Tobias Smollett
Die Abenteuer des Roderick Random
Tobias Smollett

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Vierzigstes Kapitel

Ein Ungefähr entdeckt meine Kenntnisse und setzt mich bei meinen Gebieterinnen noch mehr in Gunst. Wider meinen Willen mache ich ein paar Eroberungen und veranlasse Eifersuchtsszenen

 

In dieser Periode der Liebe und Ruhe erwachte meine Muse, die so lange geschlummert hatte, und brachte einige kleine Aufsätze hervor, die den Gegenstand meiner Liebe betrafen. Doch mir war sehr daran gelegen, daß meine jetzigen Gesinnungen und Empfindungen unentdeckt blieben. Demnach sah ich mich genötigt, meinen Ehrgeiz zu unterdrücken und mich damit zu begnügen, meine Arbeiten selbst durchzulesen und ihnen Beifall zuzurufen.

Inzwischen ging mein Bestreben dahin, mich bei den Damen, denen ich aufwartete, in Gunst zu setzen. Durch meinen Diensteifer und mein immer pflichttreues Benehmen brachte ich es dahin, daß ich in kurzem der Liebling unter ihrer Hausgenossenschaft ward. Ja, ich hatte mehrmals das Vergnügen, zu hören, daß der teure Gegenstand aller meiner Wünsche öfters in französischer oder italienischer Sprache mit einiger Wärme und Erstaunen von mir sprach, als von einer Person, die in ihrem Wesen und in ihren Reden so viel von einem Mann aus rechtlicher Familie hätte, daß sie mir unmöglich wie einem gewöhnlichen Domestiken begegnen könne.

Gegen solche unwiderstehliche Komplimente hielten meine Klugheit und Bescheidenheit nicht lange stand. Eines Tages, als ich bei Tisch aufwartete, fiel die Unterredung auf eine schwierige Stelle in Tassos ›Befreitem Jerusalem‹. Sie schienen beide nicht damit zu Rande kommen zu können.

Nach manchen unbefriedigenden Deutungen nahm meine Herrschaft das Buch aus der Tasche, schlug die strittige Stelle auf und las sie nochmals durch, doch ohne Erfolg. Da sie endlich die Hoffnung aufgab, den Sinn des Dichters herauszufinden, so sagte sie: »Komm her, Bruno, laß uns sehen, was das Glück für uns tun wird. Ich will dir die Zeilen vor und nach der Stelle übersetzen und dann dir diese selbst erklären, damit du durch die Übersicht des Ganzen den Sinn der Strophe Wort für Wort herausbringst, die uns so viel zu schaffen macht.«

Ich war zu eitel, um eine so bequeme Gelegenheit, meine Talente an den Tag zu legen, entschlüpfen zu lassen; sonach las und übersetzte ich die Stelle, die ihnen so viel zu schaffen gemacht hatte, zum äußersten Erstaunen beider Frauenzimmer. Narzissas liebenswürdigem Gesicht und Halse flog eine leichte Röte an, die ich für ein gutes Zeichen hielt. Ihre Tante starrte mich eine gute Weile voller Bestürzung an und rief darauf: »Um des Himmels willen, wer bist du?« Ich sagte ihr, ich hätte auf einer Reise einige wenige Brocken Italienisch aufgeschnappt, die nicht der Rede wert wären.

Über diese Erklärung schüttelte sie den Kopf und sagte: »Bei einer nur oberflächlichen Kenntnis dieser Sprache könntest du durchaus nicht so vom Blatte weg lesen. Verstehst du Französisch?«

Auf diese Frage antwortete ich bejahend. Sie fragte, ob ich auch Latein und Griechisch könnte. Ich erwiderte: »Ein wenig.« – »Oho«, fuhr sie fort, »und Philosophie und Mathematik vermutlich auch?« Ich gab zu, daß ich von allem etwas verstand.

