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IV

Die Wagen krochen den lieben langen Tag in satter, schläfriger Herbstsonne und blauer Luft dahin, auf einen fernen Himmelsbogen zu, von dem ein flimmernd gelber Schleier herabhing. Dem Bogen kamen sie den ganzen Tag nicht näher. Als aber der Abend zu blauen begann, schien es doch, als gelangten sie noch einmal ans Ziel.

Für den Per Hansen war es der reine Festtag. Jetzt fuhr er in der Richtung, die er im Sommer, als er herkam, hätte einhalten sollen, durchfuhr jetzt an einem Tag die ganze Strecke, die damals vier Tage beansprucht hatte.

Der Wagenzug las die Richtung vom Himmel ab und legte den Kurs geradeaus.

– – Und jetzt hatte der Per Hansen Muße, sich umzuschauen: Hier war es ausnehmend schön! – – Auch für die anderen, die den Weg schon kannten, gab es viel des Neuen zu sehen, je weiter sie in den gelbblauen Dunst vordrangen: hier, wo im Sommer noch nichts gewesen als die Hügel der Erd-Eichhörnchen, guckte jetzt eine Erdhütte, und dort wieder eine, aus dem Boden hervor.

Sie gedachten an diesem Abend am Split Rock Creek zu rasten. Und wirklich, sie gelangten bis hin und rechneten sich aus, daß sie an dem Tage runde achtunddreißig Meilen zurückgelegt hatten. Vor des Per Hansens schwer befrachteten Wagen hatten sie öfter die Pferde gewechselt, um schneller vorwärts zu kommen.

Sie fanden eine Furt im Fluß, fuhren durch und schlugen ihr Lager am Ostufer auf. Als sie einst den Sioux River überquert hatten – es schien ihnen unendlich lange her zu sein –, da hatten sie so lange Rast gemacht, bis sie sich drei große Hechte gefangen hatten. Auch heute hängte der Per Hansen einen Kessel übers Feuer und kochte zum Abend frische Fische; die Kartoffeln grub er neben den Kessel in die Asche. Und bald saßen sie am Ufer beim köstlichsten Herrenschmaus. Neben ihnen floß mit leisem Plätschern das Wasser und rief so manche Erinnerung wach. – Die Unterhaltung verstummte, als sie satt waren. Sie warfen Holz aufs Feuer, zogen die Pfeifen hervor und hörten jetzt deutlicher, wovon das Wasser murmelte und sang. – – Ein großer Stern am Westhimmel sah ihnen ins Gesicht.

Als die Pfeifen zum zweitenmal ausgeraucht waren, standen sie auf, besorgten die Pferde für die Nacht, lagerten sich unter die Wagen und schliefen, bis der Tag die blaue Wand im Osten zu vergolden begann.

Kaffee wurde gebrüht, Kartoffeln gekocht, von gestern abend war noch genügend kalter Fisch übrig.

Bald saß wieder jeder auf dem humpelnden Wagen und entfernte sich noch weiter von einer Stelle – einer Stelle – nun – einer Stelle weit weg unterm Westhimmel, wo ein paar Erdhütten lagen! Da draußen war doch irgendwo einmal solch eine Stelle gewesen? – Der Per Hansen riß sich zusammen, dachte eindringlich an die Beret und den Großen-Hans, und die Gamme lebte wieder für ihn auf.

Die arme, liebe Beret! Wenn ihr nur nicht die Zeit lang wurde, während er weg war! –

Unerwartetes gab es auch heute genug. Erdgammen mickerten sich durch, wo eigentlich keine hätten sein sollen, soweit der Solumbub und der Hans Olsen sich entsannen. Du große Welt, wo waren die alle auf einmal hergekommen ? Die mußten rein wie die Ameisen im Sommer aus der Erde hervorgewimmelt sein! – – Nun, allzu viele waren es nicht; aber es hätten hier eben überhaupt keine sein sollen. –

Im Laufe des Vormittags kamen sie an solch eine kleine Neusiedlung. – Trübselig lag sie da – nur zwei winzige Gammen –, gerade an der Wegrichtung. Sie mußten hineinschauen und nachhören, was das für Menschen seien. – Unweit der Gamme waren welche beim Aufbrechen von Neuland. Die Grasnarbe schien auch hier zähe zu sein. Der Blick blieb zuerst am Vorspann des Pfluges hängen: da schritt ein Ochse mit blanken Messingkugeln an den Spitzen eines gewaltigen Hörnerpaares Seite an Seite mit einer hornlosen, mageren Kuh. – Ein Weib ging nebenher und trieb an; ein Mann mit einem Patriarchenbart lenkte den Pflug und schob aus Leibeskräften nach.

