt. Ich muß gestehen, ich bin stets ein Feind von Specifica gewesen, weil ich denke, sie widerstreiten der Natur der animalischen Ökonomie. Allein gegen Salomos Autorität wag ich es nicht, mich aufzulehnen. – Mich soll nur wundernehmen, wo ich eine gläserne Retorte finden werde, die groß genug ist, eine so ungeheure Menge von Zunder zu fassen, wodurch unstreitig das Papier sehr im Preise steigen wird; oder wo ich animalische Hitze genug finden soll, um eine solche Masse zu erwärmen.«

Slyboot erklärte ihm, er könne sich eine Retorte blasen lassen, so groß wie eine Kirche, und die leichteste Methode, die Dünste durch animalische Hitze in die Höhe zu treiben, sei die, diese in einen Saal mit Fieberpatienten zu setzen. Die Leute müßten sich dann ringsherum auf Matratzen so legen, daß ihr Dunstkreis die Retorte berühre.

Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, als Wagtail voller Freude ausrief: »Ein vortreffliches Expediens, so wahr ich hoffe, selig zu werden. Das will ich auch wirklich so machen.«

Die Einfalt des Arztes verschaffte den anderen ausnehmend viel Vergnügen, und sie zogen ihn alle der Reihe nach durch ironische Komplimente auf, die seine Eitelkeit für bare Münze nahm.

Chatter, des langen Stillschweigens überdrüssig, brach nunmehr los und unterhielt uns mit einem Register aller Personen, die auf der letzten Assemblee zu Hampstead getanzt hatten. Er gab eine umständliche Beschreibung von dem Anzug und dem Putz eines jeden, von den Roben der Frauenzimmer bis zu den Schuhschnallen der Männer herab. Er schloß damit, daß er Bragwell sagte, seine Gebieterin, Melinde, sei dagewesen, habe ihn, wie es geschienen, vermißt und zugleich bitten lassen, sie zur nächsten Assemblee zu begleiten.

Bragwell: »Nein, nein, der Teufel hol mich, ich habe mehr zu tun, als der Courschneider einer Gesellschaft schwindelköpfiger Mädchen zu sein. Überdies kennen Sie meine aufsprudelnde Laune; wenn die Rede von Frauenzimmern ist, komm ich gar leicht in Händel. Das letztemal, als ich dort war, hatte ich mit Tom Trippet eine Affäre.«

»Oh, ich besinne mich«, rief Banter, »daß Sie im Angesicht der Frauenzimmer vom Leder zogen. Daran taten Sie sehr wohl, weil Sie dadurch Gelegenheit bekamen, Ihre Tapferkeit zu zeigen, ohne sich dadurch in Gefahr zu setzen.«

Bragwell sagte mit finsterer Miene: »Gefahr? Ich scheue, soll mich der Donner erschlagen, keine Gefahr. Tod und Hölle! Ich fürchte mich nicht, den Degen gegen jeden zu ziehen, der nur einen Kopf auf dem Rumpf hat. Es ist allgemein bekannt, daß ich mehr als einem das Blut abgezapft habe und daß auch mir unterweilen ein kleiner Aderlaß gemacht worden ist. Daran kehr ich mich aber gar nicht.«

Der Schauspieler bat diesen Meister, ihn das nächstemal zum Sekundanten zu nehmen, wenn er wieder mal die Absicht haben sollte, jemand zu töten; denn er wollte gar gern einen Menschen an einem Degenstich sterben sehen, um zu erfahren, wie man solche Szene auf dem Theater recht naturgemäß darstellen soll. »Sterben!« erwiderte der Held, »nein, bei Gott! Ich weiß mir Besseres, als mir Händel mit der Justiz zuzuziehen. Ich würde meinen Fechtmeister für ein unwissendes Tier erklären, wenn er mich nicht gelehrt hätte, meinem Gegner einen Stich beizubringen, wo ich will, der ihn zum weitern Fechten untüchtig macht.«

