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V

Die Männer warteten mehrere Tage auf passendes Wetter zur Fahrt. Der Wind stand unsicher in der Luft, auch die Wegbeschaffenheit war just nicht die beste; die Kälte war böse; sie fraß sich in alles, was sie zu fassen bekam.

Aber dann klarte es eines Morgens auf. Als die Sonne ein Stück am Himmel emporgestiegen war, wehte ein Luftzug, so milde wie am schönsten Frühlingstag; das sah ganz nach Wunschwetter aus. – Die Männer kamen zusammen und überlegten, ob sie es nicht heute versuchen sollten. »Ja, es sieht ja recht hübsch aus,« meinte Tönset'n, schaute ins Wetter und drehte den Priem im Munde. »Im übrigen ist es wohl aber heute nicht akkurat verläßlich? Das sind zu dieser Zeit des Jahres nicht natürliche Aspekte. Es schneidet mir ein gar zu freundlich Gesicht!«

Es sei am Ende doch das beste, es zu versuchen, riet der Hans Olsen. Die Februarmitte komme heran und vielleicht sei gar die Frühlingsschmelze im Anmarsch.

»Well,« sagte der Per Hansen, »wollen wir noch, ehe die Frühjahrsbestellung uns über den Hals kommt, ein paar Stöcke Holz ins Haus bekommen, so ist es wohl das gescheiteste, daß wir sogleich aufbrechen. – Im übrigen stimme ich dir bei, Syvert: es ist gar zu mild von Angesicht, als daß ihm zu trauen wäre. Aber – bis zu den Tröndern gelangen wir noch alleweil.«

Da hieß es also sich tummeln. Es war noch viel zu besorgen und nachzusehen, so daß sie erst von Hofe wegkamen, als die Uhr bereits auf elf ging. Mundvorrat nahmen sie nicht weiter mit, da sie zu gastfreundlichen Leuten fuhren; nur der Sicherheit halber steckten sie sich ein paar Bissen in die Tasche.

Es wurde ein stattlicher Zug: vier Gespanne vor je einem Schlitten fuhren hintereinander über die weiße Fläche. Der Hans Olsen, der die schnellsten Pferde hatte, fuhr voran; dann kam Tönset'n, darauf der Sam; zu hinterst stapften die Ochsen des Per Hansen vor dem selbstgefertigten Schlitten.

Die Zurückbleibenden sahen vor den Hüttentüren den Zug von dannen ziehen; die Kinder bekamen schulfrei. – Der Große-Hans ballte die Fäuste vor Wut. So eine Wirtschaft! Also so eine Wirtschaft! Er und der Bruder sollten bei dem herrlichen Wetter drinsitzen und alle die Geschichten, die sie von ewig her konnten, immer von neuem wiederkäuen! Da fuhren jetzt die Mannsleut in allerlei Abenteuer hinein. Der Vater hatte gewiß die Lange Marie dabei – der schoß heute wenigstens seine zehn Wölfe! Und vielleicht war Blankeis auf dem Elv und Löcher im Eis und Fische und allerlei sonst! – Der Bruder war ganz der gleichen Meinung.

Die Beret hatte den Säugling gelegt und war mit hinausgegangen. Als die Männer starten sollten, ging sie jedoch wieder hinein; sie fühlte ihre Knie zittern. Das Fenster schaute nach Osten und in dieser Richtung fuhren sie; aber sie wagte nicht, ihnen durchs Fenster nachzusehen. Und doch war es nicht gerade Entsetzen, nicht so, wie sie es früher empfunden, wenn er fortfuhr; – sie gewann es nur nicht über sich. –

Der Zug fuhr dahin, Schlitten und Tiere wurden kleiner, wurden zu Pünktlein auf dem endlosen Weiß, verschwanden. –

Es ging gut mit den Ochsen. Als die trägen Tiere sich erst richtig in Bewegung gesetzt hatten, hielten sie sich an die Spur und blieben nicht allzuweit zurück. Übrigens war der Schnee auch matschig, und es war schwer, die Fährte aufzubrechen, so daß die mit Pferden sich dabei abwechseln mußten. Das Wetter schien sich halten zu wollen. Dennoch beeilten sich die Männer, so sehr sie konnten.

