Tobias Smollett
Die Abenteuer des Roderick Random
Tobias Smollett

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Sechsundfünfzigstes Kapitel

Ich schließe mit Narzissas Bruder Bekanntschaft und bekomme dadurch meine Geliebte öfters zu sprechen

 

Den Nachmittag trank ich Tee bei Mister Freeman, dem Herrn, an den mich Banter empfohlen hatte. Kaum hatte ich fünf Minuten gesessen, als der Fuchsjäger, der Wilde benamst, zu uns hereintrat. Aus seinem vertrauten Betragen zu schließen, war er mit meinem neuen Freunde genau bekannt. Anfänglich wurde mir bange, er möchte sich meiner Züge erinnern. Allein ich faßte wieder Mut, als mich Freeman ihm als einen Gentleman aus London vorstellte und er mich nicht erkannte. Nunmehr segnete ich den Zufall, der mich in seine Gesellschaft führte. Ich hoffte, daß er bei weiterer Bekanntschaft mich nötigen würde, ihn in seinem Hause zu besuchen.

Meine Hoffnung wurde nicht getäuscht. Wir brachten den Abend miteinander zu, und er fand an meiner Unterhaltung viel Behagen, tat manche kindische Frage wegen Frankreich und anderer Länder an mich und schien über meine Antworten höchlich zufrieden zu sein. Dazwischen trank er einige Pokale auf meine Gesundheit, schüttelte mir öfters die Hand und sagte, ich wäre ein wackerer Kumpan. Zuletzt bat er sich unsere Gesellschaft auf den folgenden Mittag in seinem Hause aus.

Meine Einbildungskraft beschäftigte mich mit dem Glück, das ich den anderen Tag genießen sollte, so sehr, daß ich die Nacht nur wenig schlafen konnte. Ich stand früh auf, begab mich nach dem Ort, den ich mit meiner Freundin zur Zusammenkunft verabredet hatte, und teilte ihr die günstige Stimmung des Squires für mich mit.

Sie freute sich über diesen Vorfall über die Maßen und versicherte, es würde auch Narzissa unstreitig sehr lieb sein, da sie, ungeachtet ihrer Leidenschaft für mich, einige Skrupel wegen meiner eigentlichen Umstände und meines wahren Standes geäußert habe. »Ich glaube«, schloß sie, »Sie werden es notwendig finden, diese Eingebungen ihrer zu großen Delikatesse aus dem Wege zu räumen; das Wie weiß ich freilich nicht.«

Diese Nachricht machte mich nicht wenig stutzen, weil ich die Schwierigkeiten voraussah, die ich haben würde, mich in dem Stück völlig im wahren Gesichtspunkte zu zeigen. Denn wiewohl ich nie gesonnen war, mich bei irgendeinem Frauenzimmer, am wenigsten bei Narzissa, für einen Mann von Vermögen auszugeben, so konnte ich doch, vermöge meiner Geburt, Erziehung und meines Benehmens, auf den Charakter eines Gentlemans mit Recht Ansprüche machen. Dennoch aber mußte es mir – so unglückliche Schicksale hatten mich getroffen – äußerst schwer werden, meine Rechte auf dies alles, vornehmlich auf den letzten und wesentlichsten Punkt, völlig darzulegen.

Miß Williams ging dieser unangenehme Umstand fast ebenso nahe wie mir; jedoch tröstete sie mich mit der Anmerkung, wenn ein Frauenzimmer einmal ihre Neigung auf einen Mann geworfen habe, so beurteile sie ihn in allen Stücken mit einer Parteilichkeit, die von sehr wirksamem Einfluß sei. Sodann sagte sie, mein Schicksal habe mich zwar einigemal in niedrige Situationen versetzt, doch in keine, die mir zum Schimpf und zur Schande gereichten. Meine Dürftigkeit wäre nicht meine, sondern des Glückes Schuld. Durch das ausgestandene Elend hätten sich sowohl die Fähigkeiten meiner Seele als auch meines Körpers vermehrt, und ich sei dadurch in den Stand gesetzt worden, mich in einer höheren Sphäre zu zeigen. Dies müßte mich schon bei jedem Frauenzimmer empfehlen, das nur einiges Gefühl besäße.