»Oh«, rief Slyboot, »wenn das ist, so hab ich Sie um eine Gefälligkeit zu bitten. Man hat bei mir einen Christus am Kreuz bestellt. Nun bin ich willens, gerade den Moment zu wählen, wo ihm der Speer in die Seite gerannt wird. Mir geschähe daher ein ungemeiner Gefallen, wenn Sie in meiner Gegenwart irgendeinen naseweisen Burschen so stächen, daß er Zuckungen bekäme, doch ohne daß er sein Leben einzubüßen Gefahr liefe. Ich hätte alsdann Gelegenheit, eine Person in Todesangst recht nach der Natur zu schildern. Der Doktor wird Ihnen zeigen, wo und wie tief Sie hinstechen müssen. Aber ich bitte Sie, bringen Sie den Stich der linken Seite so nah als möglich.«

Der Doktor, es für ernst nehmend, bemerkte: »Es wird sehr schwerhalten, in der linken Seite der Brust eine Öffnung anzubringen, ohne das Herz zu verletzen und folglich den Tod zu verursachen. Doch zweifle ich gar nicht, daß es einem Mann, dessen Hand fertig genug ist und der genaue anatomische Kenntnisse hat, möglich sei, das Zwerchfell irgendwo unterhalb zu verwunden, welches ein Schluchzen erzeugen könnte, ohne daß darauf der Tod erfolgte. Ich bin erbötig, Ihnen den Muskel zu zeigen, wo sich das tun läßt. Doch bitt ich mir aus, mich bei diesem Experiment aus dem Spiel zu lassen, weil es meinem guten Namen schaden könnte, wenn es verunglückte.«

Bragwell ließ sich durch die Schäkerei des Malers so gut wie der Medikus anführen. Er lehnte die Sache ab und sagte, er habe zwar für Slyboot große Achtung, hätt es sich aber auch zur unumstößlichen Maxime gemacht, sich nie zu schlagen, außer wenn seine Ehre angegriffen würde.

Tausend ähnliche Scherze fielen vor. Das Weinglas ging inzwischen immer rund. Endlich wurde das Abendbrot aufgetragen. Wir aßen mit herzlichem Appetit und kehrten wieder zur Flasche zurück. Bragwell wurde immer unruhiger und händelsüchtiger, Banter immer ernsthafter, Ranter deklamierte Stellen aus Schauspielen, Slyboot schnitt der ganzen Gesellschaft Gesichter, ich sang französische Rundgesänge und Chatter küßte mich mit großer Zuneigung.

Der Doktor saß indes mit einem Jammergesicht still da wie ein Schüler des Pythagoras. Endlich tat Bragwell den Vorschlag, die Gassen zu durchschwärmen, die Wache tüchtig anzupöbeln, den Polizisten zu foppen und dann nüchternen Muts ins Bett zu taumeln.

Wie wir uns über dies Unternehmen beratschlagten, kam der Kellner und fragte nach Doktor Wagtail. Als er hörte, daß er da wäre, sagte er, es befände sich ein Frauenzimmer unten, die ihn gern sprechen möchte. Bei dieser Botschaft fuhr der Arzt aus seinen melancholischen Betrachtungen auf und versicherte der Gesellschaft mit einem höchst betroffenen Blick, er könne damit unmöglich gemeint sein, weil er zu keinem weiblichen Geschöpf Beziehungen hätte, und bat den Kellner, dies der Dame zu sagen.

»Oh, schämen Sie sich!« rief Banter. »Wollten Sie wohl so unhöflich sein und eine Dame nicht anhören? Vielleicht will sie Sie über irgend etwas konsultieren. Es muß bestimmt etwas Außerordentliches sein, das eine Dame so spät in der Nacht in ein Wirtshaus zu kommen antreibt. Gehen Sie doch hin, lieber Ranter. bringen Sie ihr ein Kompliment vom Doktor, und führen Sie sie herauf.«

