Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

II

In uralten Zeiten soll es einmal vierzig Tage und vierzig Nächte geregnet haben, und das muß entsetzlich gewesen sein. Aber im Winter 1880/81, da schneite es zweimal vierzig Tage und vierzig Nächte hindurch. –

Der Schnee kam im Herbst, am 15. Oktober, und fiel noch, als schon der Sommermerktag, der 14. April, gewesen war.

Der Schnee flog herbei aus allen vier Ecken der Welt, am schlimmsten aber aus Süden; denn dann fielen die Flocken so groß wie die Semmeln. Ein seltenes Mal kroch die Sonne heraus, sorgte für einen oder zwei klare Tage, die die Schneeschicht tüchtig kneteten und zusammenbuken, damit mehr Platz werde für das, was sogleich hinterher kam. Oft erwachten die Menschen des Morgens in einer faden, qualmigen Luft und lauschten nach dem Wind an den Hausecken. Nein, aber was war denn das? Nur ein sonderbares Dröhnen im Schornstein ließ sich vernehmen. Man sprang aus dem Bett, fuhr in die Kleider, wollte hinaus. Und dann war da einer, der sich mit Kraft und Gewalt gegen die Tür sperrte! Ein zähes Ungeheuer lag davor. Man stieß und schob, stemmte sich gegen den Fußboden und bekam schließlich einen Spalt auf, so daß einer der Männer sich wie ein Wurm hinaus- und hinaufwinden konnte; – endlich stand man auf dem Deckel einer ungeheuren Mehlkiste, aus der es stiemte.

Dann hieß es, sich zu den Hütten hinuntergraben. Man schaufelte Stollen von der Hütte zum Stall, wohl auch von Nachbar zu Nachbar, wenn es nicht gar zu weit war und das Jungvolk sich gern betätigen wollte.

Als das alles im Spätfrühling taute, war dort, wo nichts als plattes Land gewesen war, nur noch Wasser; es war ganz wie zu Noahs Zeiten. Der eine segelte in einem Wagenkasten davon, andere auf einem Haus- oder einem Stalldach; viele gingen drauf, – es fehlte auch die Arche, auf die sie hätten flüchten können. –

Die Not unter den Menschen war groß. Ein Vorrat nach dem andern schwand dahin. Da der Winter so früh gekommen war, glaubten die Leute anfangs nicht so recht an seine Dauer; – Im November fiel nicht sonderlich viel Schnee, aber die Tage waren grau und unfreundlich. Der Dezember brachte mehr Schnee; der Januar tat tüchtig dazu; und im Februar kamen die Winterriesen selber daher. Die Kartoffeln blieben bei den meisten in der Erde; das Korn konnte vielfach nicht ausgedroschen werden; aus der Stadt konnte für den Lebensunterhalt nichts beschafft werden.

In allen Häusern wurde gemahlen. Als nämlich allmählich der Mehlvorrat zu Ende ging, mußte als letzter Ausweg die Kaffeemühle heran. Wer keine Mühle hatte, mußte sich eine leihen, – bisweilen benutzten vier Nachbarfamilien dieselbe Mühle.

Tallaksen bewies aber auch jetzt seinen Zug ins Große: er borgte sich sämtliche Kaffeemühlen der Nachbarschaft zusammen und ließ seinen ganzen Hausstand vier Tage lang von morgens bis abends mahlen. Dann konnte keiner mehr. – Und einer der Tallaksenbuben nahm die Skier, um die Mühle, die sie von Tönset'n geliehen, wieder zurückzubringen. Am Tage zuvor hatte es getaut, in der Nacht war Frost gekommen; an einigen Stellen trug die neue Kruste schon; zumeist aber brach sie unter dem Fuß ein. Unten am Bach häuften sich die Schneewehen bergehoch. Der Bub fuhr den Abhang hinab, ohne zu bremsen, bekam größeren Schuß, als er berechnet hatte, und fiel kopfüber in eine Wehe. Die Skier sausten nach rechts, die Kaffeemühle nach links; und als der Bub ihr nachkrabbeln wollte, krachte es unter ihm und begrub ihn mitsamt der Mühle. Der Bub buddelte sich heraus und machte sich ans Suchen, trampelte und brach immer wieder ein; aber die Mühle fand er nicht. So blieb ihm denn nichts anderes, als sich mit diesem Bescheid zu Tönset'ns Gehöft zu begeben.

»Du hast doch wohl nicht etwa die Kaffeemühle weggeschmissen?« fuhr Tönset'n auf.

Nein, lachte der Bub, akkurat weggeschmissen nicht; und er wisse auch genau, wo sie liege, – er könne sie bloß nicht finden!

»Grinsest du auch noch darüber, du Gimpel!« Tönset'n ergrimmte so sehr, daß er dem Buben eins hinters Ohr gab; zog sich sofort die Winterjacke an, rannte zu den Nachbarn und kommandierte sie ans Suchen, und dabei ließ er eine Äußerung fallen, die seither im Settlement zum geflügelten Wort geworden ist: »Ganz gleich, ob wir selber krepieren: wenn wir bloß die Mühle finden, – verstanden, Mannsleut!« –

Am schlimmsten aber war doch der Mangel an Brennwerk. Weder Holz noch Kohle war aufzutreiben. In allen Hütten drehten die Leute Heuwische.

Ganze Herden ersoffen im Schnee, verschwanden im ersten Herbststurm und wurden erst wieder gesehen, als im Frühjahr der Schnee schmolz, nachdem sie dort bereits sechs Monate gelegen hatten. Ein grausiger Anblick.

Und ähnlich erging es den Menschen. Die einen kamen auf die gleiche Weise um; andere holte der Husten. Ärztlichen Beistand gab es nicht; nicht einmal die alten Hausmittel standen zur Verfügung, weder Salbe noch Heilkräutertrank. Wo einer starb, wurde er in ein entbehrliches Stück Zeug gehüllt und einstweilen beiseite gestellt.

Im Frühling gab es rings in den Settlements viele Begräbnisse.


 << zurück weiter >>