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III

Es sei nur gut, daß der Winter gekommen war, fand der Per Hansen, denn wahrhaftig, jetzt müsse er eine Weile Winterschlaf halten.

Mittags verzehrte er seine tüchtige Portion Enten oder Fische, zündete sich die Pfeife an, streckte sich und sagte:

»Ja, jetzt haben wir's so gut, wie Menschen es überhaupt nur haben können, du Beretmutter!« Eine Antwort erwartete er nicht weiter, bekam sie auch selten genug. Nach dem Essen gönnte er sich einen tüchtigen Mittagsschlummer, schlief wohl auch gleich die ganze Nacht durch. – – Das Leben war sehr schön; freilich war es das!

So ging es ein paar Tage; das schlechte Wetter dauerte an. Der Per Hansen futterte tüchtig, beteuerte, wenn er satt war, von neuem, jetzt hätten sie's wahrlich gut, und schlief den Schlaf des Gerechten; – er konnte übrigens nicht begreifen, daß er trotzdem niemals ausgeschlafen hatte. – – Bisweilen machte er eine Runde ums Haus, beguckte sich das Wetter und die Nachbarhütten. Nein, draußen könnt' sich einer nichts vornehmen. Und da ging er wieder hinein, streckte sich und gähnte.

Die Tage verstrichen.

Ja, die Tage verstrichen. Der eine genau wie der andre. Und der Per Hansen konnte eines nicht begreifen: seines Wissens wurden die Tage jetzt kürzer, mit jedem Abend; aber – wurden sie nicht eigentlich länger?

Gewiß, sie wurden länger! – Zu guter Letzt waren sie so lang, daß er nicht mehr wußte, was er anstellen solle, um sie totzuschlagen. Er sagte sich zwar selbst, es sei alles schön und gut, und er müsse jetzt verschnaufen nach all der wirklich schweren Arbeit im Herbst, und es sei gar so prächtig, eine Weile den Herrenmann spielen zu dürfen, – und es werde sich schon geben, wenn mit dem Frühjahr das gute Wetter kam und sein großer Besitz zugesät werden mußte – nein, er müsse sich durchaus noch ein wenig ausruhen!

Aber die Tage wurden doch länger!

Es war nicht abzuleugnen, daß er anfing, sich zu langweilen. Draußen war es ständig dasselbe, schien niemals anders werden zu wollen. Graue Luft. Rauh und naßkalt. Schneefall und Schneegestöber. Er konnte gerade noch ahnen, wo des Hans Olsen Hütten lagen.

– – Draußen war nicht das geringste zu tun. Der Vorrat an zerhacktem Holz war reichlich groß; das Füttern des Viehs war bald gemacht. – – Ja, dann war also da draußen nichts zu besorgen.

Der Per Hansen setzte sich an den Tisch; er legte sich aufs Bett, wenn er vom Sitzen müde war; er versuchte, so lange zu schlafen, als es irgend ging, wachte auf, drehte sich auf die andre Seite und schlief weiter; stand auf und setzte sich an den Tisch, wenn ihm das Liegen zuviel wurde.

Die Zeit war einfach stehengeblieben! Etwas so Tolles hatte er noch nicht erlebt, – das war schlimmer als das schlimmste Wetterfestliegen auf dem Lofot!

Den Buben ging es nicht viel besser. Auch sie lungerten herum, – saßen, bis sie sich in die Haare gerieten und rauften, so daß der Vater aufstehen und Hand an sie legen mußte. Aber er verfuhr nicht allzu streng. Arme Buben, was hätten sie wohl mit sich anstellen sollen ? – – Die Mutter gemahnte immer an die Bücher. Der Vater sagte, ja freilich müßten sie lernen! In diesem Hause sollten keine Heiden aufwachsen! Und wenn es um ›das Buch‹ Auch in deutschen Bauerngegenden wird noch heute die Bibel als ›das Buch‹ schlechthin bezeichnet. ging, konnte er sogar hart werden. Aber – Buben blieben halt Buben, – er hatte es noch nicht vergessen.

Nein! So ging das unmöglich weiter. Er pfiff aufs Wetter, zog die Jacke an, hieß die Buben das gleiche tun und dann gingen sie an den Holzstapel. – Sie sägten und sie zerkleinerten; sie verstauten zunächst all das Kleinholz, das drinnen Platz hatte; darauf bauten sie ein lustiges Häuslein aus Klobenholz – – so hübsch und geschickt war das Häuslein! – und packten es voll. Das ging geradezu flott, obwohl das Wetter scheußlich kalt und unwirsch war. Sie arbeiteten vom frühen Morgen bis zum späten Abend, gaben sich nur wenig Zeit für die Mittagspause; die Buben fingen schon an, sich zu beschweren, bald könnten sie nicht mehr. – – – Der Holzstoß beschäftigte sie genau vier Tage, dann war der und damit die Außenarbeit zu Ende.

Und dann saßen sie wieder da.

Das Wetter hielt an: Ein kalter durchdringender Wind aus Nordwest blies von morgens bis abends und heulte des Nachts um die Hausecken. Schnee stiemte und Schnee fiel. – –

Keine Sonne. – – Kein Himmel. – – Der aschgraue Nebel, der so häßlich feuchtkalt war, umgab sie und bedeckte sie wie erstarrt.

Des Abends ging jetzt der Vollmond auf. Dann begann der Nebel zu leuchten und lebendig zu werden und war gar wunderlich anzusehen. Der Mond kam Abend für Abend.