Der Schauspieler machte sich sogleich auf den Weg und brachte unter vielen Zeremonien ein langes und starkes Mädchen hereingeführt, deren Äußeres ihr Gewerbe deutlich zu erkennen gab. Wir empfingen sie mit großer Feierlichkeit und brachten sie durch vieles Nötigen zum Sitzen. Nunmehr entstand ein tiefes Stillschweigen, währenddessen sie trostlose Blicke auf den Doktor heftete. Letzterer war über dies Benehmen höchst betroffen und sah wohl dreimal so traurig aus wie sie. Endlich wischte sie sich nach vielen kläglichen Seufzern die Augen und redete ihn folgendermaßen an:

»Wie, nicht ein einziges Wort des Trostes? Kann denn dein steinernes Herz gar nichts erweichen? Nicht alle meine Tränen? Nicht der Jammer, worin ich bin? Nicht das unvermeidliche Verderben, worein du mich gestürzt hast? Was ist aus deinen Schwüren geworden, treuloses, meineidiges Geschöpf? Hast du keine Ehre? Kein Gewissen? Fühlst du keine Reue über dein schändliches Betragen gegen mich? Antworte mir, willst du mir endlich Gerechtigkeit widerfahren lassen, oder soll ich zu meiner Rache Himmel und Hölle aufbieten?«

War der arme Wagtail erstaunt gewesen, als er sie erblickte, um wieviel höher mußte seine Verwunderung steigen, als er sich auf eine solche Art angegangen fand. Seine natürliche Blässe verwandelte sich in Toten- oder Erdfarbe; die Augen rollten umher, die Lippen bebten, und er antwortete mit einem schlechterdings nicht zu beschreibenden Tone: »Auf mein Wort, bei meiner Ehr und Seligkeit! Sie irren sich wirklich in meiner Person, Miß. Ich habe eine ganz besondere Ehrerbietung für Ihr Geschlecht, Miß, und bin in der Tat gar nicht imstande, ein Frauenzimmer nur im allergeringsten zu beleidigen, Miß. Außerdem kann ich mich gar nicht besinnen, Miß, daß ich jemals die Ehre gehabt habe, Sie zu sehen, Miß, so wahr ich hoffe, selig zu werden.«

»Wie, Verräter«, rief sie, »du willst mich nicht kennen? Gibst vor, ich irrte mich? Nein, ich kenne dies schöne, bezaubernde Gesicht zu gut, nur zu genau, diese falsche, verführerische Zunge! Ach! Meine Herren, dieser Nichtswürdige nötigt mich durch sein ehrloses Betragen, meine und seine Lage der Welt aufzudecken. So wissen Sie denn, daß dieser Betrüger unter dem scheinbaren Vorwand rechtschaffener Anträge mein Herz gewonnen, seine Eroberung genutzt, mir meine jungfräuliche Ehre geraubt und mich nachher meinem Schicksal überlassen hat. Seit vier Monaten trage ich das Pfand seiner Liebe unter meinem Herzen, bin ich von meinen Verwandten verstoßen und dem Elend und Mangel preisgegeben.

Ja, du Barbar«, fuhr sie fort und wandte sich zu Wagtail, »du Tiger, du eingefleischter Teufel kennst meinen Zustand nur zu gut. Aber ich will dir dein treuloses Herz aus dem Leibe reißen und die Welt von einem solchen Ungeheuer befreien.« Mit diesen Worten sprang sie auf den Medikus los. Dieser setzte unglaublich behend über den Tisch weg und versteckte sich hinter Bragwell; wir übrigen bemühten uns indes, die wütende Heldin zu besänftigen.

Wiewohl jedermann in der Gesellschaft das höchste Erstaunen bezeigte, so konnte ich doch gar leicht abnehmen, daß die ganze Sache ein abgekartetes Spiel sei, sich auf Kosten des Doktors lustig zu machen. Da mir also wegen der Folgen nicht bange sein brauchte, ließ ich mich in das Komplott ein und ergötzte mich an Wagtails Not und Verlegenheit.

