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VI

Bald darauf kam der Per Hansen, um nachzuschauen. Er wolle mit den Solumbuben nach Norden, um das Vieh mit Heu und Wasser zu versehen. Dabei wolle er zugleich beim Germund Dahl vorsprechen, ob nicht vielleicht einer seiner Buben herkommen und der Sörrina in der Wirtschaft helfen könne. – Heute abend werde er über alles berichten, – jetzt habe er zum Plaudern nicht Zeit. –

Im ganzen Settlement hatten die Menschen alle Hände voll zu tun; das Wetter war noch immer unsicher, und es war nach dem Sturm Schaden genug auszubessern. Auf den meisten Farmen bestanden die Stallgebäude noch aus Erdhütten oder Strohschuppen; einige waren vollkommen eingeschneit, von andern hatte der Sturm alles Stroh abgerissen, – die Stangen schauten aus den Schneeverwehungen wie abgenagte Knochen heraus. Von einigen Wohnhäusern war nur das Dach noch sichtbar, von vielen Gammen reichte der Schornstein gerade soeben über die Schneefläche. Bei Tönset'n unten am Bach stieg der Rauch unmittelbar aus dem Schnee auf.

In vielen Häusern gab es nur noch das dürre Korn und den Tropfen Milch, den die Kühe hergaben. Bei den letztangekommenen Farmern am Rande der Siedlung war auch nicht einmal das mehr vorhanden. Aber die Menschen jener Zeiten waren ungemein hilfsbereit; was einer hatte, teilte er mit dem andern oder lieh es bereitwillig her; fand einer einen Ausweg, teilte er's dem andern mit. –

Als der Per Hansen nach dem Nachtessen wieder zum Hans Olsen kam, saß Tönset'n in der Schlafkammer. Er war heute abend bedrückt, war wortkarg; die Kjersti hatte fast den ganzen Tag das Bett hüten müssen, weil sie von Gliederschmerzen so geplagt gewesen. Nicht einmal den Topf könnt' einer unter sie schieben! Er habe sowohl sie wie sich selber zu besorgen gehabt, und noch dazu alles im Stall!

Er sah Hans Olsens fiebergerötetes Gesicht, hörte das pfeifende Atmen und war nun doch im Zweifel, ob er, Syvert Tönset'n, jemals den Husten so schlimm gehabt. Aber dann überlebte der Mann das nimmer! Doch das behielt Tönset'n für sich.

Es war dem Hans Olsen den ganzen Tag schlecht gegangen, die Krampfanfälle hatten sich gemehrt, er war unruhig und gereizt gewesen, hatte bald um das eine, bald um das andre gebeten; immer wieder wollte er Bescheid über das Wetter. Jetzt lag er zwischen den Anfällen still und sprach langsam von dem, was unabwendbar war. Er bat beide Nachbarn, der Sörine mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, so gewiß er ihnen dasselbe getan, wäre das Umgekehrte eingetreten. »Du, Per Hansen, mußt heute nacht bei mir bleiben! Die Sörrina muß in den Nächten Ruhe haben; sie hat sich jetzt mit vielem draußen abzuplagen und bedarf der Rast, – es kann noch lange mit mir dauern.«

So hielt denn der Per Hansen Nachtwache. Die Sörine legte sich in der Nebenkammer angezogen aufs Bett, um gleich bei der Hand zu sein – die Tür zwischen beiden Räumen stand offen. Aber da sie fast den ganzen Tag draußen in der Kälte hatte herumstampfen müssen, lag sie bald in tiefem Schlaf.

Als Ruhe im Hause eingetreten war, blickte der Hans Olsen nach einer Weile auf und fragte laut, ob die Frau schliefe. Als er sich dessen versichert, begann er nach einer Weile stummen Sinnens eingehend darzulegen, wie er später alles geordnet haben wolle. Er hatte ein paar Schulden bei einigen Leuten in Sioux Falls, – die erwähnte er zuerst; mehrere Neusiedler schuldeten ihm Geld für Saatkorn und Vieh; er nannte sie beim Namen und eines jeden Schuldsumme, – es stellte sich später heraus, daß er allen ein Beträchtliches erlassen hatte. Die Sörine solle die Farm behalten und auf ihr wohnen bleiben, – dem Lande hier draußen gehöre die Zukunft, dessen sei er gewiß. Der Per Hansen müsse hernach ihre rechte Hand sein, – könne er ihr einen ordentlichen Knecht verschaffen, werde sie sich mit den Kindern durchhelfen können. – Ja, und dann war da noch der Kleine-Hans, – schwer sei es von hinnen zu fahren, ohne zu sehen, wie der sich einst als Mann arten werde! Zeige es sich, daß er gute Gaben für die Bücher habe, sollten sie zusehen, ihn auf St. Olavs hohe Schule zu schicken. Möge der Herrgott es so fügen, daß er Pastor werde –! Das aber heiße freilich zu Großes erhoffen!

Er brachte die Worte nur mühsam hervor. Bisweilen ging ihm der Atem aus. Per Hansen nickte nur zu allem, vermochte nichts anderes vorzubringen als: »Sei unbesorgt, – überleg es dir genau, – so wird es bestimmt gemacht!« –

Der Per Hansen wußte es sich nicht zu erklären, aber er hatte das sichere Gefühl, daß der Kranke noch etwas auf dem Herzen habe. Bei jeder Pause dachte er: Jetzt kommt's!

