Tobias Smollett
Die Abenteuer des Roderick Random
Tobias Smollett

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel

Ankunft und Schilderung meines Oheims. Ein blutiges Gefecht und ein fruchtloser Versuch

 

Um die Zeit kam der einzige Bruder meiner Mutter, der als Schiffsleutnant lange außer Landes gewesen war, wieder in seine Heimat zurück. Da er meine üble Lage erfuhr, besuchte er mich und schaffte mir aus seinem geringen Vermögen alles Benötigte an. Zugleich beschloß er, diese Gegend nicht eher zu verlassen, als bis er meinen Großvater dahin vermocht habe, mir eine artige Summe für die Zukunft auszusetzen. Diesem Unternehmen war er nun gar nicht gewachsen. Er kannte den Charakter des alten Herrn nicht und wußte ebensowenig, wie man sich gegen die Menschen zu benehmen hat; das war ihm bei seiner See-Erziehung ganz fremd geblieben.

Er war ein Mann von starkem Gliederbau, die Beine etwas krumm, sein Nacken übermäßig breit, und seinem Gesicht sah man deutlich an, daß es die hartnäckigsten Angriffe der Witterung ausgehalten hatte. Sein Anzug bestand in einem Soldatenrock, den der Schiffsschneider für ihn umgeändert hatte, in einem streifigen, flanellenen Wamse, einem Paar roten Beinkleidern, mit Pech lackiert, sauberen, grauwollenen Strümpfen, breiten silbernen Schnallen, die drei Vierteile seiner Schuh bedeckten, einem Hut mit einer silbernen Tresse, dessen Kopf anderthalb Zoll über den Rand hinausragte, einer schwarzen, rundgelockten Perücke, einem karierten Hemd, einem seidenen Halstuch, einem Hieber mit einem kupfernen Griff, einem vor Alter glänzenden, gestickten Wehrgehänge und einem tüchtigen eichenen Prügel unter dem Arm.

In diesem Aufzuge machte er sich mit mir, den seine Freigebigkeit sehr anständig herausgeputzt hatte, auf den Weg zu meinem Großvater. Bei unserer Ankunft wurden wir von Melamp und Cäsar begrüßt, die der junge Herr, mein Vetter, sobald er uns nur gewahrte, auf uns losließ. Ich kannte die Tücke dieser Tiere nur zu gut und wollte daher Fersengeld geben; allein mein Oheim ergriff mich mit der einen Hand, schwang mit der anderen seinen Knüttel, und mit einem Streich lag der mutige Cäsar der Länge nach ausgestreckt am Boden. Melamp fiel ihn jetzt von hinten an; da er nun befürchtete, Cäsar möchte sich wieder erholen, so zog der Oheim seinen Hieber, drehte sich um und sonderte durch einen glücklichen Hieb Melamps Kopf von seinem Rumpf.

Nunmehr kam der Fuchsjäger nebst drei Bedienten, die mit Mistforken und Dreschflegeln bewaffnet waren, den Hunden zu Hilfe, die sie leblos auf dem Platze fanden. Mein Vetter geriet durch den Tod seiner Lieblinge so in Wut, daß er seinen Begleitern befahl, heranzurücken und Rache an dem Mörder zu üben, den er mit allen den Verwünschungen und Schmähungen belud, die ihm sein Zorn nur eingab. Allein mein Oheim trat ihnen keck und wohlgemut entgegen, und der Anblick seines blutigen Mordgewehrs machte, daß seine Gegner in größter Eile zurückwichen. Nun ging er auf ihren Anführer los und sagte: »Hör mal, Bruder, deine Köter haben mich mir nix, dir nix geentert; ich mußte mich meiner Haut wehren. So ist's wohl das beste, du läßt uns ungehindert unseres Weges gehen.«

Ich weiß nicht, ob der junge Squire das Verlangen meines Oheims, Frieden zu machen, falsch auslegte oder ob das Schicksal, das seine Hunde betroffen hatte, ihm mehr als gewöhnlich Herz eingab – genug, er riß einem von seinem Gefolge den Dreschflegel aus der Hand und näherte sich dem Leutnant in angreifender Stellung. Dieser setzte sich in Positur, ihn zu empfangen, und äußerte sich dabei wie folgt: »Was, du Lümmel von 'nem Hurensohn willst mich in den Grund segeln? Wart, ich will dich zusammenschlagen zu Pappmus!« Diese Erklärung und ein Schwenken mit dem Hieber schien dem Zorn des jungen Mannes Einhalt zu tun. Er blickte hinter sich, und siehe, seine Begleiter waren ins Haus gelaufen, hatten die Tür zugeschlossen und es ihm allein überlassen, den Handel auszuführen.