Der arme Sohn des Äskulap bat nunmehr mit Tränen in den Augen die Gesellschaft um Schutz, erklärte, er sei an dem ihm aufgebürdeten Verbrechen so unschuldig wie ein Kind im Mutterleibe, und ließ zugleich den Wink fallen, die Natur habe es ihm unmöglich gemacht, ein solches Vergehen zu verüben.

»Was, Natur?« rief das Frauenzimmer. »Die Natur war dabei gar nicht im Spiel. Durch Zauberkünste hat er mich verführt. Denn wie hätte sonst wohl irgendein Frauenzimmer den Anträgen einer solchen Vogelscheuche Gehör geben können? Sind diese Eulenaugen wohl zum Liebäugeln geschaffen? Diese Skelettfigur zum Erobern? Oder dieser Hufeisenmund zum Küssen? Behüte und bewahre! Euren Sieg über mich habt Ihr bloß Euren Liebestränken, Kräutern und Bezauberungen zu verdanken, nicht Euren natürlichen Eigenschaften, die in jeder Rücksicht nicht die geringste Notiz, sondern vielmehr die bitterste Verachtung verdienen.«

Der Doktor glaubte nun eine gute Gelegenheit gefunden zu haben, sich nachdrücklich zu rechtfertigen. Daher bat er die Klägerin, sich nur eine halbe Stunde zu beruhigen. Er machte sich anheischig, in der Zeit darzutun, wie ungereimt es sei, an Zaubereien zu glauben, die weiter nichts als eitle Hirngespinste der Unwissenheit und des Aberglaubens sind. Darauf rückte er mit einer sehr gelehrten Abhandlung über die Beschaffenheit der Begriffe, der Kräfte und der Unabhängigkeit der Seele hervor; er entwickelte die Eigenschaften der stimulierenden Mittel und bestimmte den Unterschied zwischen einem sinnlichen Hange, der durch Tränke von gewissen Kräutern bewirkt werden könne, und zwischen einer Leidenschaft, die sich nur auf einen einzigen Gegenstand beschränke und bloß das Resultat erhöhter Gefühle und des Nachdenkens sei.

Nunmehr schloß der gute Mann seine Abhandlung mit einer nachdrücklichen Vorstellung über das Unglück, das ihn jetzt treffe, durch den Zorn einer Dame verfolgt zu werden, die er nie beleidigt, auch sonst noch nie gesehen habe. Höchstwahrscheinlich bringe eine Zerrüttung ihres Gehirns, woran ihr Unfall schuld sei, sie dahin, eine unschuldige Person in die Gefahr zu stürzen, durch ihre Geistesstörung Ehre und Ruf zu verlieren.

Kaum hatte er seine Rede geendigt, als die verlassene Prinzessin ihre Klagen erneuerte und die Gesellschaft vor seiner Beredsamkeit warnte, die, wie sie behauptete, vermögend wäre, das unparteiischste Gericht in der Welt auf seine Seite zu ziehen.

Banter riet ihm, das Mädchen auf der Stelle zu heiraten, als das einzige Mittel, seinen Leumund zu retten, und erbot sich, ihn in der Absicht nach dem Fleet zu begleiten. Slyboot aber tat den Vorschlag, für Geld einen Vater zum Kinde zu suchen und der Mutter ein anständiges Jahresgehalt auszuwerfen. Ranter versprach, beim Kinde die Vaterstelle gratis zu vertreten. Wagtail war im Begriff, wegen dieser Großmut vor ihm nieder auf die Knie zu fallen; und wiewohl er noch immer fortfuhr, seine Unschuld zu beteuern, so wollte er sich doch lieber zu allem verstehen als zugeben, daß sein bisher unbescholtener Ruf einen solchen Makel bekäme.

Das Frauenzimmer verwarf den Antrag, den man ihr machte, und drang auf die Ehe. Bragwell nahm sich nun der Sache des Doktors an und versprach, ihn für eine halbe Guinee von ihren Zudringlichkeiten zu befreien. Wagtail zog hastig die Börse heraus und gab sie seinem Freunde. Dieser suchte eine halbe Guinee, reichte sie der Klägerin und sagte, sie möchte Gott für ihr Glück danken.

