Tobias Smollett
Die Abenteuer des Roderick Random
Tobias Smollett

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Fünfundvierzigstes Kapitel

Ich mache zu London im Schauspiel und im Kaffeehaus verschiedene Bekanntschaften

 

Sobald wir im Gasthof abgestiegen waren, schickte ich Strap aus, sich nach meinem Oheim in der ›Unionsflagge‹ in Wapping zu erkundigen. Binnen kurzem kam er mit der Nachricht wieder, Leutnant Bowling sei nach langem und vergeblichem Warten und Bitten bei der Admiralität als Steuermann auf einem Kauffahrer in See gegangen. Die Protektion, auf die er gerechnet hatte, schien sonach nicht hinreichend gewesen zu sein, ihm wieder zu seiner vorigen Stelle oder zu dem Solde zu verhelfen, den er zu fordern hatte, als er die ›Donner‹ verließ.

Den nächsten Tag mietete ich mir ein recht artiges Logis, nicht weit von Charing Cross. Gegen Abend legte ich einen vollständigen Anzug von echtem Pariser Schnitt an und ließ mich in einer der vordersten Logen im Schauspielhause sehen. Es befanden sich viel Zuschauer da.

Ich war so eitel, mir einzubilden, man sähe mit einem ungewöhnlichen Grade von Aufmerksamkeit und Beifall auf mich hin. Diese alberne Vorstellung berauschte mich dermaßen, daß ich tausend lächerliche Koketterien vornahm. Hatte ich auch bei meinem Erscheinen dem Publikum noch so günstige Gedanken eingeflößt, so mußten sie doch – davon bin ich überzeugt – durch mein läppisches Benehmen sich gar bald in Mitleid oder Verachtung verwandeln. Wohl zwanzigmal stand ich in den Zwischenakten auf und setzte mich wieder, bedeckte mich und nahm den Hut wieder ab, zog die Uhr heraus, hielt sie ans Ohr, zog sie auf, stellte sie, horchte von neuem, ob sie ging; stellte mich, als ob ich Tabak nähme, um eine gute Gelegenheit zu haben, meinen brillantnen Ring zu zeigen, und schneuzte mich in einem wohlparfümierten Schnupftuch. Dann spielte ich mit meinem Rohr, rückte meine Degenquaste zurecht und trieb tausenderlei Narrheiten, in der Hoffnung, mir das Ansehen eines artigen jungen Herrn zu geben. Allein ich fand in meiner Gemütsart zwei beträchtliche Hindernisse dagegen, nämlich eine natürliche Zurückhaltung und eine argwöhnelnde Empfindlichkeit.

Gern hätte ich mich mit meinen Nachbarn ins Gespräch begeben, allein teils die Furcht, meine Dreistigkeit möchte nicht allzugut aufgenommen werden, teils auch der Gedanke, ich wäre zu einer Höflichkeitsbezeigung von der Art ihrerseits so gut berechtigt als sie zu einer solchen Herablassung von einem Fremden wie mir, hielten mich davon ab. Wie oft errötete ich, wenn die Schönlinge rings um mich zusammen flüsterten oder ein lautes Gelächter erhoben! Ich war immer der Meinung, es gelte mir. Wie oft beneidete ich die glückliche Gleichgültigkeit dieser starken Geister, die sich an den Jammer gar nicht kehrten, der die Bühne erfüllte, und die nicht den geringsten Beifall oder die allerkleinste Teilnahme blicken ließen. Wider meinen Willen wurde meine Aufmerksamkeit gefesselt, und ich konnte mich nicht erwehren, mit der Heldin des Schauspiels zu weinen, soviel Mühe ich mir auch gab, eine Schwäche zu verhehlen, die so sehr gegen den guten Ton verstieß.

Als das Stück zu Ende war, wartete ich auf eine Gelegenheit, ein Frauenzimmer nach der Kutsche zu führen, allein jedes war mit einer solchen Schar dienstwilliger Verehrer umgeben, daß ich lange in meinen Erwartungen getäuscht wurde. Endlich erblickte ich ein recht hübsches, wohlgekleidetes Mädchen, das ganz allein in einer Loge nicht weit von mir saß.

Zu dieser jungen Dame ging ich hin und bot ihr meine Dienste an. Sie schien darüber etwas betreten zu sein, dankte mir sehr für meine Gefälligkeit und sagte mit einem zärtlichen Blick, sie wolle mich nicht bemühen. Darauf sah sie nach ihrer Uhr und bezeigte ihr Erstaunen, daß ihr Bedienter so nachlässig sei, da sie ihn doch um die Zeit mit einer Sänfte herbestellt habe. Ich wiederholte meine Bitte mit aller Beredsamkeit und Galanterie, die ich nur aufbringen konnte. Endlich vermochte ich sie dahin zu bringen, den Vorschlag anzunehmen, meinen Bedienten nach einer Sänfte oder Kutsche auszuschicken. Strap wurde abgeschickt, kehrte aber unverrichteter Dinge zurück.

Um die Zeit hatten sich fast alle Zuschauer verloren, und wir waren genötigt, uns nun gleichfalls fortzubegeben. Als ich sie durch den Vorsaal führte, bemerkte ich fünf oder sechs junge Modeherren in einer Ecke, von denen der eine, wie es mir vorkam, der Dame, die ich führte, einen Wink gab. Als wir vorüber waren, hörten wir sie laut lachen.