Nun ging die Friedensunterhandlung an, die mein Vetter folgendermaßen einleitete: »Wer, zum Teufel, bist du? Was willst du hier? Irgend so ein Strolch von Seemann, denk ich, der desertiert und Spitzbube geworden ist! Aber glaub ja nicht, daß du mir entkommst. An den Galgen sollst du Hund! Dafür werd ich sorgen. Dein Blut soll fließen für das meiner Hunde! Verfluchter Schuft! Meine Hunde hätt ich nicht hergegeben, um deine ganze Sippschaft vom Galgen zu retten, du elender Lumpenhund!« – »Halt's Maul, verdammter Lümmel«, schrie mein Oheim, »kein Wort mehr, oder ich klopf dir deine betreßte Jacke aus! Mit dem Eichenknüppel werd ich dich massieren. Verlaß dich drauf!« Mit diesen Worten steckte er sein Seitengewehr ein und griff zum Prügel.

Inzwischen waren die Leute im Hause unruhig geworden. Eine von meinen Muhmen öffnete daher das Fenster und fragte, was es gäbe. »Nicht viel, Frauchen«, antwortete der Leutnant, mein Oheim. »Keine große Sache. Ich hab mit dem alten Herrn was abzumachen, und dieser Prahlhans da will mich nicht gehen lassen. Das ist alles.«

Nach einer Pause von wenigen Minuten wurden wir eingelassen und nach meines Großvaters Zimmer geführt. Wir mußten eine doppelte Reihe von Verwandten passieren, die sehr bedeutsame Blicke auf mich warfen. Als wir bis zum Richter gekommen waren, machte mein Oheim zwei bis drei Seebücklinge und ließ sich folgendermaßen aus: »Gehorsamer Diener, Vater. Wie geht's? Wie ist Ihr Befinden? Ich vermute, Sie kennen mich nicht. Mein Name ist Tom Bowling – und dieser Junge hier, anscheinend kennen Sie ihn auch nicht, schon leicht möglich. Er ist nämlich neu aufgetakelt. Sein Zeug flattert nicht mehr so im Wind wie früher – dies ist mein Neffe, meiner Schwester Sohn, Roderick Random – Ihr eigen Fleisch und Blut, alter Herr. – Lungere doch nicht immer auf dem Hinterdeck herum!«

Mit diesen Worten riß er mich hervor. Mein Großvater, der eben an der Fußgicht darniederlag, empfing diesen Anverwandten, ungeachtet seiner langen Abwesenheit, mit der kalten Höflichkeit, die ihm eigen war. »Es ist mir lieb, Sie zu sehen«, sagte er, »setzen Sie sich doch.«

»Danke, danke, Herr. Ich stehe genausogern«, sagte mein Oheim. »Ich für mein Teil will gar nichts von Euch; aber wenn Ihr nur noch einen Rest Gewissen habt, dann tut etwas für diesen armen Burschen, der höchst unchristlich behandelt worden ist. Was sage ich? Unchristlich ist gar kein Ausdruck. Bestimmt sind die Mohren in der Barbarei menschlicher und lassen ihre Kleinen nicht so verhungern und verkümmern. Möcht wohl wissen, warum mein Schwesterkind schlechter behandelt wird als jene Schönwetterfratze?« (Bei diesen Worten zeigte er auf den jungen Squire, der samt den übrigen Verwandten uns nachgefolgt war.) »Ist er Euch nicht ebenso nahe wie der da? Ist er nicht weit hübscher und besser gebaut als der lange Dämlack? Bedenkt, alter Herr, bald werdet Ihr Rechenschaft ablegen müssen für Eure Übeltaten. Denkt an das Unrecht, das Ihr seinem Vater angetan habt. Macht's an dem Jungen da nach Kräften wieder gut, ehe es zu spät ist. Das wenigste, was Ihr tun könnt, sichert ihm seines Vaters Vermögensanteil!«

