Tobias Smollett
Die Abenteuer des Roderick Random
Tobias Smollett

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Zwanzigstes Kapitel

Doppelte Rache. Ich werde von einer weiblichen Schlinge befreit in der ich fast wäre gefangen worden

 

Einstmals kehrte ich um zwölf Uhr des Abends von dem Besuch eines Kranken aus Chelsea nach Hause zurück. Plötzlich bekam ich von einer ungesehenen Hand einen Streich über den Kopf, daß ich besinnungslos zu Boden stürzte. Mit drei Degenstichen im Leib ließ man mich für tot auf dem Platze zurück.

Als ich mein Bewußtsein wieder hatte, stieß ich so tiefe Seufzer aus und wimmerte so sehr, daß die Leute in einem benachbarten, ganz einzeln stehenden Bierhause in Bewegung kamen. Sie waren so menschlich, mich aufzunehmen und nach einem Wundarzt zu schicken. Dieser versicherte mir beim Verbinden, meine Wunden wären nicht tödlich. Der eine Stich war auf der einen Seite des Unterleibes durch die Haut und die Muskeln gegangen, daß der Mörder sich ohne Zweifel eingebildet hatte, er wäre mit seinem Stoß durch die Gedärme gekommen. Der zweite hatte eine meiner Rippen gestreift, und der letzte, der mir den Garaus machen sollte, war nach meinem Herzen geführt worden, hatte aber das Brustbein getroffen, und die Degenspitze war in der Haut stecken geblieben.

Als ich über diesen Vorfall nachdachte, vermochte ich nicht zu glauben, daß ich von einem Straßenräuber angegriffen worden sei, da diese Leute diejenigen nicht umzubringen pflegen, die sie ausplündern, zumal, wenn sie keinen Widerstand antreffen. Überdies fand ich mein Geld wieder, und ich schloß daraus, man müsse mich entweder für einen anderen angesehen haben oder ich habe diesen Vorfall der Rache irgendeines geheimen Feindes zu verdanken. Nun konnte ich mich auf niemand besinnen, dem ich Anlaß zu Beschwerden gegen mich gegeben hätte, ausgenommen den Hauptmann O'Donnell und meines Prinzipals Tochter. Mein Verdacht fiel daher auf diese beiden; doch verbarg ich meinen Argwohn auf das sorgfältigste, um desto eher zur Gewißheit zu gelangen.

In diesem Vorsatze kam ich des Morgens um zehn Uhr in einer Sänfte nach Hause. Der erste, der mir begegnete, als mich die Sänftenträger in den Flur hineinführten, war der Hauptmann. Er stutzte bei meinem Anblick und gab deutliche Merkmale einer Verwirrung, die aus dem Bewußtsein eines Verbrechens entspringt. Indes wollte er dies dem Erstaunen zuschreiben, das ihn befallen, da er mich in einem solchen Zustande erblickt habe.

Nachdem mein Prinzipal meine Geschichte erfahren hatte, beklagte er mich und äußerte viele Teilnahme. Als er hörte, daß meine Wunden nicht gefährlich wären, befahl er, mich hinauf in mein Bett zu tragen, wiewohl seine Frau sich förmlich dagegensetzte. Sie meinte, es würde wohlgetan sein, wenn ich mich in ein Hospital begäbe, weil ich daselbst besser könnte verpflegt werden.

Jetzt war ich mit weiter nichts beschäftigt, als einen Plan der Rache gegen den Squire O'Donnell und sein Liebchen auszusinnen, die ich für die Urheber meines Unglücks hielt. Die Miß, die bei meiner Ankunft nicht zu Hause war, trat nicht lange darauf in meine Stube. Sie bedauerte das Unglück, das mich betroffen hatte, und fragte zugleich, ob ich wegen dieses meuchelmörderischen Überfalls auf niemand Verdacht habe.

