Tobias Smollett
Die Abenteuer des Roderick Random
Tobias Smollett

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Sechsundzwanzigstes Kapitel

Unfälle, die mich bei der Ausübung meines Amts, beim Schlafengehen und in der Nacht betreffen

 

Ich konnte nicht begreifen, wie man zu den Kranken, deren Hängematten an den Seitenwänden des Schiffes waren, kommen und ihnen Beistand leisten könnte. Die vornliegenden schienen den Weg nach ihnen hin dermaßen zu verrammeln, daß es mir unmöglich deuchte, einen Besuch bei ihnen ablegen zu können.

Noch weniger konnte ich mir eine Vorstellung machen, wie mein Freund Thompson imstande sei, den in dieser Lage befindlichen Patienten die ihnen verordneten Klistiere beizubringen, bis ich ihn dies Geschäft hatte verrichten sehen. Mein Kollege fing es folgendergestalt an:

Er steckte die Perücke in die Tasche, zog im Nu den Rock aus und kroch auf allen vieren unter den Hängematten weg. Dann zwängte er seinen bloßen Kopf zwischen zweien durch und hielt sie mit der einen Schulter so lange voneinander, bis er seiner Amtspflicht Genüge getan hatte.

Begierig, den Dienst zu lernen, bat ich Thompson, mir zu erlauben, daß ich das nächste Geschäft von der Art übernehmen dürfte. Er war es zufrieden, und ich zog mich nach seinem Beispiel aus und kroch unter den Hängematten weg. Das Schiff fing zum Unglück an zu schwanken. Dies erschreckte mich so, daß ich mich an den ersten Gegenstand hielt, der mir unter die Hände kam. Aber das tat ich mit so vieler Heftigkeit, daß ich denselben umriß.

Der Geruch, der mich gleich darauf umfing, überführte mich, daß ich kein Parfümflakon geöffnet hatte. Ich weiß nicht, was diese Dünste, welche sich zur größten Unbehaglichkeit aller derer, die sich auf demselben Deck befanden, über das ganze Schiff verbreiteten, auf mich für Eindruck gemacht haben würden, wenn ich in die Klasse der delikaten Nasen gehört hätte.

Die Folgen meines Versehens schränkten sich nicht bloß auf meinen Geruchssinn ein, sondern ich empfand sie noch auf mehr als eine Art. Damit es aber nicht scheinen möchte, als hätte ich bei meinem ersten Probestück gleich alle Besinnung verloren, so stand ich auf und steckte meinen Kopf mit vieler Gewalt zwischen zwei Hängematten, gerade gegen die Mitte, wo der größte Widerstand war. Ich bohrte mir nun zwar eine Öffnung, da ich aber meine Schulter nicht so geschickt gegenzustemmen wußte wie mein Amtsgenosse, so hatte ich den Verdruß, mich wie in einem Halseisen festgeklemmt zu sehen, denn das Gewicht von drei oder vier Leuten drückte mit solcher Gewalt von beiden Seiten auf meinen Hals zu, daß ich Gefahr lief, dadurch zu ersticken.

Indes ich mich in dieser wehrlosen Stellung befand, ergriff mich einer von den Patienten, der durch seine Krankheit mürrisch und sowohl durch den Geruch, den ich verbreitet, als auch den harten Stoß, den ich ihm beim Aufrichten gegeben hatte, wütend geworden war; – er ergriff mich, sage ich, bei der Nase, schüttete manchen bitteren Vorwurf über mich aus und zupfte mich dabei so unbarmherzig, daß ich vor Schmerz laut zu brüllen anfing.

Thompson ward meiner unangenehmen Lage endlich gewahr und schickte mir einen von den Aufwärtern zur Hilfe. Erst nach vieler Mühe machte mich dieser aus meiner Klemme los, und es ward ihm sauer, mich zu verhindern, daß ich nicht an dem bresthaften Manne meine Rache ausließ, den seine Krankheit gegen meinen Unwillen nicht würde geschützt haben. Nachdem wir für diesmal mit den Amtsverrichtungen zu Rande waren, machten wir uns nach unserm Quartier zurück, während mich mein Freund über mein Mißgeschick mit einem heimatlichen Sprichwort zu trösten suchte, welches ich jedoch hier nicht wiederholen möchte.

