Tobias Smollett
Die Abenteuer des Roderick Random
Tobias Smollett

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Fünfunddreißigstes Kapitel

Der Admiral behält mich in Westindien und setzt mich als zweiten Unterchirurgus auf einer Kriegsschaluppe ein. Zu meinem höchsten Verdruß wird Crampley auf diesem Schiff Leutnant. Wir laufen aufs Kreuzen aus und machen eine Prise, mit der ich unter dem Kommando meines bisherigen Tischgenossen nach Port Morant gehe

 

Er war im Begriff, in seiner Lobrede auf den Kapitän fortzufahren, als ich den Befehl erhielt, mich sauber anzukleiden und in die große Kajüte zu kommen. Diese Aufforderung erfüllte ich sogleich, nachdem ich mich zuvor mit Rosenwasser aus dem Arzneikasten wohlriechend gemacht hatte.

Wie ich ins Zimmer hineintrat, gebot man mir, an der Tür stehenzubleiben, bis Kapitän Whiffle mich von ferne durch sein Augenglas untersucht hätte. Als er auf die Art einen seiner Sinne über meine Person zu Rate gezogen hatte, hieß er mich allmählich näher kommen, damit seine Nase Kundschaft einziehen könne, ehe sie beleidigt würde. Daher nahte ich mich ihm mit großer Vorsicht. Er geruhte darauf zu sagen: »Nun, die Kreatur ist ganz erträglich.«

Ich fand ihn nachlässig auf seinem Lager hingeworfen; sein Wesen war schmachtend; den Kopf stützte ihm sein Kammerdiener, der ihm von Zeit zu Zeit ein Riechbüchschen vorhielt.

»Vergette«, sagte er in einem quäkenden Tone, »glaubt Ihr, daß der Mensch dort« (er zeigte auf mich) »mir keinen Schaden tun wird? Kann ich es wohl wagen, ihm meinen Arm anzuvertrauen?«

»Auf mein Wort«, versicherte der Kammerdiener, »ich halte es für sehr gut, daß sich Euer Gnaden ein wenig Blut abzapfen lassen; und der junge Mann scheint quelque chose de bonne mine zu haben.«

Kapitän: »Nun wohlan, so werd ich es schon riskieren müssen.« (Sich zu mir wendend:) »Hast du jemals etwas anderm als Vieh zur Ader gelassen? Allein ich brauche nicht zu fragen, du wirst mir doch eine verdammte Lüge vorschwatzen.«

Ich (indem ich ihm den Handschuh abziehe, um ihm an den Puls zu fühlen): »Vieh, Sir? Damit habe ich nie was zu schaffen gehabt.«

»Was zum Teufel machst du da? Willst du mir die Hand ausdrehen? Der Arm ist mir, bei Gott, bis zur Schulter ganz gelähmt. Der Himmel erbarme sich meiner! Muß ich denn unter den Händen der Wilden umkommen? Oh, ich unglückliches Geschöpf, daß ich nicht meinen Wundarzt, Mister Simper, gleich mit an Bord gebracht habe!«

Ich bat ihn gar demütig um Verzeihung, daß ich ihn so rauh behandelt hätte. Sodann band ich mit äußerster Sorgfalt und Schonung seinen Arm mit einer seidenen Binde. Wie ich nach der Ader fühlte, fragte er mich, wieviel Blut ich ihm abzulassen gedächte. – »Nicht über zwölf Unzen«, versetzte ich.

Mit dem Blick des Entsetzens sprang der neue Kommandeur jetzt auf, hieß mich meiner Wege gehen und beteuerte hoch und heilig, ich habe einen Anschlag gegen sein Leben. Vergette konnte ihn nur mit vieler Mühe besänftigen. Darauf öffnete er einen Schreibtisch, nahm ein paar Waagschalen heraus, in deren einer ein ganz kleines Einsatzgewicht lag. Er gab mir dasselbe in die Hand und sagte, sein Herr hätte sich nie mehr als eine Unze und drei Drachmen abzapfen lassen.

Indem ich zu dieser beträchtlichen Ausleerung Anstalten traf, trat ein junger, prächtig gekleideter Mann in die Kajüte. Er schien von sehr schwächlicher Leibesbeschaffenheit, auf seinem Gesicht zeigte sich ein schmachtendes Lächeln, das ihm durch das lange Erkünsteln zur Gewohnheit geworden zu sein schien.

