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X

Als die Beret, das Kind liebkosend, auf dem Kissen lag, befiel sie schwere Schlaftrunkenheit. Das tat so wohl, sie mochte nicht widerstehen. Sie schlummerte ein; ihr war, als werde sie in eine strahlende, von Regenbogen durchwobene Bläue hinaufgetragen; es war warm und weich zugleich, darinnen sprach jemand schön und vernehmlich, und zu guter Letzt umspannte es die ganze Erde. –

Lange konnte es nicht gewährt haben; sie erwachte davon, daß ein Kind neben ihr sie mit einem feuchten Fingerlein ins Augenlid stupfte; sie stützte sich auf den Ellbogen und strich sich übers Gesicht; – es lag noch ein Schleier darüber.

Ich muß arg fest geschlafen haben, dachte sie.

Sie starrte das Kind neben sich an, strich sich wieder über die Augen, ohne zu begreifen.

Aber was treibe ich bloß für Unsinn, das ist ja doch mein kleiner Per!

Sie setzte sich auf, nahm ruhig das Kind und hob es auf den Schoß.

Sie zitterte und berührte ihn so behutsam, wie wenn man dem geliebten Menschen zum ersten Male nahe kommt.

»Jetzt will der Bub aber essen,« maunzte es.

»Ja freilich muß das Männlein jetzt essen!«

Der Bub rangelte sich vom Schoß auf den Boden; sie konnte sich gar nicht satt sehen an ihm, ja, ihr wurde rein angst bei all der Lebendigkeit, die aus dem Wichtlein quoll.

Sie stand jedoch geschwind auf, um dem Kind sein Essen zu holen; sie wollte zum Wandbrett nach der Milchschüssel, mußte aber auf halbem Wege stehenbleiben und sich tief verwundert umschauen: wie merkwürdig hier alles war! – Was mochte wohl geschehen sein? – Das war ja rein, als sei sie Jahr und Tag nicht hier gewesen

Das Kind kam ungeduldig nachgetappelt und zupfte sie am Rock. Sie nahm eine Schüssel Milch herab, – wo war jetzt bloß der Löffel, den sie immer zum Rahmschöpfen benutzte? Und der Rahmnapf? Und gab sie denn dem Kinde nicht immer aus derselben Tasse zu trinken? – Und das Brot? Es mußte doch wohl eine Scheibe Brot in die Milch gebrockt bekommen? Ja, wo war denn bloß das Brot geblieben? –

Die Beret suchte in ihrer eigenen Stube wie eine Hausmutter, die lange fortgewesen ist und inzwischen eine Fremde den Haushalt hat besorgen lassen. Und sie fühlte die Freude des Heimgekehrtseins und erstarkte daran. Hier fand sie das eine, dort das andere, und das Büblein bekam schließlich sein gehöriges Essen.

Jetzt kam ihr etwas in den Sinn, und sie schaute sich wieder um: Wo waren denn aber heute die andern? – Der Per Hansen sollte doch wohl in der Nähe sein, – hatte sie nicht soeben mit ihm gesprochen? Und wo waren die Kinder, – konnte sie sich denn heute auf nichts besinnen? – Sie ärgerte sich über sich; mußte aber doch auch lachen: vor einer kleinen Weile hatte sie noch alle miteinander um sich gehabt, und jetzt konnte sie sich auf gar nichts mehr besinnen? Ja, heute ging sie doch wahrhaftig wie närrisch umher!

– Darüber muß ich mir doch aber klar werden, dachte sie und ging hinaus.

Draußen bot ihr der Nachmittag mit lauer Luft ein freundliches Willkommen; sie atmete tief und empfand es so sehr angenehm. – Die Augen blieben an den Bäumen rings um die Hofreite hängen, und wieder stand sie betroffen –: da dämmerte ja geradezu ein Wald in der Sonne hin? – Ein Stück weiter ab stand auf der Prärie ein halbfertiges Haus. Ja, war denn das des Hans Olsen neues Haus? Wie gut für die Sörrina, bald in einem Hause zu wirtschaften; was man auch sagen mochte: diese Gammen blieben nur ein Notbehelf, – wurden sie erst alt, dann fiel soviel Staub und Schmutz vom Dach.

Aber dort kam einer aus dem Stall, ein mächtiger, etwas vornüber gebeugter Mann; er grüßte sie sanft mit tiefer Stimme und nahm den Weg über die Prärie. Die Beret wäre fast ängstlich geworden: war das nicht der Hans Olsen? Erkannte sie ihre nächsten Nachbarn nicht?

Sie hörte jemanden im Stalle, ging hin und lugte hinein.

»Bist du hier?« fragte sie.

Ein breitschultriger, untersetzter Mann trat ins Tageslicht, mager und mit gefurchtem Gesicht und angegrautem, zerzaustem Bart, in dem Heuhalme hingen.

Sie mußte sich den Mann genauer betrachten, wurde erst ängstlich, mußte dann aber über sich lächeln.

»Kannst du mir sagen, – wie schaust du bloß aus?«

Der Per Hansen blieb stehen, starrte sie an; er klammerte sich an den Pfosten zwischen den zwei Viehständen, um sich zu halten.

Als die Beret das sah, bekam sie es ernstlich mit der Angst; sie trat schnell hinzu.

»Bist du krank?« fragte sie teilnehmend; »du darfst dich nicht so abrackern, wenn du so elend bist; denn so eilt es doch wohl nicht?«

»Nein, nein,« sagte er wie abwesend und wagte nicht, sie anzusehen.

