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VII

Der Wagen fuhr seines Weges; man sah ihn kleiner und kleiner werden, bis er sich nur noch als Punkt kaum merklich am Himmelsrand hinbewegte; schließlich verschwand er; niemand hätte sagen können, ob in die Erde oder in den Himmel. –

Dieser Besuch übte auf die einzelnen Gemüter eine verschiedenartige Wirkung. Bei allen weckte er von neuem Hoffnungen und Zukunftsträume. – Tönset'n und sein Weib hatten von allen den zähesten Glauben bewiesen. Von jetzt ab aber hatte der Syvert, wenn er von der Zukunft sprach, die Kraft der Überzeugung, und die Kjersti eine stille Innigkeit des Blicks, wenn sie ihm zuhörte. Auch in den Solumbuben bestand kaum noch ein Zweifel; denn dieser Wagen war nur ein Vorläufer! – Danach kam die Sörine; ihr verlieh die Zuversicht eine fröhliche Ruhe. Der Hans Olsen dagegen ließ jeden Tag seine eigene Plage haben, freute sich des Glaubens der andern und schaffte wacker alle Tage das Erforderliche. Es ging ihm nicht zu schnell von der Hand, dafür aber um so zuverlässiger und steter. Ihm war es weniger darum zu tun, daß noch so und so viele nachkämen, als vielmehr darum, daß sich die, die bereits da waren, gut durchschlügen. – Der Per Hansen lieh seinem Glauben noch weit vernehmlicheren Ausdruck als Tönset'n, wenigstens meistens. Es gab jetzt Augenblicke, in denen er überzeugt war, er werde noch den Tag sehen, an dem der größte Teil des Grund und Bodens dieser Gegend angebaut sei. Und in solchen Stunden lag über ihm etwas Bestechendes. Kraft strahlte aus von der stämmigen Gestalt; der ganze Mann wurde schön, das Gesicht milde; alle Worte waren eitel Frohsinn. Trat aber eine Pause in dem Märchenspiel ein, dann schwieg der Per Hansen sich über die Zukunft aus, arbeitete rastlos, wurde oft heftig und in seinen Ausdrücken unwirsch, und der Umgang mit ihm war nicht leicht.

Die Beret sah in dem Besuch nichts als eine kleine Abwechslung in der Einsamkeit. Die Tatsachen blieben, und es ging nicht an, sich von denen wegzuzaubern: vor ihnen allen lag die Unendlichkeit und erstreckte sich bis in das Ewige. Daß hier jemals alles besiedelt sein werde, würde ein größeres Wunder sein, als daß die Toten aufstanden und wandelten! –

Aber da geschah es eine Woche darauf, daß mit der Abenddämmerung ein anderer Zug herangesickert kam, diesmal eine ansehnliche Schar, – sechs Gespanne Pferde mit ebenso vielen Wagen. Eine ganze Herde folgte hinterdrein. Es dunkelte bereits. Per Hansens beide Buben wollten stracks davon und rauften bereits darum, wer dem Zug entgegenreiten solle. Aber der Vater kam dazu und hieß sie daheim bleiben, und zwar so nachdrücklich, daß sie einsahen, Aufmucken half nicht. Sie sollten sich den Fremden nicht an den Hals werfen, sagte der Vater, als hätten sie noch niemals Menschen gesehen, – es sei noch morgen zeitig genug, mit denen zu schwätzen! – Er selber wollte hinüberspazieren, bloß um zu hören, ob sie etwa Kartoffeln brauchten. Und damit ging er.

Beim Hans Olsen hatte man den Zug noch nicht entdeckt; es brannte drinnen Licht, sah der Per Hansen und ging vorbei. Tönset'n stand draußen, als er kam.

»Du bekommst Gäste,« begrüßte ihn der Per Hansen.

»So scheint es!« kluckerte es in Tönset'n vor Freude; »aber – halten sie nicht gar zu weit westlich?«

Die Männer ließen die Wagen herankommen; jetzt mochten sie keine hundert Ellen mehr ab sein; im Schummerlicht waren die kutschierenden Männer soeben noch zu erkennen. – Die Kjersti stand lächelnd in der Tür und überlegte, wie sie wohl heute nacht alle miteinander unterbringe. Nun, ging es nicht anders, so mußte der Per Hansen ein paar mit sich heimnehmen.

»Was mögen das für Leut sein?« brummte Tönset'n. »Sollt' mich wundernehmen, wenn die Kerle nicht daran denken, an bewohnter Stätte vorüberzuziehen?«

»Schaut fast so aus,« sagte der Per Hansen kurz.

