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V

Als er vom Lagerfeuer zurücktrat, gewahrte er beängstigend nahe an der Glut ein Gesicht, das ihn aus einer bunten Decke heraus anschaute.

Der Per Hansen mußte es unausgesetzt ansehen; es starrte zurück. Der Gedanke durchfuhr ihn: der Mann hat entsetzliche Schmerzen; die Gesichtsmuskeln sind so verzerrt.

»Großer-Hans!« sagte er kurz, »frag einmal den Mann, ob ihm etwas fehlt; der sieht aus, als ringt er mit dem Tod!«

Wieder versuchte sich der Große-Hans mit seinem geringen Vorrat von Neusiedlerenglisch. Das Gesicht stöhnte schmerzlich auf, gab dann eine Antwort.

»Er sagt, er habe Schmerzen in der Hand!«

»So? – Schad' um den Mann! – Sag ihm, ich tät' seine Hand gern sehen.«

Aber der Große-Hans brauchte nicht mehr zu dolmetschen. Der Mann hatte sie beide eindringlich beobachtet; er stand jetzt auf, kam zu ihnen hin, wickelte erst die Decke vom Arm, zupfte dann eine Unmenge schmutziger, bunter Lappen von der Hand. Was der Mann da vorzeigte, sah böse aus; die Geschwulst hatte die Größe einer Haselnuß, und nicht nur die Hand, sondern auch Gelenk und Arm waren geschwollen. Das Übel schien von einer eitrigen Wunde in der Handfläche auszugehen. Der Per Hansen besah und befühlte, als hätte er sein Lebtag nichts anderes getan, als geschwollene Hände untersuchen. Die Hand war hart wie ein Holzklotz, die Wunde selbst jedoch geringfügig.

»Ja ja ja, – wird das hier nicht eine gediegene Blutvergiftung, so heiße ich nicht Per! – das heißt, wenn es nicht schon eine ist! – Sag ihm,« wandte er sich zum Großen-Hans »wir müßten sofort warmes Wasser und Lappen haben. Aber rein muß alles sein, hörst du, rein!«

Aber jetzt saß der Große-Hans fest. Daß der Vater warmes Wasser wollte, konnte er ihnen noch begreiflich machen; aber das mit den reinen, weißen Lappen, das ging über sein Vermögen.

Der Indianer hatte den Mann, der mit so kundiger Miene seine Hand untersuchte, nicht aus den Augen gelassen. Die andern waren nach und nach aufgestanden und dazugekommen. Auch die Weiber. Die Jungen ließen ihr Spiel und wutschten zwischen den Großen durch; zum Schluß stand das ganze Lager in dichtem Kreis um sie herum.

Der Per Hansen war ernst, tat aber doch tiefe Züge aus seiner Pfeife. »Ich sehe keinen andern Ausweg,« sagte er endlich, »als daß du, Großer-Hans, nach der Mutter läufst. Erzähl ihr alles und sage ihr, sie solle den kleinen Kessel mitbringen, und all die reinen Flicken, die sie irgend entbehren kann; aber weiß müssen sie sein – und auch eine Prise Salz brauchten wir. Sag ihr: dem Mann müsse noch heute Hilfe werden. – Und jetzt lauf! Fürchtest dich doch nicht etwa?«

O nein, der Große-Hans fürchtete sich nicht mehr; das war das prächtigste, was er je erlebt! – Er hatte sich bereits mit den Ellenbogen durch das Gedränge durchgearbeitet, als dem Vater noch etwas einfiel und er ihn zurückrief.

»Und der Sörrina sag, sie solle nachschauen, ob in des Hans Olsen großer Flasche noch ein Schluck übrig ist; und wär's auch nur ein Fingerhut voll. Denn hier geht's ums Leben! Und Mutter muß Pfeffer mitbringen. Und nun zeig', daß du ein flinker Bursch bist!«

Der Bub rannte.

»Yes, Wasser!« sagte jetzt der Per Hansen, tauchte die Hände und rieb sie sich, und der Mann verstand sogleich und brachte heißes Wasser in einem Blecheimer. Der Per Hansen wusch sich lange und gründlich, goß aus und gab zu verstehen, daß er noch mehr brauche. Mit dem frischen Wasser wusch er die Wunde. Aber schwarzbraun war diese Haut, und schwarzbraun blieb sie. Wie sollte der Per Hansen wissen, ob sie nun auch wirklich sauber sei? – Darauf nahm er den Mann bei der Schulter und setzte sich mit ihm möglichst dicht ans Feuer. Alle seine Erfahrungen als alterfahrener Lofotfischer kramte er aus dem Gedächtnis hervor. Er massierte um die Wunde herum, lange, – dann strich er das Handgelenk und schließlich den Arm; erst in kleinen Kreisen mit der Handfläche, leise und zart, darauf stärker; dazwischen hauchte er kräftig auf die Wunde.

