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Das Heer der Bosheit unter den Himmeln

I

Der Per Hansen saß mit den beiden Buben am Tische und reinigte die Saat; über die Tischplatte war ein weißes Tuch gebreitet; auf ihm lag in kleinen Haufen der Weizen. Das war wichtige Arbeit, überaus wichtige Arbeit; jedes Unkrautsämlein und Miststäublein mußte hinaus. Alles komme darauf an, die Saat rein zu haben, hatten die Trönder gesagt. – Der Per Hansen arbeitete ernst und sorgfältig; jedes eingeschrumpfte Kornauge schob er weg: »Nein, für das bedanken wir uns! Gute Saat in neue Erde! – Volles Saatkorn bringt den Getreidekasten zum Überlaufen. – Paßt jetzt gut auf, ihr Bürschlein, und pfuscht mir nicht!«

Merkwürdig war es, mit diesen kostbaren, schweren Körnern zu tun zu haben. Der Per Hansen konnte sich nicht entsinnen, je kurzweiligere Arbeit gehabt zu haben; aber er war dabei ernst. Hier war er also am Start! Diese paar Säcke sollten nicht nur all das Weizenmehl beschaffen, das er und die Seinen während eines ganzen Jahres zu verzehren imstande waren, sondern noch viele blanke Taler obendrein, großartigen Reichtum; und zudem noch Saat fürs nächste Jahr und wieder für den übernächsten Frühling und so fort durch alle die künftigen Jahre. Und brachten dann immer mehr und mehr Nahrung unter die armen Leute ringsum in der Welt. – Jetzt hielt er in der Hand die Wichte, die auf allen diesen endlosen Einöden neues Leben schaffen, sie zur Menschenheimat machen sollten, – war das etwa nicht merkwürdig?

Er mußte nächstes Jahr Saatkorn zum Verkauf bereit haben. Bald kamen viele her, die dessen bedurften. Hätte er bloß die Möglichkeit, die ganze Ernte aufzuspeichern; Saatweizen stand stets hoch im Kurs. – Nun, er mußte halt abwarten, – es konnte noch vielerlei dazwischenkommen!

Das also war der Anfang zu all dem Unerhörten, das hier draußen sich ereignen sollte. – Er dachte an den Anfang des Märchens: ›Es war einmal‹. Ein seltsamer Anfang! Aber noch merkwürdiger wurde es, wenn einer erst ein Stück hineinkam. – Er wollte sich gute Zeit lassen, wollte sorgsam mit der Saat umgehen. Der Per Hansen wurde noch ernster und mahnte leise, wohl schon zum hundertsten Male: »Verfahrt mir nicht unachtsam, ihr Burschen!«

Die Körner, die waren so kühl und doch so dicklich und schwer, hatten einen matten, trägen Glanz; es steckte Licht in ihnen. Eigentlich Gold war das auch nicht – nur starkes Leben, das noch im Schlummer lag. – Er schöpfte eine Handvoll, und sie wog schwer; er umschloß sie mit den Fingern und vermeinte, es werde weich und warm von schwellendem Leben; es kribbelte darin. Öffnete er aber die Hand und rührte mit den Fingern darin herum, so lagen die Körner gerade wie zuvor – träge, mattgelb, mit dem stumpfen Gold überzogen. – Er legte eine Handvoll nach der anderen vorsichtig in den Sack. »Geht mir hübsch behutsam damit um, ihr Burschen!« – –

Mit dem guten Wetter war die Rastlosigkeit in ihn gefahren. Er war mit dem Verlesen des Saatkorns fertig und hielt es innerhalb der vier Wände nicht mehr aus. Die Hühner legten jetzt schon so hübsch, jeden Tag bis zu fünf Eiern. Man mußte wohl bald Glucken setzen. Zum Herbst mußten es mindestens fünfzig Junghühner sein! – Er ging zu den Ochsen aufs Feld und schwätzte mit ihnen und befaßte das Fell im Nacken, wo das Joch liegen sollte.