Als sie dies Geschenk erhalten hatte, stellte sie sich, als weinte sie heftig. Sodann bat sie, daß der Doktor, da er ihr nun auf immer entsage, ihr doch noch einen Abschiedskuß erlauben möchte. Mit vieler Mühe brachten wir ihn so weit. Er ging mit seinem gewöhnlichen feierlichen Wesen auf sie zu, um sie zu küssen. Sie aber faßte mit ihren Zähnen seine Backe und hielt sie so fest, daß er zum unaussprechlichen Vergnügen aller Anwesenden vor Pein laut brüllte. Als sie es endlich für gut fand, ihn loszulassen, machte sie der Gesellschaft eine tiefe Verbeugung und verließ das Zimmer.

Der Medikus war in der äußersten Angst, nicht wegen der Schmerzen, die er empfand, sondern aus Furcht wegen der Folgen des Bisses. Denn nunmehr war er überzeugt, sie sei wirklich wahnsinnig.

Banter schlug vor, die Wunde auf der Stelle auszubrennen. Er legte schon die Zange ins Feuer, damit sie heiß würde. Der Schauspieler meinte, Bragwell solle den verletzten Teil mit der Degenspitze weghauen. Allein der Maler kam diesen beiden fürchterlichen Operationen dadurch zuvor, daß er einen Balsam anpries, den er bei sich führte und der, wie er versicherte, gegen den Biß toller Hunde ganz vorzüglich sei. Mit diesen Worten zog er eine kleine Blase mit schwarzer Farbe hervor. Damit bepinselte er nicht nur die Wunde, sondern auch den größten Teil von dem Gesicht des Patienten und gab ihm eine wahre Popanzfratze. Kurz, das arme Geschöpf wurde so heruntergeängstigt und geärgert, daß ich mich seiner erbarmte und ihn wider den Willen der edlen Gesellschaft in einer Sänfte nach Hause schickte.

Daß ich mir die Freiheit genommen hatte, verdroß Bragwell. Er legte seine Unzufriedenheit darüber durch einige Flüche an den Tag, die er jedoch an niemanden richtete. Wie Slyboot, der bei mir saß, dies merkte, wisperte er, in der Absicht, Streitigkeiten anzuschüren, mir zu, ihm käme es so vor, als ob Bragwell mir nicht allzugut begegne; doch müßte übrigens jeder sich um seine Angelegenheiten bekümmern. Darauf versetzte ich mit lauter Stimme, ich würde mir weder von Bragwell noch von ihm schlecht begegnen lassen und wüßte schon ohne seinen Rat, was ich zu tun und zu lassen hätte. Er hielt es für gut, mich tausendmal um Verzeihung zu bitten und mir zu versichern, er habe es nicht böse gemeint.

Bragwell stellte sich inzwischen, als ob er schliefe, um von dem, was vorfiel, keine Notiz nehmen zu brauchen. Allein der Schauspieler, der mehr Brausköpfigkeit und weniger Klugheit besaß als Slyboot, war unzufrieden, daß die Sache dabei ihr Bewenden haben sollte. Er stieß deshalb seinen renommistischen Freund an und sagte ihm leise, ich hätte ihn ausgeschmäht und mit Prügeln bedroht. Dies entnahm ich daraus, daß letzterer auffuhr und rief: »Donner und Wetter! Ihr lügt. So schimpflich wird kein Mensch sich unterstehen, mir zu begegnen. – Mister Random, haben Sie mich ausgeschmäht und gedroht, mich durchzuwalken?«