Dadurch wurde meine Aufmerksamkeit gespannt, und ich beschloß, von dem Charakter des Frauenzimmers völlige Kenntnis zu erlangen, ehe ich mich in nähere Verbindung mit ihr einließe.

Weil nun weder Wagen noch Sänfte zu bekommen war, so tat ich ihr den Vorschlag, mit in die nächste Schenke zu kommen und uns da einige Minuten aufzuhalten, bis der Bediente würde eine Kutsche vom Strand herbeigeschafft haben. Sie schien über diesen Antrag etwas stutzig, wußte nicht, ob sie sich mit einer fremden Mannsperson in ein Wirtshaus hinwagen dürfe. Endlich vermochte ich sie durch meine nachdrückliche Vorstellung dahin, daß sie lieber meinen Vorschlag annahm, als durch längeren Aufenthalt in einem kalten, feuchten und zugigen Gange ihre Gesundheit in Gefahr zu setzen.

Als wir uns in der Schenke befanden, bat ich sie, mir zu sagen, von welchem Wein ein Gläschen zu trinken ihr gefällig sei. Allein sie bezeigte den größten Abscheu gegen alle starken Getränke, und ich konnte sie nur mit vieler Mühe bereden, ein wenig Gelee zu sich zu nehmen. Inzwischen bemühte ich mich, das Mißvergnügen, das sie über den ausbleibenden Bedienten äußerte, dadurch zu mindern, daß ich ihr die angenehmsten Dinge vorsagte, die ich nur erdenken konnte. Sie seufzte dazu öfters und sah mich mit einem schmachtenden Blick an, der mit dem leichtfertigen eines Lustmädchens ganz nahe verwandt zu sein schien.

Diese Entdeckung gesellte sich zu meinem alten Argwohn, und ich war gegen ihre Künste auf der Hut. Zugleich legte ich meine bisherige Zurückhaltung ab und stimmte einen munteren und freien Ton an. Nach einiger Zeit drang ich in sie, ihr den folgenden Tag in ihrem Logis meine ergebenste Aufwartung machen zu dürfen. Sie lehnte es mit vielen Entschuldigungen unter dem Vorwand ab, das möchte Sir Johns Argwohn verursachen, der sich durch Kleinigkeiten so leicht in Harnisch bringen ließe.

Dieser Bericht, aus dem ich entnahm, ihr Geliebter sei ein Ritter, machte mich in meinem Benehmen gegen sie nicht scheuer, sondern vielmehr kecker und kecker. Ich war sogar so verwegen und raubte ihr einen Kuß. Aber, o Himmel, statt in ambrosischen Düften zu schwelgen, wie ihr zartes Aussehen versprach, erstickte mich beinahe ein Qualm von Wacholderbranntwein.

Dergleichen Ausdünstungen aus einem Munde, der kurz zuvor den stärksten Abscheu gegen alle geistigen Getränke bezeigt hatte, verwandelten nicht nur meine Zweifel in Gewißheit, sondern auch meine verliebten Aufwallungen in Ekel. Es würde mir unmöglich gewesen sein, noch fünf Minuten länger die gewöhnliche Höflichkeit gegen sie beizubehalten, wenn mein Diener nicht mit der Botschaft gekommen wäre, daß ein Wagen da sei.

Sogleich ergriff ich diese Gelegenheit, das Dämchen nach der Kutsche zu führen. Jetzt richtete sie das ganze Geschütz ihrer Reize gegen mich, äugelte, schmachtete, seufzte und drückte mir die Hand mit so wenig Zurückhaltung, daß Strap, der uns zur Tür folgte, ihre Zärtlichkeit wahrnahm und sich vor Freude die Hände rieb. Allein ich war gegen ihre Reize gesichert und führte sie in der Absicht zum Wagen, sie unmittelbar darauf zu verlassen.

Sie merkte mein Vorhaben, lud mich ein, mit nach ihrem Hause zu kommen, und wisperte mir zu, Sir John wäre jetzt schon zu Bett, und so würde sie das Vergnügen haben, meine Gesellschaft ununterbrochen eine halbe Stunde genießen zu können. Allein ich versetzte, ich wollte eher jede Kränkung ausstehen als Mylady in ihrer Ruhe nur auf einen Augenblick hinderlich sein. Darauf befahl ich dem Kutscher zuzufahren und wünschte ihr eine gute Nacht.

Über diese Gleichgültigkeit verlor sie alle Mäßigung. Sie ließ den Wagen ungefähr zwanzig Schritte von mir halten, steckte den Kopf aus dem Schlage und kreischte mit einer Fischweiberlunge: »Wollt Ihr den Kutscher bezahlen, Ihr verfluchter Hund!« Ich erwiderte hierauf kein Wort. Nunmehr fing sie an, mit einer ihr gewohnten Beredsamkeit über mich herzuziehen, nannte mich einen erbärmlichen Schlucker, einen kahlen Hundsfott und was dergleichen Ehrentitel mehr sind. Zuletzt schloß sie mit einem Schwur, sie glaube, daß ich trotz meines statiösen Aufzugs keinen Farthing in der Tasche habe.

Nachdem sie solchergestalt ihrem Unwillen Luft gemacht hatte, befahl sie dem Kutscher, weiterzufahren. Ich ging nun voller Zufriedenheit über den Ausgang dieses Abenteuers in die Schenke zurück und bestellte mir ein Abendbrot. Die Bedienung des Aufwärters bei Tisch wies ich unter dem Vorwande zurück, daß ich meinen eigenen Bedienten hätte.