Wenn es jetzt bloß bald trocken werden wollte! Er besah die Erde am Vormittag, er befühlte sie am Abend. Heute war es gut vorwärtsgegangen – wenn nur auch morgen so schöner Sonnenschein würde! Er mußte in allernächster Zeit zu den Nachbarn hinüber und nachsehen, wie es dort stand. – War es bei ihnen bald trocken genug? – Nein, wirklich! Dort war der Boden noch feuchter als bei ihm, wo das Land höher lag. – Sollst sehen, es wird bei dir schneller trocken, dachte er.

So hatte die Beret ihn seit vorigem Frühling nicht gesehen. Er war so leicht zu Fuß, schien es ihr, faßte so behende um alles, was Leben in sich hatte; seine Stimme klang so leise und freundlich; die Augen waren jetzt kaum noch zu sehen. – Sie fühlte eine Kraft von ihm ausstrahlen, daß sie sich fürchtete, und sie mied am liebsten seine Nähe.

Die Sonne schien den ganzen lieben langen Tag, – leuchtete klar und bebend am Vormittag durch ein unendliches Meer von blauer Luft; blinzelte zärtlich am Nachmittag durch trägen Dunst, öffnete gegen Abend das große Auge ganz weit. Die Flut des Lichts lohte auf, verglomm machtvoll in einer erhabenen Nacht, die ebenso voller Leben war.

Das gute Wetter hielt sich unverändert.

Der Per Hansen wurde rastloser, aber fröhlicher. Immer wieder stand er oben am Acker. – War es immer noch nicht trocken genug? – Er hätte die Saat jetzt im Boden haben müssen, so daß er ans Pflügen gehen konnte. –

Am Sommermerktag, dem 14. April, fing der Per Hansen an, seinen Weizen zu säen. Dreimal war er am Vormittag oben gewesen und hatte in der Erdkrume gewühlt. Das letztemal hatte er den Entschluß gefaßt: jetzt soll es geschehen!

Als er seinen Imbiß genommen, trug er zwei Weizensäcke auf die trockenste Stelle des Hügels, holte sich darauf von Hause das Saattuch. – Den ganzen Acker hatte er abgeschritten und vermessen und in Ein-Acre-Rücken eingeteilt; es sollte auf jeden Acre anderthalb Bushel Saat kommen; doch hatte der Simon Baarstad gesagt, daß man sich auf gutem Neuland auch mit fünfviertel Bushel begnügen könne; damit wollte er's versuchen.

Der Per Hansen füllte das Saattuch und hängte sich's über die Schulter; er zitterte. – Jetzt sah er sich um.

Gewiß! Er war der erste, – er war der erste, jawohl! – Dort fuhr der Hans Olsen Mist, – wohl auf das Stück, auf dem er den Garten anlegen wollte? Gar nicht so dumm von dem Hans Olsen! Tönset'n arbeitete in der Nähe seiner Gamme, – was, konnte er nicht erkennen. Er kehrte sich um und sah nach Norden: – Ja meiner Treu, waren da nicht die Solumbuben dabei, Neuland aufzubrechen?

Er ging an den Ackerrand.

»Ja ja,« sagte er laut und steckte die Hand in den Sack.

Dort kamen beide Buben angesetzt und wollten beim Weizensäen zugucken. Nein, schönsten Dank, davon wollte der Per Hansen nichts wissen!

Sie sollten sich heimscheren, und zwar unverzüglich!

Sie wollten doch aber nur zugucken! – Sie sahen ihn mit langen Gesichtern an.

Augenblicklich heim! Wahrhaftig, sie sollten hier nicht herumtrampeln und die kostbare Saat verlagern!

Aber dann fand er es doch zu arg, in einer Stunde wie dieser so streng zu sein, und er fügte freundlicher hinzu: Der Weizen sei halt so ungemein fein und empfindlich; der müsse in Ruhe liegenbleiben, akkurat wo er hinfiel. Jetzt sollten sie hübsch heimgehen wie brave Burschen; wer morgen früh zuerst aufwache, solle mit dem Eggen anfangen dürfen, und er, der Vater wolle aufpassen, daß jeder ein gleichgroßes Stück bearbeite; – aber der zuerst aufwache, solle den Anfang machen.