Kaum ward der Kapitän seiner ansichtig, so sprang er hastig auf, flog ihm in die Arme und rief: »Ah, mein bester Simper, man hat mir außerordentlich viel Verdruß gemacht. Durch die Nachlässigkeit meiner Bedienten bin ich verraten, in Angst und Schrecken gesetzt, bei einem Haar umgebracht worden. Sie haben zugegeben, daß ein Vieh, ein Maulesel, ein Bär mich überfallen und mir durch seinen Tabaksqualm die stärksten Konvulsionen zugezogen hat.«

Simper, der, wie ich fand, sein Gesicht durch Puder und Schminke verfeinerte, nahm ein liebreiches und teilnehmendes Wesen an. Unter vielen zärtlichen Äußerungen der Betrübnis klagte er über den traurigen Vorfall, der seinen Gönner in einen solchen Zustand versetzt habe. Darauf fühlte er durch den Handschuh den Puls des Patienten und fällte über die Krankheit das Urteil, es sei bloß ein Nervenzufall; einige Tropfen Bibergeil und flüssiges Laudanum würden daher bessere Dienste tun als ein Aderlaß und die Wallungen des Blutes und die Gärung der Galle stillen. Sonach wurde ich fortgeschickt, um diese Medizin zu machen. Sie wurde in einem Glase Sektmolken eingenommen. Darauf brachte man den Kapitän zu Bett und erteilte allen Offizieren Befehl, nach der Seite, wo der Patient lag, niemanden hingehen zu lassen.

Indes Whiffle der Ruhe pflegte, wachte der Doktor bei ihm. Dieser ward jenem wirklich so notwendig, daß für ihn hart neben dem Staatszimmer, wo der Kapitän schlief, eine Kajüte gebaut werden mußte, damit er gleich bei der Hand wäre, im Fall letzterem in der Nacht etwas zustieße.

Den folgenden Tag gab unser Kommandeur, der glücklich wiederhergestellt war, den Befehl, daß keiner von den Leutnanten sich ohne Perücke, Degen und Manschetten auf dem Deck solle sehen lassen, auch kein Kadett oder einer von den Unteroffizieren sich in Kommißhemden oder schmutziger Wäsche zeigen. Zugleich verbot er, Simper und seine Bedienten ausgenommen, jedwedem, in seine Kajüte zu kommen, wenn er nicht zuvor um Erlaubnis angefragt hätte. Diese sonderbaren Verordnungen nahmen das Schiffsvolk nicht für ihn ein, vielmehr gaben sie ihm Anlaß, gar arg mit seinem guten Namen umzuspringen und ihn zu beschuldigen, er stände mit dem Oberwundarzt in einem Verhältnis, über das ich mich nicht schicklich näher erklären kann.

In wenigen Wochen war unser Schiff segelfertig, und ich machte mir schon Hoffnung, in sehr kurzem mein Vaterland wiederzusehen, als der Oberwundarzt des Admiralsschiffes an Bord kam, Morgan und mich auf das Achterdeck kommen ließ und uns sagte, es wäre in Westindien ein solcher Mangel an Wundärzten, daß er Vollmacht habe, aus jedem Schiff, das nach England ginge, einen Unterchirurgen zurückzubehalten. Den folgenden Tag um ebendie Zeit, schloß er, müßten wir es untereinander abgemacht haben, wer von uns bleiben wolle.

Wir waren von diesem Antrage wie vom Donner gerührt und starrten einander eine Zeitlang sprachlos an. Endlich brach der Waliser das Stillschweigen und erbot sich, in Westindien zu bleiben, wenn ihn der Admiral sogleich zum Oberwundarzt ernennen wollte. Allein er bekam zur Antwort, an diesen Leuten wäre kein Mangel, und er müsse sich so lange mit einer Unterchirurgenstelle behelfen, bis ihn die Reihe träfe und er befördert werden könne.

Morgan weigerte sich nun geradezu, das Schiff zu verlassen, für das die Marinekommissäre ihn bestimmt hätten; allein der andere erklärte mit ebenso dürren Worten, wenn wir uns bis morgen nicht darüber verglichen hätten, so müßte das Los darüber entscheiden und wir mit diesem Ausspruche zufrieden sein.

Ich rief nun alles Ungemach in mein Gedächtnis zurück, das ich in England ausgestanden hatte, wo ich keinen einzigen Freund besaß, der sich meiner angenommen und für meine Beförderung gearbeitet hätte. Zugleich überlegte ich, wie groß der Mangel an Wundärzten in diesen Gegenden sei und wie deren Anzahl durch das höchst ungesunde Klima hinschmelze. Auf die Art fand ich es viel wahrscheinlicher, sicherer und schneller befördert zu werden, wenn ich blieb, wo ich war, als wenn ich nach Europa zurückkehrte. Daher beschloß ich, mich gutwillig dazu zu verstehen. Als wir den folgenden Tag wegen unseres Dableibens würfeln sollten, sagte ich zu Morgan, er möchte nur ganz ruhig sein, ich unterwürfe mich aus freien Stücken dem Befehl des Admirals.

Der Oberwundarzt des Admiralsschiffes nahm diese Erklärung sehr gut auf und versicherte mir, diese Entsagung solle mich nicht reuen. Er hielt auch pünktlich Wort, und ich bekam noch denselben Nachmittag die Bestallung als Unterchirurgus auf der Kriegsschaluppe ›Eidechse‹. Ich stand nunmehr so hoch im Range wie der erste Unterchirurgus auf jedem Kriegsschiff.