Noch hatten wir nicht die Hälfte der Leiter zurückgelegt, als Morgan, dem seine Nase, bevor er uns sah, zu verstehen gab, es sei etwas ganz Außerordentliches im Anzuge, sich folgendergestalt äußerte: »Gott, erbarme dich meiner Sinne! Ich glaube, der Feind ist in einem Stinktopf an Bord gekommen!« Diese Rede richtete er an den Proviantmeister, von dem, seines Dafürhaltens, der Geruch herkam. Er gab demselben einen ernstlichen Verweis, daß er sich unterstände, sich dergleichen Freiheiten in Gegenwart von Leuten von guter Familie zu nehmen, und schloß mit der Drohung, ihn wie einen Dachs mit Schwefel einzuschmauchen, wofern er sich künftig unterfinge, seinen Nachbarn mit solchen Ausdünstungen lästig zu fallen.

Der Angeklagte, der sich seiner Unschuld bewußt war, versetzte mit einiger Wärme: »Ich weiß hier von keinem andern Geruch, als den Sie selbst machen.« Diese Antwort veranlaßte zwischen beiden Männern eine heftige Zwiesprache.

Der Waliser unternahm es, zu beweisen, daß, wenn auch die üblen Dünste, worüber er sich beschwerte, nicht aus dem Körper des Proviantmeisters gekommen wären, er dessenungeachtet daran schuld sei. Denn er liefere der Mannschaft nichts als verdorbene Lebensmittel, und zumal verfaulten Käse, von dessen Genuß allein, wie er behauptete, dergleichen widrige Ausdünstungen entstehen könnten. Sodann brach er in das Lob eines guten Käses aus, dessen Eigenschaften er genau zergliederte. Darauf ließ er sich in die verschiedenen Arten ein, wie er zubereitet und vor Fäulnis bewahrt würde, und schloß endlich mit der Bemerkung, die Grafschaft Glamorgan könne in Rücksicht auf die guten Käse, die sie liefere, mit Cheshire um den Vorzug streiten; und was Ziegen und Butter anlange, so sei sie ihr darin weit überlegen.

Aus dieser Unterredung entnahm ich, daß ich kein willkommener Gast sein würde, wenn ich in meinem Pökel hereinträte. Daher bat ich Thompson, voranzugehen und zu melden, wie kläglich es mir ergangen wäre. Der erste Unterchirurgus äußerte, es täte ihm leid. Darauf verfügte er sich nach dem Deck und nahm, um mir ja nicht zu begegnen, den Weg dahin durch das Kabelgatt und die große Luke. Zugleich ließ er mich bitten, ich möchte mich so bald als möglich säubern, denn er sei gesonnen, sich bei einer Schüssel Salmagundi und einer Pfeife Tabak recht gütlich zu tun.

Zu dem Zweck machte ich mich sogleich an die unangenehme Arbeit. Hier fand ich gar bald mehr Ursache, mich zu beklagen, als ich zuerst geglaubt hatte. Verschiedene Gäste, deren Besuch ganz und gar nicht nach meinem Behagen war, hatten mich mit ihrer Einquartierung beehrt. Sie schienen gar nicht willens zu sein, mich schnell wieder zu verlassen, denn sie waren im Besitze der Hauptreviere meines Körpers, wo sie sich ohne Scheu auf Kosten meines Blutes nährten.

Ich hielt dafür, es würde besser sein, diese unbarmherzige Kolonie in ihrer ersten Entstehung zu vertilgen, als wenn ich zugäbe, daß sie sich vermehrte und einbürgerte; deshalb befolgte ich meines Freundes Rat. Dieser hatte, um solchen Unfällen vorzubeugen, sich den ganzen Kopf rasieren lassen. Er befahl daher unserem kleinen Tafeldecker, mir alle Haare abzuschneiden, die ich, seitdem ich aus Lavements Dienst gegangen war, wieder hatte wachsen lassen. Zugleich lieh mir Thompson eine alte Perücke, den Verlust jener natürlichen Bedeckung zu ersetzen.

Als die Sache zu Ende und alles so gut wieder instandgesetzt war, als es sich unter meinen Umständen tun ließ, kehrte der Abkömmling des Caractacus wieder zurück. Er befahl dem Jungen, ein Stück Pökelfleisch aus der Lake zu holen, nahm davon einen Schnitt, zerlegte denselben in viele kleine Stücke, mengte eine gleiche Quantität kleingekerbter Zwiebeln darunter, tat eine mäßige Portion Pfeffer und Salz dazu und vermischte es mit Öl und Weinessig. Darauf kostete er das Gericht und versicherte uns, es sei das beste Ragout, das er in seinem Leben gemacht habe, und pries es uns so herzlich an, daß ich nicht umhin konnte, davon zu kosten.

