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II

Bald darauf sahen sie alle vor Tönset'ns Gamme erwartungsvoll dem nahenden Zuge entgegen. Jetzt war bereits jeder Wagen zu erkennen; der Große-Hans ritt neben dem vordersten.

Tönset'n schwaderte und zappelte hin und her und ließ vor Aufregung nicht einmal die Hände im Hosengurt. – Herrjemine, dachte er, kommen da etwa noch mehr Iren? – Und der Hans Olsen so weit weg am Sioux! Ja, das sah vielversprechend aus!

Aber da kam der Große-Hans angeritten und berichtete so Merkwürdiges, daß sie alle vor Staunen verstummten.

»Norweger!« rief er ihnen schon von weitem zu. »Norweger!«

»Nein, was du nicht sagst!« brüllte Tönset'n los.

»Jawohl, allesamt Norweger, denke dir! Und gleich einen ganzen Krug voll davon, – die wollen her und reden norwegisch allesamt.«

»Bist nicht recht gescheit!« rief Tönset'n zurück.

Und jetzt kam's ihm selber echt norwegisch, und er kommandierte die Kjersti an den Kaffeekessel und die anderen Weiber ihr zu Hilfe. »Hört ihr denn nicht, was der Große-Hans sagt, Norweger sind es! So braves Volk müssen wir nach alter Väter Sitte bewirten!«

Er tat wie der Patriarch der alten Zeit und nahm den Sam mit: er schritt den Fremden entgegen und lud sie ein, unter sein geringes Dach zu treten.

Ja, das war freilich ein Ereignis! Der Zug bestand aus fünf Wagen und ebenso vielen Gespannen Pferde. Und gute Pferde waren es – Tönset'n konnte das sehen; es waren im ganzen zwanzig Mann und nur Leute aus Sogn und Voss. Leute von Sognefjord und der Gegend um Voss, also aus dem norwegischen ›Westland‹. Die meisten waren verheiratet; einige hatten große Familien im Osten von Minnesota. Alle waren auf der Suche nach Siedelland für sich und die Ihren; sie wollten diesen Herbst wieder nach dem Osten zurück, doch zum Frühjahr im Westen seßhaft werden. In Sioux Falls hatten sie auf dem Landzuweisungsbüro angefragt, ob hier draußen irgendwo ein Settlement sei, und jetzt wollten sie halt hereinschauen und sich die Stelle ansehen. Im übrigen gedächten sie mehr nach Südwest zu ziehen, etwa zum James River.

Die Westfahrer waren herzlich froh, hier in der blauen Ferne auf Erdhütten mit Norweger Volk zu stoßen und auf diesen gesprächigen Mann, der hin und her trippelte und ihnen auf alle Art behilflich sein wollte.

Sie lagerten sich auf Tönset'ns Hofreite. Als er aber sah, wie viele ihrer waren, unterließ er's, den Kaffee noch einmal zu erwähnen. Dafür kam er mit Kartoffeln und Gemüse, und die Abendmilch teilte er brüderlich mit ihnen. Und draußen nächtigen sollten sie auch nicht. »Noch schöner!« rief er, »wenn sie zu Norwegern kämen, die sich soeben Hütten errichtet!« –

Und am Abend krabbelten die Kjersti und er zunächst ins Bett und dann wurde den Gästen der Fußboden überlassen, soweit er reichte; und was noch übrig war, legte sich in den Stall.

Tönset'n schlief in dieser Nacht nicht allzuviel. Das schlimmste war, daß er sich mit der Kjersti nicht beraten konnte, wo er dessen doch so bitterlich bedurfte. Du schlechte Zeit! Die Verantwortung der ganzen Welt war plötzlich über ihn gestülpt! Ein ganzes großes Settlement von nur Norwegern schlief hier vor seinem Bette. Redliches Volk, vortreffliches Volk allesamt!

