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VIII

Vor der Treppe ragten die Vorderkufen eines Schlittens auf, eines plumpen Gefährts, selbstverfertigt und mit Eisenbeschlag; es war so schwer, daß die Buben mit ihm nicht fertig geworden waren und es hier hatten stehenlassen. Der Per Hansen hatte sich heute schon darüber geärgert, daß die Buben es dort gelassen. Als er jetzt herauskam, war das erste, was seine Augen sahen, der Schlitten. Er sprang hinzu, riß ihn mit einem gewaltigen Ruck hoch und schleuderte ihn weit weg in eine Schneewehe, so daß nur die eine Kufe herausguckte.

»So!« murmelte er.

Und jetzt war es, als verlasse ihn der Zorn; nur das Gesicht war noch blaß. – Die Skier lehnten an der Hauswand; er schnallte sie an – zögerte einen Augenblick, stieß dann den Stock ein und fuhr ab.

Im Osten des Settlements wohnten zwei Burschen aus Telemarken, die vor ein paar Jahren hergekommen waren. Die verstanden sich trefflich darauf, Skier zu fertigen. Letzten Winter hatten sie sich jeder ein Paar mit Bindung und Stab gearbeitet, – Staatsskier; kurz vor Weihnachten noch hatten die Burschen zwei Stadtfahrten auf ihnen gemacht.

Zu denen fuhr jetzt der Per Hansen. Nach einer Stunde kam er zurück mit einem Paar Skier auf den Schultern; auf dem andern lief er. Keines gehörte ihm.

Die Beret war, seit er aus der Küche gestürzt, in großer Aufregung in der Stube auf und ab gegangen. – Ich habe gewiß etwas Schlimmes angerichtet, dachte sie. Ich weiß, ich sagte zuviel, – aber was hätte ich tun sollen? Es muß jemand fahren, – ich habe niemanden sonst, mit dem ich reden könnte.

Jetzt sah sie ihn mit dem Skier zurückkommen, begriff sofort und wurde froh. – Wie klug von ihm, diese Skier zu holen. Vernünftigeres hätte ihm gar nicht einfallen können. Wen er wohl mitnehmen mag? Wäre er doch schon am Vormittag darauf gekommen, – ich und die Buben hätten wohl nach dem Vieh sehen können. Ich muß ihm schnell einen Tropfen Kaffee kochen, daß er etwas Warmes in den Leib bekommt, ehe er fährt. – Heute kommen sie übrigens nicht mehr weit!

Sie setzte den Kaffeekessel über und deckte den Tisch. – Ich will es recht schmuck für ihn anrichten, ein Tischtuch auflegen, – dann sieht er, daß ich nur will, was gut ist! –

Die beiden älteren Buben gruben zwischen dem Stall und dem ganz zugeschneiten Schweinekoben einen Gang durch den Schnee. Dorthin ging der Per Hansen zuerst. Er gab sich gute Zeit mit den Buben zu reden, und als ihm schien, daß sie nicht aufmerksam genug zuhörten, nahm er die Skier ab und kam in den Gang hinein. Er müsse jetzt auf eine Wanderung, sagte er, und es sei nicht gesagt, daß er bald zurückkomme; könne er sich darauf verlassen, daß sie gut nach allem sehen würden? – Die Buben waren so emsig bei ihrem Tun, daß sie kaum auf seine Worte achteten; – er solle nur ohne Sorge reisen, sie würden schon alles bewirtschaften. Und dann gruben sie weiter und stritten sich, wie lange es dauern werde, bis sie an den Schweinekoben gelangten.

Er ließ die Buben und ging mit den Skiern ins Granary; Kornhaus, eine Art Vorratskammer (Speicher). dort schmierte er das eine Paar gut mit Talg ein und steckte sich den Talgklumpen in die Tasche; auch die Bindung mußte er noch einrichten.

Als er gerade dabei war, kam der Peder Sieg hereingestampft: jetzt habe die Mutter Kaffee gekocht, – sie habe gesagt, er müsse kommen, ehe der kalt werde.

