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II

Ja, der Neukömmling! – Hätte die gewaltige Widde den einer Riesin geziemenden Verstand besessen, sie wäre vor dem Knäblein auf der Hut gewesen. Aber den hatte sie nicht. Sie dehnte und spreizte sich in all ihrer Kraft und verließ sich auf ihre trollische Übermacht. Und gewaltig war sie. Aber dem schenkte der Neukömmling keine Beachtung. Trotz seiner Jämmerlichkeit trug er die Waffen in sich gegen ihre Trollennatur; denn er brachte die Menschen zum Lachen. Und wer kann gegen lachende Menschen an, gegen Menschen, die in einem so grausigen Winter zu lachen vermögen? – – Der Neukömmling, der rettete in jenem Winter die Menschen vor Tod oder Geistesumnachtung. –

Die Beret brachte die Rede darauf, daß sie am Heiligdreikönigstag wohl die Nachbarn zu sich bitten müßten; sie hätten die ganze Weihnachtszeit alles im Hause besorgt und noch lange darüber hinaus geholfen und sich gekümmert, als handle es sich um die eigene Familie. Nur sei sie so träge, daß sie nicht wisse, ob sie auch alles werde herrichten können. – Sie war, als sie es erwähnte, zum erstenmal wieder außer Bett.

Der Per Hansen fand, das sei ein herrlicher Einfall. Für die Arbeit wollten schon er und die Nachbarinnen aufkommen. Und er ging sogleich alles mit ihnen bereden.

Die Kjersti schmunzelte: sie komme gleich auf zwei ganze Wochen, wenn's der Per Hansen so wolle; auch die Sörine war gern dabei. –

Und am Heiligdreikönigstag versammelten sie sich in Per Hansens Gamme. Tönset'n hatte eine der Flaschen mit, die ihm der Per Hansen einst – war es nicht ein oder zwei Menschenalter her? – mitgebracht. Die Flasche stand plötzlich auf dem Tisch ... niemand wußte, wo sie herkam. Die andern errieten es jedoch bald. Denn Tönset'n zwinkerte so verschmitzt und meinte, es sei, beim Kuckuck, diesen Winter nicht gar so schlimm. Merkwürdig gesundes Klima hier im Westen! Hätten sie's auch schon gemerkt ? Und jetzt dürfe auch er sich vielleicht zu einem Schnaps erdreisten.

Und es gab gute Kost, und es gab Kaffee, und die Pfeifen qualmten, und es wurde behaglich geplaudert. In der Schummerstunde liefen die Mannsleut heim, um die Stallwirtschaft zu besorgen; das ging heute abend ausnehmend schnell trotz Schneegestöbers und Dunkelheit. Die Mannsleut beeilten sich, um nur recht bald zum Per Hansen zurückzukommen.

Die Menschen hatten das Bedürfnis, dicht zusammenzurücken; sie plauderten miteinander so wundersam herzlich und traulich. Als die Mannsleut wieder hereinkamen, stand eine zweite Flasche auf dem Tisch; sie war allerdings nur noch halb voll; niemand hatte sie mitgebracht; und wo kam sie her?

»Ist es nicht merkwürdig, daß solch ein guter Tropfen hier unmittelbar aus der nackten Erde hervorquillt?« wunderte sich Tönset'n. »Meiner Treu, 's ist ein wahrhaft gesegnetes Land Kanaan! – Der da kommt freilich von der Beret. Ich kenne die Flasche!« –

Sie schwätzten bis tief in die Nacht hinein. Und immer wieder war es der Neukömmling, der erste, der den Weg hergefunden, um den sich alles drehte. Alle wußten, es steckte Besonderes in dem Burschen! Wie gescheit hatte er sich nicht seinen Geburtstag ausgesucht, – den hochheiligen Christmorgen! Und er hatte einen Siegerhelm aufgehabt, als er kam. Und da hatte der Vater ihm geschwind einen ganz ausgefallenen Namen gegeben, der gar nicht ein Menschenname war. – Tönset'n hatte, als die Kjersti ihm den Namen zu wissen tat, es gleich höchst verwegen vom Per Hansen gefunden; der solle lieber nicht vergessen, daß auch er nur ein Mensch sei – wo habe er sich denn in der Christnacht herumgetrieben, um nur ein Beispiel zu nennen? – Aber da war Tönset'n schön angekommen! Die Kjersti war fuchsteufelswild geworden; es sei nur recht und billig, wenn ein so rares Kind einen stolzen Namen bekomme. Den Hieb hätte der Syvert vielleicht noch verwunden; aber dann begann die Kjersti zu weinen, wie lang ihr die Zeit werde, weil sie niemandem einen Namen hatte geben können! Er, der Syvert, sei gewiß anstellig, wenn es sich um anderer Leute Kinder handle; aber sie sehe nicht, daß er selbst jemals welche bekommen werde. Wozu sitze er da bloß herum? – Nein, nein, hatte der Syvert geantwortet; aber er könne doch nicht Kinder zur Welt bringen?