Sie gab mir daher den Rat, bei den Fragen ihrer Gebieterin immer ganz offen und ohne Zurückhaltung zu sein, doch nicht unnötigerweise mit allen herabwürdigenden Vorfällen herauszurücken, die mich betroffen hätten; wegen des übrigen sollte ich mich auf die Größe ihrer Liebe und auf ihre Klugheit verlassen.

Die Meinung des gefühlvollen jungen Mädchens sowohl in Rücksicht auf diesen als beinahe auf jeden anderen Gegenstand stimmte mit der meinigen völlig überein. Ich dankte ihr für ihre Teilnahme an meinem Wohl und versprach ihr beim Abschied, mich ganz nach ihrer Vorschrift zu richten. Sie versicherte ihrerseits, ich könne mich auf ihre kräftigste Verwendung bei ihrer Herrschaft für mich verlassen, und sie wolle mir von Zeit zu Zeit Nachrichten in betreff meiner Liebe mitteilen.

Ich zog mich nunmehr so vorteilhaft als nur immer möglich an und erwartete die Zeit des Mittagessens mit der bangsten Ungeduld. Als die Stunde herannahte, schlug mein Herz so unglaublich heftig, und ich war in solcher Verwirrung, daß ich meiner Entschlossenheit nicht traute und wünschte, daß ich mich nicht verabredet haben möchte. Endlich kam Freeman, holte mich ab, und ich begleitete ihn nach dem Hause, das meine ganze Glückseligkeit in sich faßte.

Wir wurden von dem Squire sehr freundschaftlich aufgenommen. Er saß im Besuchszimmer, rauchte eine Pfeife Tabak und fragte sogleich, ob wir vor dem Essen zu trinken verlangten. Ich hatte zwar noch nie eine Herzstärkung nötiger gehabt als eben jetzt, allein ich schämte mich, dies Anerbieten anzunehmen; mein Freund schlug es gleichfalls aus. Wir setzten uns inzwischen und fingen eine Unterredung an, die ungefähr eine halbe Stunde dauerte. Sonach hatte ich Zeit genug, mich zu erholen und sogar zu hoffen – so seltsame Grillen bekam ich –, Narzissa würde nicht erscheinen.

Plötzlich trat ein Bedienter herein und meldete, das Essen sei aufgetragen. Mit einem Male war meine vorige Verwirrung wieder da, und zwar in solchem Grade, daß ich sie, während wir die Treppe hinaufgingen, kaum vor meinen beiden Begleitern verbergen konnte. Der erste Gegenstand, der meinen entzückten Augen entgegenstrahlte, als ich in den Speisesaal trat, war die göttliche Narzissa. Ihr Gesicht glühte wie Aurorens, und sie war mit aller Anmut geschmückt, die Sanftheit, Unschuld und Schönheit über ein weibliches Geschöpf ausgießen können. Der Kopf ward mir drehend, meine Knie schlotterten, und ich hatte kaum Kräfte genug, sie zu begrüßen. Ihr Bruder schlug mir auf die Schulter, indem er rief: »Mister Random, das da ist meine Schwester.«

Ich näherte mich ihr mit Lebhaftigkeit und Furcht; aber in dem Augenblick, da unsere Hände sich berührten, geriet meine Seele vor Entzücken außer sich. Ein Glück für uns, daß der Herr Wirt nicht viel Scharfsicht besaß, denn unsere beiderseitige Betroffenheit war so groß, daß Freeman sie bemerkte und mir beim Nachhausegehen zu meiner Eroberung Glück wünschte. Allein der Weidmann war so weit entfernt, den geringsten Argwohn zu hegen, daß er vielmehr mich aufforderte, mit meiner Gebieterin eine Unterredung in einer ihm ganz unbekannten Sprache anzufangen.

