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XII

Der Per Hansen blieb lange in Betrachtung der Frau versunken, die so friedlich schlief mit einem Bündel an der Seite, aus dem ein winziges rotes und runzliges Gesichtlein hervorsah, und er fühlte es klar und deutlich: Von dieser Stunde an war er ein besserer Mensch!

Endlich kam er so weit zu Bewußtsein, daß er sich der Sörine zuwandte: »Kannst du mir sagen, welche Sorte Menschlein du da für mich geholt hast, – ist es ein Männlein oder ein »Weiblein?«

Nein, wie albern doch die Mannsleut immer waren! – – Übrigens mußte die Kjersti und auch die Sörine lachen, wie sie jetzt den Per Hansen anschauten: so gute und lustige Augen hatten sie noch in keinem Menschen gesehen. – – Dann aber wurde die Sörine gleich wieder ernst, er dürfe sich mit solcherlei jetzt nicht aufhalten. So, wie sie an dem da heut Nacht gezerrt, konnte keiner sagen, wie es abgehen werde. – Er müsse zusehen, das Kind zu taufen; denn das wolle sie nicht zu verantworten haben.

Da kam etwas Kleinlautes in das lächelnde Gesicht.

»Das mußt du besorgen, Sörrina!«

»Nein!« sie schüttelte ernst den Kopf. »Das ist nicht Weiberarbeit, das weißt du wohl. Und jetzt sollst du hübsch verfahren und dem Herrgott dafür danken, daß dir so wohl geschehen ist!«

Der Per Hansen nahm seine Mütze, ging zur Tür, blieb hier einen Augenblick stehen und sagte:

»Ich weiß nur einen hier herum, der zu einer solchen Handlung würdig ist, wenn nicht du sie vornehmen willst; und jetzt lauf ich, ihn zu holen. – Ihr mögt vorbereiten, was dazu nötig ist. Das Gesangbuch findet ihr auf dem Wandbrett über dem Fenster. – Ich spute mich!«

Sörines gute Augen wurden schmal und glänzten vor Freude; sie wußte wohl, wen er holen wollte. Das war hübsch von dem Per Hansen! – Aber dann kam ihr etwas in den Sinn; sie ging mit ihm hinaus und zog die Tür hinter sich zu.

»Es ist nur das,« sagte sie, »daß ich dir doch erzählen muß: dein Bub hatte einen Siegerhelm Siegerhelm, Glückshaube u. ä. = besondere Hauthülle an Neugeborenen. auf, als er zur Welt kam. – Und deshalb meine ich, du solltest nach einem schönen Namen suchen!«

»Nein, was sagst du, Sörine!«

»Ja, Kind, das hatte er! – Und du weißt, was das zu bedeuten hat!«

Der Per Hansen wischte sich die Augen und wandte sich zum Gehen.

Draußen war jetzt heller Tag. Die Sonne hatte schon ein Stück am Himmel zurückgelegt. Es war heute kalt, sah der Per Hansen. Der Frostdampf kräuselte sich in riesigen Schlangen über der glitzernden, gelbroten Widde. Die Sonnenstrahlen stachen nach ihnen, und das gab' ein seltsames Licht. – Er merkte, daß die Augenwimpern ihm zusammenfrieren wollten, und er mußte sie mit den Fäustlingen reiben.

– Nein, war es nicht sonderbar, daß er einen Siegerhelm hatte? –

Der Per Hansen eilte, was er konnte. Zuletzt setzte er in großen Sprüngen davon.

»Frieden ins Haus und frohe Weihnachten, gute Leute!« grüßte er, als er drüben eintrat. – Es war eisig in der Stube. Die Solumbuben lagen vollständig angezogen in dem einen der Betten; sie schliefen und erwachten nicht bei seinem Gruß. Seine eigenen drei Kinder und des Hans Olsens Sofie lagen in dem andern Bett; der Ole für sich allein am Fußende, die andern drei auf dem Kopfkissen. Der Große-Hans hielt das Gössel fest umschlungen, als wolle er es schützen. Der Hans Olsen und Tönset'n hatten ihre Stühle dicht an den Herd gerückt und saßen dort jeder auf seiner Seite. Tönset'n war eingenickt, der andere wach. – – – Beide Männer sprangen auf, als der Per Hansen hereinkam, – und starrten ihn an.