Nun begann sie mich von neuem anzustarren und zu befragen. Jetzt reute mich meine Eitelkeit, und, um meinen Fehler wieder gutzumachen, sagte ich, man dürfe sich nicht wundern, daß ich eine leidliche Erziehung bekommen hätte, denn der Unterricht in meinem Vaterlande sei so spottwohlfeil, daß jeder Bauer ein Gelehrter werde. »Indessen«, war der Schluß meiner Rede, »hoff ich, Ihro Gnaden werden überzeugt sein, daß mein bißchen Kopf keinen üblen Einfluß auf meinen Charakter gehabt hat.« – »Gott behüte!« gefiel ihr, darauf zu antworten. Gleichwohl war sie samt der Nichte während der übrigen Zeit, die sie noch aßen, sehr zurückhaltend.

Diese Veränderung beunruhigte mich, und ich brachte die Nacht ohne Schlaf zu. Ich stellte schwermütige Betrachtungen über die Eitelkeit junger Leute an, die sie zu so manchen törichten Handlungen verleitet, welche ihr eigenes Nachdenken hinterher verwirft. Statt aber diese Selbstverdammung zu nutzen, folgte ich nichtsdestoweniger schon am nächsten Tag den Eingebungen der Leidenschaft, die ich zu dämpfen mir vorgenommen hatte; und wäre mir das Glück nicht günstiger gewesen, als die Klugheit es erwarten konnte, so würde ich mit der verdienten Verachtung behandelt worden sein.

Nach dem Frühstück befahl mir meine Gebieterin, die in vollem Sinne des Wortes Schriftstellerin war, ihr in ihr Studierzimmer zu folgen. Dort ließ sie sich folgendergestalt gegen mich aus: »Da du so gelehrt bist, kann es dir auch nicht an Geschmack gebrechen; deshalb will ich deine Meinung über einen kleinen poetischen Aufsatz hören, den ich jüngsthin verfertigt habe. Du mußt wissen, ich habe den Plan zu einer Tragödie entworfen, deren Katastrophe darin besteht, daß ein Fürst vor dem Altar, mitten in seinen frommen Herzensergüssen, meuchlings umgebracht wird. Wenn die Tat vollendet ist, hält der Königsmörder, mit dem blutigen Dolch in der Hand, eine Rede an das Volk. Ich habe diese bereits ausgearbeitet, und sie ist, meines Dafürhaltens, außerordentlich im Charakter. Hier ist sie.«

Darauf ergriff die Miß ein Blatt Papier und las mit heftigem Affekt in Ton und Gebärden folgendes ab:

»Ich habe so den König stracks zur Höll
Hinabgedolcht, daß ihm nicht Leichentuch,
Nicht Sarg noch eine Sterbeglocke ward.
Was kümmern alle die Gesetze mich?
Nach meinem eignen Beifall gier ich nur.
Verrat, Raub, Notzucht hagen mir allein,
Und Menschenmord tut meinem Auge wohl.
Den Vater zerr ich bei dem Silberhaar;
Das Kindlein zappelnd schwenk ich auf dem Spieß;
Der liebevollen Mutter Mordio-
Geschrei – ha! das erquickt mein lüstern Ohr.
Ich fechte, siege, würge Freund und Feind,
Und selbst kein Gott darf hemmen meine Wut.«

Wiewohl ich meiner Einsicht große Gewalt antun mußte, um diese unnatürliche Tirade zu loben, so erhob ich, dessenungeachtet, diese als ein Produkt, das unsterblichen Ruhm verdiente. Zugleich drang ich in Ihre Gnaden, die Welt mit den Früchten der ungewöhnlichen Talente zu beglücken, womit der Himmel sie bei ihrer Geburt ausgestattet habe.