Als ich meine Ausfertigung hatte, brachte ich meinen Kasten und mein Bettzeug an Bord eines Kahns, der neben unserem Schiff lag. Darauf schüttelte ich meinem treuen Freunde, dem Sergeanten, und dem wackern Jack Rattlin, der für das Hospital zu Greenwich bestimmt war, die Hand und nahm mit Tränen von Morgan Abschied, nachdem wir unsere Manschettenknöpfe zum gegenseitigen Andenken aneinander vertauscht hatten.

Ich legte jetzt dem Kapitän der ›Eidechse‹ meine Bestallung vor und erkundigte mich sodann nach dem Doktor. Kaum wurde ich seiner ansichtig, so erinnerte ich mich, daß er einer von den jungen Leuten war, mit denen ich wegen des nächtlichen Jubels auf der Wache gesessen hatte, wobei Jackson den Anführer abgab, wie ich bereits vorher erzählt habe.

Er empfing mich ganz höflich, und wie ich ihm unsere alte Bekanntschaft zu Gemüte führte, äußerte er große Freude, mich wiederzusehen, und verhalf mir durch seine Empfehlung zu einer ausnehmend guten Tischgesellschaft, die aus dem Kanonier und dem Steuermann bestand.

Da keine Kranken an Bord waren, so erhielt ich die Erlaubnis, den folgenden Tag mit dem Kanonier an Land zu gehen. Er empfahl mir einen Juden, der meine Bestallung mit vierzig Prozent Abzug kaufte. Ich verschaffte mir für das erhaltene Geld alle die Notwendigkeiten, die mir fehlten, und kam gegen Abend an Bord zurück. Hier fand ich zu meiner größten Befremdung meinen alten Gegner Crampley auf dem Deck herumspazieren. Wiewohl ich mich vor seiner Feindschaft nicht fürchtete, so fiel mir sein Anblick doch auf. Ich entdeckte dem Oberchirurgus, der Tomlins hieß, meine Gedanken hierüber.

Dieser Mann erzählte mir, Crampley habe es durch einige eifrige Freunde beim Admiral dahin gebracht, daß er zum Leutnant auf unserer Schaluppe ernannt worden wäre. Zugleich riet er mir, ihm jetzt, da er mein Vorgesetzter sei, mit einiger Ehrerbietung zu begegnen, weil er sonst tausenderlei Gelegenheiten finden könnte, mir übel mitzuspielen.

Dieser Rat wollte mir gar nicht hinunter; der Trank war zu bitter; Stolz und Rachsucht machten es mir ganz unmöglich, dem Elenden, der mir bei manchen Gelegenheiten so unmenschlich begegnet war, die geringste Unterwürfigkeit zu bezeigen oder mich gar mit ihm auszusöhnen. Ich beschloß daher, ihm so sehr als nur immer möglich auszuweichen und mich bei den übrigen Offizieren, sosehr es nur tunlich wäre, in Gunst zu setzen, um in deren Freundschaft ein Bollwerk gegen die Angriffe seiner Bosheit zu finden.

In weniger als einer Woche gingen wir aufs Kreuzen aus. Als wir die Ostseite der Insel umschifften, hatten wir das Glück, einen spanischen Küstenklipper mit seiner Prise wegzunehmen. Letztere bestand aus einem englischen, nach Bristol bestimmten Schiff, das vierzehn Tage zuvor ohne Geleit nach Jamaika ausgesegelt war. Alle Gefangenen, die sich wohlauf befanden, setzte man auf der Nordseite des Eilandes aus. Die Prisen wurden mit Engländern bemannt. Das Kommando über den Küstenklipper erhielt mein Freund, der Steuermann, mit dem Befehl, ihn nach Port Morant zu bringen. Dort sollte er so lange bleiben, bis die ›Eidechse‹ ihr Kreuzen geendigt habe und ihn auf dem Wege nach Port Royal abholen würde.

Ich wurde mitgeschickt, um sowohl die verwundeten Spanier als Engländer, deren Anzahl sich auf vierzehn belief, zu pflegen und auch an Land für sie zu sorgen, wo zu diesem Behuf ein Haus als Hospital sollte gemietet werden. Diese Bestimmung machte mir viel Vergnügen, weil ich mich dadurch auf einige Zeit von Crampleys Übermut befreit fand, dessen eingewurzelter Groll gegen mich schon zwei- oder dreimal, seitdem er den Leutnantsposten bekleidete, ausgebrochen war.

Der Steuermann, der in der Gestalt sowohl als in der Gemütsart viel Ähnliches mit meinem Oheim hatte, begegnete mir unterwegs äußerst höflich und vertraulich. Unter anderen Artigkeiten, die er mir erwies, machte er mir einen Hirschfänger mit einem silbernen Griff zum Geschenk sowie ein Paar Pistolen, mit ebendem Metall ausgelegt, die unter der feindlichen Beute auf sein Teil gefallen waren.

Wir liefen wohlbehalten zu Morant ein, gingen an Land und mieteten ein lediges Provianthaus für die Verwundeten. Diese wurden den folgenden Tag mit Betten und anderen Notwendigkeiten dort hingeschafft; und vier von dem Schiffsvolk bekamen Befehl, diese Leute zu warten und mir in allen Stücken, wie ich es verlangte, an die Hand zu gehen.


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