Aber dann schien doch nichts mehr zu kommen. Der Hans Olsen schwieg, sah vor sich hin. Ein paar Hustenanfälle kamen; er wurde außerordentlich unruhig; in dem großen Brustkasten pfiff und keuchte es wie in einem lecken Blasebalg, der ständig unter vollem Wind gehalten wird.

Als die Anfälle nachließen, begann der Hans Olsen wieder von vorne, wiederholte sich ängstlich und suchend, aber ohne die Klarheit von vorhin.

Bald nach Mitternacht hatte er eine ruhige Stunde; er schwieg, schaute ab und zu den Nachbar an, – etwas Wundersames lag in dem Blick. – Nahte jetzt das Ende? –

Als aber der Kranke wieder zu sprechen begann, sagte er etwas ganz Unerwartetes; er schlug die Augen nieder und fragte leise:

»Liegt der Schnee wohl arg hoch?«

»Zwischen uns und euch überall mindestens vier Fuß,« sagte der Per Hansen, »und ebenso hoch überall auf ebenem Felde; – unten am Bach bei Tönset'n sind's sicher zwanzig!«

»Nein, liegt er wirklich so hoch!« Der Kranke ließ einen schweren Seufzer fahren, tastete unruhig mit der Hand übers Bett und wiederholte murmelnd: »Nein, liegt er wirklich so hoch!«

»Denkst du an etwas Bestimmtes?«

»Dann ist gewiß kein Vorwärtskommen!« Das große Gesicht verdüsterte sich und glänzte von Schweiß.

Der Per Hansen fühlte, daß sich ihm der Hals zusammenschnürte; er hüstelte und sagte energisch:

»Sag es, was es auch sei, Hans Olsen! – – Wolltest du den Doktor?«

Der Kranke sah ihm gerade ins Gesicht: »Oh, ich habe den Pastor nötiger, siehst du!« Er hielt einen Augenblick inne, fügte dann hinzu: »Aber es muß ja wohl im Verlauf eines Tages draußen besser werden, – glaubst du nicht auch?«

Er wartete eine Weile auf die Antwort des andern, sah auf und wiederholte bittend: »Glaubst du nicht auch?«

Der Per Hansen stand auf, begann im Zimmer herumzugehen, – es war so stickig hier drin, ihm wurde ganz schwindlig davon – – – Gott gnade dem, der jetzt die Prärie befahren mußte!

Er trat wieder ans Bett: »Brauchst du ihn durchaus?«

»Es ist furchtbar, in des lebendigen Gottes Hände zu fallen!« Das Gesicht des Kranken arbeitete und verzerrte sich; der Per Hansen mußte sich gegen den Stuhlrücken stützen, so erschütterte ihn der Anblick.

Der Kranke begann von neuem: »Es ist furchtbar – in seine Hand – zu fallen!«

»Still jetzt, still, Mann, – sprich nicht so gotteslästerlich!« rief der Per Hansen. »Nein, so bleib doch liegen, – die Decken fallen herunter!«

Der Kranke hatte sich mit ungeheurer Kraftanstrengung aufgerichtet – er wimmerte zwischen Hustenanfällen:

»Geh nach der Sörrina!«

Beide, Per Hansen und die Frau, glaubten eine Zeitlang, daß er den Anfall nicht überstehen werde. Der Per Hansen verfiel schließlich darauf, ihm wie einem Kinde, das sich verschluckt hat, den Rücken zu klopfen. Dann ließ der Anfall allmählich nach; schließlich fiel der Kranke in tiefen Schlaf, der bis zur Morgendämmerung anhielt.

Bei Tagesgrauen war die Sörine wieder auf. Der Kranke erwachte und sah besser aus. Der Per Hansen zog sich zum Weggehen an, – er habe daheim nach vielem zu sehen und auch noch das Vieh des Hans Olsen im Norden zu besorgen.

Der Hans Olsen verfolgte diese Vorbereitungen mit seltsam traurigen Augen – wie ein Hund, der eingesperrt wird, wenn der Herr ausgeht. Er rief ihn zu sich ans Bett und wollte wissen, wie das Wetter aussehe. Er fragte so sonderbar – rein als schäme er sich:

»Es ist wohl noch immer nicht Reisewetter?«

Der Per Hansen mußte über die Kindlichkeit lachen und wußte nichts Rechtes zu sagen. Aber es ging nicht an, ihn ohne Antwort zu lassen. Er faßte sich, knöpfte die Joppe zu, zog die Fäustlinge an und sagte in bestimmtem Ton, jetzt müsse der Hans unbedingt ein wenig ausruhen. Heute nacht habe er geschlafen wie ein Stein, und es gehe ihm schon weit besser. »Ich komme im Laufe des Tages zurück!«

» – Glaubst du nicht, daß es ginge?« –

Den Per Hansen packte die Furcht; er tat einen Schritt zurück und sagte hastig: »Ruh dich jetzt aus, Hans Olsen, – wir wollen zusehen, – so glaube mir doch!«

Da ergriff der Kranke die Hand des alten Kameraden, fast wie mit früherer Kraft, und drückte sie fest und herzlich: »Du Per Hansen, du Per Hansen!« murmelte er und sank dann ermattet auf das Kissen zurück.


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