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Die Herrlichkeit des Herrn

I

Junitag und flimmernde Sonne ... wogende Schatten lichter Wolken über einer grenzenlosen, grünen Ebene. Sonne und wogende Schatten, und immer dasselbe jeden Tag.

Ein alter Cart ein zweirädriger Einspännerwagen. humpelte über die Prärie in der Richtung auf das Settlement am Spring Creek, ein Cart von so veraltetem Bau und so jämmerlicher Verfassung, daß es aussah, als werde er am ersten besten Grasschopf zerschellen.

Der Gaul vor dem Gefährt paßte sich dem durchaus an: langbeinig war er und klapprig, mager und grobschlächtig, so daß man alle Knochen hätte zählen können. Einstmals war sein Fell vermutlich hellgrau gewesen, obwohl sich darüber nichts Bestimmtes mehr feststellen ließ; denn dieses schmutzige Braun konnte ebensogut jede andere Farbe sonst gewesen sein. Von dem, was früher vielleicht eine üppige Mähne gewesen war, waren nur noch ärmliche Fransen übrig. Sein Vorderteil war von einem dicken Buckel überwölbt; wenn er den Hals streckte, erinnerte er an ein Dromedar. Aber ursprünglich war es also ein Pferd gewesen, wenn das auch lange her sein mochte. –

Der Mann auf dem Kutschsitz war von einem noch unbestimmlicheren Alter als Roß und Gefährt. Er konnte fünfundvierzig, aber er konnte auch fünfundsechzig sein. Wären nicht der Bart und die Wohlbeleibtheit gewesen, so hätte man eher auf das erste geschlossen; denn der Gesichtsausdruck war jugendlich, die Augen lebhaft und feurig; sie hatten etwas jungenhaft Frisches. Der Bart deutete aber zweifellos auf ein höheres Alter; er fing bei den Ohren an und umkränzte das ganze Kinn; er war dicht und struppig, die Stoppeln waren mindestens einen Zoll lang; seine ursprünglich helle Farbe war jetzt stark von Grau durchschossen. – Auch der Anzug bezeugte das hohe Alter des Mannes; vor allem der Rock, der weder Schoßrock war noch Jacke, vielmehr ein Kleidungsstück aus dünnem, schwarzem Tuch, das den Mann lose und geräumig umschloß. Für eine Jacke war er viel zu lang, für einen Gehrock nicht lang genug.

Als das Pferd heute lange genug getrottet, der Cart lange genug geklappert hatte, der Mann lange genug, während er dazu vor sich hinsummte, zusammengerüttelt worden war, begannen endlich die Torfhütten am Spring Creek allmählich aus dem Boden herauszugucken. Und es war wahrlich an der Zeit, denn es wollte Abend werden. Ein paar Holzhäuser – ein großes würfelförmiges und ein kleineres mit einem hohen Giebel – waren schon lange sichtbar gewesen. Sie stachen so seltsam ab von der nackten flachen Landschaft, daß einer sich unwillkürlich überlegte, ob die denn wirklich hier draußen beheimatet seien.

Der Mann im Wagen schien übrigens nichts nach ihnen zu fragen. Dafür beschäftigte er sich um so angelegentlicher mit den Gammen; und je mehr er das tat, desto mehr ließ sein Summen nach, und zuletzt kam es nur noch stoßweise.

»Hm – hm, da hätten wir sie also! – Leg dich jetzt brav in die Sielen, King!« kam es ermunternd aus dem Bartkranz. »Siehst du: wir müssen zusehen, uns durchzubaggern, ehe die Leute sich legen ... Greif aus, sag ich dir, greif aus!«

Die Sonne war bereits unter dem Horizont, als das Pferd endlich vor der Tür einer der Gammen stoppte. Der Mann blieb sitzen.

»Sind Leute hier?« rief er mit kräftiger Stimme.

Drinnen rührte es sich.

Ein untersetzter, abgearbeiteter, rotbärtiger Mann kam herausgestürzt, eine rundliche Frau gleich hinterher gekugelt; beide kauten; der Mann wischte sich den Mund; sie glotzten den Fremden an.

»Ich frage, ob hier Leute sind?« sagte der Mann; in seinem Bart spielte ein breites Lächeln.

»Teufel auch, bist du Norweger!« rief der Rotbart erfreut.