»Jetzt mußt du sofort aufhören, – ich laufe hinein und koche dir etwas!« Sie war so voll Sorge für ihn, daß sie seine Antwort nicht erst abwartete.

Der Per Hansen blieb in der Stalltür stehen und sah ihr nach, wollte hinterher und ihr etwas sagen, wagte es aber nicht. – Ein Spaten lehnte neben der Tür; er nahm ihn und stellte ihn weiter hinein; nein, hierher nicht; und er setzte ihn wieder zurück. – Der Hammer, den er gerade gebraucht hatte, lag auf dem Boden. – Den Hammer darf ich nicht vergessen fortzulegen, sonst wird er in den Boden getrampelt! – Aber er ließ ihn liegen. Er bebte, daß er sich stützen mußte.

– Das weiß ich: so hat sie seit Jahr und Tag nicht ausgesehen. – Er seufzte schwer: Aber das hat wohl nichts weiter zu bedeuten! –

Die Beret schürte sofort das Feuer im Herde; das Männlein saß noch immer am Tisch. »Und jetzt will der Permann aber noch mehr!« krähte es. Aber sie hatte nicht Zeit, sie setzte geschwind einen Kessel über und tat Milch hinein. Er hat sich gewiß bei dem ewigen Regen erkältet, dachte sie, und muß sogleich etwas Warmes in den Leib bekommen! Ich tue tüchtig Pfeffer hinein. Bekäme ich ihn doch dazu, sich ins Bett zu legen und ordentlich zu schwitzen, dann würde ich ihn bald gesund machen, – es pflegt bei ihm nicht lange anzuhalten.

Wie sie die Bettdecke zurückschlug, fiel ihr Blick in den Spiegel beim Kopfende des Bettes; sie mußte einhalten und sich anschauen.

– Ich sehe aber auch aus! Kein Wunder, daß er mich so seltsam anschaute; er, der mich immer so nett und sauber haben möchte!

Während sie auf das Aufkochen der Milch wartete, wusch und kämmte sie sich. Dann holte sie aus der Lade geschwind ihre Sonntagskleider und warf sie sich über und schwätzte dabei mit dem Büblein.

So, jetzt sehe ich doch nicht mehr aus wie eine Vogelscheuche!

Die Milch kochte auf, sie nahm den Kessel vom Feuer und ging, ihn hereinzurufen.

Der Per Hansen trat in seine Hütte ein wie ein Kind, das zu Fremden kommt und sich vor lauter Scheu nicht getraut, die Mütze wegzulegen. Aber der kleine Per saß noch immer am Tisch, und da ging er zu ihm, nahm ihn auf den Schoß und strich ihm übers Haar, – er war nicht imstande, etwas zu sagen, und er wagte auch nicht, sie allzusehr anzuschauen.

Die Beret brachte ihm eine Tasse dampfender Milch.

»Ich habe Pfeffer hineingetan, und jetzt mußt du zusehen, alles so heiß wie möglich in dich hineinzutrinken, und dann legst du dich ins Bett und packst dich gut ein!«

Er tat, wie sie es ihn geheißen, trank eine Tasse nach der andern, sah sie unverwandt an, – sagte kein Wort.

Sie setzte sich neben ihn und erzählte, wie wunderlich es hier heute gewesen sei; sie habe sich eine Weile mit dem Kinde hingelegt, und als sie wieder aufgestanden sei, habe sie sich auf rein gar nichts mehr besinnen können. »Denke dir nur, es war, als hätte ich Jahr und Tag verschlafen!«

Der Per Hansen hörte zu, sah sie an, trank die heiße Milch, bis ihm die Tränen über die Backen liefen.

Derweile plauderte sie mit ruhiger, lieber Stimme, – ganz wie seine alte gottgesegnete Gold-Beret.

Als er aber wirklich durchaus nicht mehr trinken konnte, sagte sie, jetzt müsse er sich sofort hinlegen, – wenn er nur tüchtig schwitze, gehe alles vorüber!

Der Per Hansen fügte sich wie ein artiges Kind; sie wickelte ihn selber fest in die Decke.

»Jetzt sieh zu, daß du eine Weile schläfst; dann spürst du schon, wie es besser wird, – das geht bestimmt vorüber!«

Der Per Hansen kehrte sich zur Wand, weinte still vor sich hin, krampfte die Hände ineinander, mußte sie aber gleich wieder auseinandernehmen, um sich die Augen zu wischen.

Nach geraumer Zeit warf er die Decke ab und setzte sich auf den Bettrand, blieb sitzen und schaute die Beret an; und jetzt ließ er die Augen auf ihr ruhen.

»Aber mein! Stehst du schon auf?« fragte sie erstaunt und forschte in seinem Gesicht; sie verstand sich doch heute auch gar nicht auf ihn.

»Oh, ich muß zusehen, bald mit dem Stall fertig zu werden; wir müssen mit dem Hausbau beginnen, sobald der Hans Olsen so weit ist, daß er mir beim Anfahren helfen kann. – Das war ein ungemein guter Trank, den du mir da zubereitet hast; – hast du noch mehr davon?«

Er schlenderte in der Stube herum; er mußte sich irgendwie Luft schaffen; er faßte das Büblein und schwenkte es zur Hüttendecke hinauf, daß es vor Freude quietschte und jauchzte.

»Es ist doch arg, wie seltsam ihr heut alle seid!« sagte die Beret, brachte die Tasse und stand lächelnd dabei.


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