Tobias Smollett
Die Abenteuer des Roderick Random
Tobias Smollett

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Dreiunddreißigstes Kapitel

Fernere Unternehmungen zu Wasser und zu Lande

 

Nachdem wir ungefähr vier Stunden lang das Fort beschossen hatten, erhielten wir insgesamt den Befehl, die Anker zu lichten und fortzusegeln. Den folgenden Tag aber begann das Gefecht von neuem und dauerte vom Morgen bis zum Nachmittag. Um die Zeit nahm das feindliche Feuer von Boca Chica immer mehr ab und hörte gegen Abend ganz auf.

Unsre Landbatterie hatte eine Lücke in den Wall gemacht, die groß genug war, daß ein Affe von mittlerer Größe hindurchkonnte, wenn er nämlich Mittel hätte finden können, um hinaufzuklettern. Unser General, der diese Öffnung wahrgenommen hatte, beschloß, in derselben Nacht Sturm laufen zu lassen, und kommandierte auch wirklich dazu eine Abteilung.

Die Vorsehung stand uns bei dieser Gelegenheit offenbar bei und gab es den Spaniern ein, das Fort zu verlassen, das entschlossene Leute gegen die nachdrücklichsten Angriffe von unsrer Seite bis an den Jüngsten Tag zu behaupten imstande gewesen wären.

Indes unsre Soldaten die feindlichen Wälle ohne allen Widerstand einnahmen, hatte eine Abteilung Matrosen das nämliche Glück. Sie bemächtigten sich des Forts St. Joseph, der Faschinenbatterien und eines spanischen Kriegsschiffs. (Die drei anderen hatten die Feinde teils verbrannt, teils versenkt, damit sie nicht in unsre Hände fallen möchten.)

Die Einnahme dieser Forts, auf deren Stärke die Spanier sich hauptsächlich verlassen hatten, machte uns zu Herren des äußeren Hafens und verursachte unter uns große Freude. Wir rechneten nunmehr darauf, in der Stadt wenig oder gar keinen Widerstand zu finden. Und in der Tat, wären einige große Schiffe unmittelbar nach Cartagena hinaufgesegelt, ehe sich dessen Einwohner von der Bestürzung und Verzweiflung erholt hätten, die unser unvermuteter Sieg bei ihnen veranlaßt hatte, so wäre es möglich gewesen, diese Unternehmung ohne weiteres Blutvergießen ganz zu unsrer Zufriedenheit zu beenden. Allein unsre Helden verschmähten dies als eine grausame Verhöhnung der Feinde in ihrer jammervollen Lage und ließen ihnen so viel Frist, als sie immer verlangen konnten, sich wieder zu sammeln.

Mittlerweile nutzte Mackshane den allgemeinen Jubel, machte dem Kapitän seine Aufwartung und wußte sich so gut herauszureden, daß er dessen Gewogenheit völlig wiedererlangte; und was Crampley anlangte, so wurde seines Benehmens gegen mich während des Treffens gar nicht weiter gedacht.

Von allen Folgen des Sieges war uns keine erfreulicher als der Überfluß an frischem Wasser, den wir dadurch erhielten. Fünf Wochen lang hatten wir uns mit einem Quart für den Mann gar elendiglich behelfen müssen, und das unter dem heißen Erdstrich, wo die Sonne senkrecht über uns stand und der Körper so stark ausdünstete, daß kaum vier Maß Getränke würden zugereicht haben, den Verlust zu ersetzen, den wir an Fluida binnen vierundzwanzig Stunden erlitten hatten, und dies um so mehr, da unser Proviant aus verfaultem Pökelfleisch bestand, das die Bootsleute irländisches Pferdefleisch nannten; ferner aus Pökelschweinefleisch von Neuengland, das weder Fisch noch Fleisch war, dessenungeachtet aber nach beiden schmeckte; aus Brot von ebender Gegend und aus Zwieback, der so wie jenes als ein Uhrwerk durch inneres Getriebe, nämlich durch Millionen Insekten, die darin hausten, in Bewegung gesetzt ward; und aus Butter, die nach Viertelpinten ausgemessen wurde und wie durch Salz verdickter Tran schmeckte.