»So so, den Gesellen habt ihr hierzulande also ebenfalls?« Der Alte machte ernste Augen. »Habt ihr heute abend mehr zu essen, als ihr selber verzehren könnt, sowie Platz übrig für einen Gaul, der den ganzen Tag getrabt ist?«

Er wartete die Antwort nicht erst ab, warf die Zügel auf die Erde und stieg aus, streckte sich und ließ sich einen Seufzer entschlüpfen:

»Wie steif einer doch wird von diesem Gerüttel! – Wie heißest du, lieber Mann?«

»Ich heiße Syvert Tönset'n; – was aber für ein Bursch bist denn du so ungefähr?« Tönset'n trat sehr dicht herzu und maß forschend den Fremden von oben bis unten.

»Hast du etwas zu essen, Mutter?« wandte sich der an die Frau, ohne dem Mann Beachtung zu schenken; er nahm einen großen, abgenutzten Mantelsack aus dem Cart und stellte ihn auf den Boden.

»Ja, weißt du, wofern du vorlieb nimmst, –« sagte die Kjersti zaudernd, unterbrach sich jedoch plötzlich, huschte hinter Syverts Rücken, holte die Hand unter der Schürze hervor und zupfte ihn am Jackenschoß: sie hatte den Fremden wie auch die Reisetasche eingehender betrachtet, und eine leise Ahnung war ihr aufgestiegen.

Tönset'n war viel zu geschäftig, um auf sie achtzugeben.

»Ich frage,« sagte er mit viel Würde, »was für eine Art Mann du seiest, und was du vorhabest, – bist du ausgezogen, dich nach Land umzutun?«

Der Fremde stemmte die Hände in die Seite, sah den beiden ins Gesicht und sagte ernst:

»Ich bin Pastor; und du, mein guter Mann, solltest deinen Gästen nicht ins Gesicht fluchen! – Und nun frage ich noch einmal: kann ich bei euch zur Nacht bleiben?«

»Donnerwetter noch eins!« entfuhr es Tönset'n, – so, als hätte ihn wer in den Magen gepufft.

»O mein, o mein,« weimerte die Kjersti; »Er ist wohl nicht recht –, also Pastor ist Er? – Ja, wenn Er das, was wir zu bieten haben, nur auch wird essen können!«

»Sorg dich nicht darum, Mutter! – Ja, dann bringen wir also erst einmal den Gaul unter.«

Tönset'n hatte plötzlich so geschmeidige Hosen an, war nur noch lebendige Hilfsbereitschaft, verspürte eifriges Plauderbedürfnis, getraute sich jedoch nicht so recht – –. Aber das Pferd versorgte er gut und reichlich und lief obendrein noch nach mehr Streu.

Der Pastor hatte nach vielem zu fragen, und er und Tönset'n ließen sich gute Zeit vor der Gamme.

Als sie beide hineinkamen, setzte Tönset'n einen Stuhl ans obere Tischende und bat, dort Platz zu nehmen. – Der Tisch war weiß gedeckt und dafür, daß es sich nur um einen Gast handelte, überaus reichlich mit Speisen besetzt; da gab es eine Satte mit dicker Milch und norwegisches Flachbrot, süße Milch und gekochte Eier, Kaffee und feines Gebäck; und dennoch schien es der Kjersti nicht ausreichend zu sein für einen solchen Besuch, sie briet geschwind noch ein paar Eierkuchen; denn an Nahrung fehle es ihnen nicht, gottlob! – Sie hatte in aller Eile hübsch aufgeräumt, und es sah behaglich aus in der Gamme; der Pastor sah sich überrascht um.

Aber dann setzte er sich und griff zu, war des Lobes voll über das Gebotene und aß wie ein gesunder Mensch, der schon lange Hunger verspürt hat.

Tönset'n stand mitten im Zimmer und unterhielt den Pastor; es lag jetzt ein salbungsvoller Ernst über seinen Worten. Die Kjersti blieb in der dunklen Herdecke; sie gab fast mehr acht auf das, was der Syvert sagte, als auf die Worte des Pastors, – der Ärmste geriet doch so leicht in Eifer, und wußte wenig davon, wie man mit so feinem Volk reden müsse! Beglückt beobachtete sie, wie der Pastor herzhaft zugriff. Wie hübsch sprach er von dem Essen, das sie hergerichtet! Und wie leutselig plauderte er – ohne jegliche Andeutung von einer Predigt. Nur von Alltäglichem schwätzte er mit dem Syvert – die hiesigen Verhältnisse, Ernteaussichten, Wirtschaftsweise und Betrieb. – Tönset'n kam immer wieder auf die Zukunft zu sprechen; ihn beschäftigte mehr, wie es werden sollte, als wie es war. Und der Pastor sparte nicht mit gutem Rat.

