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III

Die Vorbereitungen zum Abend und zur Nacht waren schnell getroffen; jeder hatte seine bestimmte Obliegenheit und war jetzt gut eingeübt.

Der Große-Hans sorgte fürs Holz; das Holzbündel hing unter dem hinteren Wagen und bestand aus Kleinholz und Reisig vom letzten Wäldchen, an dem sie vorbeigekommen waren. – Der Ole richtete die Feuerstätte her; zwei an dem einen Ende gespaltene Eisenstäbe wurden in die Erde gebohrt und ein dritter quer darüber gelegt. Ferner war der Ole dafür verantwortlich, daß bei jeder Rast genug Wasser in dem Holzfäßchen war. Außerdem hatte er der Mutter zur Hand zu gehen. – Der Vater besorgte das Vieh. Er hob zuerst das Joch von den Ochsen und koppelte sie los; dann molk er Buntscheck und ließ sie laufen. Zuletzt richtete er unter dem Wagen das Nachtlager ein für sich und die Seinen. – Während die Mutter das Aufkochen im Kessel abwartete, deckte sie den Tisch. Sie breitete eine Decke auf dem Erdboden aus, legte für jeden einen Löffel darauf, setzte zwei Schalen zur Milch hin und holte eine Schüssel für das Mus. – Und außerdem durfte sie das Gössel nicht aus den Augen verlieren, das im Grase herumtappelte, hinfiel, vergnügt quietschte, wieder aufstand, mit dem Fuß in das lange Röckchen trat, von neuem hinpurzelte und lachte, daß es durch den Abend trillerte; von Zeit zu Zeit ließ sich die warnende Stimme der Mutter vernehmen.

Der Große-Hans war zuerst mit der Arbeit fertig. Er zögerte einen Augenblick, begab sich dann aber doch auf eigene Faust auf eine Spritztour nach Westen. Wie weit mochte es wohl bis zu dem Hügel da vorne sein? Spaßig zu sehen, wie es wieder westlich von dem aussah! Vielleicht waren die anderen dort? Denn irgendwo mußten sie doch sein? Dann wollte er sie mit Indianergeheul überraschen und ihnen fürchterliche Angst einjagen! – Er war schon ein gut Stück gegangen, als er sich umsah. Und da durchfuhr ihn ein Schreck: die Wagen waren jetzt Pünktchen auf dem Boden eines unendlichen schummerigen Raumes! Ich muß schauen, schleunigst wieder heimzukommen, überlegte er mit offenem Mund; die Mutter hat jetzt auch gewiß das Mus bereit! Und er machte unverzüglich kehrt. Aber selbst der Gedanke an Mutter und Mus gaben ihm noch nicht das entbehrte Sicherheitsgefühl, und so nahm er seine Zuflucht zu einem Kirchenlied, das er laut und herzlich falsch vor sich hersang, bis ihm der Atem verging. Aber da wuchsen sich die Wagen auch schon wieder groß, und es war nicht mehr ganz so gefahrvoll.

Die Mutter rief jetzt zum Essen. Auf der Decke standen zwei Schalen mit dem Habermus, eine größere für den Vater und die beiden Buben, eine kleinere für die Mutter und das Gössel. Die gesamte Abendmilch war auf die beiden Schalen verteilt. Die arme Buntscheck gab in diesen Wandertagen nicht viel her! – Der Vater verzichtete auch heute abend auf seine Milch: sie habe Beigeschmack, und er trinke lieber Wasser zum Mus. Als aber auch der Ole sich über den Geschmack der Milch zu beschweren begann und lieber Wasser haben wollte, da hieß ihn der Vater gefälligst den Schluck Milch hinuntertrinken. – Mehr als die Milch und die beiden Schüsseln Mus bescherte der Abendbrottisch nicht.

Plötzlich gerieten der Ole und der Große-Hans sich in die Haare; der eine warf dem andern vor, er esse zu weit da hinein, wo das Mus schon kalt geworden. Der Vater hörte erheitert zu. Dann stellte er Frieden her, indem er mit seinem Löffel drei Linien über die Musoberfläche zog.

