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IX

Und dann war sie nach Amerika gekommen, und das Land entsprach keineswegs den goldnen Erwartungen, die sie sich gemacht hatte. Sie sah auch hier genug der Armut und des zerrüttenden Abrackerns. – Was nützte dann all der gute Boden, der sich hier ins Endlose dehnte? – Jetzt bekam sie zu spüren, daß ›der Mensch nicht vom Brot allein‹ lebt! – Und im übrigen war es auch mit dem Brot nicht immer allzu üppig bestellt.

Nein, das Schicksal selber hatte sie hierhergeführt. Das Schicksal, jawohl, das unausweichliche Lebenslos, das Gott der Herr von Ewigkeit an für jeden Menschen bestimmt, je nach den Pfaden, die er in seiner Allwissenheit den Menschen künftig wandeln sieht. – Jetzt wartete ihrer die Strafe – die Strafe, weil sie das vierte Gebot übertreten hatte.– – Im Laufe des Herbstes hatte sie ausgerechnet und zusammengelegt, und es stimmte aufs Haar: das Schicksal hatte alles so bequem für sie gefügt, damit die Strafe sie um so sicherer treffe. Es hatte sie dem Per Hansen in die Arme geworfen, und sie konnte nicht einmal bereuen! – Das Schicksal hatte mit Amerika gelockt, und sie beide waren gefahren!

Kaum aber waren sie angekommen, als das Westfieber in den Settlements wie eine Seuche zu wüten begann. So etwas hatte es noch nicht gegeben! Die Menschen waren von verwirrten Phantasien wie betrunken: sie redeten wie im Rausch: »Fahrt nach dem Westen! Fahrt bloß, guten Leute, fahrt! Je weiter nach Westen, desto besser der Boden!« – Die Leute sahen Fiebergesichte: unendliche Ebenen, überströmend von Reichtum, erglühten, wo am Abend der Tag hinabsank – ein seliges Elfenland des Glücks! – – – Sie hätte sich nie geträumt, daß der Herr die Menschen mit solch einer Tollheit schlagen könne. Und wäre es noch die Jugend gewesen! Aber die Älteren waren beinahe noch schlimmer. – Die Leute scharten sich zusammen zu kleinen Zügen und zu großen Zügen, nahmen mit, was mitgeführt werden konnte, verließen die alte Wohnstätte, ohne auch nur einen Seufzer dafür übrig zu haben! Immer weiter ging es nach dem Westen, wo die Sonne am schönsten erglühte, wenn sie am Abend versank. Die Menschen waren wild wie die Vögel am Meer zur Zeit des Brütens. Und sie flogen in kleinen Scharen, in großen Scharen, aber stets in die sinkende Sonne. – – – Jetzt verstand sie es: Hier machte sich der jahrtausendalte Hunger der armen Leute nach Menschenglück Luft.

Und in diese fiebergesättigte Luft waren sie hineingekommen! Hätte das Schicksal es wohl behender fügen können? – Sie wußte noch, wie es gleich in des Per Hansen Augen zu funkeln und zu glühen begonnen hatte! Es war seltsam mit ihm; denn er war zugleich so wundersam gut geworden. Nein, o nein, wie war er doch den letzten Winter und Frühling lieb zu ihr gewesen! Und solch ein Glück solle alles Seufzen und Sorgen nicht aufwiegen, hatte sie sich oft gefragt, ohne eine Antwort zu wissen. – – Nur eins wußte sie: seit diesem Frühling war sie wieder schwanger. Wollte ihr da jemand ausreden, daß das Schicksal hinter ihr aus sei!

Sie hatte von dieser Reise abgeraten; sie sollten sie hinausschieben, bis sie alles überstanden habe: ein Jahr mache wenig aus bei dem Überfluß von Land, wie es da draußen liegen solle. Aber dann rüstete der Hans Olsen, und damit war jede Menschenmöglichkeit, den Per Hansen zurückzuhalten, vernichtet. Alle ihre Besorgnisse wurden bei ihm zu Gelächter und Possen und mutwilliger Verliebtheit. Er hatte sie umfaßt, war mit ihr herumgetanzt, war mit so lustigen Schmeichelreden gekommen, daß sie mitlachen mußte. »Komm, Schätzelein, jetzt fahren wir!« Sie erinnerte sich noch deutlich, wie hübsch das Schmeichelwort an dem Abend in seinem Munde geklungen hatte.

Doch über eins war sie sich klar: den Per Hansen traf keine Schuld. Nein, alle Schuld kam auf sie. So lieb, wie jetzt hier draußen, war er wohl nie zu ihr gewesen. Sie hätte nicht für möglich, gehalten, daß ein Mensch nach einem andern ein so tiefes Verlangen tragen könne. – Und wer wollte sich mit ihm vergleichen! Wer machte ihm das nach, was er geschafft, seit sie sich letztes Frühjahr aufgemacht hatten! Nein, er war wie der Nordwind, der die Wolkenbänke vom Himmel fegt! – Unsagbare Zärtlichkeit trat der Beret bei dem Gedanken in die Augen –: Nein,– nicht wie der Nordwind: wie der sanfte Hauch an einem linden Sommerabend, so war er! – – Und an diesen Mann hatte sie sich gebunden und war ihm nur hinderlich, – eine Fessel am Fuß. War das nicht abermals die Vergeltung, die über ihr schwebte?


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