»Da hab ich dir«, sagte er, »einen Herrn mitgebracht, mit dem du französisch und andere fremde Sprachen so schnell plappern kannst, wie du willst.« Dann wandte er sich zu mir und fuhr fort: »Zum Element! Ich möchte wohl, daß Sie mal französisch oder italienisch mit ihr sprechen und mir dann sagen, ob sie es wirklich so gut versteht, wie man ihr glauben soll. Ihre Tante und sie reden ganze Tage miteinander in diesen Sprachen, und ich kann von ihnen keinen Mundvoll Englisch abkriegen, weder für Geld noch gute Worte.«

Ich suchte in den Blicken meiner liebenswürdigen Gebieterin ihre Meinung darüber zu lesen und fand, daß sie diesem Antrage nicht geneigt war. Auch lehnte sie ihn mit der ihr eigenen sanften Art unter dem Vorwande ab, dies könnte als ein Mangel an Achtung gegen diejenigen von der Gesellschaft ausgelegt werden, welche die besagten Sprachen nicht verstünden.

Ich hatte das Glück, ihr gegenüber zu sitzen, und labte mehr meine Augen als meinen Gaumen, sosehr sie ihn auch durch die zartesten Leckerbissen in Versuchung führte, die mir ihre schöne Hand vorlegte und ihre beredte Zunge anpries. Allein jede andere sinnliche Begierde wurde durch meine übermäßige Liebe verschlungen, der ich durch stetes Angaffen dieses entzückenden Gegenstandes reichlich Nahrung gab.

Kaum war der Tisch abgedeckt worden, als der Squire sehr schläfrig ward und, nachdem er einigemal fürchterlich gegähnt hatte, aufstand, sich dehnte, zwei- oder dreimal im Zimmer auf und ab ging und uns sodann bat, ihm ein klein wenig Mittagsruhe zu erlauben. Darauf schlenderte er ohne weitere Umstände fort, nachdem er seiner Schwester eingeschärft hatte, uns so lange aufzuhalten, bis er wiederkäme.

Er war noch nicht lange weg, als Freeman, der die Lage meines Herzens erraten hatte und mir einen großen Gefallen zu erzeigen glaubte, wenn er mich mit Narzissa allein ließe, aufstand und sagte, er habe sich eben zum Glück besonnen, daß er eine Sache von Belang mit jemandem abzumachen hätte, die sich nicht einen Augenblick verschieben ließe. Er bäte daher die Miß, ihn zu entschuldigen, wenn er sich auf eine halbe Stunde entfernte. Zugleich versprach er, sich noch früh genug zum Tee wieder einzufinden. Mit diesen Worten ging er und überließ meine Geliebte und mich der größten Verwirrung.

Jetzt, da ich bequeme Gelegenheit hatte, die Qualen meiner Seele zu offenbaren, fehlte es mir an Kräften. Ich erwog manche pathetische Liebeserklärung; allein wenn ich damit hervorzurücken versuchte, verweigerte meine Zunge mir ihren Dienst. Narzissa saß gleichfalls still. Ihr Blick war niedergeschlagen und voll unruhiger Ängstlichkeit; ihr Busen hob sich stark, in der Erwartung irgendeines großen Ereignisses. Endlich bemühte ich mich, dieser feierlichen Pause ein Ende zu machen, und begann: »Es ist in der Tat sehr befremdlich, Miß . . .« Hier blieb mir die Sprache aus, und ich hielt schnell inne.

Narzissa sah mich jetzt starr an, ward rot und versetzte mit schüchternem Ton: »Was meinen Sie, Sir?« Diese Frage bestürzte mich, und ich antwortete mit der albernsten Blödigkeit: »Wie, Miß?« Darauf entgegnete sie: »Ich bitte um Verzeihung, ich dachte, Sie sagten etwas zu mir.« Und nun erfolgte eine neue Pause.

