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III

Wie wären sie wohl durch den Winter gekommen, hätte ihnen die Schule nicht die Zeit vertrieben! Aber die hatten sie also, und zwar eine ganz besondere Art von Schule.

Anfangs war sie in der Gamme der Solumbuben, und alles ging schön und gut. Dann aber kam die Sörine darauf, daß sie sich praktischer einrichten müßten. Der Henry könne gerade so gut bei ihr Schule halten; dann hätten sie und der Hans Olsen zugleich von dem Unterricht Nutzen. Der Sam solle nur mitkommen.

Die beiden Solumbuben stimmten der neuen Ordnung mit Freuden zu.

Als die Beret wieder genesen, kam eines Tages der Per Hansen und wollte wissen, ob es nicht anginge, daß die Schule jede zweite Woche zu ihm verlegt werde – um der Beret willen. Es werde für sie unterhaltsam sein, zuzuhören, und sowohl er wie sie müßten Englisch lernen. Könne der Henry nicht bei ihm Schule halten?

Gewiß! – Und so war es beschlossene Sache.

Tönset'n war nicht recht zufrieden mit dieser Ordnung, – jetzt verführen sie gegen ihn nicht ganz gerecht. Und er kam und bat darum, daß die Schule jede dritte Woche bei ihm gehalten werde; die Kjersti und er hätten wohl noch Kost genug, den Henry und den Sam mit satt zu machen. Zwar habe er keine Kinder, aber er sei der Vater der Schule, das dürften sie nicht vergessen; und es sei für ihn und die Kjersti nicht gerad kurzweilig, immer allein in der Gamme zu hocken, während die Nachbarn je eine Woche umschichtig in Herrlichkeit und Freuden zubrächten; müßten sie nicht brüderlich teilen?

So kam es, daß die Schule jede Woche umzog. –

In der Winterszeit konnt' einer sich nicht viel vornehmen; oft saßen die Mannsleut alle am Vormittag wie auch am Nachmittag in der Schule, die Weiber fast jeden Nachmittag. Die hatten freilich immer eine Handarbeit mit, die Männer nur ihre Pfeife.

Zu guter Letzt war allen die Schule unentbehrlich geworden. Die Mannsleut versäumten sie nie; und kaum waren die Weiber mit Mittag und Aufwasch fertig, so wickelten sie sich einen alten Rock um den Kopf und begaben sich durchs Schneegestöber zur Schulstube.

Noch nie war wohl nach so grundverkehrten pädagogischen Regeln unterrichtet worden. Aber was hatte das zu sagen?

Die Schule umfaßte übrigens vielerlei Schulgattungen, war sowohl Grundschule wie Fortbildungsschule; und sie war Sprachschule – mit den Fächern Norwegisch und Englisch –, und sie war Religionsschule; sie war der Ort für gemütliche Zusammenkünfte und war der Debattierklub, wo alles zwischen Himmel und Erde erörtert wurde. Sie wurde zum Gesangverein, Kaffeeklatsch und ›Social Centre‹; sie konnte zur Andachtsstunde werden. Auf jeden Fall aber tat sie eins: sie verband diese paar Menschen unauflöslich miteinander. – Nicht selten wurde der Unterricht und das Überhören der Jugend unterbrochen, weil die Älteren sich einmischten. Und dann löste sich alles in Auseinandersetzung auf.

Anfangs hatte der Henry nicht Rat gewußt, wie er bloß die Zeit vertreiben solle. Keine Bücher, keine Lehrmittel irgendwelcher Art! Er griff zum Nächstliegenden: Erzählen. Er grub alles, was er je gehört und gelesen, aus dem Gedächtnis hervor, erzählte es erst auf Norwegisch, dann auf Englisch und ließ es die Kinder wiederholen, bis sie es auswendig konnten. Auf die Weise lernten sie den Stoff und die englische Umgangssprache zugleich. Dann ließ er sie Worte und Sätze hinschreiben. Und das wäre alles gut und schön gewesen, wenn sie nur etwas gehabt hätten, worauf sie und womit sie hätten schreiben können. – Der Hans Olsen fertigte für sein Dirnlein eine große Holztafel und gab ihr einen Rest von einem Zimmermannsbleistift, der noch aus Norwegen war. Und hatte die Sofie eine Tafel, mußten doch die Buben vom Per Hansen auch was bekommen, worauf sie schreiben konnten. Der Vater holte die dicksten Klobenenden hinterm Herd hervor und fügte etwas zusammen, was der Ole sein Ochsenjoch benamste, weil er daran so schwer zu schleppen hatte. Zum Schreiben benutzten sie Nägel oder Holzkohle. Als aber eines Tages der Große-Hans bei der Kjersti etwas auszurichten hatte, hielt sie ein Geschenk für ihn bereit: einen ganzen Stapel zusammengefalteter Papierdüten und Packpapier, – und suchte dann in der Truhe nach einem Bleistiftende, das der Syvert dort vergessen hatte. Der Große-Hans freute sich diebisch über das Geschenk; eine ganze Weile stellte er jetzt in der Schule das Herrenleutkind vor.

Ehe noch die Schule zur Wanderschule wurde, kam es an den Tag, daß der Sam so gut singen konnte. Eines schönen Tages stand nämlich der Henry am Ende alles Wissens und aller Erfindungsgabe. Und da sagte er plötzlich zum Bruder, der, auf der Lade hockend, dem Unterricht beiwohnte: »Jetzt brennen wir durch, Bub, nach Osten! Möge der Gottseibeiuns mit dem Dreck die Zeit weiter totschlagen!«

»Versuch' halt einmal mit ihnen zu singen,« hatte der Sam darauf geantwortet und war zugleich von der Lade aufgestanden.

»Das überlasse ich lieber dir!« hatte der Henry gemeint, die Mütze genommen, und weg war er gewesen.

Und da stand jetzt der Sam und glotzte die Kinder an, und die wieder saßen da und stierten ihn an; und da er fand, er könne vor den Kindern nicht zu Spott und Schande werden, und zudem von den Erwachsenen niemand zugegen war, hub er an zu singen. Er hatte eine schöne Stimme und bediente sich ganz natürlich der Methoden, nach denen er selbst es gelernt hatte. Und da ging denn alles gut, aber hauptsächlich, weil er selbst so trefflich sang.

Dieser Einfall vom Henry bewahrte die Schule vielleicht vorm Ende. Aber er tat noch mehr: sie lernten in jenem Winter viele Lieder singen, die drei Schüler und mit ihnen die Erwachsenen. Da waren englische und norwegische Weisen, Choräle und Nationalgesänge, Kriegslieder und Volkslieder; und viele, viele Nordlands-Liebeslieder und nicht wenige schwedische Volkslieder.

Dem Sam wurde gute Unterstützung zuteil; denn die Sörine und die Kjersji wußten beide viele Lieder, – Kjerstis starke Seite aber waren die Liebeslieder.


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