Ich leugnete diese Beschuldigung und schlug vor, den ›Schuft‹ zu bestrafen, der sich bemüht hätte, Händel unter der Gesellschaft zu erregen. Bragwell war damit wohl zufrieden und zog seinen Degen. Ich tat ein Gleiches und redete den Schauspieler folgendermaßen an: »Hören Sie, Mister Ranter, ich weiß, daß Sie all das Possierliche und Hämische eines Affen haben. Heut abend bewiesen Sie beides mehr als einmal sowohl gegen andere als auch gegen mich. Nun möcht ich gern noch wissen, ob Sie auch an Behendigkeit einem Affen gleichen. Springen Sie daher ohne alle Umstände über diesen Degen.« Mit den Worten hielt ich ihn horizontal ungefähr drei Fuß hoch über dem Boden und rief dabei: »Eins, zwei, drei, und los!«

Statt aber zu tun, was ich ihm gebot, ergriff Ranter Hut und Hirschfänger, nahm Pistols Blicke, stolzierendes Wesen und Manier, sich auszudrücken, an und brach in folgende Deklamation aus:

»Ha! Muß ich mich zu einem so unrühmlichen Schritt entschließen, den Hokuspokus eines Affen vorzumachen, den man in Bergforsten gefangen?

So mag der Tod
In Schlaf mich wiegen, meine trüben Tage
Verkürzen! In der Eumeniden Schoß
Darnieder senken dies Haupt. –
Ist nicht Irene hier?«

Diese Possenreißerei schlug nicht nach seiner Erwartung ein, denn die Gesellschaft hatte sich vorgenommen, ihn einmal in einer neuen Rolle zu sehen. Banter ersuchte mich daher, den Degen noch ein bis zwei Fuß höher zu halten, damit er seine Geschicklichkeit um so besser zeigen könne. Der Maler sagte zu ihm, wenn er seine Sache gut mache, wolle er ihn als Seiltänzer bei dem Unternehmer von Sadlers Wells unterbringen. Bragwell rief: »Alloh, für den König!« und kitzelte mit seinem bloßen Seitengewehr das Gesäß des Schauspielers. Dies tat so gute Wirkung, daß er im Hui über meinen Degen sprang und, da er die Tür offen fand, in demselben Augenblick verschwand. Ohne Zweifel war es ihm sehr lieb, seine Zeche so wohlfeil beglichen zu haben.

Jetzt war es beinahe zwei Uhr des Morgens; wir bezahlten daher unsere Rechnung und gingen fort, ohne voneinander Abschied zu nehmen. Billy Chatter, der nicht mehr sprechen noch stehen konnte, wurde nach einem Badehaus geschickt; und Banter und ich begleiteten Bragwell nach Moll Kings Kaffeehaus, wo er ein halbes Dutzend hungrige Freudenmädchen mit Fußtritten traktierte. Darauf warf er sich auf eine Bank und schlief ein. Wir verließen das Haus und begaben uns nach Charing Cross, von welchem Platz wir nicht weitab wohnten.

Da der Wein die natürliche Kälte meines Gefährten bezwungen hatte, beehrte er mich unterwegs mit manchen Komplimenten und Freundschaftsäußerungen. Ich bezeigte ihm dafür den gehörigen Dank und sagte ihm, ich schätzte mich glücklich, durch mein Betragen ihm die ungünstige Meinung benommen zu haben, die er beim ersten Anblick von mir gefaßt hätte.

Banter stutzte über diese Erklärung und bat sich darüber Aufschluß aus. Ich wiederholte ihm jetzt, was ich ihn zu Wagtail in dem Kaffeehause hatte sagen hören. Er lachte darüber, entschuldigte sich, daß er sich eine solche Freiheit gegen mich herausgenommen habe, und versicherte, mein Äußeres habe ihn sogleich zu meinem Vorteil eingenommen, und was er zum Doktor gesagt hätte, wäre nur bloßer Scherz über dessen feierliches Benehmen gewesen.

Ich war sehr zufrieden, in dem Stück aus dem Irrtum gerissen zu sein, und war nicht wenig stolz darauf, mich bei einem solchen feinen Kopf wohlangeschrieben zu sehen. Dieser Mann schüttelte mir die Hand, als er mich verließ, und versprach, den folgenden Tag im Gasthof, wo wir uns zuerst gesehen hatten, mit mir zusammenzukommen.


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