Statt des Dünnbiers bekam jeder drei halbe Quart Branntwein oder Rum, die jeden Morgen ausgeteilt und mit einem gewissen Quantum Wasser verdünnt wurden, ohne den geringsten Zusatz von Zucker oder Obstsaft, um es schmackhafter zu machen. Deshalb ward diese Komposition von den Seeleuten nicht unzutreffend Kehlenzwang genannt.

Daß wir so im Gebrauch des Wassers eingeschränkt wurden, lag nicht etwa daran, daß wir zuwenig Vorrat gehabt hätten, denn wir besaßen damals von diesem Getränk genug für eine Reise von sechs Monaten, auch wenn man dem Mann den Tag über eine halbe Gallone gegeben hätte. Allein ich vermute, daß diese Diät dem Schiffsvolk zur Züchtigung für seine Sünden zuerkannt wurde; oder vielmehr in der Absicht, es durch dieses Kasteien zur Verachtung des Lebens zu treiben.

Wie einfältig urteilten daher die Leute, welche die große Sterblichkeit auf unseren Schiffen den schlechten Lebensmitteln und dem Mangel an Wasser zuschrieben und behaupteten, es hätte manchem nützlichen Menschen das Leben gerettet werden können, wenn man sich der unnötigen Transportschiffe bedient hätte, von Jamaika und den anderen nahegelegenen Inseln neue Vorräte, Schildkröten, Früchte und andere Erfrischungen zum Wohle der Armee und der Flotte herbeizuschaffen! Jene Leute dachten wohl nicht daran, daß man doch die tröstliche Hoffnung haben konnte, diejenigen, die starben, würden an einen besseren Ort kommen und die Übrigbleibenden dadurch desto reicheren Unterhalt finden. Schließlich war noch immer Mannschaft genug vorhanden, um vor den Wällen von Sankt Lazaro zu fallen, wo sie es wie die Schäferhunde aus ihrem Lande machten, welche ihre Augen schließen, den Bären in den Rachen rennen und sich für ihren Mut die Köpfe zerknirschen lassen.

Doch wieder zu meiner Erzählung! Nachdem wir in die eingenommenen Forts Besatzungen gelegt und unsere Soldaten nebst dem Geschütz wieder eingeschifft hatten – eine Arbeit, die uns länger als eine Woche aufhielt –, wagten wir es, nach dem Eingang des inneren Hafens hinaufzusegeln. Dieser war von der einen Seite durch eine große Zitadelle und von der andern durch eine kleine Redoute verteidigt. Beide hatte man verlassen, ehe wir uns näherten. Die Mündung des Hafens war zuvor durch verschiedene versenkte Galeonen und zwei Kriegsschiffe versperrt worden.

Wir bestrebten uns, etlichen Schiffen einen Durchgang zu bahnen. Es gelang, und diese begünstigten nun eine zweite Landung unserer Truppen an einem Ort unweit der Stadt, der La Quinta heißt. Sie setzten sich hier fest, nach dem schwachen Widerstande einer Abteilung Spanier, die ihr Ausschiffen verhindern wollte.

Unsere Leute hatten die Absicht, das Kastell Sankt Lazaro zu belagern, das die ganze Stadt bestrich. Ob nun unser berühmter General unter seiner Armee niemanden hatte, der eine Festung zu stürmen verstand, oder ob er sich auf den Ruf seiner Waffen gänzlich verließ, das will ich unausgemacht lassen. Soviel ist aber gewiß, daß in einem Kriegsrat der Entschluß gefaßt wurde, die Stadt bloß mit Musketenfeuer anzugreifen. Dies geschah auch, und der Erfolg war, wie er sich unter solchen Umständen erwarten ließ. Der Feind empfing uns so wohlmeinend, daß der größte Teil der zu dieser Unternehmung bestimmten Truppen an diesem Ort für immer seine Wohnung fand.

