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Der sinkenden Sonne nach

I

Endlose Ebene. – Ebene ringsum, Ebene bis zum Horizont. Darüber ein Himmel – sprühend klar, heute und morgen und alle Tage.

Und Sonne! – Und immer noch mehr Sonne!

Jeden Morgen ließ sie den Himmel aufflammen; stieg tagsüber in bebendem Gelb empor; verglomm zum Abend in allen Tönen von Rot und Purpur. Fegte mit einem Windhauch die weite Fläche, wellte sie gelb und blau und grün. Auch ein Schwarz jagte bisweilen wie ein wogender Schatten darüber hin – bisweilen.

Jetzt war es später Nachmittag. Durch das Gras bahnte ein Häuflein Menschen sich seinen Weg. Ihre Fährte nahm sich aus wie der Strudel hinter einem Boot, nur daß sie sich wieder schloß, statt sich zu weiten.

»Tissch-ah,« sagte das Gras. – »Tissch-ah, tissch-ah!« schrie es und richtete sich sogleich wieder auf, um diesem merkwürdig Harten nachzuschauen, das es so geschwinde zu Boden zwang und sogleich seines Weges weiterzog. –

Ein breitschultriger, stämmiger Mann schritt an der Spitze des Zugs. Er sah in dem hohen Gras und unter dem grobstrohigen, breitkrempigen Hut kürzer aus, als er eigentlich war. Ein paar Schritt hinter ihm kam ein etwa neunjähriger Bub. Sein helles Haar hob sich scharf von dem nußbraunen Nacken ab; bei dem Mann an der Spitze waren Haar und Nacken von gleichem Braun. Nach dem Aussehen und mehr noch dem Gang war leicht zu erraten, daß hier Vater und Sohn gingen.

Hinter den beiden stampfte bedächtig ein Gespann Ochsen vor einem Gefährt, das vermutlich einstmals ein Wagen gewesen war, jetzt aber ob mannigfacher und erklecklicher Gebrechen längst zum Gerümpel gehörte, – wo der Mann es denn auch tatsächlich gefunden hatte.

Über dem Wagengestell bogen sich lange Weidengerten zu Bögen wie im Chor einer Kirche, – sechs waren's im ganzen. Darüber lagen, sorgsam am Wagen befestigt, zu unterst zwei handgewebte Decken, die in alten Zeiten den Wänden eines Herrensitzes zur Zierde gereicht hätten; über den Decken wieder lagen zwei Schafpelze mit der Wolle nach innen. – Das Wageninnere war bis an den Planhimmel vollgepackt: eine Auswandererlade stand zu unterst – sie war ungemein groß und beanspruchte das meiste des Raumes; rings um sie und darüber waren Möbel, Werkzeug, Geräte, Kleidung dicht verstaut.

Rückwärts an dem Wagen war noch ein Gefährt vertäut, unverkennbar selbstgefertigt und höchst eigenartig, jedoch so solide gebaut, daß es schon allein darum einen Platz in einem Museum verdient hätte. War übrigens tatsächlich so etwas wie ein Wagen oder wenigstens als solcher beabsichtigt. Es verfügte über zwei aus Bretterenden zusammengezimmerte Räder und ein Gestell, das bedeutend geräumiger war als das des vorderen Wagens. Auch hier war alles vollgeladen und gehörig festgeseilt. Beide Wagen quietschten und krachten geradezu grausig, so oft sie über einen Grasschopf in eine Bodensenkung kippten oder aus einem Loch heraufrumpelten.

Ein gut Stück hinterher zockelte eine rotscheckige Kuh; der Zug karrte so gemächlich dahin, daß sie sich ab und zu ein paar Maulvoll Gras abrupfen konnte. Und die hatte sie auch nötig; denn nun war sie schon den ganzen lieben langen Tag schwanzschwingend hinterher getrödelt und hatte abends für die Milch zum Habermus für alle die Menschen da vor ihr aufzukommen.

Über das Gestell des vorderen Wagens war ein ungehobeltes Brett quer gelegt. Darauf saß rechts eine Frau mit einem Kopftuch; sie lenkte die Ochsen. An ihrem linken Schenkel lehnte der blonde Kopf eines schlummernden Dirnleins; bisweilen strich die Hand der Mutter leise darüber hin, um die Mücken zu verscheuchen, die sich mit dem Abend einstellten. Zur Linken des Kindes wieder saß ein Bub von etwa sieben Jahren– gutgewachsen, sonnengebräunt und mit etwas Leuchtendem im Blick. Er hatte die Hände ums Knie gefaltet und guckte ins Weite.

Das war der Per Hansen mit den Seinen und aller seiner Habe, auf Wanderung begriffen von Filmore County, Minnesota, nach Dakota Territory; dort wollte er Land nehmen und sich einen Hof erbauen, den man weit und breit rühmen sollte; dort draußen fehlte es, wie er gehört, nicht an Gelegenheit. – Per Hansen schritt voran, um die Richtung festzulegen; Ole, der Bub, ›der Olamann‹ genannt, hielt sich dicht dahinter und ›befuhr die Strecke‹; die Beret, Per Hansens Weib, lenkte die Ochsen und hütete Klein-Annemarie, die im Hausgebrauch das Gössel Junges Gänschen. hieß und gar so putzig war. Hans Christian – stets zum Unterschied von seinem Paten, der auch Hans hieß, der ›Große-Hans‹ genannt – saß neben der Mutter und paßte auf, daß jeder das Seine tat. – Und Buntscheck, die Kuh, folgte den Schweif schwingend und wedelnd dem Trupp immer weiter in die Unendlichkeit hinein.

»Tissch-ah, tissch-ah!« schrie das Gras. – »Tissch-ah, tissch-ah!«


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