Der Per Hansen mußte sie geradheraus anlachen; sie glotzten, als sei er ein Gespenst. Und dann war es, als sei sein Gelächter das beste, was sie seit langen Jahren gehört.

»Nein, wie steht es denn?« fragte Tönset'n und schudderte sich.

»Oh, es hätte auch schlimmer ausgehen können!«

Der Hans Olsen faßte seine Hand: »Sie bleibt am Leben?«

»So scheint es.«

Jetzt merkte Tönset'n plötzlich die Kälte in der Stube; er begann umherzuwandern und sich ›die Motten auszuklopfen‹. – »Ich möcht' meine Rösser drauf verwetten, daß es ein Bub ist, den du bekommen hast? Ich seh's dir an!« Er blieb klopfend vor dem Per Hansen stehen.

»Richtig geraten, Syvert! – Aber es steht schlecht mit ihm, meint die Sörrina. – – Und jetzt mußt du, Hans Olsen, mit hinüber und mir das Büblein taufen.«

Der Hans Olsen starrte den Nachbar mit wahrem Entsetzen an: » – – Ich mein', du bist nicht recht gescheit, Per Hansen!«

»Doch, Hans Olsen. Mach du dich nur bereit; – im Gesangbuch steht beides, was du sagen sollst, und wie du vorgehen mußt.«

»Nein, das vermag ich nicht,« sagte der Hans Olsen bebend unter dem tiefen Ernst, der sich über ihn legte. »Ein Sünder wie ich!'«

Da sagte der Per Hansen etwas, was Tönset'n merkwürdig gut gesagt schien:

»Was du vor dem Herrgott bist, das weiß ich nicht, – – aber das weiß ich, daß er sich nach einem besseren Mann in Tun und Lassen, als du es bist, lange umsehen kann! – – Und das muß er doch wohl auch mit in Betracht ziehen, denk' ich!«

Der Hans Olsen wehrte voller Bangen: »Du mußt den Syvert bitten.«

Da wurde Tönset'n aber plötzlich zornig:

»Schwätz jetzt nicht solchen Unsinn daher! Denn das wissen wir doch alle: soll jemand von uns den Job übernehmen, dann mußt du das sein, Hans Olsen. – – Und eil' dich, – mit so etwas ist nicht zu spaßen, will ich euch sagen!«

Der Hans Olsen starrte vor sich hin; seine Hilflosigkeit war so groß, daß er geradezu komisch anzusehen war; aber niemand lachte. »– – Wenn das nur nicht Gotteslästerung ist!« Aber dann zog er sich die Winterjacke an und nahm die Fäustlinge. Er wandte sich an Tönset'n: »Da steht: ›in Fällen der Not‹? – Ist es nicht so?«

»Jawohl, das steht da! – Und all das übrige, was du außerdem wissen mußt, steht da auch!«

Die beiden Männer schritten schweigend durch den frostschweren Morgen, der Per Hansen voran. Auf halbem Wege blieb er stehen und sagte zum Nachbar:

»Wär' es ein Dirnlein gewesen, siehst du, hätte es Beret heißen sollen, – das hatte ich schon lang bei mir beschlossen.

