Kurt Kluge
Der Herr Kortüm
Kurt Kluge

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Fragen

Ob er wiederkommt?

Die Bank vor dem Leinwandladen neigte an manchen Tagen zu dem Spruch: Ja, er kommt. Monich konnte für seinen Glauben einen gewaltigen Zeugen vor die Schranken seines Ladens rufen: den König Heinrich. Der stieg auch immer wieder aus dem Gemäuer – nur bei Unwetter freilich, aber er kam. Bilmes war bekanntlich der Ansicht, Kortüm sei gar nicht fort, er lebe hier herum nur im Verborgenen. Albrecht schüttelte den Kopf zu Bilmes' freventlichen Reden, er teilte auch Monichs Glauben nicht. Aber Kortüms alter Freund vermochte ein Weiteres zu Kortüms Gunsten vorbringen: »Der Schulmeister, der 743 Schart, wißt Ihr? – jetzt soll er ja Schulmeister in Berlin sein un nebenher Bücher schreiben. Also Schart hat dazumal bei Kortüms Richtefest eine Geschichte aufgeschrieben von jemandem mit einem ausländischen Namen, den ich vergessen habe; aber der war auch gestorben un nich tot.«

Hier aber widersprachen nicht nur Bilmes und Albrecht, jeder Bücherleser muß sich auflehnen gegen eine solche Behauptung. Selbst Mr. Lister würde das nicht schweigend hingenommen haben, wenn er die Freude gehabt hätte, auf dieser Abendbank vor Monichs Laden mit sitzen zu dürfen. »Diese Deutschen«, hätte Lister gesagt, Monich um einen weiteren breath gebeten und die Sache dahin berichtigt, daß jener Mann namens Quichote nach dem fünfundsiebzigsten Kapitel im zweiten Buch nicht nur gestorben, sondern auch tot gewesen sei laut urkundlicher Beglaubigung durch den anwesenden Arzt und Notarius. Lediglich ein späterer Zusatz, wohl auf Grund neuerer Erfahrungen, versuche jetzt den Don Quichote für lebend auszugeben: »Please, still a little breath, Mr. Monich« – hätte Lister gesagt; aber er saß nicht auf dieser Bank, weil sich ein Mr. Lister auf eine solche Bank überhaupt nicht setzt und deshalb das Volk der Dichter, Denker, Musikanten und sonstiger interests so ungeheuer schwer zu verstehen vermag.

Ob er wiederkommt?

Herr Kortüm war ein Kinderlied geworden. Die Mütter im Schottengelände sangen an den Wiegen: »Kortüm sitzt am Hachelstein – Horcht, ob böse Kinder schrein.« Und auf den Straßen lief ein Lied von Besenroda nach Kranichstedt und weiter bis nach Verry, wieder zurück auf der Taschkenter Straße, übers Schottengelände, nach Osten hin:

Einer schafft, der andre lebt,
Wir besitzen, Kortüm schwebt –
Unser ist die goldne Erde,
Kortüm ächzt und plagt: es werde.

Ob er wiederkommt?

Die ruhebedürftigen Gäste des Sanatoriums sagten: »Nein – denn er ist ja da! Tot oder anders. Der Teufel hol's, in dieser Unruhe mag sich erholen, wer will.« Wenn auch die Langloffs einig waren, das Flügelhaus aufzugeben nach Ablauf der Pachtzeit, mußten 744 sie doch nun allen Ernstes zu Rate gehn. Auf diese Weise verzinste sich das Langloffsche Kapital jeden Monat schlechter. Man kann Ruheräume bauen, die jeglichen störenden Schall abhalten, den gerüchtsicheren Innenraum hat die moderne Technik noch immer nicht konstruiert, und leider werden nervöse Herrschaften von Gerüchten mehr gestört als von Paukenschlägen und Trompetenstößen.

