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VII

Sie hatte schon lange gelegen; der Schlaf wollte sich nicht einfinden; die Gedanken schweiften ruhelos umher.

So weit war es jetzt also mit ihnen gekommen! Sie schämten sich nicht, Trollspeise zu essen, sie sogar als Herrenkost von Hof zu Hof zu schicken!

Und es erhob sich in ihr ein gewaltiger Trotz: sie durften zum Winter hier nicht bleiben! – Sobald er jetzt heimkam, mußten sie zusehen, daß sie den Weg nach Osten wieder zurückfänden. Auch er mußte doch verstehen, daß sie hier noch zu Raubtieren wurden. – Nichts sahen sie, nichts lernten sie. – – – Mit den Kindern stand es noch schlimmer – und wie würde es mit den Enkeln gehen? – – Begriffen die Menschen denn nicht, daß der Herrgott, wenn er sich diese Unendlichkeiten bevölkert gewünscht hätte, sie nicht bis jetzt hätte unberührt liegen lassen, wo das Ende nahte!

Ihre Erregung ließ nach; ihr Denken wurde kühl und klug und beschäftigte sich bedächtig damit, wie sie es einrichten müßten, um zu Menschen zurückzugelangen. – –

Am nächsten Morgen war sie früher auf als sonst, machte Feuer auf dem Herd, richtete das Morgenessen an und weckte die Kinder. – Die Zubereitung des Frühmahls beanspruchte wenig Zeit. Die Beret goß etwas Wasser in den Kessel, tat einen Löffel Sirup hinein und rührte um, holte dann ein paar Stücklein Zimt und warf sie dazu. Den kalten Brei, der von gestern abend übrig war, zerschnitt sie und ließ ihn in der großen Schüssel; als der Sirupsaft am Kochen war, goß sie ihn über den Brei. Mehr gab es nicht und mehr wurde auch nicht erwartet.

Während des Essens warf sie von Zeit zu Zeit einen Blick auf die große Lade und versuchte sich zu besinnen, wie alles gepackt gewesen, als sie im Sommer hergekommen waren. – Es war wohl das beste, sogleich mit dem Packen zu beginnen, damit es erledigt war, wenn er heimkam. – – – Am schwierigsten war es mit den Wagen. Ja; denn den kleinsten hatte er zersägt und Tische daraus gemacht, – an dem einen saßen sie jetzt; und der andere Wagen hielt den ganzen Rückweg nicht mehr aus; sie hatte den Per neulich äußern hören, daß er ihn zu etwas Nützlichem verwenden wolle. – – Nun ja, es mußte ihm überlassen bleiben, das Fuhrwerk zu beschaffen. Sie gingen wohl nicht um so eines Wagens willen zugrunde! Hatte sich nicht einst Einer fast einer großen Stadt voller gottloser Menschen erbarmt, nur weil ein guter Mensch darum gebetet hatte?

Ein guter Mensch, ach ja! – Die Beret seufzte tief und faßte sich unter die Brust.

Als die Schüssel leergegessen, stand sie auf, wusch sie ab und stellte sie weg. – Der Ole, der Außendienst hatte, bedeutete dem Bruder durch Zeichen, er solle mit hinauskommen; aber der Große-Hans schüttelte den Kopf. Er ließ den Bruder gehen; ab und zu warf er der Mutter einen Blick zu, er wußte nicht, was vornehmen, fühlte sich unlustig und beschwert; es kam ihn plötzlich Lust an, sich auf die Erde zu werfen und laut loszuheulen.

Die Mutter ging ihrer Beschäftigung nach und verfiel wieder ihren Gedanken an die Rückreise. In dem graublassen, edelgeformten Gesicht, dessen Züge noch immer so sanft und schön waren, zeigte sich Entschiedenheit und Trotz.

Sie ging, sobald sie aufgeräumt hatte, an die Lade, hob den Deckel auf, kniete sich davor hin und machte sich daran, alles, was dort aufgehoben wurde, zurechtzulegen. Das war bald getan. Und jetzt nahm sie die letzthin gewaschene Wäsche, legte sie zusammen und tat auch diese hinein. – – Mit der Kleidung ging es zu Ende. Er mußte doch selber sehen, daß sie bald würden nackend gehen müssen, wenn sie hier blieben! Woher sollte das Geld zu all dem kommen, dessen sie bedurften ? – Die Beret stand auf und sah sich um, was sie zuerst einpacken solle. Auf dem Wandbrett überm Fenster lag eine Bibel, die der Großvater ihr geschenkt hatte; die war so alt, daß man nur mit Mühe in ihr lesen konnte; aber sie war die einzige, die sie hatten. Sie hatte sich seit langem in ihrer Familie vererbt. Der Urgroßvater hatte sie schon besessen, ehe der Großvater sie erbte, und nach ihr sollte der Große-Hans sie einmal bekommen – das hatte sie sich oft ausgedacht. Auf der Bibel lag das Gesangbuch, in dem sie jeden Sonntag, seit sie hergekommen, ein wenig gelesen hatte. Beide Bücher legte sie jetzt in die Lade.

