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IX

Mattgelber Sonntagnachmittag. Blasses Sonnengeflimmer durch stiebenden Schnee ... Ein ewiges Sausen in der Luft ...

Die ganze Widde ein rauchendes, sturmgepeitschtes Meer ... Bis ans Ende der Welt nichts anderes. – Die Nebensonne zeigte sich immer noch am Himmel. –

Sie saßen alle in Tönset'ns Gamme, weil sie bei sich daheim zu sitzen nicht mehr ertrugen; der Per Hansen hatte das Jüngste sorgsam eingewickelt und es hergetragen. Die Kjersti hatte gerade Kartoffelkaffee und Kartoffelkuchen aufgetischt; und in dem Kaffee hatte sie heute Milch von der Tüpfel, die kürzlich gekalbt hatte, so daß er gar nicht so übel schmeckte, und auch die Zuckerbrocken waren ihr noch nicht ganz ausgegangen.

– In der Stube lag ein blaßgelbes Licht; aus dem prasselnden Ofen fiel über den Fußboden fröhlicher Feuerschein.

Aber es herrschte verdrießliche Stimmung, die nicht einmal der Kaffee hatte zur Tür hinausjagen können. – Der Tag vor den Fenstern war so häßlich. ... Und es wurde nimmer anders. – Den Männern verging langsam der Lebensmut.

Jetzt hatten sie wieder einmal die Frage erörtert, wie es hier in zwei Jahren aussehen werde, und wie in vier Jahren, – und wie in sechs Jahren; denn wenn letztes Jahr so viel Menschen dazugekommen seien, wo früher nicht eine Menschenseele gewesen,– so mußten es doch wohl nächstes Jahr soundso viele mehr sein? Zufolge dieser Berechnung mußten sie also nach Verlauf von vier Jahren so viele sein – zu guter Letzt werde hier Mann an Mann bis dicht an die Rocky Mountains wohnen! Sie rechneten alles gemeinsam aus, und sie rechneten richtig; aber keiner von ihnen glaubte so recht an die Rechnung! Sie hörten sich die Worte sagen, hörten aber auch, daß keine Wärme daraus sprach. – – Und so was glaubt der Per Hansen auch noch immer so zäh? dachte sich der Hans Olsen, widersprach aber nicht. – Herrgott im Himmel, laß die jetzt bloß nicht verkehrt dividieren! dachte die Kjersti bei sich; aber sie hütete sich, einen Zweifel zu äußern.

Heute aber war es ganz unmöglich, über die Leere hinwegzukommen – das fühlten sie alle miteinander.

Aber da brachte Tönset'n etwas zur Sprache, worüber sie alles andere für kurze Zeit vergaßen. Als die Unterredung erlosch, weil niemandem mehr etwas einfiel, sie anzuschüren, da richtete sich Tönset'n, der auf der Lade hockte, auf und wollte wissen, was für einen Zunamen der Hans Olsen und der Per Hansen sich zuzulegen beabsichtigten, wenn sie jetzt die Eigentumsurkunde für ihr Land ausgestellt bekämen.

»Zunamen?«

Jawohl, Zunamen, jawohl! Denn darüber müßten sie sich doch schon im voraus klar werden, legte Tönset'n dar. Ihre Namen würden nach Landesgesetz und Recht in die Urkunde eingetragen und seien fürderhin ebenso unabänderlich wie die Verfassung selbst!

»Wir sind bereits getauft! Wie steht's denn damit bei dir, Syvert?« knurrte der Per Hansen querköpfig. »Ich kann nicht einsehen, daß Peder Hansen nicht auch für die Verfassung der Vereinigten Staaten vollauf gut genug ist. – Deine übergroße Herrenfeinheit, Syvert, die artet bisweilen geradezu ins Gotteslästerliche aus!«

Tönset'n blieb dem Per Hansen nichts schuldig. Der könne sich sein Knurren gern sparen; denn er, Syvert Tönset'n, gebe ihnen als alteingesessener Amerikaner guten Rat über Dinge, über die er gut Bescheid wisse – that's all! Wenn Tönset'n dieses ›that's all‹ in die Debatte schleuderte, dann wußte alle Welt, daß er vergrätzt war. – Übrigens, fuhr er fort, könne das ein jeder verstehen: denn ›Hans Olsen‹ und ›Peder Hansen‹ – so könnten sowohl die Griechen wie die Hebräer heißen! Niemand werde darauf verfallen, daß man dahinter Norweger zu suchen habe!