Das Lohberghaus hatte die große Frage: ob er wiederkommt? ebenfalls beantwortet, aber etwas anders. Wenn nach Bilmes Ansicht Herr Kortüm wirklich noch heimlich im Schottengelände lebte und umginge, würde er sicherlich eines Tages an Lotte herangetreten sein: Frau Wingen, was für ein Fest feiern meine Gäste seit acht Tagen?

Oh, kein besonderes, würde Lotte dann antworten; sie sind bloß da. Frieback hatte die Kortümtage nicht vergessen. Die Urlauber kamen wieder, ihre Bekannten kamen nach, und der Gastwirt hätte auf dem Treppenabsatz gestanden, erstaunt gehorcht und dasselbe Wort vor sich hingemurmelt, mit dem er das plötzliche Erwachen des Lebens vor den beschriebenen Wänden der Echostube begrüßt hatte: Sieh da, es lebt.

S'il revenait?« fragte auch der Konsul Haguenin Frau Hannchen, die Wirtin des Savoy in Port Said, deren Liebes- und Ehegeschichte der Doktor Windhebel Herrn Kortüms Tafelrunde auf dem Lohberg seinerzeit dargelegt hatte, soweit sie als wissenschaftlich bemerkenswert bezeichnet werden konnte. Haguenin war ein feiner alter Herr, der nachdenklich seinen weißen Schnurrbart strich, mit der silbernen Krücke des Stockes spielte und die Nachtluft genoß, die leise von der See herüberwehte. »S'il revenait?«

»Das weiß ich nicht.«

»Sie haben schon früher mit ihm korrespondiert?«

»Ja. Aber warum, Herr Konsul?«

»Oh, eine Bagatelle. Wirklich nichts von Belang. Man will nur eine Randbemerkung machen können und ein Aktenstück weiterreichen.«

Die Wirtin nickte: »Einen Brief habe ich mal von Herrn Kortüm bekommen. Aber nur einen scherzhaften Brief« – sie lächelte vor sich hin. »Ich bin nämlich früher ein Stern gewesen.«

»Cela va sans dire, madame« – Haguenin neigte verbindlich den Kopf.

»Aber ein richtiger, Herr Haguenin!« Sie zeigte über die Dattelpalme weg in den Sternhimmel hinauf: »So einer.«

»Ah . . . vielleicht ist Herr Kortüm auch nur ein Phantom? Ich bin 745 kein Astrolog von Fach; Sie müssen mir schon mehr erzählen, wenn ich das Wunder fassen soll.«

Hannchen Savoy brachte denn das Wenige und höchst Unzulängliche zutage, was sie von Kortüm wußte. Etwas ausführlicher berichtete sie dafür ihr Erscheinen am Sternhimmel.

Herr Haguenin verstand die feine Kunst des Zuhörens, so daß Hannchen ihre ganze traurige Liebesgeschichte im Schatten der Licksternwarte zum besten gab samt dem beruhigenden Ende im Savoy Port Said und dem nun nach so langen Jahren erfolgten Kortümschen Nachtrag.

»Nous voilà!« Haguenin schlürfte den eisgekühlten Sorbet. »L'étoile allemande . . . . Er ist da, er ist nicht da. Er ist so und ist anders –«

»Ist da und ist so, Herr Haguenin«, sagte Frau Hannchen, »ich wohne weit von Hause, aber meine Landsleute sehe ich deutlich. Und Sie sehen sie auch.«

Haguenin fuhr mit der silbernen Krücke langsam über sein Kinn: »Das Statuarische sieht man, Madame. Die Deutschen fühlen sich. Und jetzt, glaube ich, jetzt fühlen sie auch ihre Form.« Er rückte das Glas auf dem Tische hin und her. »Oh, gefühlte Form . . . Ich gebe das Aktenstück Kortüm ohne Marginal weiter.«

»Und der Nächste gibt's weiter«, lachte Hannchen Savoy, »immer weiter –«

»L'allemand éternel.«

 


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