Die Beret sah sich um. Am Ende packte sie auch gleich die Schulbücher ein? Die Jungen waren nicht allzu sehr hinter den Büchern her, – heute mochten sie also frei haben. Der Vater kam wohl heut oder morgen zurück. Sie hieß den Großen-Hans die Bücher herbringen.

Jetzt erst fiel dem Buben auf, was die Mutter tat, und ihm wurde so unheimlich dabei, daß er sich nicht sogleich vom Stuhl rühren konnte.

»Was hast du vor?«

»Wir müssen uns wohl rüsten, denk' ich,« sie seufzte und stützte den Leib mit den Händen; es fiel ihr schwer, solange hintereinander gebückt zu stehen.

»Rüsten? – Müss – müssen wir denn weg?« Dem Großen-Hans schnürte sich die Kehle zusammen, seine weitaufgerissenen Augen sahen ängstlich zur Mutter.

»O doch, Hansel; – wir müssen zusehen, Menschen zu erreichen, ehe der Winter uns erreicht,« sagte sie traurig.

Der Bub stand jetzt am Tisch, wollte zur Mutter, konnte sich aber vor Entsetzen nicht vom Fleck rühren; er starrte sie mit offenem Munde an, – stieß endlich hervor:

»Was, glaubst du, sagt der Vater dazu?« Es kam wie eine Anklage, und es klang ein Weinen daraus.

Da sah sie zu ihm hin; mußte noch einmal hinsehen und wußte nichts zu sagen. Das Unausführbare ihres Vorhabens traf sie aus dem Gesicht und der ganzen Haltung des Buben wie mit Strahlen – Strahlen, die es ihr klar machten, wie unmöglich alles war. –

Langsam kehrte sie sich wieder nach der Lade um, klappte den Deckel zu und setzte sich auf ihn. – Jetzt war das Kind in ihrem Leibe wieder so unruhig, stieß und krümmte sich; sie mußte mit den Händen gegenstützen. – – – Herregott, kam auch der jetzt etwa mit Einwänden? – Sollte diese unendliche Wüste dadurch bevölkert werden, daß Leben sich hoffnungslos daran vergeudete?

»So hart kannst du nicht sein, Herre Gott!« wimmerte sie leise. »So etwas wirst du von einem armen Menschenwurm nicht verlangen!«

Sie erhob sich langsam von der Lade, als schleppe sie Blei an den Füßen; sie ging durch die Stube und öffnete die Tür. Die Augen flackerten furchtsam zum Himmelsrand, erreichten ihn, vermochten aber nicht, sich von ihm zu erheben und emporzublicken.

Der Große-Hans starrte ihr nach; er wollte schreien und bekam keinen Laut heraus. – Aber dann lief er ihr nach, legte den Arm um sie und flüsterte heiser unter Schluchzen:

»Wird – wird dir – wird dir jetzt schlecht?«

Die Beret mußte den Kopf streicheln, der sie so hart in die Seite stieß; es strömte starke, frische Wärme von ihm aus; sein Haar war weich und gut. – Sie hockte sich nieder und umfaßte den Buben; er preßte sich so heftig an sie, daß sie fast nicht zu Atem kam. – – Du großer Gott, wie sehr sie heute der Liebkosung bedurfte! – Jetzt weinte sie; aus dem Großen-Hans brach es mit Beben und Schluchzen hervor; das Gössel, das nicht begreifen konnte, was die beiden da vor der Tür vorhatten, kam dazugetappelt, beguckte sie, – öffnete das Mäulchen, stopfte den Zeigefinger hinein und fing an zu schreien, als stecke es am Spieß – – Und da kam der Ole über die Höhe herabgerannt, daß die Füße zum Himmel flogen und brüllte ihnen aus Leibeskräften zu:

»Jetzt kommen die Stadtfahrer! – Jetzt stell', Schockschwerenot, geschwind den Kaffeekessel über!« Und der Bub war wieder weg, wie ein Hagelwetter, warf sich aufs Pony und sprengte den Kommenden entgegen.

Die Beret und der Große-Hans waren aufgestanden und hielten jetzt Ausschau. – Wahrhaftig, da kamen sie, weit hinten im Südosten!

Jetzt konnte sich der Große-Hans nicht länger bezwingen – sah die Mutter flehend an und sagte mit bettelnden Augen und mit Nachdruck:

»Glaubst du, daß ich dich jetzt allein lassen darf und dem Vater entgegenlaufen?«

Ein Lächeln zeigte sich auf Berets gespannten Zügen, ein großes, gutes Lächeln.

»Eil dich nur, mein Büblein!«


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