Sie lächelte mit Selbstgefälligkeit, und aufgemuntert durch den Weihrauch, den man ihr dargebracht hatte, teilte sie mir alle ihre poetischen Aufsätze mit. Ich gab allem und jedem, doch so wenig aufrichtig wie das erstemal, meinen Beifall. Gesättigt von meinen Schmeicheleien – die man unter meinen Umständen hoffentlich entschuldigen wird –, mußte sie billigerweise mir eine Gelegenheit geben, mich nun meinerseits sehen zu lassen. Daher machte sie nach einem Kompliment auf meine scharfe Urteilskraft und meinen feinen Geschmack die Anmerkung, ich müßte ohne allen Zweifel auch etwas im Fache der Dichtkunst geleistet haben, und sie wünschte, daß ich ihr dies mitteilte.

Einer solchen Versuchung konnte ich nicht widerstehen; mithin eröffnete ich ihr, ich habe noch auf der Schule einige kleine Gedichte auf Verlangen eines Freundes verfertigt, der verliebt gewesen sei. Auf ihr Begehren deklamierte ich sodann folgende Verse, die mir eigentlich meine Liebe für Narzissa eingegeben hatte.

›An Celien, als sie das Klavier spielte und dazu sang

Schlug Sappho einst das Saitenspiel,
Dann war die ganze Brust Gefühl;
Und traf ihr süßes Lied das Ohr,
Dann flog die Seele hoch empor.

Doch wenn sie ganz dir, Holde, gleich,
An Grazie wie du so reich,
Mit Recht die Myrt in ihrem Haar,
In ihren Augen Unschuld war:

Dann blieb sie frei von Gram und Schmerz,
Verzweiflung brach ihr nicht das Herz:
Dann ward genähret ihre Glut
Und nicht ihr Grab des Meeres Flut.‹

Meine Gebieterin machte mir ein frostiges Kompliment über meine Dichtkunst, die, wie sie mir sagte, ganz nett sei, allein der Gegenstand wäre tief unter dem Gesichtskreise eines wahren Dichters. Ihre Gleichgültigkeit verdroß mich, und ich sah Narzissa, die erst kürzlich gekommen war, an, um ihren Beifall einzuernten. Sie aber weigerte sich, ihre Meinung darüber zu sagen, unter dem Vorwande, sie sei über dergleichen kein kompetenter Richter. Ich war daher genötigt, mich fortzubegeben, in meinen Erwartungen, die in der Tat zu feurig waren, sehr getäuscht.

Am Nachmittag versicherte mir jedoch das Kammermädchen, Narzissa habe mit großer Wärme viel Gutes von meiner Arbeit gesagt, auch ihr befohlen, ihr davon, als wenn es für sie wäre, eine Abschrift zu verschaffen, um sie mit aller Muße durchlesen zu können. Diese Nachricht verzückte mich beinahe bis in den siebenten Himmel. Ich verfertigte sogleich eine schöne Kopie von meinem Gedicht und legte noch ein anderes folgenden Inhalts bei:

›Nun, Amor, kenn ich deinen Schmerz,
Von dir getroffen, flammt mein Herz;
Und ach! ganz endlos wird die Pein,
Die mir dein Pfeil geschaffen, sein.

Die Holde, die ich liebe, kennt
Das nicht, was mir im Herzen brennt;
Denn nimmer, nimmer tut mein Mund,
Was ich für sie empfinde, kund.

Ich seufze – und sie weiß es nicht,
Daß bald das matte Herz mir bricht.
Auch selber dann, wenn es schon brach,
Weint sie mir keine Träne nach.‹

Ob Narzissa meine Leidenschaft entdeckt hatte oder nicht, konnte ich aus ihrem Benehmen nicht schließen; denn wiewohl sie sich immer sehr liebreich gegen mich erwies, so war sie doch seit der Zeit zurückhaltender und weniger freundlich gegen mich. Indem sich so meine Pläne in eine Sphäre verstiegen, die so fern von mir lag, hatte ich ohne mein Wissen an der Köchin und der Milchmagd Eroberungen gemacht. Beide wurden aufeinander so eifersüchtig, daß, wenn ihre Empfindungen durch die Erziehung einen gewissen Schwung gehabt hätten, eine oder die andere vermutlich zu Gift und Dolch ihre Zuflucht würde genommen haben, um sich an ihrer Nebenbuhlerin zu rächen. Allein zum Glück paßte ihre Denkart zu ihrem niedrigen Stande, und ihre gegenseitige Feindschaft ließ es bei Wort- und Faustbalgereien bewenden, in welchen Künsten sie ungemein geübt waren.