Der Hans Olsen lachte gutherzig und sagte breit und ausnehmend sanft:

»Dann ist es wohl das beste, ich nenne mich künftig Olav Tryggveson. Olav Tryggveson, norwegischer Heldenkönig, regierte von 995-1000, förderte die Einführung des Christentums in Norwegen. War da nicht einer, der so hieß? –«

Große Heiterkeit begrüßte diese Antwort; Hans Olsens Bemerkung hatte in die gedrückte Stimmung ein großes Loch gerissen.

»Ja, ja« lachte der Per Hansen, »willst du der sein, dann bin ich der Peter Tordenskiold! Berühmter norwegischer Seeheld in dänischen Diensten; 1690 in Trondhjem (Drontheim) geboren, 1720 bei Hannover im Duell gefallen. Aber dann wollen wir den Syvert doch auch gleich vornehmen. Wie wär's mit Olav dem Heiligen, Olav der Heilige, geb. 995, bricht 1016 die seit 1000 (Olav Tryggvesons Tod) bestehende dänische und schwedische Oberherrschaft über Norwegen und macht sich zum König, fällt 1030 bei Siklestad am Trondhjemsfjord im Kampf gegen die aufständischen Trönder Bauern. Trat eifrig für das Christentum ein und wird 1164 zum Schutzheiligen Norwegens erklärt. oder Tore Hund, Tore Hund, Gefolgsmann Olavs des Helligen. Hans Olsen? – Können dann nicht Juden wie Griechen verstehen, daß wir Norweger sind, dann weiß ich mir nicht zu helfen!«

Die Kjersti und die Sörine widmeten sich jetzt ganz der angeschnittenen Frage, die Solumbuben mischten sich hinein, und die Kinder verhandelten sie untereinander; die Beret jedoch wiegte schweigend ihr Kind auf dem Schoß.

Die Unterhaltung wurde wieder angeregt und ernst, und vielerlei Meinungen kamen zum Vorschein.

Doch da entschied die Sörine: hätte sie die Wahl, so hieße sie lieber ›Mrs. Vaag‹ nach ihrer Hofstelle in Norwegen, als ›Mrs. Olsen‹.

Darin lag Vernunft; und alle überlegten sich die Frage noch einmal.

»Aber schau her, du Sörrina,« rief der Per Hansen, »die Regel paßt nicht auf meine Bäurin! Denn da müßte sie künftig ›Mrs. Schlingelholm‹ heißen, und das soll keiner sie nennen dürfen – daß ihr's nur wißt!«

»Nein, meiner Treu, der Name geht nicht an für einen Christenmenschen!« lachte die Kjersti schallend.

»Freilich nicht,« stimmte die Sörine bei. »Aber ›Mrs. Holm‹, das scheint mir praktisch wie auch hübsch zu klingen. – Du, Beret, wollen wir beide unter die Wiedertäufer gehen?« Die Sörine lachte, war aber noch sehr in Gedanken.

Die Beret wiegte das Kind; sie war der Unterhaltung gefolgt; sie summte eine Melodie vor sich hin, ganz sanft und leise. Jetzt unterbrach sie sich und sagte gelassen, ihr solle es gewiß nur wenig ausmachen, – wenn es überhaupt recht sei für einen Menschen, einen andern Namen anzunehmen, als er in der Taufe erhalten.

Da wurde die Sörine ernst:

»Ich bin deiner Meinung, Beret. Aber hierzulande werden wir gleichwohl nicht nach unserm Vater genannt. Ginge es wohl an, daß ich mich ›Sörine Zakkariastochter‹ schreibe?«

»Nein,« rief Tönset'n begeistert, »nicht, sofern du als das Weib des Hans Olsen gelten willst!« – Merkwürdig, was für ein gescheiter Kopf doch auf der Sörine saß! Die Erörterung wurde noch lange und eingehend fortgesetzt. Der Hans Olsen fand ebenso wie die andern den Vorschlag seiner Frau praktisch. Der Per Hansen äußerte nicht viel, aber sein Gesicht fing an, sich aufzuhellen. – Das mußte er mit der Beret unter vier Augen bereden! Er prüfte im stillen den Namen, erst an ihr, dann an sich selber, darauf an jedem der Kinder: jedesmal strahlte sein Gesicht mehr. Mrs. Holm, das hörte sich gut an – Peder Holm, das klang nicht schlecht! – Ole Haldor Holm ? – Hans Kristian Holm ? – Anna Marie Holm? – Peder Holm – nein doch! – Peder Sieg Holm? – – Peder Sieg Holm! – Er teilte den Namen in drei Teile und beschaute jeden einzeln; dann stand er plötzlich auf, faßte den Hosengurt und zog sich die Hose hoch.

