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VII

Die Fremden hielten sich noch einen Tag in dem Settlement auf. Am nächsten Morgen war trübes Wetter und dichter Nebel – und deshalb zauderten sie; aber um die Mittagszeit hellte es sich auf und schien klar werden zu wollen, und da rüsteten sie zum Aufbruch.

Wo wollten sie hin?

Nein, – das wußte der Mann nicht; aber es war irgendwo beim James-River.

»Weißt du, wo du den James-River zu suchen hast?« fragte der Per Hansen.

Das wußte der Mann doch wohl! Der Elv liege im Westen, und da heiße es halt fahren, bis man hinkomme! Dann müsse er sich durchfragen!

Der Per Hansen schwieg; es schauderte ihn.

Die Frau war, seit sie zurückgekommen, still gewesen; sie hielt sich für sich und war überaus gefügig, wenn sie mit ihr sprachen. Kurz vor Mittag kam sie darauf, Wäsche und Kleider zu wechseln und wusch sich lange im Wagen; als sie wieder in die Hütte kam, hatte sie ihre Staatskleider angetan; es war nur gar zuviel des Guten. Als sie aufbrachen, saß sie so aufgeputzt neben dem ältesten Jungen, der die Ochsen lenken sollte.

Der Mann konnte sich in Danksagungen nicht genug tun. – Wenn er jetzt nur die Nachbarn wiederfände und die Kari genese, werde sich auch für ihn noch alles einrichten. – Der Ton war noch immer singend, das Weinen lag noch so nahe unter der Oberfläche wie an dem Abend ihrer Ankunft.

Der Wagen karrte langsam davon, – der Mann zerzaust und gebeugt voran, die beiden Kühe hinterdrein. – Nach Westen ging es; dort standen einige Wolkenbänke, aber das waren wohl nur die Überbleibsel des trüben Wetters vom Vormittag.

Die Beret fand weder Ruhe noch Rast, als sie abgefahren waren; die Hand zitterte ihr, wenn sie um etwas faßte. Immer wieder mußte sie hinaus und dem Wagen nachsehen; und als der Höhenzug ihn vor ihr verbarg, nahm sie den Jüngsten auf den Arm, das Gössel bei der Hand und wanderte zur Kuppe hinauf; hier setzte sie sich, um dem Wagen mit den Blicken zu folgen. – Sie war froh darüber, daß diese Menschen endlich weg waren, zu gleicher Zeit aber schämte sie sich, daß sie sie nicht zu längerem Bleiben genötigt. Jetzt sah sie es: sie hätten heute nicht fahren dürfen. – So weit ist es also jetzt mit mir gekommen, dachte sie. Hier sind Leute in großer Not, und ich freue mich darüber, daß ich sie in eine weit größere hineintaumeln sehe! Was sollen sie tun, wenn heute nacht das Unwetter über sie herfällt, – er zerzaust und wenig tauglich, sie verwirrt von Sorge und Kummer? – Du großer Gott, was für ein Jammer!

Der Wagen schneckte sich weiter in die geheimnisvolle Ferne hinein; es sah aus, als wolle die Widde ihn in sich einsaugen. – – War das dort noch der Wagen, – – oder nur ein verdorrter Grasbüschel, den der Wind bewegte? –

Sie ging mit den Kindern heim, gebeugt und kummerbeschwert.

Daheim besorgte sie, was zu besorgen war.

Der Per Hansen und die Buben waren beim Pflügen auf dem Neuland. – Die arbeiteten jetzt gewiß sehr hart ? Ihre Stimmen klangen so barsch, wenn sie die Ochsen antrieben. – Sie spürte solchen Drang, jemandem eine Freude zu machen! Da nahm sie den letzten Vorrat Grieß und kochte einen Brei, – den aßen die Buben so gern. –

Gegen Abend wurde es schwül und drückend; die Wolkenbänke am Westhimmel waren heraufgekommen; in der Nacht kam vielleicht Regen.

Nach dem Abendessen mußte der Per Hansen zum Hans Olsen, um die Stadtreise zu verabreden, die sie noch vor der Mahd zu machen hatten; die Buben wollten mit hinüber. »Ja, geht nur,« sagte sie, und ihre Stimme klang gar mutig; sie setzte sich mit den beiden Kleinsten draußen auf den Holzstapel, um die Rückkunft der andern abzuwarten. Aber dann war da etwas, das ließ ihr keine Ruhe; sie ging mit den Kindern auf den Hügel und sah über die Ebene.