Sowie wir allein waren, sagte ich: »Nun, Monsieur d'Estrapes, was denken Sie von der Dame?«

Strap (der, seit sie fort war, nicht den Mund aufgetan) kann mit den ersichtlichsten Merkmalen der Furcht und der Bestürzung weiter nichts hervorbringen als die Silbe: »Ich?«

Ich (hierüber voller Verwunderung) sehe ihn starr an, und da ich seine Blicke verstört finde, frage ich: »Hast du etwa deines Großvaters Geist gesehen?«

»Geist?« sagte er, »den eingefleischten Satan ganz ausgemacht und gewiß! Wer hätte sich's wohl vorstellen sollen, daß solche teuflische Bosheit und solche Marktweibersprache hinter so einem sanften Gesichtchen und so einem bescheidenen Wesen hätten stecken können? Ach! daß sich Gott erbarm! Fronti nulla fides, nimium ne crede colori! Allein, wir müssen auf unsere Knie fallen und dem lieben Herrgott danken, daß er uns aus dem Schlund dieses getünchten Grabes gerettet hat.«

Ich war völlig meines Freundes Meinung; und wiewohl ich mich vor den Anlockungen dieser Schwesternschaft geborgen glaubte, so beschloß ich dennoch, künftig sehr behutsam zu Werke zu gehen und allen Umgang von der Art zu vermeiden, der meiner Börse und meiner Gesundheit gleich nachteilig sein mußte.

Meine nächste Bemühung war nun, mir gute Bekanntschaft zu erwerben. Zu dem Zweck ging ich in ein Kaffeehaus, wo die beste Gesellschaft hinzukommen pflegte, Engländer sowohl als Ausländer. Mein Anzug verschaffte mir alle die Achtung und Zuvorkommenheit, die ich nur erwarten konnte. Da in ebendem Hause gespeist wurde, so ging ich in das Eßzimmer und setzte mich mit den Gästen zu Tisch. Die Gesellschaft bestand aus dreizehn Personen, die zum größten Teil besser gekleidet waren als ich. Das Gespräch, das meist in französischer Sprache geführt wurde, betraf hauptsächlich die Politik.

In kurzem merkte ich, daß alle Französischgesinnte waren, mich und einen mürrischen alten Herrn ausgenommen, der allem, was zum Vorteile Seiner Allerchristlichen Majestät vorgebracht wurde, mit echt englischem Stolz widersprach. Allein dieser treue Patriot, der nie seine Heimat verlassen und alle seine Maximen und Begriffe aus Vorurteilen und vom Hörensagen gelernt hatte, war seinen Gegnern nicht gewachsen. Sie übertrafen ihn bei weitem an Kenntnissen und Erfahrungen; öfters bedienten sie sich auch der Freiheit gereister Personen und behaupteten Dinge, die mit der Wahrheit nicht allzu genau übereinstimmten, lediglich, weil sie sahen, sie liefen nicht Gefahr, daß er ihre Blöße aufdeckte.

Die Ansprüche der Königin von Spanien auf die österreichischen Besitzungen in Italien wurden von einem Mann, der mir geradeüber saß und den ich wegen seiner feierlichen Manieren und wegen seines reichen Anzuges für einen fremden Gesandten hielt, völlig auseinandergesetzt und gerechtfertigt.

Diese Dissertation zog eine andere über die Pragmatische Sanktion nach sich. Ein junger Herr zu meiner Rechten, in einem grünen Frack mit Gold, führte diese mit großer Hitze aus. Er verteidigte den König von Frankreich, daß er diesen Vertrag gebrochen habe, und behauptete, er habe ihn nicht halten können, ohne seinem Ruhm entgegenzuhandeln. Zwar wurde ich durch die Beweisgründe des jungen Herrn nicht völlig überzeugt, doch konnte ich nicht umhin, seine Lebhaftigkeit zu bewundern, die ich für eine Folge seiner erlauchten Geburt und standesgemäßen Erziehung hielt. Ich taxierte ihn demzufolge wenigstens für einen jungen, auf Reisen befindlichen Prinzen.

Ein alter Herr von sehr martialischem Ansehen leitete darauf das Gespräch auf den letzten Feldzug. Die Schlacht bei Dettingen wurde nochmals durchgefochten, und zwar mit so vielen Umständen, die den Franzosen rühmlich, den Alliierten aber nachteilig waren, daß ich wirklich einigen Zweifel zu hegen anfing, ob ich in Person dabeigewesen sei. Doch nahm ich mir die Freiheit, gegen seine Behauptungen verschiedene Einwendungen zu machen. Dadurch erhob sich ein Streit, der zu nicht geringer Kränkung aller Gegenwärtigen eine geraume Zeit dauerte; endlich wurde er einer gravitätischen Person, die man Doktor nannte, zur Entscheidung vorgelegt.

Dieser Mann erklärte sich unter der Maske einer großen Bescheidenheit gegen meine Äußerungen. Doch tat er es mit so wenig Achtung vor der Wahrheit, daß ich ihn mit ganz dürren Worten der Parteilichkeit beschuldigte. Hierüber freute sich der echt englische Politiker nicht wenig, der die Sache, die ich zu verteidigen übernommen, oft ohne Erfolg verfochten hatte.

