Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vor der großen Öde

I

Anfang Oktober traf für die Neusiedler westlich vom Spring Creek eine große Begebenheit ein. Sie war das größte Geschehnis des Jahres und sie wußte ihre Zeit zu wählen.

Mittag war soeben vorüber. Morgens waren der Per Hansen, der Hans Olsen und der Henry Solum in den Wald östlich am Sioux River nach Brennholz gefahren. Tönset'n war so von der Gicht geplagt gewesen, daß er sich zum Mitfahren nicht hatte entschließen können.

Die Beret saß daheim am Fenster und strickte an etwas Rundem, was so winzig war, daß der Große-Hans hatte fragen müssen, ob das ein neuer Daumen für des Vaters große Fäustlinge sei. Die Mutter hatte zu der Frage so eigen gelächelt und gemeint, ja vielleicht sei es das. – –

Die Beret war ernster geworden, seit es zu herbsteln begann, wortkarger und verschlossener; sie trug an einer Schwermut, die sie, so gut sie konnte, vor dem Manne zu verbergen suchte. Jetzt klapperten die Stricknadeln gleichförmig und taktmäßig; aber der Sinn war nicht mit bei der Arbeit; sie warf nur dann einen Blick auf das Strickzeug, wenn eine neue Nadel begann. Ihre Augen schweiften hinaus, irrten über dem Teil der Widde, der sich ihnen bot, hin und her. Das Gesicht wies den müden, erschöpften Ausdruck auf, den es jetzt immer trug, wenn sie allein war. Es lag eine Traurigkeit darauf, die so tief war, daß die ganze Gestalt davon etwas Geisterhaftes erhielt. – –

Runde fügte sich an Runde. Der Blick wanderte.

Aber jetzt fanden sie etwas, woran sie sich heften konnten. Das Strickzeug sank in den Schoß; die Beret blickte scharf hin. In ihren Trübsinn mischte sich tiefstes Mitleid, wie bei einem, der gern sein Leben hingäbe, um ein anderes aus der Not zu befreien.

Waren in dem dort herannahenden Zuge viele Menschen? Sie beugte sich vor und versuchte zu zählen. – Nein, sie kam zu keinem Ergebnis. – Der Zug hatte sich jetzt vom Himmelsrand gelöst und war bereits mitten in der grünblauen Stille zwischen dem und ihr.

Da waren also wieder welche auf Irrspur geraten? – –

Die armen Leute, – die armen Leute!

Der Gedanke durchfuhr sie, daß sie etwas unternehmen müsse, um diese Menschen zu retten; ihnen entgegengehen, um sie zur Umkehr zu bewegen, ja, zur Umkehr, ehe sie sich noch weiter in das Unsägliche verloren.

Sie legte das Strickzeug auf den Tisch, ging hinaus, blieb vor der Tür stehen und schaute aus. – Waren es nicht fünf Wagen? Dann waren wohl viele Menschen dabei?

»Du großer Gott, zeig jetzt dein Erbarmen mit den Menschen!« seufzte sie. »Laß nicht alle diese in der Wildnis umkommen! Du weißt es doch, nur ich habe mich so schlimm gegen dich versündigt!« –

Der Ole war mit dem Vater zum Wald, der Große-Hans kam soeben vom Bach heraufgeritten, wo er den Pony getränkt hatte; er sah die Mutter vor der Türe und ritt zu ihr hin.

»Was willst du, Mutter?«

Seine Frage weckte sie, sie fing an zu gehen, hielt aber gleich wieder inne. – Was nützte es, daß sie ging? Das waren ja doch nicht Leute, mit denen sie hätte reden können! – Das Gefühl unendlicher Verlassenheit befiel sie. Ließ sich etwas so Entsetzliches ermessen: sie war mitten in die Unendlichkeit hinein gebannt; ein seltenes Mal geschah es, daß menschliche Wesen vorbeizogen, und dann konnte sie nicht einmal mit ihnen reden!

– – Konnte der Herrgott wirklich einen Menschen so schwer schlagen ?

– Die Beret preßte die Hand an die Brust.

»Was willst du, Mutter?«

»Reite – reite ihnen entgegen, und sieh zu, – ob du ihnen auf irgendeine Weise behilflich sein kannst!«

Bebendes Leben fuhr in den Buben, er riß den Gaul herum, folgte dem Blick der Mutter und hatte sofort den Zug aufgefangen.

»Wir müssen sofort den Syvert benachrichtigen!« Der Große-Hans sah zur Mutter zurück, um sich ihrer Meinung zu vergewissern.

»Den Syvert?« – Ein Schatten legte sich über ihr Gesicht. Was für Hilfe konnte wohl der Syvert diesen Menschen in der Not, in der die jetzt steckten, angedeihen lassen! Sie seufzte vor Ratlosigkeit. »O nein, reite du ihnen entgegen und biete ihnen deine Hilfe an. Und sage ihnen, dein Vater sei nicht daheim.«

Der Große-Hans entsann sich nicht, die Mutter schon je so verständig haben raten zu hören; er reckte sich im Sattel, saß wie ein erwachsener Mann; dann redete er dem Pony gut zu, klopfte ihm den Hals und rief: »Jetzt reite ich, Mutter! – Geh du zum Syvert und erzähle es ihm!« –

Andere Augen schienen den Horizont gleichfalls abgesucht zu haben. Da kam der Sam herzugelaufen, um die Neuigkeit zu überbringen, blieb gerade so lange, als zum Berichten nötig war und lief sogleich zu Tönset'n weiter. – Die Beret ging hinein, weckte das schlummernde Gössel, nahm es auf den Arm; und dann ging es zur Sörine hinüber; denn die mußte doch auch unterrichtet werden. – Wie gut war es jetzt doch, daß der Per nicht daheim war!


 << zurück weiter >>