Mein glänzender Sieg blieb nicht lange verborgen, sondern wurde durch die häufigen Fehden der beiden Heldinnen ruchbar, die bei ihren Gefechten kein Dekorum beobachteten. Der Kutscher und der Gärtner, welche diesen beiden Liebhaberinnen den Hof machten, wurden über den Sieg mißmutig, den ich über sie davontrug. Sie steckten ihre Köpfe zusammen und brüteten einen Plan der Rache gegen mich aus. Der erste, der in dem Kollegium von Tottenham Court ausgebildet worden war, nahm es auf sich, mich unter mancherlei schimpflichen Benennungen herauszufordern, und wettete zwanzig Guineen, daß er mich niederboxen wolle.

Ich versetzte, wiewohl ich ihm in dieser Art des Kampfes völlig gewachsen zu sein glaubte, so wollte ich mich doch nicht so wegwerfen und mich wie ein Karrenschieber schlagen. Hätte er etwas mit mir abzumachen, so würde er auf jede rechtliche Art seinen Mann an mir finden, was für Waffen er auch wählen möchte: Donnerbüchse, Flinte, Pistole, Degen, Beil, Bratspieß, Hackmesser, Mistforke oder Nähnadel. Zugleich schwor ich ihm zu, wenn sich seine Zunge noch mehr unverschämte Freiheiten auf meine Kosten erlaubte, würde ich ihm ohne alle Umstände die Ohren abschneiden.

Diese Aufschneiderei, die ich mit ernstem Blick und entschlossenem Ton vorbrachte, tat auf meinen Gegner die erwünschte Wirkung. Er schlich sich ziemlich verlegen davon und hinterbrachte seinem Freunde, wie er aufgenommen worden. Als dieser Auftritt im Hause bekannt wurde, nannten mich die Dienstboten Ritter John, und meine Gebieterin nebst Narzissa, die durch das Kammermädchen die ganze Sache erfahren, beehrten mich auch unterweilen mit dem Titel.

Mittlerweile legten die Küchenkommandantin und die Milchintendantin auf alle und jede Art, die nur in ihrer Macht war, mir ihre Leidenschaft an den Tag. Jene versah mich mit den delikatesten Speisen, diese mit den leckersten Milchgerichten. Die Köchin wollte mich dadurch zu einer Erklärung aufmuntern, daß sie mir öfters Komplimente über meinen Mut und meine Gelehrsamkeit machte. Sie bemerkte, wenn sie so einen Mann wie mich hätte, der alles in Ordnung halten und gut rechnen könnte, so würde sie ein schönes Stückchen Geld zusammenbringen, indem sie in London ein Speisehaus eröffnete für vornehme Herrendiener, die Kostgeld kriegen.

Die Aufseherin der Milchkammer bewies mir, um meine Gewogenheit zu gewinnen, ihren Wert. Manchem wohlhabenden Pächter, sagte sie, würde sehr damit gedient sein, wenn er sie zur Frau bekommen könnte; aber sie wäre fest gesonnen, wenn sie einmal ihr Herz verschenkte, sich hübschen Augentrost anzuschaffen. Dann breitete sie sich in Lobsprüchen über meine Person aus und sagte, sie wäre überzeugt, ich würde ein recht guter Ehemann sein, denn ich hätte ein gar zu gutes Gemüt.

Die Zudringlichkeiten der beiden Verliebten, die mir vielleicht zu einer anderen Zeit ohne die widrige Soße des Ehestandes möchten gefallen haben, fingen an, mir jetzt, da Narzissa meine ganze Seele ausfüllte, sehr lästig zu werden, und ich vermochte den Gedanken nicht zu ertragen, auch nur das Geringste zu tun, was meiner Leidenschaft für sie hätte Eintrag tun können.


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