Die jungen Damen waren bei diesem Vorschlag zu sehr interessiert, als daß sie länger hätten an sich halten können, und sie sperrten alle ihre Kehlen zugleich gegen meinen Beschützer auf. »Der unverschämte Kerl, der Teerquast, der grobe, hanebüchne Matrose der«, hieß es, »will sich unterstehen, Grandpapa'n vorzuschreiben! – Für den Balg von seiner Schwester ist mehr denn zuviel gesorgt worden. – Cher grandpapa war viel zu billig, um nicht zwischen einem unnatürlichen und widerspenstigen Sohn und seinen gehorsamen und ihn liebenden Kindern, die ihm in allen Stücken folgen, einen Unterschied zu machen.«

Dies und ähnliche Äußerungen wurden mit großer Heftigkeit gegen den Leutnant ausgestoßen, bis endlich der Richter Stille gebot. Mit vieler Gelassenheit verwies er meinem Oheim sein ungesittetes Benehmen, sagte, er wolle es seiner Erziehung zugute halten, versicherte ihm, er wäre sehr liebreich mit dem Knaben umgegangen, habe ihn sieben oder acht Jahre in die Schule geschickt, wiewohl er immer vernehmen müsse, daß derselbe gar nicht im Lernen weiterkäme und allen Unarten und Lastern ergeben wäre.

»Dies kann ich um so eher glauben«, fuhr er fort, »da ich Augenzeuge von dem unmenschlichen Frevel gewesen bin, den er an meines Kaplans Kinnbacken verübt hat. Dessenungeachtet will ich sehen, was sich noch für ihn tun läßt und wozu er etwa taugt. Ich bin gesonnen, ihn bei einem rechtschaffenen Handwerksmann oder sonst jemandem in die Lehre zu bringen. Aber er muß sich bessern und künftig so aufführen, wie es sich geziemt und gebührt.«

Der biedere Seemann, in dessen Brust Stolz und Entrüstung kochten, antwortete meinem Großvater, es sei freilich wahr, daß er mich in die Schule geschickt habe, doch hätte ihn dies gar nichts gekostet. Er habe für Beköstigung, Kleidung, Bücher und andere Notwendigkeiten nie einen Schilling verwandt. Daher wäre es kein Wunder gewesen, wenn der Knabe keine großen Fortschritte gemacht hätte. Wer ihm jedoch so was erzählt habe, sei ein Schuft und plumpes Lügenmaul und wohl wert, gekielholt zu werden; denn obgleich er selbst (der Leutnant) nicht viel von diesen Dingen verstehe, so habe er doch zuverlässige Kunde, daß Rory der beste Schüler sei unter all seinen Altersgenossen im ganzen Umkreis. Er wette seinen halben Jahressold darauf. Hiermit zog er seine Börse und forderte die Gesellschaft heraus. »Auch ist er kein Tunichtgut, wie Ihr behauptet, vielmehr durch Eure Schuld, alter Herr, wie ein Wrack den Unbilden von Wind und Wetter preisgegeben. Und was Euren Kaplan anbetrifft, so bedaure ich nur, daß er dem Halunken nicht das Gehirn statt der Zähne rausgeschlagen hat. Wenn ich dem jemals begegnen sollte, dann geht's ihm schlecht! Großen Dank für Euer hochherziges Angebot, den Burschen zu einem Handwerker in die Lehre zu geben. Ihr wolltet wohl einen Schneider aus ihm machen, was? Eher möcht ich ihn am Galgen sehen. Versteht Ihr mich? Komm, Rory. Ich sehe, wie die Dinge liegen, mein Junge. Laß uns in Gottes Namen absteuern. Solange ich noch einen Schilling habe, soll dir's an keinem halben fehlen. – Lebt wohl, alter Herr. Ihr steuert schon aufs Jenseits zu, seid aber für Eure Reise verdammt schlecht verproviantiert.«

Damit endigte er seinen Besuch, und wir gingen wieder in das Dorf zurück. Unterwegs murmelte mein Oheim eine Ladung Flüche gegen den alten Haifisch, wie er ihn nannte, und die junge Brut, von der er umgeben sei.


 << zurück weiter >>