– – Jemine! Und der Per Hansen beim Kuckuck in Sioux River! – – Wenn er's jetzt deichselte, diese Kerle zu bereden, sich hier niederzulassen, dann war die Zukunft gesichert, sowohl für ihn wie für die Nachbarn, ja, – und da sollt' einer sich nur stumm im Bette umdrehen dürfen und schlafen müssen! – Ob er noch heut in der Nacht den Per Hansen holte, der solch gesegnete Gnadengabe hatte, mit Leuten zu reden ? – Aber mit der Kjersti konnte er sich nicht besprechen, und hinaus konnte er halt auch nicht, – da lag schnarchend Mann an Mann vom Bett bis zur Tür. Als die Leute aus Sogn und Voss sich am Morgen erst aus der Stube hinausgewunden hatten, so daß er und die Kjersti aus dem Bette konnten, vermeinte Tönset'n in der Nacht kein Auge zugetan zu haben; doch eins war ihm klar: er stand vor der bedeutsamsten Stunde seines Lebens.

Er nahm sich nicht einmal recht Zeit zum Frühstück, war ganz in die Unterredung mit den Westfahrern über das Land hier am Spring Creek vertieft. – Ja, sie wollten doch wohl nicht etwa weiter, ohne es besichtigt zu haben! Wie? – Nein, denn das wäre also nämlich ein großer Mißgriff. – Er komme gern mit, um es ihnen zu zeigen; Besseres gebe es nicht, darüber könne er, der hier ortskundig war, wohl ein Urteil haben. – Er sei es nämlich gewesen, der die Stelle entdeckt, sie ausgesucht und auch als erster besiedelt habe. Und er habe doch wohl gewußt, was er tat, als er sich akkurat hier niederließ, – er, der sich zuvor sowohl in Fox River, in Muskego, auf Kaskeland und in ganz Minnesota umgeschaut habe, ja und obendrein auch in großen Strecken von Dakota Territory! – Und Tönset'n verbreitete sich über seine Fahrt im letzten Herbst. Über das Land um Vermillion wisse er ausnehmend gut Bescheid; Yangton habe er sogar mit eigenen Augen gesehen. – Und hier schmuggelte er ein Flunkerchen ein, das er heute nacht zusammengeschmiedet – es war nicht geradezu wahr, aber es hätte gut wahr sein können; er berichtete nämlich von einem Mann, den er in Yangton getroffen, einen verarmten Schotten, der sich zwei geschlagene Jahre oben beim James River versucht habe. Aber die Indians und die Flöhe seien dort so versessen gewesen, daß er es hätte aufgeben müssen. Alles war dem Manne mißlungen, seine Bäuerin sei ihm verreckt und die Kuh habe der Indian gestohlen! Tönset'n trug diese Geschichte sozusagen mit begeistertem Mitleid vor.

Die Leute aus Sogn und Voss waren wißbegieriges Volk, das viel zu fragen hatte. Selbstredend wollten sie sich umtun, ehe sie weiterfuhren, – um deswillen waren sie ja ausgezogen.

Sobald sie sich gestärkt, machten sie sich auf. Der Sam tat mit, und der Sam war gar nicht einmal so unbrauchbar beim Reden und Darlegen.

Die Westfahrer besichtigten und fragten und wußten nicht akkurat, was sie meinen sollten. Die Gegend gefalle ihnen und sie gefalle ihnen auch wieder nicht. Der Boden sei gewiß gut; er liege auch hübsch bequem und müsse sich leicht bewirtschaften lassen; aber, huff, wie nackt es hier sei und so endlos für's Auge! – Hier sei ja ringsherum nichts als der nackte Himmel! – Müsse häßlich hier sein im Winter, – nicht einmal soviel wie ein Birkengestrüpp zu Schutz und Versteck. – Und womit solle man feuern? Womit bauen? Man könne doch nicht sein Lebelang in Erdgammen wohnen? – Ja, da gab es viele Bedenken und mehr kamen noch hinzu.