Endlich machte ich noch einmal mit aller Anstrengung einen Versuch. Anfänglich zitterte die Stimme sehr, endlich ward sie fester, und ich brachte folgende Rede zustande: »Es ist in der Tat sehr sonderbar, Miß, daß die Liebe so gegen sich selbst handelt und denen, die ihr dienen, den Gebrauch ihrer Seelenkräfte raubt, wenn sie deren am meisten bedürfen. Seit sich mir die glückliche Gelegenheit darbot, mit Ihnen allein zu sein, habe ich manchen fruchtlosen Versuch gemacht, der Liebenswürdigsten Ihres Geschlechts meine Leidenschaft zu entdecken – eine Leidenschaft, die sich schon damals meiner Seele bemächtigte, als das Schicksal mir Bedientenkleider aufzwang, welche zu meiner Geburt, meinen Gesinnungen und, lassen Sie mich noch hinzusetzen, zu meinen Fähigkeiten so wenig paßten. Doch war mir diese Verkleidung in einer Rücksicht sehr vorteilhaft – sie verschaffte mir Gelegenheit, Ihre Vollkommenheit zu sehen und zu verehren. – Ja, Miß, damals drückte sich Ihr teures Bild meinem Herzen ein, das seit der Zeit mitten unter zahllosen Bekümmernissen ungeschwächt geherrscht und mich gegen tausend Gefahren und Drangsale gestärkt hat.«

Indem ich dies sagte, bedeckte Narzissa ihr Gesicht mit dem Fächer, und als ich aufgehört hatte zu sprechen, erholte sie sich aus ihrer schönen Verlegenheit und sagte, sie wäre mir für die günstige Meinung, die ich von ihr hegte, sehr verbunden und es täte ihr leid zu hören, daß ich soviel Unglück erlitten habe.

Durch diese freundliche Antwort aufgemuntert, beteuerte ich, ihr gütiges Mitleid habe mich für alles bisher ausgestandene Ungemach hinlänglich belohnt, und erklärte zugleich, das künftige Glück meines Lebens hinge einzig und allein von ihr ab.

»Sir«, sagte sie, »ich müßte sehr undankbar sein, wenn ich nach dem ausgezeichneten Schutze, den Sie mir einst zugestanden, mich weigerte, auf irgendeine billige Art zu Ihrem Glück beizutragen.« Dies Geständnis riß mich so hin, daß ich mich zu ihren Füßen niederwarf und sie bat, meine Leidenschaft mit günstigem Auge anzusehen. Sie ward über mein Betragen unruhig, ersuchte mich inständig, aufzustehen, damit ihr Bruder mich nicht in dieser Stellung finden möchte, und für jetzt ein Thema fallenzulassen, auf das sie gar nicht vorbereitet wäre.

Ihrer Weisung gemäß stand ich mit der Versicherung auf, ich wolle eher sterben, als ihr ungehorsam sein. Zugleich bat ich sie, zu erwägen, wie kostbar die Minuten bei der jetzigen günstigen Gelegenheit wären und wieviel Zwang ich meiner Neigung antun müßte, indem ich sie ihrem Gebot aufopferte. Sie lächelte mit unaussprechlicher Anmut und sagte, es würde nicht an Gelegenheit fehlen, sie zu sehen, wenn ich mich in der guten Meinung ihres Bruders erhalten könnte.

Das reizende Benehmen der Zauberin riß mich so fort, daß ich ihre Hand ergriff und sie fast wund küßte.

Mit gar ernstem Gesicht verwies Narzissa mir meine Kühnheit und sagte, ich möchte mich nicht so sehr vergessen, damit ihre Achtung gegen mich nicht Abbruch litte. Zugleich erinnerte sie mich, wir wären einander noch beinahe fremd, und es sei notwendig, mich besser kennenzulernen, ehe sie einen Entschluß zu meinen Gunsten zu ergreifen vermöchte. Kurz, aus ihrem Verweise leuchteten so viel Verstand und geistige Anmut hervor, daß ich nun in ihren Geist ebenso verliebt ward wie zuvor in ihre Schönheit.

Ich bat wegen meiner Verwegenheit sehr reuevoll um Verzeihung, und sie vergab mir die Beleidigung mit ihrer gewöhnlichen Leutseligkeit und besiegelte meinen Pardon mit einem Blick so voll bezaubernder Zärtlichkeit, daß meine Sinne einige Minuten lang in Ekstase verloren waren.