Mein Gegner, der mit dem erhaltenen Siege sehr zufrieden war, zeigte große Aufrichtigkeit und sagte, er würde dies nicht so dreist behauptet haben, wenn er sich nicht zuvor von jedem speziellen Umstand mit vieler Mühe unterrichtet gehabt hätte. »In der Tat«, setzte er hinzu, »wenn man die vorhergehenden Anstalten und Vorkehrungen betrachtet, so konnte es gar nicht anders kommen. Wir Generale, die wir Kämpfe mitgemacht haben, können aus der kleinsten und flüchtigsten Skizze der Dispositionen gar leicht den Erfolg abnehmen.«

Sodann tadelte er mit großem Freimut durchaus das Verhalten der Befehlshaber bei den Alliierten. Von ihnen machte er einen Übergang auf das jetzige Ministerium. Er beehrte es mit manchen Schmähungen, weil es Leute in Dienst nehme, die weder Erfahrung noch Fähigkeiten besäßen, und dadurch alte Offiziere vernachlässige, die sich durch beides ausgezeichnet hätten. Sodann ließ er verschiedene Winke über seine Wichtigkeit fallen und schloß mit der Anmerkung, die Franzosen und Spanier wüßten verdiente Generale besser zu schätzen; die guten Früchte davon sähe man täglich in den Eroberungen, die sie machten, und in der bewundernswürdigen Kriegszucht ihrer Truppen, die zugleich so gut gekleidet und bezahlt würden wie keine Soldaten auf dem Erdboden.

Diese Bemerkungen gaben dem grünen Ritter einen trefflichen Anlaß, sich in Lobeserhebungen über die französische Regierung zu ergießen und sowohl ihre Behandlung der Zivil- als der Militärangelegenheiten zu preisen. Bei dieser Gelegenheit brachte er zugleich verschiedene gehässige Vergleiche zum Nachteil der unsrigen an. Fast jeder von der Gesellschaft schenkte ihm seinen Beifall, und der Doktor gab seinen Aussprüchen dadurch die Sanktion, daß er sagte, die französischen Untertanen wären unstreitig die glücklichsten in der ganzen Welt.

Ich war über die Betörung und Dreistigkeit dieser Leute so erstaunt und betreten, daß ich mich nicht imstande fand, gegen ihre Behauptungen das geringste vorzubringen. Allein mein mürrischer Bundesgenosse vermochte nicht länger die Beschimpfung auszuhalten, die seinem Vaterlande widerfuhr; er wandte sich mit einem satirischen Grinsen an den General und sagte: »Sir, Sir, ich habe immer gehört, das sei ein garstiger Vogel, der sein eigenes Nest besudelt. Was nun jene Leute betrifft, die Ausländer sind, so bekümmre ich mich darum nicht, die wissen es nicht besser. Allein Sie, Sir, der Sie in England geboren und erzogen sind, dem die englische Regierung Brot gibt, Sie sollten mehr Dankbarkeit bezeigen und mehr Rücksicht auf die Wahrheit nehmen, wenn Sie Ihr Vaterland tadeln. Hat das Ministerium es für ratsam gehalten, auf Ihre Dienste zu verzichten, so hat es dazu unstreitig seine Gründe, und Sie sollten sich erinnern, daß Sie noch jetzt von der Gnade dieser Nation leben.

Was jene Herren anbelangt«, fuhr er fort, er bezeichnete dabei den Prinzen und den Gesandten, »die mit unserer Konstitution, unseren Gesetzen und unserem Volkscharakter so frei umspringen, so dächt ich, sollten sie gegen ihre Wohltäter etwas mehr Achtung haben, die, ich gesteh es, bloß darin zu tadeln sind, daß sie solche undankbaren Vagabunden beherbergen und unterstützen.«

Bei diesen Worten sprang der grüne Ritter mit vieler Hitze auf, legte die Hand an den Hirschfänger und rief: »Ah, foutre!« Der Engländer dagegen ergriff sein Rohr und sagte: »Wart, ich will dich befoutern, Bürschchen!«

Die ganze Gesellschaft schlug sich ins Mittel, der Franzose setzte sich wieder nieder, und sein Gegner fuhr so fort: »Sie wissen recht gut, Monsieur, daß, wenn Sie in Paris von Ihrer Staatsverwaltung so frei gesprochen hätten wie hier von der unsrigen, man Sie ohne alle Zeremonie würde nach der Bastille geschickt haben, wo Sie in einem tiefen Kerker hätten verschmachten müssen, ohne je das Licht der Sonne wiederzusehen. Seien Sie aber versichert, Sir, daß, wenngleich unsere Konstitution vor solcher Unterdrückung schützt, es uns doch nicht an Gesetzen fehlt, Leute zu züchtigen, die aufrührerische Reden führen. Hör ich noch eine Silbe aus Ihrem Munde, die diesem Staate zur Verachtung oder zum Nachteil gereicht, so will ich Ihnen augenblicklichen Beweis von meiner Behauptung geben und Sie für Ihre Unverschämtheit einstecken lassen.«

Diese Erklärung bewirkte bei unserer Gesellschaft einen ebenso plötzlichen als erstaunlichen Eindruck. Der junge Prinz ward so demütig wie ein Hühnerhund, der Ambassadeur zitterte, der General saß still und betreten, der Doktor hingegen, der vielleicht die Zuchtrute der Obrigkeit schon gefühlt hatte, ward totenblaß und versicherte uns allen, er sei nicht gesonnen gewesen, irgendeine Person oder irgendein Volk zu beleidigen.