Tönset'n begriff, was auf dem Spiele stand. Er bebte vor Spannung. Er redete an jenem Tage, bis ihm das Kreuz weh tat und er sich setzen mußte. Aber dafür wich er auch vor keinem Einwand, den sie vorbrachten, zurück. – »Wald zu Schutz und Brennwerk?« Und seine Vortragsweise wurde gar so einfach und innig, die Hände durchwühlten die Luft: »Wald? Du lieber Himmel!« Gerade das mit dem Wald sei ja einer der großen Vorzüge! Denn hier könne man nämlich akkurat soviel Wald kriegen, als man haben wolle, – nicht mehr, aber auch keineswegs weniger! Einer der Nachbarn habe diesen Sommer einen halben Acre bepflanzt; jetzt sei er nach mehr gefahren und bringe voraussichtlich noch für einen weiteren halben Acre mit heim; das sei mehr, als der Mann nebst Nachkommen jemals verbrauchen würden. – »Ich will euch sagen, ihr Männer, wenn's euch nur um den Wald zu tun ist, so könnt ihr getrost nach Sioux reisen, sobald ihr die Wagen abgeladen habt, und noch diesen Herbst so viel Wald in den Boden pflanzen, daß ihr euch damit bis ins tausendste Glied behelfen könnt! – Ich komme gern mit und bin behilflich, und es soll euch keinen Cent kosten! – Nein, Leute, geradezu dankbar müssen wir sein, daß hier in der Nähe kein Wald ist! Jetzt haben wir in den sechs Wochen seit unserer Ankunft mehr Acker umgelegt, als du im Waldland kaum in ganzen sechs Jahren fertiggebracht hättest. – O nein, lieben Leute, redet mir nicht von Waldland!«

Es strahlte aus Tönset'n gleichsam eine prophetische Inbrunst, wenn er sich daran gab, die Zukunft vor ihnen auszumalen. Der hellrote Bart wurde feuriger, die Augen leuchteten, die Stimme bebte, die Arme beschrieben Bogen, der ganze Kerl stand in zitternder Erregung. Er erzählte von den Schulen und von der Kirche, die sie gemeinschaftlich bauen wollten; von den Städten, die rings herum aus dem Erdboden hervorwachsen, von den Eisenbahnen, die die Prärie kreuz und quer durchschneiden würden, – gehe die Bahn nicht bereits bis Worthington? Bestimmt komme sie bald bis Sioux Falls! Dann hätten sie bloß noch fünfundzwanzig Meilen bis zur Stadt, – begriffen sie: bloße fünf–und–zwan–zig Meilen! Tönset'n hackte das Wort in Stücke und wies ihnen jedes Stück einzeln vor. »Wartet nur ab, dann seht ihr's selber!« – – Es war, als breite sich die ganze Zukunft kartiert vor Tönset'n aus.

Und zum Frühjahr kämen andere Norweger nach. Und dann wären sie alles Norweger, nur Norweger unter sich. Ja, dann war das Settlement fertig! – Gesetzt aber den Fall, sie zögen dorthin, wo niemand ansässig war? Denn das sähen sie doch wohl ein, daß ganz Dakota Territory nie bevölkert werden könne, – denn dazu gebe es nämlich einfach gar nicht genug Menschen auf der Welt, und kommen täten die auch nie und nimmer. – – Und gesetzt nun den Fall, daß sie das Pech hätten, sich anzusiedeln, wohin später kein Zuzug kam? – Well?

Die Gäste mußten einräumen, daß an dem, was der Mann da sagte, viel Wahres sei.

Sie kamen erst am späten Nachmittag von der Besichtigung zurück und kochten sich von Tönset'ns Kartoffeln ein Gericht, das verschlug. Darauf wurde zur Beratung geschritten und die meisten stimmten für Spring Creek, und zwar wollten sie auf dem östlichen Bachufer nach Süden zu siedeln.

Tönset'n hörte es schmunzelnd. Er lief stracks zu der Kjersti und erzählte es ihr – und der kamen die Freudetränen – und flitzte sogleich wieder hinaus. Er fühlte, daß das Geschick sich diesmal ihn zum Werkzeug erkoren hatte. Hier hatte er auf einen Schlag zwanzig gute Nachbarn eingefangen, noch dazu Norweger jede einzige Schnauz'!


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