Wie sei es denn aber mit dem christlichen Wandel der Bewohner bestellt, wollte der Pastor dann wissen. Tönset'n räusperte sich erst gründlich und sagte dann energisch, darüber wisse er weniger gut Bescheid; das könne ein Farmer schwer beurteilen! Und schleunigst fragte er sodann, welchen Weg denn der Pastor gekommen sei, und ob er viele Settlers getroffen habe; und das wieder bot ihm Gelegenheit zu schildern, wie es hier ausgesehen, als er vor sechs Jahren nach Westen gezogen kam; und er wurde so ungemein beredt – die Kjersti wußte: jetzt werde es brenzlich! –

Endlich war der Pastor fertig mit Essen.

»Ja, und jetzt schweig ein wenig, mein guter Mann, jetzt wollen wir dem Hergott für diesen Tag danken!«

»Jawohl, ja!« Tönset'n schneuzte sich nachdrücklich; er wußte nicht recht, was mit sich anfangen, steckte jedenfalls die Daumen in den Hosengurt und blieb in sich zusammengesunken mitten in der Stube stehen. – Die Kjersti ließ sich langsam auf der Holzkiste nieder und trocknete sich mit der Schürze die Augen, – sie hätte doch gar zu gern den Syvert gebeten sich zu setzen!

Der Pastor faltete die Hände und gab sich daran mit einem zu plaudern, den sie zwar nicht sahen, der aber in der Nähe sein mußte. – Der Pastor sprach leise; es hatte den Anschein, als sei der andere ein lieber, guter Bekannter; er sprach gemütlich und traulich, ganz so, als habe der andere ihm oft und unerwartet Gutes getan. Er dankte ihm für den vergangenen Tag, den sie nie wieder erleben würden, bat ihn, alle heute begangene Sünde in dem großen Meer seiner Gnade auszulöschen. Er betete lange für die Bewohner dieser Gegend, für das Haus, in dem er jetzt saß, und sehr viel für den Mann, der hier vor ihm stand, und der so sehr häßlich fluche. Auf irgendeine Weise möge der andere zu ihm kommen und ihn kräftiglich an das erinnern, was er betreffs dieser Sünde in seinen Geboten gesagt habe. Nicht allzu streng jedoch möge er mit diesen Menschen zu Gerichte gehen, die in so langen Zeiten umhergeirrt seien – in der großen Wüste der Welt, ohne Hirten und Aufsicht. – Dann sagte er amen und saß eine Weile stumm mit gefalteten Händen. Die Lampe auf dem Tisch warf ihren Schein über sein Gesicht; der Rahmen darum wurde zu reichstem Silber, – Erhabener Friede erfüllt den Raum.

Dann erhob er sich.

»Dem Herrn sei Dank für das gute Mahl!«

Tönset'n schneuzte sich wieder gewaltig, machte plötzlich kehrt und verschwand zur Türe hinaus.

Die Kjersti auf der Holzkiste schnufzte.

Der Pastor trat zu ihr und gab ihr die Hand.

»Ein gesegnet gutes Mahl hast du mir geboten, Mutter – hab Dank dafür und großes Lob!«

»O ja, – o ja,« wiegte sie den Kopf; ihr schien, diese Hand könne sie gar nicht wieder loslassen.

Tönset'n kam gleich wieder herein; – das ging nicht an, er mußte unbedingt sein Benehmen erklären, – es war durchaus nicht so schlimm mit ihm bestellt, wie der Pastor glaubte; der sollte bloß einmal hören, wie mancher andere bisweilen wetterte! – Als er aber vor dem Pastor stand, wurde aus allen den beabsichtigten Darlegungen nur ein Räuspern.

Der Pastor ging an den Reisesack, nahm zuerst einen stattlichen Beutel heraus, sodann eine lange Pfeife; die säuberte er mit großer Sorgfalt und stopfte sie, daß es verschlug.

»Nun, denke ich, könnte ein wenig Räucherwerk gar lieblich schmecken. – Nein, bleib bloß sitzen, Mutter!«


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