»Ihre Grundsätze, Herr Doktor«, hob der Alte wieder an, »sind hinlänglich bekannt, und ich habe Ihnen darüber nichts zu sagen. Allein es wundert mich nicht wenig, daß ein Mann, der uns so sehr verachtet, nichtsdestoweniger mitten unter uns lebt, da er doch, dem Anschein nach, dazu keine Beweggründe hat. Warum schlagen Sie denn nicht Ihre Wohnung in Ihrem geliebten Frankreich auf, wo Sie in aller Sicherheit über England herziehen können?«

Der Doktor fand es nicht für gut, auf diese Vorstellungen zu antworten, und es erfolgte ein gegen allen gesellschaftlichen Ton verstoßendes Stillschweigen. Wie ich dies wahrnahm, sagte ich, es wäre schade, wenn aus einem leeren Disput, der öfters aus Laune oder der Unterhaltung wegen auf die Bahn gebracht würde, ein Mißverständnis unter feinen und verständigen Leuten entstände. Daher tat ich den Vorschlag, alle Feindseligkeiten in einer Flasche Wein zu ersäufen.

Dieser Einfall ward von der ganzen Gesellschaft gutgeheißen und der Wein gebracht. Nunmehr erklärte Englands Verteidiger, er habe gegen jemanden, der nicht einerlei Meinung mit ihm hege, so wenig Groll wie gegen jemanden, dessen Gesichtsfarbe von der seinigen verschieden sei. Damit trank er auf die Gesundheit aller Anwesenden. Dies Kompliment wurde erwidert und die Unterredung wieder weniger steif, doch allgemeiner als zuvor.

Unter anderen Gegenständen kam auch der Krieg auf das Tapet. Der General hielt mit vieler Beredsamkeit eine lange Lobrede auf denselben. Zur Erläuterung führte er manche von seinen Heldentaten an. Das Wort épaulement kam einige Male darin vor, und der mürrische Herr bat ihn um eine Erklärung desselben.

»Ich will Ihnen sagen, was ein Épaulement ist«, versetzte der General. »Nur ein einziges Mal in meinem Leben habe ich ein Épaulement gesehen, und zwar – bei der Belagerung von Namur. – Monsieur Coehoorn, der berühmte Ingenieur, sagte in einem Kriegsrat, der gehalten wurde, der Platz könne nicht eingenommen werden. ›Doch‹, versetzte der Prinz de Vaudemont, ›mit einem Épaulement läßt es sich bewerkstelligen.‹ Dies ward unmittelbar darauf ausgeführt, und in vierundzwanzig Stunden sah der Marschall de Boufflers sich genötigt zu kapitulieren.« Hier machte der Krieger eine starke Pause, und der alte Herr wiederholte seine Frage: »Aber ich bitte Sie, was ist denn ein Épaulement?«

Der Offizier antwortete darauf nicht, sondern zog die Klingel, forderte seine Rechnung, bezahlte seine Zeche und sagte sodann, er wolle der Gesellschaft zeigen, was ein Épaulement sei, wenn es Seiner Majestät gefallen würde, ihm das Kommando der jetzt außer Landes befindlichen Armee anzuvertrauen. Hierauf schritt er mit vieler Würde fort.

Ich konnte gar nicht begreifen, weshalb dieser Mann so sehr vermieden hatte, eines der einfachsten Kunstwörter aus der Kriegsbaukunst zu erklären, das ich hernach als eine Schulter- oder Brustwehr von Faschinen, Schanzkörben, Sandsäcken, Erde und dergleichen beschrieb. Allein ich stutzte mächtig, als ich später erfuhr, daß diese Weigerung aus Unwissenheit herrühre.

Als wir unsere Rechnung bezahlt hatten, begaben wir uns in das Kaffeezimmer. Mein Mitarbeiter an der Verteidigung meines Vaterlandes drang in mich, mir eine Schale von diesem Getränk vorsetzen zu dürfen. Zugleich gab er mir zu verstehen, ich hätte mich durch meine Grundsätze sowohl als durch meinen Verstand bei ihm in Kredit und Respekt gesetzt. Ich dankte ihm für dieses Kompliment und ersuchte ihn, weil ich hier noch völlig fremd sei, mir doch von dem Stand und dem Charakter der Personen, mit denen wir gespeist hätten, gefälligst Auskunft zu geben.

Dies Ansuchen war eine wirkliche Gunst für einen Mann von seiner Gemütsart, der ebenso gesprächig wie neugierig war. Er willigte also sehr gern in mein Verlangen und eröffnete mir zu meinem Befremden, der vermeinte Prinz wäre ein Tänzer von einem hiesigen Theater und der Abgesandte ein Violinist aus der Oper.

»Der Doktor«, sagte er, »ist ein römisch-katholischer Priester, der unterweilen als Offizier erscheint und sich Herr Hauptmann anreden läßt. Allein gemeiniglich nimmt er den Ton, das Wesen und die Kleidung eines Arztes an. Auf die Art schleicht sich der glattzüngige Bube in das Vertrauen schwachherziger Leute ein und weiß sie durch ebenso scheinbare wie falsche Beweggründe aus ihrer Religion und Untertanenpflicht herauszulocken. Für dergleichen Praktiken ist er denn schon mehr als einmal in den Händen der Obrigkeit gewesen. Allein er ist ein Pfiffikus, der seine Gaunereien so listig einzufädeln weiß, daß er immer mit kurzer Gefangenschaft durchkommt.