Nachher bemühte ich mich, mein Betragen ganz ihrem Verlangen gemäß einzurichten, und lenkte die Unterredung auf gleichgültigere Gegenstände, aber ihre Gegenwart war für mein Vorhaben ein unüberwindliches Hindernis. Ich konnte schlechterdings meine Aufmerksamkeit von den vielen Vortrefflichkeiten nicht wegwenden, die ich vor mir sah. Mit unaussprechlicher Zärtlichkeit betrachtete ich sie und geriet vor Bewunderung ganz außer mir.

»Mein Zustand ist unerträglich!« rief ich endlich aus. »Meine Leidenschaft macht mich wahnsinnig! Warum sind Sie so außerordentlich schön! Warum so bezaubernd gütig! Warum hat die Natur Sie mit Reizen ausgestattet, die Sie so weit über alle anderen Frauenzimmer erheben! Wie darf ich Elender bei meiner Unwürdigkeit die Hand nach dem Besitze solcher Vollkommenheiten ausstrecken!«

Sie erschrak über diese wilden Ausbrüche meiner Leidenschaft, bemühte sich, sie niederzuvernünfteln, und es gelang ihrer unwiderstehlichen Beredsamkeit, meine Seele in eine ruhigere Stimmung zu bringen. Damit ich nun keinen Rückfall bekommen möchte, brachte sie absichtlich das Gespräch auf andere Dinge, um meine Phantasie zu beschäftigen. Sie schalt mich ein klein wenig, daß ich mich nicht nach ihrer Tante erkundigt habe, die, so sehr zerstreut sie auch wäre und sowenig sie sich auch um Vorfälle des gemeinen Lebens bekümmere, oft mit ungewöhnlicher Wärme von mir spreche.

Ich bezeigte meine Verehrung gegen die gute Dame, schob meine Vernachlässigung auf die Heftigkeit meiner Liebe, die meine ganze Seele beschäftige, und fragte darauf nach ihrem Gesundheitszustand. Die liebreiche Narzissa erzählte mir jetzt, was ich schon wußte – deren Heirat –, mit aller zärtlichen Schonung ihres guten Namens, welche die Sache nur zuließ. Sie sagte mir, die Tante lebe mit ihrem Mann gleich nebenan und läge an Wassersucht und Auszehrung so hart danieder, daß sie an ihrem Aufkommen völlig zweifle.

Hierüber äußerte ich mein Bedauern und fragte dann, wie es mit meiner Freundin, der Mistreß Sagely, stände. Zu meinem großen Vergnügen erfuhr ich, sie wäre noch bei guter Gesundheit und habe durch die Lobsprüche, die sie mir nach meiner Entfernung erteilt, die günstigen Eindrücke befestigt, die mein Betragen bei meinem Abschied auf Narzissas Herz hervorgebracht hatte.

Dieser Umstand gab mir Gelegenheit, mich nach Sir Timothy Thickets Benehmen zu erkundigen. Sie berichtete mir, er habe ihren Bruder so gegen mich aufzubringen gewußt, daß es ihr nicht möglich gewesen sei, diesem seinen Wahn zu benehmen; ja selbst ihr guter Name habe durch seine ärgerlichen Anschuldigungen gelitten.

Das ganze Kirchspiel, fuhr sie fort, sei in Alarm gebracht worden und habe mir nachgesetzt. Sie wäre in der äußersten Angst gewesen, daß man mich ergreifen möchte, weil sie wohl gewußt habe, daß weder meine Unschuld noch ihr Zeugnis imstande sein würden, mich gegen die Unwissenheit, Barbarei und Brutalität meiner Richter zu schützen. Sir Timothy habe nachher ein Schlagfluß befallen, und man hätte ihn nur mit vieler Mühe wiederhergestellt. Darauf sei ihm vor dem Tode bange geworden, und er habe angefangen, sich auf diese wichtige Begebenheit vorzubereiten. Sein erster Schritt dazu hätte darin bestanden, daß er zu ihrem Bruder geschickt und ihm mit großer Herzenszerknirschung sein brutales Vorhaben gegen sie offenbart, mithin mich auch von alledem losgesprochen, was er mir vorhin zur Last gelegt hatte – daß ich ihn angefallen, geplündert und mit ihr – der Erzählerin – in freundschaftlichen Beziehungen gestanden habe. »Nach diesem Bekenntnis«, schloß sie, »lebte er noch einen Monat in stetem Kränkeln; dann nahm ihn ein zweiter Schlagfluß aus der Welt.«