Dort draußen fuhren nun diese Menschen planlos umher. Die armen Menschen! Die arme Mutter! – Wie konnte der Herrgott nur zulassen, daß sich Menschen so jämmerlich in die Einöde verirrten? Es war gerade so unmöglich, diese Länderstrecken zu bevölkern, wie das Meer leer zu schöpfen! Es siedelte sich doch auch keiner inmitten des endlosen Meeres an! Ob es nicht ein Trollenzauber war, der die Menschen so verblendete? – Hier saß sie jetzt inmitten dieser Grenzenlosigkeit viele, viele tausend Meilen entfernt von den Ihren! Unter jenen Wolken trieben jene Menschen umher wie Späne vor Wind und Strömung! – Ach, es ist schon so, daß die Menschen durch ihre eigene Wildheit vergehen. Aber das ist so entsetzlich, daß alles Denken dabei schwindet.

Sie starrte in den Westhimmel; die Dämmerung sank um sie hernieder. Die Wolke dort wölbte sich so unheimlich auf. Sie gewann Form und Gestalt, stieg aus der Widde selbst hervor, reichte weit über den Himmel hinauf, stand dräuend über der Prärie.

Und jetzt sah sie das Gesicht; – ja, war es nicht ein Gesicht? – Das Dunkle nahm Gestalt an – freilich, es war ein Gesicht! Jetzt sah sie es deutlich.

Ein Ungeheuer war es, düster und gewaltig. Nase und Maul und Augen lagen tief in dunklen Höhlen. – Und es hatte ein Maul, einen Ungeheuerrachen; wenn der sich öffnete, reichte das Kinn auf die Prärie hinab, – die Kinnladen blähten sich auf wie ein Rock.

Grauschwarz und mager, – aber so gewaltig groß! Lag nicht ein Grinsen auf dem Gesicht?

Und es war allerorten, allerorten. –

Sie bebte so, daß sie sich am Grase festhalten mußte. Zugleich empfand sie eine Art zauberischer Befriedigung. Hier hatte sie des Rätsels Lösung! Sie hatte es die ganze Zeit gewußt, daß es Menschen so nicht ergehen könne, wo alles mit rechten Dingen zuging. Hatte sie das Ungeheuer nicht immer schon gefühlt? – Jetzt sah sie es auch mit Augen.

Das Gewaltige umgab sie von allen Seiten. – Das Gesicht stand ihr gerade gegenüber. – Jetzt spürte sie seinen Odem. Wenn dieser Mund sich öffnete und zu atmen begann, mußte Entsetzen über die Menschen kommen.

»Ich habe es immer gewußt: hier ist nicht Bleibens für Menschen«, murmelte sie, und eilte mit den Kindern heim, ohne zurückzublicken. –

Die Buben kamen hereingestürmt; der Vater gleich hinterher. – Sie hörte an seinem Schritt, daß er jetzt wieder gut aufgelegt war.

»Nein, worauf bist du denn heute verfallen? Hast du das Fenster verhängt? – Du Beret, du Beret!« Er guckte sie an; die Augen wurden schmal und leuchteten, er faßte mutwillig nach ihr; und er wollte sich sogleich legen.

»Oh, es fühlte sich so eigen an hier in der Stube,« erwiderte sie hart; Zorn kochte in ihr. Daß er es über sich brachte, jetzt an Zärtlichkeit zu denken! – Aber so war es wohl, wenn die Menschen verhext waren! –

Seither wollte der Beret das Antlitz nicht mehr aus dem Sinn; zumal wenn die Abenddämmerung heraufzog, plagte sie der Gedanke daran. Dann ging sie nur hinaus, wenn es unumgänglich nötig war; denn dann war das Antlitz lebendig und kam so nah heran. Aber sie fühlte es auch bei Tage. An herrlichen Tagen mit glitzernder Sonnenflut konnte es dastehen, – sie spürte es hinter dem strahlenden Tag unförmlich und gewaltig. Es war über ihnen und um sie herum; am stärksten aber im Westen. Die Augen bekam sie niemals zu sehen, nur die Höhlen unter den Brauen – große, große Höhlen, die nach innen finster wurden.

Plötzlich bei ihrer Hausarbeit konnte sie ein Zittern befallen, daß sie sich setzen mußte. – Was für ein Ende wird das wohl nehmen? dachte sie.

Nein, sie mochte dem Per Hansen nichts davon erzählen; es war schon genug damit, daß sie sich ängstigte. Es war ja nur gut, wenn er es nicht sah.

Aber auch die andern, schien es ihr, wurden das Gesicht gewahr. Ja, wie hätten sie das vermeiden können? Es stand ja doch leibhaftig vor ihnen! Und bisweilen legte sich, wenn sie alle am Abend vor der Hütte standen, ein Schweigen über sie, – o ja, auch sie sahen es gewiß!

Sie verhängte von jetzt ab jeden Abend das Fenster, ob er daheim war oder nicht; denn das half, meinte sie. Anfänglich spaßte er deswegen mit ihr, sagte Übermütigkeiten, wurde zärtlich und flüsterte.

Aber später lachte er nicht mehr.

Es muß entsetzlich sein, sich so zu ängstigen, dachte er, – ist das wirklich nur Furcht? –

Er gab jetzt gut acht, ihr bei der Arbeit zu helfen, wo immer er konnte.


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