Unserem Anführer behagte diese artige Bewillkommnung seitens der Spanier ganz und gar nicht. Er war so klug, sich mit dem Überrest seiner Armee wieder an Bord zu machen, die von achttausend bei Boca Chica gelandeten tüchtigen Leuten auf fünfzehnhundert Dienstfähige zusammengeschmolzen war.

Die Kranken und Verwundeten wurden in Fahrzeugen zusammengepreßt, die man Hospitalschiffe nannte. Allein nach meinem Erachten verdienten sie diesen rühmlichen Namen nicht; denn nur wenige davon hatten einen Wundarzt, Speisemeister oder Koch, und der Raum zwischen den Decks war so schmal, daß die armen Patienten sich kaum in ihren Betten aufrichten konnten. Ihre Wunden und verstümmelten Glieder wurden vernachlässigt; dadurch gerieten sie in Unreinlichkeit und Fäulnis, und Millionen von Maden wimmelten in ihren Schwären.

Diese unmenschliche Vernachlässigung wurde der geringen Anzahl von Wundärzten zugeschrieben. Allein es ist ausgemacht, daß jedes große Schiff von der Flotte wenigstens einen hätte entbehren und zu dieser Arbeit abstellen können. Das würde mehr denn hinlänglich gewesen sein, diesen herzerschütternden Auftritten abzuhelfen.

Aber vielleicht fand der General es zu sehr unter seiner Würde, einen seiner Mitbefehlshaber um diese Gefälligkeit anzusprechen, und dieser wollte denn seinerseits sich nicht dadurch etwas vergeben, daß er ihm aus freien Stücken einen solchen Beistand angeboten hätte. Denn ich unterstehe mich zu behaupten, daß um die Zeit der Geist der Zwietracht mit seinen rußigen Schwingen jedesmal über unserem Kriegsrat schwebte und ihm zuraunte, was er tun sollte. Ja, ich möchte von diesen großen Männern ebendas sagen, was man von Cäsar und von Pompejus sagte – hoffentlich werden sie mir diese Vergleichung verzeihen –, daß der eine niemand über und der andere niemand neben sich leiden könne. Und in der Tat mißlang die Unternehmung bloß durch den Stolz des einen und den Übermut des andern, nach dem Sprichwort: Zwischen zwei Stühlen fällt der Hintern zu Boden.

Ein oder zwei Tage nach dem verunglückten Versuch auf Sankt Lazaro gab der Admiral Befehl, eins von den eroberten spanischen Kriegsschiffen mit sechzehn Kanonen zu besetzen und mit Soldaten von unseren größten Schiffen zu bemannen, um die Stadt zu beschießen. Zu dem Zweck wurde dies Schiff während der Nacht in den inneren Hafen bugsiert und ungefähr eine halbe Meile von den Wällen vor Anker gelegt, auf die es mit Tagesanbruch zu feuern begann. Hiermit fuhr es beinahe sechs Stunden fort, wiewohl es wenigstens dreißig Kanonen ausgesetzt war. So sahen sich unsre Leute denn auch endlich genötigt, das Schiff in Brand zu stecken und sich, so gut sie nur immer konnten, in ihren Booten fortzumachen.

Dies Benehmen gab allen klugen Köpfen unter der Armee sowohl als auch auf der Flotte zu vielen Betrachtungen Anlaß. Zuletzt mußten sie aber insgesamt eingestehen, dieses politische Stückchen ginge über alle ihre Begriffe. Einige von ihnen hegten von des Admirals Verstand solch unehrerbietige Meinung, daß sie urteilten, er habe sich eingebildet, die Stadt würde sich seiner schwimmenden Batterie von sechzehn Kanonen sogleich ergeben. Andere bildeten sich ein, er habe bloß die Absicht gehabt, die Macht des Feindes auf die Probe zu stellen, um berechnen zu können, wie viele große Schiffe nötig sein würden, die Stadt zur Kapitulation zu nötigen. Allein diese letzte Vermutung schien grundlos zu sein, da nachher keine wie immer geartete Gattung von Schiffen zu einer solchen Unternehmung gebraucht ward.