Endlich kam der Große-Hans mit der Mutter und allem Erbetenen. Per Hansen sah, daß sie ihre Sonntagskleider angetan hatte, und das gefiel ihm an ihr. Als sie in den Lichtkreis trat, grüßte sie still und verneigte sich.

»Kannst du mir sagen, was du hier zu suchen hast?« fragte sie leise; in den Worten lag eher ein Vorwurf als Angst.

Erbittert dachte er an den Auftritt von vorhin!

Als sie keine Antwort bekam, setzte sie hinzu: »Die Kjersti weint, und mit den andern steht es nicht viel besser. Jeder möge für das Seine sorgen, – komm gleich mit heim!«

Dieses Verhalten war der Beret so unähnlich, daß Per Hansen sich zu täuschen glaubte.

»Gib jetzt zunächst den Kessel her!« sagte er. Und nun war der Große-Hans ja auch wieder zur Stelle: »Erzähl ihnen, Hans, es müsse reines Wasser sein, – ganz reines – und heiß muß es sein,« wies er ihn an.

Und nun hatte er Zeit für die Frau. »Der Kjersti geschieht heut nacht nichts Schlimmes! Meinst du aber, du könntest nicht dabei mittun, einem Menschen aus großer Not zu helfen, so magst du heimgehen,– gib mir die Sachen!« Ihre Worte von vorhin schellten ihm wieder vor den Ohren, und seine Worte klangen barsch; und er freute sich dessen.

Die Beret schwieg, blickte ihn unsicher an und errötete.

Der Kessel wurde ans Feuer gesetzt.

Und jetzt bereitete der Per Hansen jene bei allen Nordlandsfischern so hochberühmte ›Pferdekur‹ vor. Auf einen guten Eßlöffel Pfeffer und Salz in der Tasse goß er Whisky, setzte die Flasche – sie war noch halb voll – auf die Erde und bedeutete den Mann zu trinken!

Der Mann roch an der Tasse und lächelte, setzte sie an den Mund, nahm einen Schluck, schmatzte – und schnitt entsetzliche Grimassen!

»Sag ihm, du Großer-Hans, er müsse alles auf einmal hintergießen! Er überlebe es sicher; aber kratzen tät's freilich.«

Der Mann trank den Rest in einem Zuge.

»Und jetzt hilf mir, Alte! Tröpfle den Whisky auf die Hand, während ich ihn hineinreibe. Tut nichts, wenn's auf die Wunde kommt; aber immer nur ein Tropfen auf einmal, – – höh, hast du schon je eine so versaute Hand gesehen!«

Sie folgte seinen Anordnungen; ihre Hand zitterte dabei. Er sah, ihr Gesicht war heiß; an den Augenwimpern hingen Tränen. Und jetzt schellten jene Worte ihm nicht mehr in den Ohren.

Er rieb geraume Zeit und verbrauchte viel Whisky, ließ sich dann von ihr die Flicken geben, tauchte sie in das jetzt kochende Wasser, drückte sie aus und legte sie um, den einen um den andern; er brauchte sie sämtlich. Der Mann stöhnte und wimmerte.

»Und jetzt, Beretmutter, brauchten wir eine reine und trockene Hülle; aber dafür hast du wohl nichts mit?«

Sie überlegte, band sich dann die Schürze ab und reichte sie ihm. Es war ihre beste, wußte er.

»Gerad recht, Beretmütterlein! gerad recht! – Und jetzt gehst du mit der Mutter heim, du Großer-Hans; Grund zum Fürchten ist hier nicht, das seht ihr wohl ? – Die Kühe nehme ich später selber mit!«

»Und du?« fragte sie bange.

»Ich bleibe vorläufig hier. Der Umschlag muß jede halbe Stunde gewechselt werden, sonst geht der Alte, weiß der Kuckuck, drauf. – Und nun geht, ihr beiden!«

Die Beret zögerte; sie sah ihn schweigend an; ihr Mund zuckte. Nahm dann den Großen-Hans bei der Hand und ging.


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