Jedes Wort, das dies teuere Geschöpf vorbrachte, befestigte die Kette, womit sie mich gebunden hatte. Meine leichtentflammbare Phantasie fing wieder an zu wirken und der Sturm meiner Leidenschaft zu erwachen, als Freeman dieser verführerischen Gelegenheit durch seine Ankunft ein Ende machte und mich in den Stand setzte, den beginnenden Aufruhr in meinem Innern zu dämpfen.

Kurz darauf taumelte der Landjunker in das Zimmer, rieb sich die Augen und forderte einen Tee, den er mit Branntwein aus einem kleinen Punschnapf trank, während wir ihn hingegen auf die gewöhnliche Weise zubereitet tranken.

Narzissa verließ uns sodann, um ihre Tante zu besuchen. Freeman und ich standen gleichfalls auf, um uns von unserem Wirt, dem Fuchsjäger, zu beurlauben; allein dieser drang mit so liebenswürdigem Ungestüm in uns, den Abend bei ihm zuzubringen, daß wir uns genötigt sahen, in sein Verlangen zu willigen.

Ich meinerseits wäre über diese Einladung eher erfreut gewesen, weil sie mir die Seligkeit versprach, mit seiner Schwester länger in Gesellschaft zu sein, wenn ich nicht ihre Achtung durch Teilnahme an einem Trinkgelage zu verscherzen hätte besorgen müssen, das, so wie ich seinen Charakter kannte, gar nicht ausbleiben konnte. Indessen half dagegen nichts. Ich war genötigt, es auf meine starke Konstitution ankommen zu lassen, die eher als seine dem Rausche zu widerstehen vermögend war, das übrige aber der Herzensgüte und dem Verstande meiner Gebieterin anheimzustellen.

Unser Wirt beschloß, beizeiten anzufangen, und befahl daher, gleich nach dem Tee den Tisch mit Likören und Gläsern zu besetzen; allein wir schlugen es glatterdings aus, gleich wieder von neuem zu trinken, und vermochten ihn, ein oder zwei Stunden mit uns Whist zu spielen.

Sowie Narzissa kam, nahmen wir jenen Zeitvertreib zur Hand. Der Wilde und ich wurden zuerst Spielpartner. Da aber meine Gedanken mit einem viel wichtigeren Spiel beschäftigt waren, spielte ich so schlecht, daß der Squire alle Geduld verlor, fürchterlich fluchte und drohte, Wein bringen zu lassen, wenn wir ihm nicht erlaubten, sich einen anderen Mitspieler auszusuchen. Sein Verlangen ward ihm zugestanden, und Narzissa und ich wurden jetzt Partner. Nun gewann er eben aus der Ursache, derentwegen er zuvor verloren hatte. Ich war sehr zufrieden, meine liebenswürdige Mitspielerin über mich nicht unwillig, und die Zeit verfloß sehr angenehm, bis man uns sagte, das Essen sei aufgetragen.

