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IV

Nein, die Tage nahmen kein Ende! – – – Und sie waren erst in der Mitte November! Dem Per Hansen schien, er habe bereits mehrere Winter lang am Tische gesessen, an der Pfeife gekaut und der Beret zugesehen.

Ja, er sah der Beret zu. In den letzten Wochen war ihm mancherlei aufgefallen, was er vorher übersehen. Kleinigkeiten zwar; aber es waren ihrer so viele. Seit er hier saß, ohne auf eine Arbeit kommen zu können, verknüpften die Gedanken, was er sah, und legten es zusammen, vorsichtig und langsam. Und die Summe gefiel ihm immer weniger. – Er versuchte es abzuschütteln, in den Wind zu schlagen. Und es glückte ihm anfangs. Herrgott, alles bloß Kleinigkeiten, wie sie unter solchen Umständen leicht vorkommen! O nein, keine Gefahr, daß die Beret, sie, den Strauß nicht bestehen werde! – Denn das war ja nur ein Naturgesetz, das zu erfüllen dem Menschlein bevorstand. – – Es lag wohl alles nur daran, daß ihr so graute, der Ärmsten? –

Aber sie wiederholten sich, diese Kleinigkeiten; und es waren ihrer so viele. Der Per Hansen vermochte sie nicht wegzudeuten.

War sie diesmal nicht auch viel magerer als sonst, – oder täuschte er sich? – Sie sah nicht gut aus – nein – – –. Warum aß sie nicht reichlicher? Großer Gott, sie sparte sich doch wohl nicht etwa das Essen vom Munde ab ? Sie hatten ja doch haufenweise Vorräte! Fisch und Fleisch und nicht wenig Mehl. Sie sollte, bitt' schön, zugreifen, seine Gold-Beret, sonst würde er einmal zu einem anderen Tanz aufspielen! – Eines Tages bei Tisch sagte er zu ihr, sie dürfe doch nicht so tun, als sei sie in ihrem eigenen Hause zu Gast. Er sprach derb und entschieden: sie solle sich gefälligst auftun, wie es sich für einen erwachsenen Menschen gehöre! »Greif zu, Alte!« Und damit faßte er in die Schüssel und legte ihr ein großes Stück Fisch auf den Teller. – Sie pickte daran herum und ließ es liegen.

»Jeder Bissen fällt einem schwer,« sagte sie.

»Aber du kannst doch wohl einsehen, daß du essen mußt, – sowohl für dich selbst wie für –«

»O ja,« sagte sie und stand vom Tische auf, »mit dem Essen geht's schon noch.« –

Jetzt fiel ihm auch auf, daß sie des Nachts viel wach lag. Er schlief gewiß immer vor ihr ein, und morgens war sie schon wach, wenn er sich rührte, obwohl er ein Frühaufsteher war. Erwachte er nachts, so konnte er eigentlich immer damit rechnen, auch sie wach zu finden. – – Eines Nachts weckte sie ihn. Sie saß aufrecht im Bett, hatte gewiß geweint, – er konnte es der Stimme anhören. Und dann war es nur, daß sie ihn bat, doch einmal nachzuschauen, was dem Großen-Hans fehle; er habe die ganze Nacht gewimmert, sagte sie. – Der Per Hansen hatte es sogleich getan; aber dem Buben fehlte nichts. – – In der Nacht wurde ihm gründlich angst; denn als er sich wieder legte, begann sie verzweifelt zu weinen. In dem wenigen, was er aus ihr herausbekam, konnte er auch nicht viel Sinn finden. – Seither scheute er sich, lieb zu ihr zu sein; er merkte, daß dann das Weinen erst recht kam. Und das war kein gutes Zeichen!

Er beobachtete die Frau den lieben langen Tag und wurde immer besorgter um sie.

Sie, die so säuberlich war und allem, was sie sich anzog, ein so hübsches Aussehen zu geben verstand, ging jetzt schlampig umher und mochte sich nicht mehr ordentlich halten – ja, jetzt sah er auch das! Selten, daß sie sich das Gesicht wusch. Und das Haar, das schöne Haar, in das er so vernarrt war und mit dem er so gern spielte, wenn sie wohlgelaunt war, das hing jetzt in struppigen Flechten herab. Waren es nicht bereits zwei Tage, daß sie es sich nicht aufgesteckt hatte ? – – Nein, er getraute sich nicht, darüber etwas zu sagen. Wie konnte er wohl mit der Beret darüber sprechen, sich sauber zu halten, mit ihr, die so peinlich mit allem war, daß sie ihn oft schalt, weil er so gleichgültig und nachlässig mit seinem Äußeren sei? – – Nun, nicht als ob sein Beretmädel nicht hübsch genug sei, nein wahrhaftig nicht!