Um die Mittagszeit erhob sich aus Süden ein sanftes Wehen; der Schnee unter den Hufen wurde immer körniger; die Luft war so milde wie an einem Tag im Mai. Am ganzen Himmel war nicht ein einziger Wolkenfetzen. Hätte nur die Sonne nicht so stark geblendet, daß es fast unmöglich war, die Augen offenzuhalten!

Das Wetter hielt sich so bis nach drei Uhr.

Alles ging gut, und der Per Hansen vermutete bereits, daß er in wenigen Stunden die Landschaft am Sioux erspähen werde. Als er jedoch die Augen zum Westhimmel schweifen ließ, wurde er dort draußen längs der Prärie einen schwarzen, wellenförmigen Rand gewahr. Täuschten ihn seine Augen? Er rieb sie sich und sah wieder hin, rieb tüchtig und versuchte von neuem. – Ja gewiß, das war ein Rand! – Er fühlte das Herz in sich pochen und feuerte die Ochsen an, was das Zeug hielt.

Das da draußen wuchs, – wuchs unheimlich schnell. Der Rand wurde zu einer schwarzen, dickwolligen Masse; – die war lebendig; – die schien brüllend den Himmel heraufzuziehen. – Über ihm stand noch spiegelklarer Tag; aber der war jetzt schwarzblau.

Der Luftzug aus Süd blaffte ein paarmal auf und starb hin; hinterher fröstelte es empfindlich. – Eine unheimliche Stille senkte sich herab.

Das, was da herankam, lebte. Es schob sich unaufhörlich in die Höhe. Kalte Windstöße liefen voran. – Und es war so düster.

Die an der Spitze hielten. Der Hans Olsen wartete, bis Tönset'n und der Sam heranwaren; die drei Schlitten standen alle nebeneinander, als der Per Hansen sie erreichte.

»Jetzt haben wir ihn gleich,« sagte der Hans Olsen ernst. Er rollte, neben seinem Schlitten stehend, das Sorr-Tau auf.

»Stimmt wohl!« meinte der Per Hansen trocken. »Läuft's gut ab, kann's uns ja gleich sein!« Auch er legte jetzt sein Seil zurecht.

Die Solumbuben hantierten ihr Tau schweigend.

»Nun, meine ich, halten wir's so,« sagte der Hans Olsen, »daß wir von dem einen zum nächsten ein Tau legen, damit wir im Schneesturm nicht auseinanderkommen. – »Was meinst du, Per Hansen?«

»Das könnten wir wohl. Aber freilich sieht es so aus, als bekämen wir den Wind in den Rücken? Wir müssen scharf auf ihn achten. Schaut mir ja gut nach der Flußlandschaft aus! Denn jetzt kommt es darauf an, daß wir nicht an den Tröndern vorbeisegeln; eilt euch! – Verdammt noch eins, daß wir keinen Kompaß mithaben!«

Der Per Hansen sprach hastig, ganz so, als sei er innerlich rasend.

Jeder band sein Sorr-Tau am Schlitten fest und gab das andere Ende dem hinter ihm Fahrenden.

Der Per Hansen lief zu dem Solumbuben vor: »Bist du fertig, Sam ? Hast du auch verläßlich festgebunden ? Fragt sich freilich, ob ich's mit dir im Tempo aufnehmen kann. Und jetzt sage ich dir eins: Du kümmerst dich um nichts, was hinter dir geschieht! Hörst du? Und das Tauende vom Syvert läßt du um alles in der Welt nicht los, – verstanden? – So, und jetzt los!«

Der Per Hansen und der Hans Olsen hatten schon so manches Wetter plötzlich heraufkommen sehen – beide waren alte Lofotfahrer; aber so etwas wie jetzt hatten sie doch noch nicht erlebt. Ein riesenhafter alter Troll erhob sich im Westen, schnitt ein Loch in den Sack und schüttete das Ganze über sie aus: ein Schneegestöber so dicht, daß sie kaum weiter als Armeslänge sehen konnten. – Ein Saugen ging ihm voraus; es blaffte ein paarmal wütend auf, gewaltig; dann kamen ein paar zage Windstöße, unbestimmt, – huschten hierhin und dorthin, suchten, fegten den Schnee um die Schlitten zusammen. Hoch oben in der Luft fauchte und brüllte es. Und dann – wurde es ernst.


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