– – Wenn es aber jetzt gleichwohl ein Bub geworden ist, so muß er wohl Per heißen, – ja, du mußt natürlich ›Peder‹ sagen, kannst du wohl begreifen! – – – Ich habe auch sehr an Josef gedacht, – der war gewiß ein braver Bursch, – aber der Großvater war ein verläßlicher und tüchtiger Mann zu Lande wie auf dem Wasser; der hieß Per, und bei Per mag es auch bleiben. Aber« – der Per Hansen blieb stehen, und bedachte sich; dann schaute er den Nachbar an, und es begann wieder in seinen Augen zu blitzen – »der Bub braucht noch einen zweiten Namen; und jetzt sollst du ihn akkurat ›Peder Sieg‹ taufen! – – Das letzte ist wegen deiner Sörrina. – Sie hat mir in dieser Nacht eine Wohltat erwiesen, die ich ihr niemals ganz vergelten kann, und da soll er denn nach ihr benannt sein.«

Der Hans Olsen sagte nichts dazu. Und sie gingen weiter. – Beide traten voller Ehrfurcht in die Stube. – Feiertagsstimmung war da drin. Die Sonne schien zum Fenster herein und legte Goldfarbe auf die weißen Wände; an der Nordwand, wo das Bett stand, war es noch dunkel. – Im Herd brannte ein tüchtiges Feuer; der Kaffeekessel surrte auf ihm. – Der Tisch war weiß gedeckt; auf ihm lag ein aufgeschlagenes Gesangbuch, die Blätter nach unten gekehrt; daneben stand eine Schüssel mit Wasser; dicht daneben lag ein weißes Handtuch. – – Die Kjersti machte sich beim Herde zu schaffen und legte nach. Die Sörine aber wiegte im Winkel leise summend ein Bündel; aus dem Bündel kam ein heiseres Piepen, wie aus einem Vogelnest.

Der Per Hansen mußte sogleich ans Bett. – – Sie schlief jetzt gewiß fest? – Und gottlob, der Gram war verschwunden. Er richtete sich auf und schaute sich in der Stube um und fand, er habe Schöneres noch nicht gesehen.

Die Sörine trat mit dem Bündel zum Tisch und entblößte ein kleines rotes Menschenköpflein.

»Ja, ist es so, daß du hier den Pastor vorstellst,« wandte sie sich ihrem Manne zu, der noch immer neben der Tür stand, »dann mußt du jetzt kommen. – »Wasch dir vorher die Hände.« –

Bald darauf standen sie alle um den Tisch.

»Hier liegt das Buch. – Du brauchst nur, so gut du es kannst, zu lesen; dann tun wir alles, was geschrieben steht,« ermunterte die Sörine ihren Mann. – Sie ordnete an, redete leise und sicher; es war, als hätte sie nie im Leben etwas anderes getan, als Nottaufen vorbereitet. Und das war es wohl, was dem Hans Olsen den freien Mut gab, dessen er bedurfte. Er trat zum Tisch, nahm das Buch auf, las langsam vor, was gelesen werden sollte, mit bebender Stimme und mit sehr viel Pausen. Und dann taufte er das Kind Peder Sieg, sagte den Namen deutlich und betete darauf das Vaterunser so schön, wie es die Kjersti noch nie hatte beten hören.

»Ja,« sagte sie mit tiefer Überzeugung, »nicht glaube ich, daß viel daran fehlt, daß diese Taufe recht und richtig vollzogen worden ist! – – – Und der Kaffee ist fertig, und jetzt wollen wir uns alle miteinander einen tüchtigen Schluck gönnen!« –

Aber jetzt kramte der Per Hansen im Winkel, und dann brachte er eine Flasche zum Vorschein. Er schenkte erst der Sörine ein; darauf der Kjersti. »Hat es jemals Menschen gegeben, die sich einen guten Tropfen verdienten, dann müßt ihr beiden heut nacht das wohl gewesen sein. – Und ihr müßt akkurat noch ein Schnäpslein obendrauf haben! – – –

Nein, jetzt beeilt euch aber, Weibsleut! Dem Hans Olsen und mir ist keineswegs allzu wohl zumute!«

Und dann wurde fröhlich gegessen und Kaffee getrunken.

»Das schaut ganz nach einem herzensbehaglichen Weihnachtsfest aus!« sagte der Per Hansen und lachte.


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