»Sehen müssen sie uns doch?«

»Wenn sie Augen im Kopf haben, müßten sie's fast.«

Der Zug befand sich jetzt im Westen gerade ihnen gegenüber, und zwar so nahe, daß sie die Pferde schnaufen hörten. Die Kjersti überzählte die Kühe und kam auf achtzehn. – Der Wagen an der Spitze bog ab und legte den Kurs noch westlicher. Die andern folgten; es war offenbar, daß sie nicht hier für die Nacht Anker zu werfen gedachten. »Du mußt hin und mit ihnen reden, Syvert!« meinte die Kjersti. »Wir finden schon noch Platz für sie.«

Per Hansens Augen schleuderten scharfe, stahlgraue Blitze in den Abend; das Gesicht hatte wieder das Starke, Leuchtende, von dem die Funken stoben. »Ich meine, darum sorgen wir uns heut noch nicht. – Könnt' sein, daß sie sich ihre Leut aussuchen und zum Hans Olsen hinwollen oder zu mir!«

Der Zug bewegte sich nach Nordwesten bis etwa zur Grenzhöhe zwischen Hans Olsen und Tönset'n; hier hielt er, die Pferde wurden ausgespannt; – die Kerle beabsichtigten wohl gar, dort zu lagern?

»So etwas habe ich noch nicht erlebt!« sagte Tönset'n. »Kannst du begreifen, daß sie in eine Ortschaft hineinfahren, wo Haus an Haus steht, und dann nicht mit den Leuten reden wollen! – Haben die Angst vor uns?«

»Oh, die haben wohl Mädel an Bord und meinen, hier seien lauter Junggesellen,« erklärte der Per Hansen ruhig.

Die Dämmerung war jetzt so tief, daß sie nicht mehr unterscheiden konnten, was die Fremden sich vornahmen. – Sie schienen sich am Abhang ein Feuer gemacht zu haben; denn ein Schein leuchtete auf, schwand hin und kam wieder, schien vorwärts und rückwärts zu flackern.

»Was meinst du, Syvert,« schlug der Per Hansen vor, »wenn diese Kerls nicht mit uns reden wollen, müssen wir uns wohl zu ihnen hinbegeben ? – Vielleicht, daß wir Kartoffeln an sie loswerden? Wir müssen die Gelegenheit benutzen.« Der Schalk blitzte aus seinen Worten.

Tönset'n hatte nichts gegen Per Hansens Vorschlag einzuwenden; er fand zwar freilich, daß er sich nicht wenig vergab, wenn er Leute begrüßen ging, die ihn nicht hatten begrüßen wollen.

Sie hatten noch nicht viele Schritte zurückgelegt, als Tönset'n stehenblieb. »Wollen wir nicht den Hans Olsen mitnehmen? Er hätt' vielleicht auch Lust, sie willkommen zu heißen?«

»Nein, – das wollen wir durchaus nicht,« antwortete der Per Hansen entschieden. Hans Olsens Englisch tauge ebensoviel wie seins; und es sei so leidig, fremde Leute anzuglotzen, ohne verstehen zu können. Es würde ihm auch niemals einfallen, hinzugehen, wenn's nicht um der Kartoffeln willen wäre.

Wieder setzten sie sich in Bewegung; aber bald blieb Tönset'n wieder stehen: »Könnten es nicht zufällig vielleicht Skandinaven sein?«

O keineswegs! – Der Per Hansen ging unbeirrt weiter. – Weder Schweden noch Dänen würden sich so benehmen. Und übrigens hätten sie sich, wie es schien, bei dem Hans niedergelassen; die machten zeitig Feierabend.

Das Lagerfeuer drüben brannte lustig; vier Weiber gingen hin und her und stellten Essen auf ein großes grünes Tuch, das auf den Boden gebreitet war; einige der Männer hatten sich bereits darum gelagert; andere machten sich an den Wagen zu schaffen. – Der Per Hansen zählte im ganzen zehn Mann, forschte flüchtig in den Gesichtern, die er nach und nach zu sehen bekam, fand keines, das ihm zusagte. – Tönset'n trat ans Feuer und grüßte die dort sitzenden Männer; ebenso der Per Hansen. Die Männer grinsten zum Gruß und riefen sich gegenseitig etwas zu, was Per Hansen nicht verstand.

Wo die Männer herkämen, fragte Tönset'n.

Aus Jowa.

Wollten sie weiter nach Westen?

No! –

So weit war der Per Hansen imstande, dem Gespräch zu folgen, aber dann hörte es für ihn auf. Die Männer redeten so schauderhaft schnell, und Tönset'n nicht ein Haar besser. Übrigens war das auch gleich; er wußte bereits, was er wissen wollte: – das waren sie also! – Von der übrigen Unterredung begriff er nur, daß die Männer Tönset'n hänselten, dieser in Wut geriet und immer unsinniger losratterte. – Unbegreiflich, wie schnell der Syvert das alles auf Englisch heraussprudeln konnte! – Sie zogen ihn jetzt wohl böse auf; das konnte er aus ihrem Lachen heraushören. Verdammt noch eins, daß er nicht mitreden konnte!

»Hö!« wandte sich Tönset'n plötzlich zum Nachbar. »Kannst du dir vorstellen, was die hier behaupten? Daß sowohl mein Quart wie auch der vom Hans Olsen ihnen gehöre!«

»Nein, Schwerenot! – Und meiner?« Aber Tönset'n hörte ihn schon nicht mehr; er kabbelte sich mit den Irländern herum und wurde immer aufgeregter. Der Per Hansen schloß aus dem Getöse, daß er jetzt beschwichtigend eingreifen müsse, sonst fing der Syvert entweder an zu brüllen, oder er verschluckte sich; und er faßte ihn kräftig beim Arm.

