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V

Die Beret hatte bei Tönset'ns Eintritt zu singen aufgehört. Sie starrte ihn unverwandt an und es war ihr, als höre sie sein Lachen zum ersten Male richtig. Er roch auch so stark nach Whisky. – Erst wollte sie ihn zornig hinausweisen; begriff er denn nicht, daß sich so gottlose Reden an einem Sterbelager nicht geziemten? Aber sie begnügte sich damit, den Stuhl weiter abzurücken, wie ein Kind, das Scheu vor einem Fremden zeigt. –

Nach Tönset'ns Weggang fand die Beret die Luft im Zimmer stickig und ungesund; hier, wo jetzt nur Feierstimmung walten sollte, war alles wie besudelt. Da besuchte ein Mensch, der das Beste hätte wollen müssen, weil das Schlimmste bevorstand, einen Sterbenden, und dann war in seinen Worten nichts als Schlüpfrigkeit! – Sie empfand geradezu einen körperlichen Zwang, die Luft zu reinigen, und ohne weiteres stimmte sie leise und getragen ein Bußlied an.

Erst als sie alle Strophen durchgesungen hatte, erhob sie sich, um den Umschlag zu erneuern; darauf ging sie hinaus, um in der Küche zu helfen. –

Die Beret wachte die ganze Nacht neben dem Bett. Dem Kranken schien es nicht schlechter zu gehen; aber die Rostflecken in dem Auswurf kamen häufiger und wurden größer.

Er schlief wenig, merkte sie, und das wunderte sie nicht, – er hatte sich jetzt um Größeres zu sorgen! Sie hätte gern mit ihm gesprochen, wollte ihn aber nicht in seinen Gedanken stören. –

Gegen Morgen wollten ihn die Anfälle fast ersticken. Einmal mußte sie ihm dabei den Kopf stützen und ihn halten; er war blaurot im Gesicht.

Da sagte sie langsam: »Jetzt, meine ich, solltest du daran denken, dich bereit zu machen, Hans Olsen.«

Er warf den Kopf nach ihr herum: »– bereit zu machen?«

»Du überstehst das hier wohl kaum!«

Er lag still; nur die Hand tastete unruhig auf der Decke: » – – Nein nein, aber es hat wohl schon so mancher den Husten gehabt.«

Sie sagte nichts dazu.

Nach einer Weile fuhr er fort: »Es ist halt am schlimmsten für die, die zurückbleiben.« »Das solltest du, glaube ich, nicht sagen; – für sie dauert noch die Zeit der Gnade, – für dich ist sie bald um!« Die Beret sprach ruhig und liebevoll, mit der Stimme, deren Güte und Sanftmut bisweilen so überzeugend wirkte.

Der Hans Olsen zögerte lange mit der Antwort; er hatte den Kopf zur Wand gekehrt und die Augen geschlossen.

Die Beret sah es. – Er mag nicht gern hören, was ich sage; – so ist es mit uns Menschen; und doch ist es gut, daß ich's gesagt habe, – ich glaube nicht, daß er sich noch einmal von diesem Lager erhebt.

»Oh, er hat sich doch so manchen Sünders erbarmt,« sagte der Hans Olsen nach einer Weile, »– er hat wohl auch für mich noch ein wenig Erbarmen übrig.«

Da wurde die Beret plötzlich eifrig:

»Nur wenn du ihm ein zerknirschtes Herz darbringst! Wie könnte ein Vater seinem Kinde vergeben, das nicht bereut?

– ›Wehe euch, die ihr reich seid; denn ihr habt euern Trost dahin. Wehe euch, die ihr satt seid; denn ihr sollt hungern.‹

– – Ach nein, wir dürfen uns mit dem Glauben, daß der Gnade genug vorhanden sei, nicht zufrieden geben!«

Sie erneuerte seinen Umschlag, und ihre Hand faßte jetzt kräftiger zu.

Wieder kamen ein paar böse Hustenanfälle, und sie schwieg. Sobald er wieder Atem schöpfen konnte, kehrte er das Gesicht zur Wand, als wolle er schlafen; und er lag lange Zeit still.

Die Beret wurde es müde, hier mit dem Strickzeug zu sitzen; sie nahm die Lampe und ging in die Küche, um der Sörine ein wenig helfen. – An der einen Wand war Grobheu zum Verbrennen hoch aufgestapelt; sie setzte sich jetzt daran, es zu Bündeln zusammenzuwinden. Das Gespräch, das sie soeben mit dem Hans Olsen gehabt, beschäftigte sie unausgesetzt.

– Trübselig wird es sein, dereinst im Jenseits den Hans Olsen nicht vorzufinden! Im alten Land sind wir zusammen aufgewachsen, im neuen haben wir von Anfang an Seite an Seite gewohnt, – redliche Menschen sind's, er wie sie, – jetzt fährt er von hinnen und gelangt nicht ans Ziel! – Die Ellen, seine Mutter, war ein überaus gottesfürchtiges Weib; den Vater habe ich nicht gekannt, aber nur Gutes von ihm erzählen hören; jetzt haben die beiden so manches Jahr auf ihn gewartet, – es wird mich schwer ankommen, ihnen einst zu begegnen und dann erzählen zu müssen, wie alles hier zugegangen ist. – Und dann trage vielleicht ich die Schuld, – ich habe nicht getan, was ich hätte tun sollen.