Der Wilde war wütend, als er den Abend so unnütz zugebracht sah, und ließ seine Rache an den Karten aus, die er zerriß und unter manchen Verwünschungen den Flammen übergab. Zugleich drohte er uns, wir sollten diesen Zeitverlust durch größere Gläser und schnelleres Trinken nachholen müssen. In der Tat, wir hatten kaum abgegessen und meine Geliebte sich fortbegeben, als er seine Drohungen in Erfüllung zu setzen begann. Drei Flaschen Portwein – denn anderen trank er gar nicht – wurden mit ebenso vielen Wassergläsern vor uns gesetzt. Ein jeder von uns schenkte sich nach seinem Beispiel das Glas bis an den Rand voll und leerte es im Nu auf ein: »Alle hübschen Mädel sollen leben!«

Wiewohl ich dies Glas und das folgende, so schnell es nur konnte gefüllt werden und ohne Bezeigung eines Widerwillens hinunterstürzte, so merkte ich doch, daß mein Gehirn nicht viele solche Humpen würde aushalten können. Überdies befürchtete ich, der Zechheld, der so tapfer begänne, würde auch bis zu Ende dieses Gläserscharmützels aushalten; deshalb beschloß ich, meinen Abgang an Kräften durch eine Kriegslist zu ersetzen, die um so nötiger war, da ich nach ausgeleerter Flasche merkte, daß der hitzige und starke Wein mein Gehirn durch das rasche Trinken schon ziemlich in Unordnung gebracht hatte. Freeman ging es nicht besser als mir, seine Augen rollten wild umher, und unser Weidmann war so fröhlich, daß er aus voller Kehle ein Lied brüllte.

Als der zweite Gang Flaschen kam, spiegelte ich ein aufgeräumtes Wesen vor und unterhielt ihn mit einem französischen Trinkliede, das ihm, wiewohl er es nicht im geringsten verstand, ungemein behagte. Daraus nahm ich Gelegenheit, ihm zu sagen, die Brüder Lustig in Paris quälten sich nicht mit solchen Finkennäpfchen, und fragte ihn, ob er nicht eine Terrine oder einen Napf im Hause habe, der ein ganzes Quart Wein in sich fasse. »Potz Blitz!« schrie er, »ich habe einen silbernen Humpen, der geradesoviel faßt. Bring ihn auf jeden Fall her, du Dummkopf.« Das Gefäß wurde gebracht. Ich hieß ihn seine Flasche hineingießen, nickte, wie er dies getan hatte, gar bedächtlich und sagte: »Nun, auf Ihr Wohl!«

Der Squire (mich eine Weile anstarrend): »Das Ganze in einem Zuge, Mister Random?«

Ich antwortete: »Mit einem Zuge! Sie sind ja kein Milchbart mehr. Wir tun Ihnen alsdann Bescheid.«

Der Squire (mir die Hand schüttelnd): »Das sollt Ihr. Es gilt. So will ich's denn leeren, und wär's auch eine ganze Meile bis zum Boden. Auf immer bessere Bekanntschaft, Mister Random!« Mit diesen Worten setzte er den Humpen an die Lippen und leerte ihn in einem Zuge.

Ich wußte, daß die Wirkung sich augenblicklich zeigen mußte. Daher nahm ich ganz getrost den Humpen, fing an, meine Flasche darin auszuleeren, und sagte dabei, ich sähe ihn für einen Mann an, der mit dem Tatarchan um die Wette trinken könne. Kaum hatte ich diese Worte ausgesprochen, als er in vollem Ärger darüber einige Versuche zum Ausspucken machte und endlich mit vieler Anstrengung hervorstotterte: »Ich hu-huste – was auf Eu-Euren Ta-Ta-Tatarchan! – I-i-ich bin 'n fr-fr-freigeborner Englischmann. Habe dr-dr-dreitausend Pf-Pf-Pfund jä-jä-jährlich zu verzehren un sch-sch-scher mich um ke-ke-keinen Menschen was! Hol's der Deibel!«

Hiermit sanken ihm die Kinnbacken herunter, die Augen blieben starr, er schluchzte einige Male laut auf und fiel sodann, ohne einen Ton hervorzubringen, wie ein Stockfisch zu Boden. Freeman war diese Niederlage sehr willkommen, und er half mir, ihn ins Bett schaffen. Sodann überließen wir ihn der Sorgfalt der Bedienten und begaben uns ein jeder nach seinem Logis, höchlich erfreut, daß wir so gut durchgekommen waren.


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