»Kannst du mir erzählen, was die da sagen?«

»Die sagen, daß sie alle die Quarte zwischen dem Bach und den Sümpfen im Westen in einer Breite von zwei Quart in Besitz genommen hätten. – Und was für häßliche Redensarten sie führen!«

»Wann sind sie denn hier gewesen?«

»Vorigen Sommer, und im Spätherbst und jetzt im Frühjahr!«

»Was haben sie angebaut, um das Gesetz zu erfüllen?« Der Per Hansen fragte ruhig und bedächtig.

»Sie behaupten, sie hätten als Bürgerkriegssoldaten von der Regierung Aufschub erlangt! Hast du schon so was gehört!«

»Laß dir die Papiere zeigen!«

»Sie sagen, wir würden die Papiere morgen zu sehen bekommen!«

»Ja, alsdann können wir ja heim und ins Bett!« sagte der Per Hansen ruhig. »Aber vergiß nur nicht zu fragen, ob sie Kartoffeln brauchen!« setzte er spöttisch hinzu.

Tönset'n war bereits wieder mitten im Wortgefecht und hörte ihn nicht. Alle Männer waren aufgestanden, die von den Wagen waren hinzugekommen; ein enger Kreis bildete sich um die beiden Norweger. Der Per Hansen beobachtete schweigend, die kalte Pfeife im Mundwinkel; er durchforschte noch einmal jedes Gesicht; traf er auf ein Paar Augen, dann hielt er sie fest und bohrte eine Weile den Blick in sie, ehe er losließ.

»Na–ah,« sagte er trocken, als er heraushörte, daß Tönset'n wieder einmal verschnaufen mußte, »wollen die uns Kartoffeln abkaufen?«

»Du solltest bloß ihre greulichen Ausdrücke hören! Solchem Lumpenpack wie uns brauchten sie Papiere überhaupt nicht vorzuzeigen!«

»Nein, nein. – Haben sie auch ihre Grenzpfähle an Ort und Stelle?«

»Auf beiden Quarten!«

Der Per Hansen glaubte aus Tönset'ns Tonfall schließen zu können, daß dem das Flennen nahe war, und das, fand er, sei für sie alle beide genierlich.

»Komm jetzt, Syvert, jetzt gehen wir heim und ins Bett; – es wird ja doch nichts mit den Kartoffeln!«

Und damit begann der Per Hansen sich ganz ruhig aus dem Kreis hinauszuellbogen. Trönset'n sah es, bekam's mit der Angst und beeilte sich nachzukommen. Es mußte ihm jemand ein Bein gestellt haben, er stolperte, hätte fast das Gleichgewicht verloren; und jetzt lachten sie alle, – einer aber mit einer besonders rohen, ungewaschenen Kehle.

Der Per Hansen machte stracks kehrt und musterte sie. Tönset'n warf ihm eingeschüchtert ängstliche Blicke zu. »Komm jetzt lieber!« stieß er mühsam hervor und rannte davon.

»O nein, wart halt ein bissel!« Der Per Hansen suchte, bis er das Gesicht, aus dem das Brüllen gekommen war, herausgefunden hatte und schritt geradeswegs darauf zu. In seinen eigenen Zügen lag breitester Hohn. Er streckte dem Mann die Faust unter die Nase, duckte den Kopf, um mehr Wucht zu erhalten, und sagte herausfordernd trocken in derbstem Nordländisch: »Jetzt hältst du, Schockschwerenot, dein verdammtes Satansmaul!« Flammte den Mann mit den Augen an, reckte sich auf und musterte die andern der Reihe nach.

Das Gelächter verebbte.

Jetzt hatte der Per Hansen hier nichts mehr zu tun; mit ihnen reden konnte er doch nicht, und so ging er. Irgendwo aus dem Dunkel rief ihn Tönset'n an, leise und furchtsam.

»Ich werde morgen die Papiere mitnehmen und sie ihnen zeigen,« quiemte er weinerlich, als der Per Hansen ihn eingeholt hatte. »Aber du solltest nicht gar so heftig sein! Denk' bloß, wenn die uns überfallen hätten!«

»O ja, versuch's halt mit den Papieren; aber laß mich dir sagen, Gevatter Syvert: Bei diesen Kerlen hilft weder Katechismus noch Erklärung, – denn die richten sich nicht nach der Schrift!«

Sie verabredeten eine gemeinsame Beratung für den nächsten Morgen. Per Hansen sollte die Solumbuben und den Hans Olsen benachrichtigen und mit allen dreien zu Tönset'n kommen.

»Aber sag beileibe nicht der Kjersti, wie die Sachen stehen!« warnte der Per Hansen. »Denn kommen die Weiberleut hinter die Geschichte, brennen sie uns durch vor Angst. Und du sollst sehen, wir schaffen's schon!«


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