Was den General anlangt«, fuhr der alte Herr fort, »so werden Sie leicht eingesehen haben, daß er seine Beförderung mehr der Protektion als seinen Verdiensten zu verdanken hat. Nun, da dem Ministerium die Augen aufgegangen, seine Freunde gestorben sind oder ihren Kredit verloren haben, ist er verabschiedet worden und muß sich mit einer jährlichen Pension behelfen. Diese Entlassung wurmt ihn dermaßen, daß er in allen Gesellschaften gegen die Regierung loszieht. Er tut dies mit so wenig Schonung, daß ich mich wundere, wie man bei seiner Dummdreistigkeit so lange durch die Finger sieht. Doch hat er dies im Grunde nur seiner Einfalt und Unbedeutendheit zu danken. Er hat nicht lange gedient; allein wenn man seinen Worten glaubt, ist seit der Revolution keine große kriegerische Unternehmung ausgeführt worden, woran er nicht den hauptsächlichsten Anteil gehabt hätte. Erzählt man eine Tat von einem großen General, so stellt er sogleich eine ähnliche von sich auf. Doch ist er oft unglücklich in seiner Erfindung und macht in seinen Erzählungen so große Schnitzer, daß einem dabei angst und bange wird. Die Namen Cäsar, Pompejus und Alexander der Große führt er beständig im Munde; und da er viel liest, doch ohne Urteilskraft, folglich nicht verdaut, so sind seine Ideen verworren und seine Reden ebenso unverständlich als weitschweifig. Wenn er einmal ins Schwatzen kommt, so ist an Aufhören gar nicht zu denken, solange noch irgend jemand da ist, der ihm zuhört.

Das einzige Mittel, seinem Wortfluß Einhalt zu tun«, schloß der Erzähler, »ist meines Wissens das, eine Ungereimtheit aufzuhaschen, die ihm entwischt, und sich darüber eine Erörterung auszubitten oder ihn um die Bedeutung irgendeines schweren Kunstausdrucks zu fragen, den er nur dem Namen nach kennt. Die Methode bringt ihn zuverlässig zum Stillschweigen oder gar zur Flucht, wie heute, da ich ihn nach der Bedeutung des Wortes Épaulement fragte. Hätte er sie gewußt, so würde sein Triumphieren darüber unerträglich gewesen sein, und wir hätten entweder das Feld räumen müssen oder würden von ihm halbtot gewindbeutelt worden sein.«

Nachdem der alte Herr auf die Art meine Neugier befriedigt hatte, begann er die seinige durch Fragen zu offenbaren, die mich betrafen. Ich fand es aber für gut, ihm doppelsinnige Antworten zu erteilen.

»Ich glaube, Sir, Sie sind gereist?« hub er nun an. Ich antwortete: »Ja. Sir.«

»Sie werden, denke ich, das Reisen kostspielig gefunden haben?« sagte er.

Ich erwiderte: »Ohne Geld kann man freilich nicht reisen.«

»Das weiß ich aus Erfahrung«, sagte er. »Ich mache alle Sommer einen kleinen Abstecher nach Bath oder Tunbridge, und ich denke, man wird in anderen Ländern unterwegs so tüchtig gerupft wie hier. – Sie haben da einen ganz allerliebsten Stein in Ihrem Ringe. – Erlauben Sie doch, Sir. Das muß man den Franzosen lassen, sie sind sehr geschickt, dergleichen zu verfertigen. – Er sieht beinahe so gut aus wie ein Diamant.«

»Beinahe so gut«, sagte ich, »und warum nicht völlig? Wenn Sie nur irgendein Kenner von edlen Steinen sind, so müssen Sie gleich beim ersten Anblick sehen, daß es ein echter Diamant, und zwar von sehr feinem Wasser ist. Nehmen Sie ihn mal in die Hand und untersuchen Sie ihn genau.«

Der alte Herr tat es und gab ihn mir mit einiger Betroffenheit wieder: »Ich bitte um Verzeihung, Sir, ich sehe, es ist ein echter Brillant von unschätzbarem Wert.«

Ich nahm wahr, daß diese Untersuchung mir bei ihm ein großes Gewicht gab. Um seine Hochachtung noch mehr zu gewinnen, sagte ich, ich wolle ihm ein Petschaft von feiner Arbeit zeigen, das nach einer sehr schätzbaren Antike gestochen sei. Bei diesen Worten zog ich meine goldene Uhr mit einer reichen goldenen Kette hervor, an welcher drei in Gold gefaßte Petschafte und ein Opalring befindlich waren.

Er betrachtete jedes mit vieler Aufmerksamkeit, befaßte die Kette, bewunderte das gravierte Gehäuse und sagte, die Uhr müsse eine riesige Summe gekostet haben. Ich tat sehr gleichgültig und antwortete ganz nachlässig: »Eine Kleinigkeit, sechzig oder siebzig Guineen.«

Der alte Herr, der mich eine Zeitlang angestarrt hatte, fragte: »Sind Sie ein Engländer?«

Ich antwortete verneinend.

»Also vermutlich ein Irländer?« sagte er.

Ich verneinte wieder.

Der alte Herr: »Ah! Aus einer unserer Kolonien vielleicht?«

»Nein, Sir«, gab ich zur Antwort.