Ich sah sie hierauf starr an und versetzte: »O ja.« Allein ich nahm an ihr nicht das geringste Merkmal von Betroffenheit wahr, sondern sie erwiderte hastig: »Wenn das ist, warum suchen Sie nicht einen Haftbefehl gegen den Buben zu bekommen? Das kostet nicht eben viel; und fehlt es Ihnen an Geld, so will ich Ihnen etwas leihen.«

Dies offene Benehmen heilte mich nicht nur von meinem Argwohn gegen sie, sondern machte mich auch in der vom Hauptmann gefaßten Meinung schwankend. Ich beschloß, mir erst mehr Licht zu verschaffen, ehe ich mich an diesem Menschen rächte. Daher bedankte ich mich bei der Miß gar höflich für ihre Anerbietungen. Ich könnte sie, sagte ich, deshalb nicht annehmen, weil ich willens sei, nicht zu rasch zu verfahren. Zwar hätte ich ganz deutlich wahrgenommen, daß die Person, die mich überfallen gehabt, zum Militär gehöre, doch könne ich nicht mit gutem Gewissen darauf schwören, es sei der oder jener gewesen; und gesetzt auch, ich könnte es, so würde mir doch meine Klage nicht viel helfen.

Diese Ungewißheit spiegelte ich mit Fleiß vor, damit nicht der Hauptmann, wenn er von seiner Geliebten erführe, ich kenne die Person, die mich verwundet habe, es für gut finden möchte, sich fortzumachen, ehe ich imstande gewesen wäre, ihm meine Erkenntlichkeit zu bezeigen. Nach zwei Tagen war ich wieder aufgestanden und verrichtete meine Geschäfte zum Teil, so daß Monsieur Lavement es nicht nötig hatte, einen anderen Gesellen an meiner Stelle anzunehmen.

Jetzt war mein erstes, meinen geheimen Feind ausfindig zu machen. Zu dem Zweck ging ich auf O'Donnells Zimmer, als er in Zivil ausgegangen war. Ich untersuchte seinen Degen und fand dessen Spitze abgebrochen. Flugs hielt ich sie mit dem Fragmente zusammen, das in meinem Brustknochen stecken geblieben war, und siehe! sie paßten genau aneinander. Nun hatte ich keinen weiteren Anlaß, an dem Täter zu zweifeln. Daher war ich auf weiter nichts bedacht als auf einen Plan zur Rache.

Acht Nächte und ebenso viele Tage beschäftigte ich mich damit. Zuweilen war ich willens, ihn ebenso anzugreifen wie er mich und ihn auf der Stelle zu töten. Dagegen lehnte sich aber meine Ehrliebe auf und nannte es ein barbarisches Memmenstückchen, das man nicht nachahmen solle. Ein andermal verfiel ich auf den Gedanken, auf anständige Weise von ihm Genugtuung zu fordern. Allein der ungewisse Ausgang sowohl als die Art, wie er mich beleidigt hatte und wofür er eine härtere Ahndung verdiente, hielt mich davon wieder ab. Endlich schlug ich einen Mittelweg ein und führte meinen Plan auf folgende Art aus:

Ich sicherte mir die Hilfe von Strap und zweien seiner Bekannten, auf die er sich verlassen konnte. Wir versahen uns mit Kleidern, die uns unkenntlich machten, und ich ließ folgenden Brief an O'Donnell schreiben und ihm eines Sonntagabends durch einen unserer Bundesgenossen überreichen, der Livree trug.

›Sir,

dem Anschein nach, glaub ich, wird es Ihnen nicht unangenehm sein, zu vernehmen, daß mein Mann nach Bagshot gegangen ist, um einen Kranken zu besuchen, und erst morgen gegen Abend wiederkommen wird. Sollten Sie mir etwas vorzuschlagen haben (wie ich aus Ihrem bisherigen Benehmen fast schließen möchte), so nutzen Sie die gute Gelegenheit zu einem Besuch bei

Ihrer N. N.‹

Diesen Brief hatte ich mit dem Namen einer Apothekersfrau aus Chelsea unterzeichnen lassen, zu deren Verehrern, wie ich wußte, O'Donnell gehörte. Alles ging nach unserem Wunsch. Der rüstige Liebesritter eilte nach dem Ort, wohin er beschieden war, und traf uns auf ebendem Platze an, wo er mich angefallen hatte. Wir stürzten alle mit einem Male auf ihn zu, nahmen ihm seinen Degen weg und zogen ihn ganz nackt aus. Darauf peitschten wir ihn, ohne uns an die Beredsamkeit seiner Tränen und flehentlichen Bitten zu kehren, so lange mit Nesseln, bis er vom Scheitel bis zur Sohle mit Quaddelns bedeckt war.