»Die Sörine hat recht: es ist sowohl hübsch wie auch praktisch, – ich denke, wir schlagen ein, Mannsleut!«

Es war unschwer herauszuhören, daß der Per Hansen jetzt guter Laune war. –

Seit der Zeit trugen also die beiden Familien zwei verschiedene Zunamen: untereinander gebrauchten sie immer den alten, aber vor Fremden hieß es von jetzt ab Vaag und Holm, nur mit der kleinen Abänderung, daß der Hans Olsen ein W an Stelle des V setzte.

 

An dem Abend ging die Beret erst spät zu Bett. Sie hatten das Vieh besorgt und zu Abend gegessen; die Kinder hatten vor Eifer über den neuen Namen, den die Sorine für sie gefunden hatte, gelärmt und getobt; jetzt schliefen sie bereits. Der Per Hansen war beim Ausziehen für die Nacht, ließ sich aber gute Zeit. Auch er war aufgeräumt und dachte über den Namen nach. – ›Peder Sieg Holm‹ sang es in ihm und stimmte ihn freudig; es trug ihn in eine große und kraftvolle Zukunft, in der es gut war zu leben.

»Aber jetzt mußt auch du dich legen!« bat er leise und sanft, liebkoste die Frau und legte sich zu Bett.

Sie vergalt ihm seine Zärtlichkeit, aber ihr Herz war nicht bei dem Geschenk. »Ich werde schon kommen,« sagte sie und blieb sitzen.

Und sie saß lange. Sie wiegte sacht das Kind auf dem Schoß. Von Zeit zu Zeit öffnete sie die Herdtür und legte ein Scheit auf; sie ließ die Tür angelehnt und starrte ins Feuer. – Warum hätte sie sich legen sollen? Die Nacht währte so schon zu lange! – Ja, jetzt hatten sie ihre Namen abgelegt, und bald kam mehr dazu! Denn das, was hier rundum sein Wesen trieb, das forderte das Ganze! – Sie hatte heute nichts dawider gesagt. Warum hätte sie sich einmischen und die Freude der andern zerstören sollen? – Alles, was sie tat, und alles, was sie sagte, das war alles verkehrt. – Dies aber hier, das mußte doch verkehrt sein? Obwohl es zwar nicht ärger war, als daß dem Kinde solch ein Namen gegeben worden; denn das war doch das ärgste von allem gewesen! – Doch vielleicht war auch das nicht verkehrt, – vielleicht war nur sie es, mit der es nicht richtig bestellt war? Darum hatte sie heute geschwiegen. – O ja, der Herrgott hatte sie diesmal verschont und hatte damit wohl seinen Plan gehabt. Sie mußte zusehen, ihre Sünde zu bereuen, ehe er sie fortnahm – so gnädig war er also. – Und sie konnte nicht bereuen, hatte nur Furcht ... nur Furcht..

Der Herd brannte aus; sie bemerkte es erst, als die Kälte fröstelnd durch die Gamme zog und sie weckte. – Da gedachte sie der Sturmnacht vor einiger Zeit. Die Kinder waren bei der Sörine geblieben, weil sie nicht allein heimzugehen vermochten, und sie hatte sie nicht holen können. In jener Nacht war sie hier auf und ab gegangen, unaufhörlich. Ach, und die beiden nächsten Nächte waren nicht besser gewesen. – Sie fühlte wieder das Entsetzen, das sie damals geschüttelt; sie erhob sich schnell und legte sich zu Bett.

Aber sie schlief nicht.

Nein, die Beret schlief nicht. Sie mußte an Menschen denken, von denen sie gelesen, – die waren in die Wüste gezogen, um in der Einsamkeit Gott wohlgefälliger zu leben. Und sie weinte; ja, sie wollte gern versuchen, ihm hier zu dienen, wenn er sie nur von dem Entsetzen befreite, das rundum so düster hing; denn in dieser Finsternis vermochte sie nicht lange mehr zu leben. –


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