Die Augen des Vaters leuchteten auf. »So, das hat also die Mutter gesagt?«

»Sie sagte, er sei fertig.«

Der Per Hansen hatte die Bindung jetzt so zurecht bekommen, wie er sie haben wollte, und suchte nach einer Rebschnur, um das zweite Paar damit auf den Rücken zu binden.

»Hieß sie dich das sagen?«

»Sie sagte, sie sagte – komm gleich – sagte sie!«

Der Vater beguckte das Büblein. »Du hast so wenig an, du Permann!« sagte er milde und fühlte über die Backen und mußte zugleich den Finger in den weichen, warmen Halswinkel kriechen lassen. Das Büblein quietschte auf; der Vater lachte:

»Hm – hm, kalt wie ein Eiszapfen, – scher dich auf der Stelle hinein! – Jetzt hat also die Mutter den Kaffee fertig?«

Der Per Hansen trug das Büblein hinaus und setzte ihn behutsam nieder, ging dann zurück nach den Skiern; das eine Paar band er sich auf den Rücken, das andere schnallte er an.

Das Büblein wartete: »Kommst du, Vater?«

»Pack dich hinein!« sagte der Vater hart. »Ich komme nach einer Weile nach!«

Dann reckte er sich und zog die Fäustlinge über.

Da besann er sich noch auf etwas:

»Du, Permann!«

»Ja?«

»Im Kämmerlein liegt ein Knäuel Bindfaden; das mag die Mutter dir schenken; und jetzt sei recht flink und habe mir alles gedroschen, bis ich wieder heimkomme!«

»Allright!« rief der Kleine und stapfte weg.

Der Per Hansen wartete, bis der Bub zur Tür hinein war, nahm dann einen Stab in jede Hand und fuhr davon. – Schaute dort nicht ein Antlitz durchs Fenster? – –

Er sah nicht mehr zurück. – Er kam dort vorbei, wo die Buben im Schnee arbeiteten, hörte sie schwätzen, wollte noch einmal mit ihnen sprechen; aber es kam nicht dazu, – er schob sich nach Westen. – Es zog etwas an ihm, – es war so, als hätte er die Trense an, jemand strammte den einen Zügel. Er mußte den Kopf beugen, um mit dem fertig zu werden: »Nein, jetzt nicht! – Jetzt nicht!« murmelte er bitter und wischte sich die Augen mit dem Fäustling.

Am Küchenfenster stand die Beret und sah ihm nach. Die guten Augen weiteten sich zu einer Frage. Wollte er denn nicht hereinkommen, – hatte der Permann vergessen, es ihm zu sagen? – Er kam doch wohl noch herein? – Und sie hatte alles so hübsch für ihn angerichtet! – Nein, das ging nicht an, sie mußte durchaus wissen, wen er mitzunehmen gedachte!

Sie eilte zur Tür, lief auf die Treppe, wollte ihn rufen. Aber da war er schon weit weg. – Der Weststurm blies ihr ins Gesicht; die Augen liefen ihr gleich voll Wasser, so daß sie ihn kaum noch erblickte. – Windstöße fauchten aus dem endlosen Grau heran, fegten den Schnee vor sich her; er tanzte auf und ab, legte sich und stiemte wieder auf. – Bald war der Per Hansen durch das Schneetreiben nicht mehr zu erkennen.

Es wehte so kalt und fuhr ihr durch Mark und Bein. –

Der Per Hansen trat beim Hans Olsen ein und plauderte eine Weile mit ihm in der Kammer. Die Worte fielen vereinzelt. – Der Per Hansen wußte nichts zu sagen, fand auch nicht, daß er hier etwas zu suchen habe. Er erhob sich bald: Jetzt fahre er; was für eine Art Fahrt das werde, wisse er nicht. Glücke sie, bringe er den Pastor mit; – jetzt müsse sich der Hans derweile nur brav ausruhen, – er dürfe sich um nichts bangen und grämen!

Der Hans Olsen faßte die Hand des andern und wollte sie gar nicht mehr loslassen; wie ein Kind war er, das lange gebettelt und endlich seinen Willen bekommen hat.