Wie ich ihn mit hinlänglichen Streichen bedacht zu haben glaubte, nahm ich nebst meinen Spießgesellen ihm seine Kleider fort, und wir versteckten sie hinter einer nicht weit gelegenen Hecke. Sodann ließen wir ihn in naturalibus seinen Weg, so gut er konnte, nach Hause nehmen; ich aber bemühte mich, vor ihm da zu sein. Er hatte, wie ich nachher erfuhr, zu einem seiner Freunde hinzukommen gesucht, der am äußersten Ende der Stadt wohnte, ward aber unterwegs von einer Polizeistreife ergriffen und nach der Wache gebracht. Von da schickte er nach seinem Logis, um einen vollständigen Anzug zu bekommen.

Den folgenden Tag kam der verunglückte Liebhaber in einer Sänfte an. Sein Körper war so wund und geschwollen, daß er keine Kleider anzulegen imstande war, sondern sich in ein geborgtes Bettuch hatte wickeln lassen müssen. Meine Prinzipalin und ihre Tochter behandelten ihn während seines Betthütens auf das allerzärtlichste und wetteiferten in der sorgsamsten Pflege. Doch Lavement konnte sich nicht enthalten, seine Freude durch boshaftes Lächeln zu äußern, als er mir befahl, Salbe für seine Wunden zurechtzumachen. Was mich anlangt, so wird niemand an dem Vergnügen zweifeln, das ich empfand, wenn ich tagtäglich Gelegenheit hatte, die am Körper meines Gegners verübte Rache noch durch die ihm verursachten Geschwüre sich verlängern zu sehen.

Ich hatte in der Tat nicht nur die Genugtuung, ihn lebendig geschunden zu haben, sondern auch noch eine andere, die gar nicht vorgesehen war. Die Geschichte seines Überfalles und Kleiderraubes, samt dem Ort, wo er geschehen war, wurde in die Zeitungen gerückt und zugleich eine Anweisung gegeben, wohin der etwaige Finder der Kleider sie zu bringen habe. Auch bekam er wirklich alles Verlorene wieder, bis auf ein paar Briefe, worunter auch der war, den ich im Namen der Apothekersfrau hatte aufsetzen lassen. Diese nebst einigen anderen, welche alle von Liebe handelten – denn dieser irländische Held war einer von den Leuten, die man gemeiniglich Glücksjäger zu nennen pflegt –, waren in die Hände einer Schriftstellerin gefallen, welche durch die ärgerlichen Sachen berüchtigt war, die sie bekanntmachte. Sie putzte sie durch einige Zusätze ihrer Einbildungskraft auf und gab sie in Druck.

Dies machte mich über die Maßen bestürzt. Mir war bange, mein fingierter Brief möchte das Unglück einer ganzen Familie verursachen. Wie leicht wurde es mir daher um das Herz, als ich erfuhr, der Apotheker in Chelsea habe den Drucker wegen ehrenrühriger Angriffe verklagt und sehe den ganzen Aufsatz für eine Erdichtung der Verfasserin an, die sich überdies auch unsichtbar gemacht hatte.

Was er aber auch davon denken mochte, unsere beiden Damen hatten davon eine ganz andere Idee. Kaum erschien die Broschüre, so sah ich ihre Aufmerksamkeit für den Patienten merklich abnehmen, und zuletzt vernachlässigten sie ihn gänzlich. Er mußte diese Veränderung sowohl wie deren Veranlassung notwendig bemerken; da er aber mehr als Verachtung von den beiden Frauenzimmern verdient hatte, so war er froh, noch so wohlfeilen Kaufs davongekommen zu sein. Im übrigen begnügte er sich, Flüche und Drohungen gegen den Apotheker aus Chelsea zu murmeln, der, wie er glaubte, einen Wink von der Zusammenkunft mit seiner Frau bekommen und sich auf die oben beschriebene Art an ihm gerächt hätte.