Kaum hatte ich einen Mundvoll über die Zunge gebracht, als ich glaubte, meine Eingeweide wären verbrannt, und mich bemühte, durch eine ungeheure Flut von Dünnbier die Hitze zu dämpfen, die jener Bissen mir verursacht hatte.

Als das Abendessen vorbei war und Morgan ein paar Pfeifen geraucht und dabei die Feuchtigkeiten, die er reichlich auswarf, durch manche Kanne Flip, woran wir teilnahmen, wieder ersetzt hatte, erinnerten mich verschiedene Anwandlungen von Gähnen, daß es hohe Zeit sei, durch Schlaf den Abgang der Ruhe in der vorigen Nacht zu ersetzen.

Sowie meine Kameraden dies wahrnahmen, deren Schlafzeit nun auch gekommen war, taten sie den Vorschlag, ob wir nun in die Klappe gehen oder, mit anderen Worten, uns zur Ruhe begeben wollten. Unsere Hängematten, die an der Außenseite unseres Gemachs einander parallel hingen, wurden unmittelbar niedergelassen. Ich sah jeden meiner Tischgenossen mit großer Behendigkeit in sein Nest springen, worin er recht behaglich ganz versteckt zu liegen schien. Allein es dauerte eine geraume Zeit, ehe ich mich entschließen konnte, meinen Körper in einer solchen Entfernung vom Fußboden einem engen Sack anzuvertrauen, aus dem ich bei der geringsten Bewegung im Schlaf herauszutaumeln und mir alle Knochen zu zerbrechen Gefahr lief. Endlich ließ ich mich doch zum Niederlegen bereden und tat einen Sprung, um hineinzukommen; allein ich flog mit gewaltiger Heftigkeit darüber weg. Zum Glück hielt ich mich noch an Thompsons Hängematte fest, sonst wäre ich auf der anderen Seite mit dem Kopf aufgeschlagen und hätte mir wahrscheinlich die Hirnschale zerschmettert.

Nach einigen fruchtlosen Versuchen gelang es mir endlich, hineinzukommen. Allein die Furcht vor der Gefahr, worin ich zu schweben glaubte, verhinderte mich die ganze Nacht hindurch einzuschlafen. Endlich gegen Morgenröte übermannte mich trotz allen meinen Besorgnissen der Schlummer. Doch genoß ich dieses Labsal nicht gar lange. In kurzem weckte mich ein so lautes und durchdringendes Geschrei, daß ich glaubte, mein Trommelfell sei zersprengt. Darauf folgte eine fürchterliche Antwort, mit so rauher Stimme ausgestoßen, daß ich davon nichts verstehen konnte.

Indes ich mit mir noch nicht eins war, ob ich meinen Kameraden aufwecken und mich bei ihm nach der Ursache dieser Beunruhigung erkundigen sollte, kam einer von den Steuermannsmaaten mit der Laterne bei mir vorbei. Auf mein Befragen erfuhr ich, das Geschrei, das mich so in Schreck gesetzt habe, rühre von einem der Unterhochbootsmänner her, welcher die Steuerbordwache anrufe, und ich müsse mich alle Morgen um die Zeit auf dergleichen Störung gefaßt machen.

Nunmehr völlig von meiner Sicherheit überzeugt, legte ich mich wieder zur Ruhe nieder und schlief glücklich bis um acht Uhr, wo ich aufstand und nebst meinen Kameraden ein Frühstück von Branntwein und Zwieback einnahm. Sodann wurden, wie den Tag zuvor, die Kranken besucht und behandelt.

Nach diesem Besuch verrichtete mein Freund Thompson ein andres Geschäft, das mir noch unbekannt war und worüber er mich vorher belehrte. Um eine gewisse Stunde des Morgens lief ein Schiffsjunge mit einer Handglocke auf allen Decks herum und lud in Reimen, die zu dieser Gelegenheit waren verfertigt worden, alle, die Schaden hatten, ein, sich bei dem großen Maste einzufinden, wo einer der Unterchirurgen mit dem benötigten Handwerkszeuge, sie zu verbinden, befindlich war.


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