Eine dritte Gruppe von Leuten wollte darauf schwören, es ließe sich für jenen Versuch kein anderer Beweggrund anführen als der, der Don Quichotte veranlaßte, Windmühlen anzugreifen.

Noch andere Personen – und das war der größte Teil, der aus den lebhaftesten und boshaftesten Individuen bestand – beschuldigten jenen Befehlshaber mit dürren Worten sowohl eines Mangels an Rechtschaffenheit als an Verstand. Er hätte, setzten sie hinzu, einen Privatgroll dem Vorteil seines Vaterlandes aufopfern sollen. In einem Fall wie dem gegenwärtigen, wo das Leben so vieler braver Mitbürger auf dem Spiel stand, hätte er unaufgefordert, ungebeten mit dem General über die Maßregeln übereinkommen müssen, wodurch jene konnten erhalten oder ihnen Vorteile verschafft werden. Hätten auch gleich dessen Gründe ihn von seiner verzweiflungsvollen Unternehmung nicht ablenken können, so wäre es doch seine Schuldigkeit gewesen, dieses Unternehmen so ausführbar wie möglich zu gestalten, ohne sich durch außerordentliche Wagnisse bloßzustellen.

Dies würde er, fuhren sie fort, mit der guten Aussicht auf glücklichen Erfolg haben bewerkstelligen können, wenn er fünf bis sechs großen Schiffen anbefohlen, die Stadt, während die Landtruppen das Kastell stürmten, zu beschießen. Auf die Art wäre zugunsten der Truppen, die auf ihrem Rückzüge mehr von der Stadt als vom Kastell auszustehen hatten, eine wichtige Ablenkung geschaffen worden. Die Einwohner würden, wenn sie sich von allen Seiten lebhaft angegriffen gesehen hätten, sich geteilt und zerstreut haben und durch diese Verwirrung aller Wahrscheinlichkeit nach nicht vermögend gewesen sein, den Sturm auszuhalten.

Allein alle diese Beschuldigungen rührten unstreitig von Unwissenheit und üblen Gesinnungen gegen den Admiral her. Denn sonst würde es diesem nach seiner Rückkunft in England nicht so leicht geworden sein, seine Aufführung vor einem Ministerium zu rechtfertigen, das so bieder und einsichtsvoll ist. Soviel hat indes seine Richtigkeit, daß diejenigen, die ihn an Ort und Stelle verteidigen wollten, behaupteten, dicht an der Stadt sei für unsere großen Schiffe nicht Wasser genug gewesen. Allein man fand diese Entschuldigung nicht hinlänglich, da es Lotsen auf der Flotte gab, welche die Tiefe des Hafens vollkommen kannten und versicherten, es sei Wasser genug in ihm, daß fünf Schiffe von achtzig Kanonen dicht nebeneinander fast hart an den Wällen liegen könnten.

Daß unsere Unternehmung mißlungen war, verursachte allgemeine Betrübnis. Die Gegenstände, die sich uns täglich und stündlich darstellten, waren nicht im geringsten imstande, uns aufzurichten, sowenig als die Dinge, die wir zu erwarten hatten, wenn wir uns an diesem Ort noch länger aufhielten.

In einigen Schiffen hatten die Kommandeure, um das mühsame Begraben zu ersparen, die Einrichtung getroffen, daß ihre Leute die Verstorbenen über Bord werfen mußten. Manche wurden daher ohne Ballast und Totenkleid in die See geworfen. Auf die Art trieb eine Menge Leichen so lange in dem Hafen herum, bis sie von den Haien und Aaskrähen aufgezehrt wurden. Dies gab denn für die noch Lebenden eben nicht das behaglichste Schauspiel ab.

Zugleich begann auch die Regenzeit, in welcher vom Aufgange der Sonne bis zu ihrem Untergang unaufhörlicher Sturzregen fällt. Kaum hört dieser auf, so fängt es an zu donnern und zu blitzen. Die Wetterstrahlen kommen so Schlag auf Schlag, daß man imstande ist, bei ihrem Schein einen ganz kleinen Druck zu lesen.


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