Unter der Zeit hatte der Herr Hauptmann wieder eine neue Haut bekommen; und da sein Charakter so bekannt geworden war, hielt er es für hohe Zeit, sich davonzumachen. Dies tat er denn auch in aller Stille, nachdem er zuvor seinem eigenen Bedienten alles weggenommen hatte, was dieser besaß, die Kleider ausgenommen, die er am Leibe trug.

Einige Tage nach seinem Verschwinden nahm Lavement einen großen, alten Koffer, den jener zurückgelassen hatte, in Gewahrsam. Da er schwer wog, so zweifelte mein Prinzipal gar nicht daran, daß dessen Inhalt hinlänglich sei, ihn für das zu entschädigen, was ihm O'Donnell an Miete schuldig geblieben war. Es verstrich ein Monat, ohne daß der irrende Ritter etwas von sich hören ließ. Nunmehr wurde mein Herr ungeduldig und befahl mir, den Koffer in seiner Gegenwart aufzubrechen. Ich tat dies mit der Keule unseres großen Mörsers und entdeckte zu seinem unaussprechlichen Erstaunen und zu seiner unsäglichen Kränkung – was meine Leser erwarten werden – einen Haufen Steine.

Um die Zeit kam mein Freund Strap zu mir, um mir zu melden, daß ein gewisser Herr ihm den Antrag gemacht habe, ihn als Kammerdiener mit auf Reisen zu nehmen. Zugleich versicherte er mir, so viele Vorteile ihm auch diese Aussicht gewähre, so könne er doch den Gedanken, sich von mir zu trennen, nicht ertragen; er sei zu sehr an mein Schicksal geheftet.

Ungeachtet aller Verbindlichkeiten, die ich diesem guten, biederen Jungen schuldig war, fing ich doch an – so natürlich ist Undankbarkeit dem menschlichen Herzen –, seiner Bekanntschaft überdrüssig zu werden. Ich hatte mir jetzt Freunde erworben, die angesehener waren, und schämte mich daher, wenn ein Barbiergesell sich bei mir einfand und mich auf dem Fuß eines Kameraden behandelte. Deshalb bestand ich unter dem Vorwande, auf sein Bestes Rücksicht zu nehmen, darauf, daß er den Vorschlag annehmen solle. Nur mit vielem Sträuben entschloß er sich dazu. Wenige Tage darauf nahm er von mir Abschied. Er vergoß dabei einen Strom von Tränen, und ich blieb nicht ungerührt.

Sowie er fort war, fing ich wirklich an, mich ganz gentlemanmäßig zu benehmen. Ich lernte von einem Franzmann, den ich von einer Modekrankheit kuriert hatte, tanzen; besuchte an Sonn- und Festtagen die Komödie und wurde das Orakel eines Bierhauses, wo man alle vorfallenden Streitigkeiten meiner Entscheidung überließ. Zuletzt ward ich mit einem jungen Frauenzimmer bekannt, die mein Herz zu erobern wußte. Nach vielen inständigen Bitten und fleißigen Aufwartungen brachte ich es dahin, daß sie mir die Ehe versprach. Da dies schöne Mädchen für eine reiche Erbin galt, so pries ich mein glückliches Geschick.

Schon stand ich auf dem Punkt, alle meine Wünsche durch eine Heirat gekrönt zu sehen, als ich sie eines Morgens besuchte. Ihre Zofe war ausgegangen, und ich bediente mich des Vorrechts eines Bräutigams, gerade in ihr Schlafzimmer zu treten. Hier fand ich sie zu meiner äußersten Bestürzung in den Armen einer Mannsperson. Der Himmel verlieh mir Geduld und Entschlossenheit genug, sogleich wieder fortzugehen. Ich dankte tausendmal meinem günstigen Geschick für diese herrliche Entdeckung, die ich gut zu nutzen und alle weiteren Heiratsspekulationen aufzugeben beschloß.


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