Nicht gar zu viele aus der Dakota-Prärie werden hinfinden! Denn hier verschlingt uns die Erde; was sie nicht im guten bekommt, holt sie sich mit Gewalt; und wir merken's nicht einmal. Ich sehe es doch, wie es bei uns daheim zugeht.

Entsetzlich! Soeben hat er sich noch an Tönset'ns Roheit weidlich vergnügt, und mit solchem Herzen soll er jetzt vor den Herrgott treten? –

Die Lampe brannte matt, es war fröstelnd kalt in dem Raum; sie stand auf und warf ein paar Heubündel in den Herd, wartete, bis sie gut brannten und legte ein paar Scheite nach, – es waren nicht mehr viele in der Holzkiste.

Es wird nicht einfach werden für die Sörrina, wenn er weg ist; aber das mag dahingestellt bleiben, wenn er nur recht bereitet scheidet; – ihr können wir doch helfen.

Sie ging wieder in die Kammer, um nach dem Kranken zu sehen. Er war wach, als sie kam, und es dünkte sie, er habe auf sie gewartet.

»Wie steht es draußen? –Gibt es bald Reisewetter?« fragte er langsam.

»Und wenn dem so ist, was wünschest du dir dann?« Sie trat dicht an sein Bett.

»Wir könnten vielleicht versuchen, den Doktor zu erreichen? – Zu andern hier draußen ist er doch auch gekommen?«

»Wir wollen zusehen, sobald es Tag wird. – Doch – wie wäre es mit dem Pastor?«

»Pastor?«

»Ja, die Stunde des Herrn steht bevor; dann helfen dem Menschen nicht Ausflüchte. Seinem Zorn entgeht niemand, – du müßtest das Abendmahl nehmen!«

»Das Abendmahl? – – Ach ja, – ja freilich –.«

»Es ist furchtbar, reuelos in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen,« sagte die Beret leise und blickte ihm traurig ins Gesicht. »Das allein ist es ja doch, was an uns Menschen verkehrt ist; – wenn er dann aber so freundlich seine Hand auf uns legt und sagt, daß alles wieder gut sei, dann wird daraus für uns eine Stunde des Segens!«

Er wandte den Kopf, hustete leicht und starrte die Wand an.

Diesmal hätte er gewiß gar nicht zu husten brauchen, dachte die Beret. Es ist seltsam bestellt mit uns Menschen: ich zeige ihm den rechten Weg, und es ist dunkel um ihn, und er weiß nicht, wohin es geht, – und dann hat er dafür nur ein Husten! – So ist es, wenn man bei lebendigem Leibe tot ist!

Er lag eine Weile regungslos; dann sagte er müde und schwer: »Ich habe all mein Lebtag geglaubt, es müsse segenvoll sein, dereinst heimzukommen!«

Der Beret traten die Tränen in die Augen.

»Ja, bist du denn zu dieser Fahrt bereit? – Wir haben uns in allen diesen Jahren nicht die Zeit gelassen, an irgend etwas von dem zu denken, was mit Ihm zusammenhängt!«

»Ach nein,« seufzte er müde, »das ist wohl auch nicht so verwunderlich!«

Die Beret fühlte freudige Erleichterung, daß sie's ihm jetzt recht zu sagen vermocht hatte, und das gab ihr größere Unbefangenheit. »Darum mußt du Ihm noch im Diesseits begegnen, ehe es im Jenseits geschieht!« sagte sie. »Jetzt will ich Gott für dich anrufen!« Und ohne Scheu kniete sie neben dem Bette hin und betete innig darum, daß der, der hier lag, die Gnade empfangen möge, seine Sünden zu erkennen und sie zu bereuen, ehe es zu spät sei.

Aber sie geriet damit nicht weit. Der Hans Olsen hatte sich auf die Ellbogen gestützt und starrte sie mit geweiteten Augen an. Er hörte, wie sie um seine Seele rang, – er bekam einen entsetzlichen Hustenanfall, saß plötzlich aufrecht und schnappte nach Luft, – der Umschlag und die Tücher fielen von der Brust, die Beret mußte aufstehen und ihn zurechtlegen. – Als erstes erbat er sich heiße Milch; dann mußte er schnell aufstehen; dabei befiel ihn der Schüttelfrost, und sie mußte schleunigst die Sörine wecken, um mit ihrer Hilfe Decken zu wärmen und ihn einzuwickeln. Und im Morgengrauen kam der Johannes Mörstad zum Hof und bettelte und bat, daß die Beret sogleich mit ihm komme: die Jossie werde unpäßlich, und er sei bereits bei der Kjersti gewesen; die habe sich jedoch zuschanden geschlagen, daß sie unmöglich so weit gehen könne.

Die Beret verließ das Haus Olsens und hatte dabei das Gefühl, als wäre sie vor der ganzen Kirchengemeinde bloßgestellt worden.


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