Das versöhnte die Buben einigermaßen, so daß sie sich heimwärts trollten, freilich nicht sonderlich freundlich gestimmt.

Der Per Hansen faßte mit der Hand in den Sack. Er fühlte es, jetzt war der große Augenblick für ihn da – jetzt säte er Weizen in eignen Boden! – Er nahm die Hand tüchtig voll, schloß sie derb und wollte sie herausheben. Nein, hätte einer so etwas gedacht! – rieselten da nicht die Körner wahrhaftig wieder hinaus! Er faßte wieder hinein, noch fester; die gelben, schweren Körner entschlüpften der geschlossenen Hand wie glitschige Aale. – Die wollen wohl nicht in die Erde und mir die Schätze herausholen? dachte der Per Hansen. Und dann lachte er: Er steckte zum drittenmal die Hand in den Sack, ließ sie zärtlich herumgleiten, nahm eine mäßige Handvoll und hielt sie leichtumschlossen.

Der Weizen fiel ihm in gelben Bogen aus der Hand; die Sonne umspielte das Korn, und während es durch die Luft sank, legte sie Goldglanz darum. Er zwang sich zu ruhigem und besonnenem Arbeiten; es kam darauf an, gleichmäßig und ausreichend dicht zu säen. Er merkte, wie ihm heiß wurde, der Schweiß aus den Poren sprang; er konnte es gar nicht verstehen, er arbeitete ja doch nicht so angestrengt? Aber so ging es wohl dem, der sich mit einer Arbeit abgab, auf die er sich nicht recht verstand. –

Am Nachmittag kam Tönset'n so eilig angesetzt, daß ihm der Dreck unter den Sohlen aufspritzte.

»Aber was hast denn du hier für tolle Streiche vor?!«

»Das siehst du doch wohl?«

Der Per Hansen blieb stehen, nachdem er gut Peilung genommen, um nicht aus dem Kurs zu kommen, wenn er wieder fortsetzte.

Tönset'n schüttelte den Kopf: Das sei eines Narren Beginnen; es sei noch nicht trocken genug, die Erde zu kalt, der Boden noch dicht unter der Oberfläche gefroren. »Du verdirbst dir alles, sollst du sehen!« Tönset'n trottete wieder den Hügel hinab und war tief beleidigt. Er hatte es sich so schön ausgedacht, das ganze Säegeschäft sowohl für den Hans Olsen wie für den Per Hansen zu übernehmen; und jetzt machte der Per Hansen alles selber? – Ja, wenn der sich durchaus ruinieren wollte, so mochte er! –

Der Per Hansen säte an dem Tag bis in die Dunkelheit. – Am Abend blieb er lange bei Tisch sitzen, hatte gar nicht Lust aufzustehen, denn die Müdigkeit war so unendlich wohltuend. Das Gössel war ihm auf den Schoß geklettert. Die beiden Buben wollten mit ihm schwätzen. – Werde er sie morgen beide gleichzeitig wecken? – Nein, keineswegs! Es habe übrigens mit den Eggen nicht Eile, bevor die Sonne aufgegangen sei und den Boden ein wenig erwärmt habe; aber wer zuerst aufwache, aus dem Bett herauskomme und die Ochsen vor die Egge spanne, der solle auch anfangen dürfen. Darüber gebe es kein Akkordieren! – Und vorm Einschlafen sagte er ihnen noch: wenn sie ordentliche Mannsleut seien, er und sie, dann hätten sie morgen, wenn der Abend hereinbrach, alle Saat in der Erde und den Acker geeggt!

Den nächsten Tag säte er wie besessen. Und nachdem er erst den richtigen Griff herausgefunden hatte, ging es auch schnell genug. Als der Abend herankam, hatte er das Säen hinter sich, und die Buben hatten nur noch den Hafer zu eggen.

Jetzt war er einen guten Sprung vorwärtsgekommen; keiner der Nachbarn hatte noch begonnen!


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