Doch der kleine Zwischenfall war jetzt über der Freude an dem Neukömmling vergessen. Sie alle waren Miteigentümer; aber sie konnten sich nicht über ihn einigen. – Das Knäblein habe seine Behausung bei der Beret und dem Per Hansen; und das sei recht und billig. Aber darum hätten die beiden doch noch lange nicht das Alleinrecht an ihm. Hatten die Sörine und die Kjersti nicht Beistand geleistet, als der Kahn bereits im Sinken war? – Hatten sie hinterher nicht Gevatter gestanden? Hatten Patinnen nicht ein Anrecht an ihren Patenkindern, – wie? Und habe nicht der Hans Olsen am Weihnachtsmorgen in aller Herrgottsfrühe eine heilige Handlung vornehmen müssen? Das war einleuchtend, und niemand lehnte sich gegen Hans Olsens Anrecht auf. – Well, meinte dann Tönset'n, das sei aber doch kein fair play gegen ihn oder die Solumbuben, die alle drei in der Weihnachtsnacht kein Auge hätten zutun können. Sie seien in dieser Christnacht um des Knäbleins willen immer durch den Schnee hin und her gestapft. Vierundzwanzig Stunden lang habe er keine Leibesnahrung geschmeckt und sei nicht aus den Hosen gewesen! – Und jetzt im Beisein der Nachbarn war Tönset'n auch vor der Kjersti nicht bange. Plötzlich kam ihm der Einfall, die Sörine mit dem Namen des Knäbleins zu hänseln; selbstverständlich sei es nach ihm, dem Syvert, genannt! Aber damit fuhr er schlecht; denn sogleich bestand der Sam darauf, daß der Per Hansen an ihn gedacht habe, da er doch zwei Namen trüge, die mit ›S‹ anfingen!

Kurz, sie konnten sich über ihre einzelnen Vorrechte nicht einigen; und es wurde damit nicht besser, als sie daran gingen, sich über die Laufbahn des Neukömmlings schlüssig zu werden.

Der Henry stimmte sofort für Schulmeister, um den Job loszuwerden. – Nein, davon wollten die beiden Patinnen nichts hören. Schulmeister? War das etwa gut genug für solch einen Kerl? Sie hätten bereits einen Lehrer. Und die Kjersti entschied sich für Pastor. Da zwinkerte jedoch die Sörine lachend ihrem Manne zu. Pastor? Oh, einen Pastor hätten sie, wenn man's so nehmen wolle, auch, – der hätte den Bub recht und christlich getauft! Nein, er müsse wohl Doktor werden. Aber damit kam sie bei dem Per Hansen schön an. Seien hier denn nicht bald genug Ärzte? Hier sei die Kjersti und sie, die Sörine selber, und außerdem doch auch noch er, – hier säßen ja lauter Ärzte! – Jetzt aber mußten sie alle über den Sam lachen; denn der schlug gleich zweierlei vor: Choraldichter oder General. Und diese Alternative mußte wohl Tönset'n seine große Idee eingegeben haben – er hatte die ganze Zeit schon gelauert, wie er den andern allen Wind aus den Segeln nehmen könne. Jetzt erhob er sich, klopfte würdevoll die Pfeife aus, räusperte sich nachdrücklich und sagte, als sei das ganze damit ab- und ausgemacht:

»Der Bub wird natürlich Präsident; – er ist hierzulande geboren und alles!«

Das war ein lustiger Einfall und alle belachten ihn herzlich. Nur der Hans Olsen blieb unerschütterlich ernst: er sah gleichsam in etwas hinein. Dann reckte er sich mächtig und sagte:

»Wir brauchten wohl eher einen tüchtigen Gouverneur, Syvert; aus diesen Prärien wird einst ein Staat entstehen.«

Damit schloß das Wortgefecht; alle fühlten, daß der Hans Olsen etwas gesagt, in dem tiefer Sinn lag.

Weder die Beret noch der Per Hansen hatten sich hineingemischt; sie saßen dabei und freuten sich. –


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