Der alte Herr, der sehr erstaunt schien: »Nun, ein Ausländer sind Sie nicht, davon bin ich überzeugt.«

Ich gab ihm hierauf keine Antwort, sondern ließ ihn in der peinlichsten Ungewißheit schweben. Er konnte seine ängstliche Ungeduld nicht verbergen, doch bat er mich wegen der Freiheit, die er sich genommen habe, um Verzeihung und legte mir seine Umstände haarklein ohne allen Hehl vor Augen, um mich desto eher zu veranlassen, ihm die meinigen zu entdecken.

»Ich bin«, sagte er, »ein Junggeselle, lebe von einer beträchtlichen Leibrente ganz nach meinem Geschmack und richte mich so ein, daß ich immer von einem Jahr zum andern auskomme. Da ich einmal kein großes Vermögen hinterlasse, werde ich weder von der beschwerlichen Dienstfertigkeit meiner Verwandten noch anderer Erbschleicher geplackt. Ich sehe die Welt so an, als ob sie für mich geschaffen wäre, nicht ich für sie. Mein Grundsatz ist, sie zu brauchen, solange ich kann; die nachkommen, mögen für sich selbst sorgen.«

Indes er so seiner Schwatzhaftigkeit die Zügel schießen ließ und von mir ohne Zweifel ein Gleiches erwartete, trat ein junger Mann in schwarzem Samtrock und einer ungeheuren Allongeperücke ins Zimmer. Natürlicher Leichtsinn und affektierte Feierlichkeit durchkreuzten sich in seinem Wesen dermaßen, daß er die burleskeste Figur vorstellte. Diese possierliche Satire auf das Dekorum tänzelte auf den Tisch los, an dem wir saßen, und fragte nach tausenderlei Grimassen meinen neuen Bekannten unter dem Namen Mister Medlar, ob wir wichtige Dinge miteinander abzumachen hätten. Dieser nahm eine finstere Miene an und sagte: »Das nun gerade nicht, Doktor, indes . . .« – »Oh, dann«, rief der Arzt, »muß ich Sie um Verzeihung bitten, wenn ich Sie auf einige Augenblicke unterbreche. – Nehmen Sie's doch ja nicht übel. Mein Herr«, fuhr er darauf fort und wandte sich zu mir, »ich bin Ihr ganz ergebenster Diener. Ich hoffe, Sie werden mir verzeihen – ich muß Sie um Erlaubnis bitten, mich setzen zu dürfen – und dem Herrn da, meinem Freunde, etwas Wichtiges zu sagen. Ich hoffe, Sie werden mich entschuldigen, Sir, wenn ich leise mit ihm spreche?« Ehe ich diesem höflichen Mann meine Einwilligung geben konnte, rief Medlar: »Ich will nichts Geflüstertes wissen. Haben Sie mir was zu sagen, so reden Sie ganz laut und frei.«

Der Doktor schien durch diesen Zuruf etwas außer Fassung zu kommen.

Er wandte sich zu mir und machte tausend Entschuldigungen, daß er mir irgend woraus habe ein Geheimnis machen wollen. Dies käme, versicherte er, bloß daher, daß er nicht gewußt hätte, auf welch einem vertrauten Fuß ich mit Mister Medlar stünde. Nun ihm aber bekannt sei, daß wir Freunde wären, wolle er, was er ihm mitzuteilen habe, so sagen, daß ich es hören könne.

Nach zwei oder drei »Hems« begann er folgendermaßen: »Sie müssen wissen, Sir, ich komme eben vom Diner der Mylady Flareit, einem Frauenzimmer von Stande, Sir« – dabei wandte er sich an mich –, »an deren Tafel ich unterweilen die Ehre habe zu speisen. Da waren Lady Stately und Mylady Larum und Mistreß Dainty und Miß Byddy Gigler, auf mein Wort, Sir, ein Frauenzimmer von recht gutem Herzen und einem artigen Vermögen. Da waren auch Mylord Straddle, Sir John Shrug und Master Billy Chatter, ein recht aufgeweckter junger Herr. Mylady sah, daß ich außerordentlich ermüdet war, denn sie war die letzte von fünfzehn Patienten – lauter Personen von Stande, Sir, die ich heute vormittag besucht hatte. Daher bestand sie darauf, ich solle zu Mittag dableiben. Nun beteuerte ich zwar auf Ehre, ganz und gar keinen Appetit zu haben; inzwischen setzte ich mich doch, um den Befehlen der Lady gehorsam zu sein, mit zur Tafel, Sir. Das Gespräch wandte sich auf verschiedene Gegenstände. Unter anderem erkundigte sich Mister Chatter recht ernstlich, wann ich Mister Medlar gesehen habe. Das Vergnügen, versetzte ich, hätte ich seit neunzehn und einer halben Stunde nicht gehabt. Sie werden sich erinnern, Sir, daß es ungefähr so lange her ist, die Minuten kann ich nicht genau bestimmen. ›Nicht?‹ gab er zur Antwort, ›nun, so wünscht ich, daß Sie unmittelbar nach dem Essen zu ihm gingen und sähen, was er macht. Er muß gewiß recht krank sein, weil er gestern abend so ungeheuer viel rohe Austern gegessen hat.‹«

Der alte Brummbär, der sich nach dem feierlichen Anfange etwas Außerordentliches versprochen hatte, hörte kaum diesen Schluß, so sprang er ganz mürrisch auf und sagte: »Je, so hol Sie der Kuckuck mit Ihren Austern.« Darauf ging er fort, nachdem er von mir ganz kurz mit einem »Ihr Diener, Sir!« Abschied genommen hatte.