»Ich wagte nicht, dich zu bitten, siehst du!« erklärte er. »Denn ich wußte ja, du werdest helfen, sobald es Fahrtwetter wird. So bist du immer gewesen, – jetzt weiß ich, ich werde schlafen.«

Draußen in der Küche hatte die Sörine den Tisch gedeckt und beeilte sich, den Kaffee einzuschenken. Als er hinauskam, nötigte sie ihn, erst noch einen Schluck zu trinken, ehe er sich auf den Weg begab.

»Auch hier gibt es Kaffee? – O nein,« murmelte er und schüttelte den Kopf, »es mag genug damit sein für heute!«

Damit ging er hinaus.

Als er die Skier an den Füßen hatte, reckte er sich auf und sah heimwärts, während er sich die Fäustlinge anzog. Er konnte das Haus dort drüben gerade noch erkennen. – Das Weiße ringsum wuchs herauf, stieg, – flutete auf. Schneewirbel spritzten hoch übers Dach, bisweilen verschwand das Haus.

Er seufzte tief, fuhr sich mit den Fäustlingen über die Augen und brach auf.

Er nahm Peilung von Häusern und Landschaft und legte den Kurs, wie er glaubte, ihn einhalten zu müssen, – mit dem hatte es gewiß keine Gefahr. Den ganzen Tag über hatte der Wind nur aus einer Richtung geweht und hielt sich wohl weiter!

Und dann dachte er nicht mehr an den Kurs, sondern überlegte, ob es nicht doch verkehrt gewesen war, daß er nicht den Kaffee getrunken hatte, wenn sie sich erst die Mühe gemacht, ihn anzurichten? – Jetzt sollst du sehen, grämt sie sich, daß ich so sonderbar bin. Dann ist sie traurig und hat wenig Geduld mit den Buben; und doch bedarf es einer behutsamen Hand bei solchen lebensvollen Füllen – das versteht sie nicht! –

Die Gedanken strömten ihm zu, weich und warm, und er lächelte ihnen entgegen:

Sei gewiß, daß sie den Permann dich heut abend ins Nachtgebet einschließen läßt, falls er nicht von selbst daran denkt. Es sollte artig sein, ihnen zuzuhören!

– – Er glitt davon in gleichmäßigem Schwung, richtete sich nach dem Wind. Das Bild verließ ihn nicht mehr – es sollte wohl artig sein, sie zu sehen, o du Permann, du Permann! – Sollte aus dir nicht ein ganz besonderer Kerl werden, der du so gut angehalten wirst! –

Die Dämmerung und das Schneetreiben hüllten ihn immer mehr ein, die Finsternis senkte sich schnell herab; der Schnee fiel dichter, – Wirbel klebten sich ans Gesicht, – keine Gefahr, – der Wind hatte sich ja nicht gedreht, – daheim stand alles zum Rechten! Und jetzt betete die Mutter mit dem Permann zur Nacht! – Geh du nur – geh du nur!

Ungefähr auf der Mitte des Weges zwischen Colton und James River liegen ein paar Hügel; einige Settlers hatten sich bereits hier festgebissen.

Auf einem dieser Hügelzüge stand ein alter Heuschober. Ein Neusettler hatte etwas Grobheu im Flachland gemäht und es hier oben aufgeschichtet, hatte dann aber herausgefunden, daß dieses Heu wenig zum Futter tauge, und da war der Schober stehengeblieben. – An einem Tage im Sommer nach des Hans Olsens Tod streiften ein paar Burschen die Prärie ab auf der Suche nach einer Herde Jungvieh, die sich verlaufen hatte. Sie kamen an dem Heuschober vorbei. Und es wurde ihnen unheimlich zumute: Auf der Westseite hockte ein Mann, den Rücken gegen das Heu gelehnt. Mitten im warmen Sommer war es. Aber der Mann hatte zwei Paar Skier bei sich, das eine Paar lag neben ihm, das andere war auf dem Rücken festgeschnürt.

– Der Mann hatte sich die dicke Strickmütze gut über die Ohren heruntergezogen und große Fäustlinge an den Händen; er hielt einen Stab in jeder Hand.

Für die Burschen sah es so aus, als raste der Mann und warte auf Schnee, um weiterzufahren. – Er starrte geradeaus – nach Westen. – –


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