»Schaut her, ihr Buben! Dies ist dein Landstück, Großer-Hans; nimm es in Besitz und gib dich damit zufrieden! Der Ole muß einen Morgen Land mehr haben, weil er größer ist als du. Und nun stopft euch die Mäuler!« Der Per Hansen selbst bekam an dem Abend das kleinste Mus-Areal.

Im übrigen wurde bei Tisch nicht gesprochen. Auf ihnen allen lastete etwas, und sie vermochten es nicht abzuschütteln.

Als der Vater gegessen, leckte er den Löffel gründlich ab, wischte ihn am Hemdärmel trocken und warf ihn auf das Tischtuch. Die Buben machten's ihm nach; nur das Gössel wollte seinen Löffel in sein Röcklein einwickeln und ihn bis morgen früh da aufheben.

Jetzt waren sie fertig. Und das Kleinste sagte mit feinem Stimmchen das Tischgebet her: »Hab Dank, o Gott im Himmelreich, der du uns geschaffen hast ... – Und jetzt lege ich mich zu dir!« erklärte sie, kaum daß sie das Amen vorgebracht, kletterte in den Schoß der Mutter und hing sich ihr an den Hals.

Die Mutter drückte das Kind an sich. – »Huff, wie schnell es hier finster wird!« entfiel es ihr.

»O ja,« meinte Per Hansen trocken und wiegte den Oberkörper, »desto schneller wird es wohl morgen früh wieder hell!«

Und jetzt braute sich weit weit weg, dort hinten, wo sie hergekommen waren, etwas zusammen. Das Himmelsgewölbe wurde vom Rande her in trollhafte Helle getaucht, – mattgelb, grünspanfarben, mit einem Fünkchen Rot darin. Die Helle verbreiterte sich nach oben, wurde farbenfrischer, gewaltiger, – noch zauberischer kupfergrün.

Sie schauten stumm zu.

Das Gössel vermochte zuerst die Zunge wieder zu rühren, und am Halse der Mutter hängend, rief es: »Nein, schaut die Sonne! – – Da ist ja die Sonne!«

Ernst erhob sich über der Einöde der Mond. Schon mehrere Abende war er so früh aufgegangen, und doch erschien ihnen der Anblick jedesmal gleich neu und gewaltig. Wie am Abend zuvor irgendwo weiter östlich auf der Prärie sahen sie ihn langsam über dem Himmelsrand aufsteigen. Die Silberstreifen verstärkten sich, das erste mattgrüne Kupferlicht fing an zu zittern, wechselte in grünblaue, gelbgrüne Nebel hinein.

Das Gössel war ganz überzeugt, daß der Mond heute abend noch viel größer sei. Das war sie auch gestern schon gewesen; trotzdem versuchte der Große-Hans sich noch einmal mit der Erklärung, daß der Mond doch wohl ebensogut wachsen dürfe, wie sie selbst! Das fand sie auch recht und billig und wollte nur noch von der Mutter wissen, ob denn auch der liebe Mond jeden Abend Mus und Milch bekomme wie sie.

Der Per Hansen hatte derweil, auf der Wagenstange sitzend, seine Pfeife geraucht. Jetzt stand er auf, klopfte die Asche aus, steckte die Pfeife in die Tasche, sah auf die Uhr und kommandierte alle Mann in die Kojen.

Gleich darauf streckten sie sich unter die Decken und sahen in das grünblaue Licht,

Als die Mutter glaubte, daß die Kinder schliefen, sagte sie sorgenvoll: »Glaubst du, daß wir sie wieder auffinden?«

Der Per Hansen antwortete so sonderbar gedehnt: »Das meine ich wohl. Wenn sie nicht geradeswegs in die Erde gesunken sind!« Und dann gähnte er lange und nachdrücklich, als sei er entsetzlich schläfrig, und legte sich auf die andre Seite.

Da sagte auch sie nichts mehr.


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