Aber als er sie eines Tages so unsauber vor sich sah, stand er plötzlich auf, ging zum Fenster, sah hinaus und sagte dann:

»Ich glaube fast, du mußt dir dein Haar machen, Beretmütterlein. Ich habe so das Gefühl, als kämen heute Gäste.«

Da schaute sie ihn erschreckt an, wurde brennend rot und ging zur Stube hinaus. – Er hörte sie im Stall. Sie blieb dort lange, und er konnte nicht begreifen, was sie sich dort um diese Tageszeit vornahm. Er war verwundert und beunruhigt. Als sie wieder hereinkam, wagte er nicht, sie anzusehen. – Aber dann fing sie an, sich hübsch herzurichten; sie wusch sich, löste die Flechten auf, kämmte sich und steckte das Haar schön auf. Sie ließ sich auch zu allem gute Zeit. – – Er mußte ihr durchaus dabei zuschauen. Er legte seine ganze Seele in den Blick, sah sie bloß immerwährend an; jetzt hätte er ihr gar zu gern etwas recht Schönes und zu Herzen Dringendes gesagt! Aber sie sah nicht zu ihm hin und da wagte er's nicht. Die beiden Buben saßen übrigens auch in der Stube.

Den übrigen Teil des Tages war ihm froher zumute als seit langer Zeit. O, jetzt wurde sie bestimmt allright, seine Beret, – ja – sie war ja doch allright; da fehlte nichts! –

Aber – es kamen der Tage mehr; der Per Hansen wußte sich nichts vorzunehmen, guckte die Frau an, guckte und guckte und sah schließlich nur noch lauter Verkehrtheiten.

So wortkarg und verschlossen war sie doch keines der anderen Male gewesen ? – Er plauderte mit den Buben von der Zukunft, versuchte auf jede Weise, die Frau mit ins Geplauder zu ziehen, und es glückte ihm nicht! Und er fühlte: es lag nicht etwa daran, daß sie nicht wollte, sondern sie war es nicht imstande! Der Schmerz darüber zerrte an ihm wie ein Hungern: Großer Gott, war sie denn so entkräftet! Und dabei konnte sie noch nicht einmal tüchtig essen! Da saß die Beret keine vier Schritt ab und war gleichwohl ganz weit weg. Er redete mit ihr, richtete das Wort jetzt nur an sie und konnte sie doch nicht dazu bringen, den Zauberring zu übersteigen, der sie umgab. Als er das entdeckte, hätte er aufschreien mögen vor Weh.

Und dann war es auch das, daß die handgreiflichsten Dinge ihr völlig entglitten. Er hatte es schon mehrere Male gesehen, es aber nicht weiter beachtet; aber es wiederholte sich. Sie konnte soeben etwas beiseite gelegt haben und gleich darauf danach suchen. Und der Gegenstand lag, wo sie ihn hingelegt. – Das geschah, wie gesagt, oft. Bisweilen mußten er und die Buben miteinander über sie lächeln. – »Ich meine fast, deine Augen sind dir im Weg, Mutter!« rief der Große-Hans und lachte so herzensgut, daß er die anderen ansteckte. Aber der Per Hansen merkte bald, daß sie dieses Lachen nicht mochte.

Eines Tages suchte sie nach der Schere, obwohl sie sie in der Hand hielt. Die andern mußten ihr schließlich helfen. Plötzlich entdeckte der Ole die Schere in der Hand der Mutter, lief hinzu und riß sie an sich; der Bub schrie vor Lachen. Da brach sie in heftiges Weinen aus, legte alles zur Seite und ging sogleich zu Bett. – Die andern hatten ein unheimliches Gefühl, alle drei.

Und zuzeiten konnte sie gegen alle ungewöhnlich zärtlich sein – besonders gegen den Per Hansen. Ihre Fürsorglichkeit für ihn hatte dann etwas rührend Kindliches, und sie konnte sich weder für ihn noch die Kinder genug tun. Doch diese Stimmung schien dann so leicht zerbrechlich zu sein, daß er nicht wagte, daran zu rühren. – Und dennoch war er froh, wenn diese Laune kam.

Natürlich wurde sie, hinterher, wieder allright! – Und jetzt konnte es nicht mehr gar so weit bis dahin sein! –


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