Der Doktor stand gleichfalls auf und sagte: »Ich schwöre und beteuere Ihnen bei meiner Ehre, ich bin wirklich sehr erstaunt!« Damit folgte er Medlar bis zum Zahlstübchen, das dicht daneben war. Indem dieser seine Portion Kaffee bezahlte, flüsterte ihm jener so laut zu, daß ich es hören konnte: »Ich bitte, sagen Sie mir doch, wer ist der Herr?« – »Das würd ich vielleicht herausgebracht haben«, antwortete sein Freund hastig, »wenn Sie sich nicht so unverschämt unter uns gemengt hätten.« Mit diesen Worten ging er sehr unzufrieden fort.

Der zeremonienreiche Arzt kam gleich darauf zurück; er setzte sich wieder zu mir, bat tausendmal um Verzeihung, daß er mich allein gelassen habe, und gab mir zu verstehen, was er Medlar in jenem Zimmer mitgeteilt habe, wäre eine Sache von der äußersten Wichtigkeit gewesen, die sich nicht länger habe wollen aufschieben lassen. Sodann ließ er sich Kaffee geben und brach in Lobeserhebungen über die Tugenden dieser Pflanze aus, von der er versicherte, daß sie bei kalten, phlegmatischen Temperamenten, wie dem seinigen, die überflüssige Feuchtigkeit austrockne und die abgespannten Nerven stärke. Darauf belehrte er mich, diese Frucht sei den Alten unbekannt gewesen und leite ihren Namen von einem arabischen Worte her, wie ich am Schall und an der Endung würde leicht wahrnehmen können.

Von diesem Gegenstand kam er auf eine Untersuchung des Wortes ›trinken‹. Man könne es, behauptete er, nur sehr mangelhaft beim Genuß des Kaffees brauchen. Denn die Leute tränken ihn nicht, sondern schlürften ihn. Die wahre Bedeutung von Trinken wäre die, seinen Durst löschen oder viel Wein zu sich zu nehmen. Das lateinische Wort, das ebendiesen Begriff ausdrücke, wäre bibere oder potare und das griechische pínein oder poteein, wiewohl er geneigt sei zu glauben, daß beide bei verschiedenen Gelegenheiten wären verschieden gebraucht worden. Zum Beispiel einen Ozean oder, wie man vulgo zu reden pflege, ein großes Quantum starken Getränks zu sich zu nehmen hieße im Lateinischen potare und im Griechischen poteein, hingegen dasselbe mäßig gebrauchen durch bibere und pínein bezeichnet werde. Diese Vermutung gehöre einzig und allein ihm zu. Indessen schiene sie ihm durch das Wort bibulus unterstützt zu werden. Dies werde besonders den Schweißlöchern der Haut beigelegt, die, wegen ihres kleinen Durchmessers, nur ein geringes Quantum der umliegenden Feuchtigkeiten einsaugen könnten. Dahingegen von dem Worte poteein das Substantivum potamos käme, das einen Fluß oder eine Menge Flüssigkeit bedeute.

Ich konnte mich über diese gelehrte und wichtige Untersuchung des Lächelns nicht enthalten. Um mich bei meinem neuen Bekannten, dessen Charakter ich bereits ganz weg hatte, in einem desto besseren Lichte zu zeigen, bemerkte ich, daß, soviel ich mich erinnerte, das, was er anführte, sich nicht in den Schriften der Alten befände. Das Zeitwort poteein hätte ich überdies nie gehört. »Hingegen bedient sich Horaz«, fuhr ich fort, »der Wörter poto und bibo in der zwanzigsten Ode seines ersten Buches ohne Unterschied:

›Vile potabis modicis Sabinum.‹

Und in der letzten Strophe:

›Caecubum, et prelo domitam Caleno
tu bibes uvam.‹

Und Anakreon erwähnt das Wort bei der gleichen Gelegenheit beinahe auf jeder Seite.« – Der Doktor, der mir durch seine Kritik zweifellos eine hohe Meinung von seiner Gelehrsamkeit beibringen wollte, war unendlich überrascht, daß er selbst belehrt wurde, und noch dazu von einem meinesgleichen. Nach einer beträchtlichen Gesprächspause rief er endlich: »Auf mein Wort! Sie haben recht, Herr. Ich gestehe, daß ich diese Angelegenheit nicht mit meiner üblichen Genauigkeit betrachtet habe.« Dann redete er mich in recht gutem Latein an.

Wir setzten unsere Unterredung über mancherlei Gegenstände in dieser Sprache zwei volle Stunden lang fort. Er äußerte sich in der Tat so einsichtsvoll, daß ich, trotz seines wunderlichen Anzuges und seiner Kleinigkeitskrämerei, gestehen mußte, er sei ein Mann von ausnehmenden Kenntnissen und habe besonders viel Literatur studiert. Er seinesteils sah mich, wie ich nachher von Medlar erfuhr, für ein Wunder von Gelehrsamkeit an und tat mir den Vorschlag, mich noch denselben Abend, wenn ich nicht bereits versagt wäre, in die Gesellschaft verschiedener junger Herren von Vermögen und gutem Ton einzuführen, mit denen er im Bedford-Kaffeehaus zusammenzukommen verabredet wäre. Ich ließ mir diesen Vorschlag recht gern gefallen, und wir begaben uns in einer Lohnkutsche dahin.


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