Der Per Hansen dachte bei seinem Anblick: jetzt sind draußen gewiß die Trolle unterwegs? –

Eines Abends kamen Tönset'n und die Kjersti herüber. Sie blieben lange plaudernd sitzen. Dem Syvert war es anzumerken, daß er mißgestimmt war; er rauchte zwar seine Pfeife, war aber mürrisch und betrachtete des Per Hansen Wände, und das wenige, was er vorbrachte, wurde unnötig laut geäußert.

Die Kjersti hielt sich an die Beret; beide saßen auf dem Bett und schienen ungemein viel miteinander bereden zu müssen.

Sie sei heute abend, sagte die Kjersti, eigens gekommen, um zu fragen, ob – ob – ja, ob sie der Beret nicht ein wenig aushelfen dürfe? Sie habe etwas Wollgarn daheim in der Lade, gar so weiches und feines Garn; nehme die Beret es übel, wenn sie für den Neuankömmling, den sie hier erwarteten, ein Paar Strümpfe strickte? Es sei schönes Garn, wirklich! Die Beret möge ihr glauben, die Zeit werde ihr und ihrem Piepmeier lang, die sie so allein in ihrer Hütte säßen und nichts Kleines erwarteten! Sie habe viel Garn und könne die Socken so lang stricken, daß zugleich Hosen draus würden. – Die Arbeit werde kurzweilig sein für sie; ja, auch für den armen Syvert, der kein Kleines bekam!

Ach ja, Gott helfe, der Syvert sei ja an sich recht brav, – da fehle nichts! – Und der Kjersti fiel dabei eine Geschichte ein, die sie einmal gehört, von einem Paar, das sich so sehr ein Kind gewünscht. Die Frau habe nicht besseren Verstand gehabt, als daß sie bei einem Zauberweib Hilfe gesucht und von ihr sowohl Teufelsdreck wie auch Bibergalle bekommen habe; sie habe es sich sowohl außen auf geschmiert, wie auch in sich hineingeschluckt; aber es wurde doch nicht anders mit ihr, nein! – Nicht eher, als bis eines Sommers der Hering in die Bucht geschwärmt kam und mit ihm zugleich viele fremde Schleppnetzfischer. O ja, die Sehnsucht brennt, wenn sie erst da ist! »Aber willst du glauben, daß der Mann das Kind ebenso lieb gewann, als sei er der rechte Vater? Ja, ist das nicht merkwürdig? – Aber als der Bub gut ein Jahr alt war und sie ihn am Sonntag zur Taufe in die Kirche bringen wollten, ja, da war solch ein Unwetter, daß sie, als sie in den Fjord hineinsegelten, umschlugen; und da nahm der Herrgott Mutter und Kind zu sich – nahm sich wieder, was er verweigert hatte zu schenken und nahm obendrein mehr!« Sie habe die Leut sogar recht gut gekannt.

Die Beret hörte aufmerksam zu und kam mit der Nachbarin in ein lebhaftes Plaudern. –

Die Männer am Tisch waren zuletzt auch der Erzählung gefolgt.

Der Per Hansen warf dem Syvert lachend einen Blick zu, der Syvert schaute wieder die Wände auf und ab und sagte hitzig:

»Du solltest lieber über Amerika plaudern, Kjersti; mit dem Trollwesen drüben in Norwegen haben wir jetzt abgeschlossen!« Er erhob sich zum Gehen.

Aber davon wollte der Per Hansen nichts wissen. Wenn sie nun doch schon dem Unwetter getrotzt hätten, sollten sie auch noch eine Weile bleiben: »Und heimwärts hast du Mitwind, Syvert!« –

Eines Nachmittags kam der Hans Olsen mit seinem ganzen Hausstand zu Besuch. Sie blieben bis zur Dunkelheit, ließen etwas davon fallen, daß sie nun wohl bald an den Heimweg denken müßten, machten aber keine Anstalten zum Aufbruch. – – Die Sörine hatte ein Geschenklein für die Beret mitgebracht. Sie habe einige Stoffreste liegen gehabt, mit denen sie nichts anzufangen gewußt. In dieser Zeit des Jahres sei es so langweilig, daß sie sich etwas zu tun suchen müsse; und da habe sie halt etwas für den Ankömmling, auf den sie alle miteinander warteten, genäht. Und die Sörine zog aus dem Busen ein Kinderhäublein; es war aus weißen und roten und blauen Streifen zusammengesetzt, hatte lange Seidenbänder und war mit großer Sorgfalt genäht. Es war ein hübsches Stück. Alle mußten sie das Mützlein bewundern; die Freude war groß und das Lob floß reichlich. – Die Beret sagte am wenigsten; sie nahm mit feuchten Augen die Mütze entgegen und legte sie vorsichtig in die große Lade.

Heute abend war es die Beret, die durchaus, nichts davon hören wollte, daß die Gäste schon gingen. Sie war hartnäckig und entschieden. Hier lägen doch so viele Eßwaren herum, – mehr als sie selbst verzehren könnten! Die Gäste müßten ihnen unbedingt helfen, etwas davon zu vertilgen! – – Das freute den Per Hansen ungemein. Es verhalte sich gerad, wie die Beret sage, sie hätten übergenug, und mehr noch schwimme im Sioux River herum; der heutige Abend müsse durchaus mit frischen Fischen gefeiert werden! – Er lief hinaus nach Gefrierfisch und zerlegte ihn selbst. Und das war akkurat wie auf dem Lofot, und er war wieder bei bester Laune.

Alle fanden es an diesem Abend gemütlich.


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