Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das Gemüt, das die Sonne nicht einzulassen wagte

I

In den ersten Oktobertagen schwebten ein paar weiße Daunen in der Luft, – flatterten umher, – flogen ziellos –, sanken zuletzt im Bogen zur Erde und vergingen.

Die Luft wurde wieder klar. Es folgten etliche schläfrige Sonnenscheintage mit sattgelbem Dunst und lebloser Stille.

Die Sonne hatte keine rechte Gewalt mehr. Jeden Morgen stieg sie auf, glitt über den Himmel, jeden Tag weniger hoch; und erst am Abend, wenn sie sich dem Saum der Widde im Westen näherte, belebte sie sich. Dann wachte sie auf, wurde groß und feurig und bekam einen Glanz, der die Menschen zwang stehenzubleiben und aufzusehen. Dann schäumte und flutete der Westhimmel der kommenden Nacht mit verschwenderischem Reichtum üppiger Farben entgegen. – – Die Menschen sprachen dann nur leise miteinander. Wann hätte man je solche Abendsonne gesehen?

– Tagaus, tagein dasselbe. – Abend auf Abend das gleiche. – – Merkwürdig still war der Tag, der Abend noch geheimnisvoller stumm. – Da verging auch den Menschen jede laute Rede.

Aber dann eines Morgens – Oktober war schon halb vergangen – bekam die Sonne ihr Auge nicht mehr auf. Der Himmel lagerte über der Widde, dicht bepackt mit Grau und Stille. Es war zugig in dem Grau und doch kein Wind zu spüren. – Die Menschen suchten sich wärmere Kleidung heraus und froren doch weiter, als hätten sie nichts an. Blaßgrau und gottverlassen öde lag rings die Unendlichkeit.

Am Nachmittag begann es zu stiemen. Die Flocken segelten aus dem Norden herbei, die Luft füllte sich allmählich ganz mit einem endlosen Gewimmel von grauweißen Punkten, die alle in der gleichen Richtung steuerten. Der Abend dieses Tages war kurz und verlor sich in einer pechschwarzen Nacht, die wunderlich beschwerte.

– – Wieder wurde ein Tag, nur erhellt von dem Licht, das die weißgrauen Punkte gaben. Es schneite. Auch in der Nacht. – Endlich wurde es wieder hell. Der Tag kam heraus, – ohne Sonne. Kalt blies und fegte der Wind um die Ecken, faßte die weiße Decke und schüttelte blasse Wirbel daraus vor. Die Wirbel jagten davon und kamen zurück – – legten sich, rauchten auf, kreiselten weiter. – – Und immer neue kamen. – – Es waren ihrer so viele. –


 << zurück weiter >>