Die Leute waren Hallinger. Aus der schwedischen Landschaft Halland am Kattegatt. Und das freute den Per Hansen und den Hans Olsen ungemein. Mit einem Halling ließ sich plaudern! – Das reine Märchen! Der Halling hatte seine gesamte Habe den ganzen Weg von Jowa bis her – wohl über vierhundert Meilen – und mit diesem Gespann befördert, »ein mühselig langer Weg,« erklärte der Halling.

Und wie lange hatte das gedauert? fragte der Per Hansen.

Oh, nicht gar so lange. – Übrigens genau sieben Wochen und zwei Tage. Sie hätten sich um der Kuh willen nicht mehr sputen können, denn die schaffte ja das meiste der Nahrung herbei, da konnten sie nicht zu hart mit ihr umgehen.

»Kannst du mir sagen,« fragte der Per Hansen verblüfft, »ob sie denn Milch gibt, deine Kuh?«

»Freilich gibt sie Milch, – wenn wir sie nicht gar zu arg plagen.«

»Das ist eine Prachtkuh! – – Kannst du mir sagen, ob du wohl Kartoffeln zur Milch brauchst ? Ich hab eine ganze Fuhre mit, die ich zusehen will zu verkaufen.«

Der Halling glotzte, öffnete den Mund, als wolle er etwas sagen; es kam aber nichts; unter dem Bart bewegte es sich, als schmunzele der Mann; als aber der Hansen genauer hinsah, da hatte der die Augen voll Wasser.

Der Mann wischte sich die Tränen und starrte den Per Hansen an. Die Frau stand daneben; ihr Gesicht war so schmal und abgehärmt, – sie weinte.

»Habt ihr im Haus was zu essen?« fragte der Per.

»– O ja, – – so lange die Kuh Milch gab.« Die Frau kam mit dieser Auskunft.

Da mußte der Per Hansen lachen. »Nein, jetzt hol schnell einen Kübel, du Mutter, dann werden euch eure Gäste ein anständiges Mahl auftischen!«

Und weiß Gott: die Frau war bald mit dem Kübel zurück. Er nahm ihn ihr ab, füllte ihn mit Kartoffeln, sah sie an und sah sie noch einmal an – schüttete den Kübel auf den Boden aus, füllte ihn noch einmal.

»Schau, einen Kübel voll für jeden von euch; übereßt euch aber jetzt nicht daran!«

Der Halling räusperte sich stark und meinte: »Das ist solch ein glücklicher Zufall! Gib uns halt noch vier Kübel dazu; dann sollst du einen ganzen Dollar dafür haben, wenn ich ihn einmal bekomme. – Und stirbst du vorher, hast du für die Kartoffeln auch nicht Verwendung.«

»Nein, aber es könnte sein, ich brauchte den Dollar!« lachte der Per Hansen. »Dank für das Angebot! – Aber was meinst du zu acht Kübel und zwei Dollar, wenn du sie einstens hast?«

Da lachte der Halling, daß der Patriarchenbart wackelte.

»Nein, weißt du was, Mann: da ist es noch besser, es bei sechzehn Kübeln und vier Dollar zu belassen! Wie? – Das Geld bekommst du schon noch einmal; – wir haben halt nicht allzuviel Essen im Haus.«

Die Frau hatte den Kübel hineingebracht, war wieder herausgekommen und sammelte jetzt auf den Knien die Kartoffeln vom Boden gierig mit beiden Händen in ihre Schürze; sie warf dem Per Hansen scheue Blicke zu.

Der Per Hansen lachte den Halling an. »Dann will ich dir akkurat sagen, wie wir es einrichten wollen: du hast jetzt vorläufig genug; wenn ich wieder heimkomme, will ich dir eine ganze Fuhre anfahren. Du mußt doch zu essen haben, Mann! – Auf das Geld will ich warten.«

Und sie wurden handelseinig. – Ehe die Stadtfahrer aber wieder aufbrachen, hatte der Per Hansen noch einen von den übriggebliebenen Fischen dazu geschenkt, einen halben Kübel aus dem Möhrensack geholt und eine der leckersten Wassermelonen dazugelegt. »Eßt euch jetzt aber nicht krank!« war das letzte, was er den Hallingen riet.

Dann karrte er auf der Fuhre wieder in den blaugoldenen Himmel hinein und entsann sich nicht, daß er schon je so einen artigen Tag wie heute erlebt hatte.


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