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Damit begann ein unendlich schweres Ringen zwischen der Zähigkeit des Menschen und dem Heer der Bosheit, das gegen ihn losgelassen war. Im Jahre 1873 waren Anzeichen der Plage vernehmbar gewesen, und 74 kam sie, und sie wütete in den Jahren 75, 76 und 77, zum Teil auch 78; darauf verschwand sie ebenso plötzlich, wie sie gekommen. – Sie wütete entsetzlich; sie brachte die einen an den Bettelstab, die andern ins Irrenhaus, trieb etliche in die Wälder zurück, aus denen sie gekommen – was übrigens auf das gleiche hinauskam. Aber die meisten blieben doch, wo sie waren. Denn die Armut war so groß, daß sie nicht zu wandern vermochten; und sie wußten auch keine Stätte der Zuflucht, – ja, wo hätten sie eigentlich hingesollt? Und so warteten sie denn darauf, daß es einmal besser werde!

Trotz allem aber; es kamen immer mehr Menschen, die dies Los teilen wollten. Der Boden war vortrefflich und die Gegend schön – gerad ›wie das Land Kanaan‹! Die eine Karawane nach der andern zog langsam herbei!

Die Plage trat pünktlich auf; sie legte sich auf alles, was die Erde hervorbrachte, – auf alles, außer dem Gras: das war nicht Menschenwerk und mochte unberührt stehenbleiben.

Es war wie die schiere Teufelei; im Frühjahr und Vorsommer war die Luft so rein und lind, sie schmiegte sich wie Seide an die Haut. Was in die Erde kam, gedieh, daß es eine Lust war, es wölbte sich in Reife. Und dann, gerade wenn die Reife sich setzen wollte, stiegen eines Tages bei frischer, kühler Brise aus West oder Nordwesten, da draußen seltsame Wolkenschichten auf. Und dann begannen sie zu sausen – des Himmels unzählige Heerscharen; und damit war es um alles geschehen, was Ackerfrucht hieß. Und immer kam das Ungeziefer aus West oder Nordwest, am häufigsten jedoch aus Nordwest, wo die Abendröte am schönsten war; und meistens gegen Abend, wenn der Tag müde ward.

Jetzt spürten die Menschen die Wahrheit des alten Sprichworts: Alles Böse kommt von Norden oder aus der Tiefe.

Niemand hat bisher eine zufriedenstellende Erklärung für den Ursprung des Ungeziefers in jenen Jahren zu geben vermocht. Man hat von den großen Sandwüsten in Westcolorado gesprochen; – ja – – gesprochen! – Aber nachdem die Pest einmal hier gewesen, hinterließ sie genug in dem im Sommer umgepflügten Boden. Dort legte sie winzige zerbrechliche Eier, die aussahen wie trocknes Sägemehl. Die überdauerten die Feuchtigkeit des Herbstes, die vielen Schneeschichten des Winters, den Frost, der so stark war, daß es im Gesträuch des Feldes knackte, – lagen wie tot im Frühling; sobald aber die Sommersonne die winzigen Perlchen eine Weile erwärmt hatte, kroch es aus ihnen heraus! – Und hier bewahrheitete sich ein anderes altes Wort: Kein Ungeziefer ist so schlimm wie das, was die Menschen sich selber auferziehen. Denn das Gesindel, das aus diesen Eiern auskroch, richtete eine größere Verwüstung an als das, was mit dem Winde herangesegelt kam, und sie waren zudem so unerträglich ekelhaft!

Aber nicht als ob die anderen nicht mehr kamen, weil die Menschen selber genug bei sich erzeugten, – behüte, nein! Es gab Sommertage zu Zeiten der Pest, an denen man nicht klare Luft zu sehen bekam. Doch nicht immer lag der Plage daran, auf dem Boden zu hausen; die Wolkenschichten trieben bisweilen als scheinende und blinkende Schneeschichten unter der Sonne umher. Dann war es plötzlich, als bekäme das Übel Gewissensbisse, weil es die Menschen nicht heimgesucht habe; und bei der nächsten Nordwestbrise sauste es plötzlich herab, schnitt unausgesetzt, fraß mit gierigen Zähnen, fegte weg, was so schön stand. Wenn dann am nächsten Tage die Brise wieder auffrischte, konnte bisweilen das Teufelsgeziefer auffliegen und wie leuchtendes leichtes Sausen in der Luft schweben – auf Ausguck nach einem neuen Wirkungsfeld.

Und die sonderbarsten Launen hatte es. Es kam vor, daß es auf einem Acker alles kahl schor bis auf einen Randstreifen von ein paar Ellen Breite; ein anderer Acker blieb so gut wie unberührt; einer dicht daneben war wie rasiert, so daß das Feld mit abgemähten Ähren besät war; auf dem nächsten fielen sie bloß über die Grannen her, und die Ähren sahen danach aus wie hornlose Hammelköpfe. Die Pest war auch keineswegs wählerisch – Gemüse oder Kartoffeln, Gerste oder Hafer, Weizen oder Roggen, oder was es sonst war – das galt ihr gleich. Ein dichter Schwarm konnte sich auf ein Wagengestell herablassen; und wenn er es verließ, war es von unzähligen kleinen Raubtierzähnen wie gemasert. Steckte eine Heugabel in der Erde mit einem Eichen- oder Hickoryschaft, dann sah der Stiel hinterher wie abgesplittert aus. Fand der Schwarm ein Kleidungsstück auf dem Felde, konnte er es zerfasert zurücklassen.

Die Menschen wurden des Staunens nicht müde. Die einen vergingen vor Angst, der Gottlose fluchte Donner und Blitz, der Fromme betete. Der Furchtlose grübelte nach Mitteln und versuchte bald dies, bald das. Der Gutgläubige aber ging mit Quirl oder Nudelholz und einer Waschschüssel an den Acker und trommelte damit aus allen Leibeskräften; diese Serenade jedoch half ebensowenig wie alles andere, – die bösen Geister fuhren erst davon, wenn sie glaubten, fertig zu sein.


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