Kurt Kluge
Der Herr Kortüm
Kurt Kluge

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Der Scherbenberg

Die Gäste kamen. Schart nannte ihnen seinen Namen und verbeugte sich höflich. »Mickewitz«, antwortete ein spitzbärtiger kleiner Herr, der ihn aus schlitzschmalen Äuglein anlugte. »Kuffert heiß' ich!« schrie der andre und sah gar nicht nach ihm hin.

Mit Herrn Kortüm ging bei dem Eintritt der neuen Gäste eine Veränderung vor sich. Er mäßigte nicht nur die Knappheit seiner Hamburger Sprache: Herr Kortüm ging plötzlich wieder mühsam und drückte das Kinn an die Brust, wie vorgestern, als er mit der Krumentüte auf seinen Privatfriedhof gewandert war.

»Mensch, Kortüm, sehn Sie aber heute grün aus. Sie wollen wohl auf die Jagd?«

Am Anfang sah Herr Kortüm noch gelegentlich von der Seite zu Klaus hin und zwinkerte mit den Augen, wenn Kuffert sprach: Hören Sie auch diesen Kerl?

24 »Nur für meine verehrten Gäste bin ich tätig«, antwortete er.

»Gäste? Mann, Sie haben je gar keine.«

»Hehe«, fügte der Apotheker freundlich hinzu und wischte mit der flachen Hand über den Tisch, als ob er dem in diesem Kreise noch fremden Schulmeister erläutern wollte: auch nicht einen.

Herr Kortüm war zusammengezuckt: »Oh, verehrter Herr Kuffert, Sie werden sich wundern, wie die Gäste im nächsten Frühjahr ankommen. In Scharen. Nichts wird sie abhalten: nicht die Niedertracht der Gemeinde, welche die Wegweiser zu mir entfernte, nicht die Gewissenlosigkeit der Straßenverwaltung –«

»Je, wenn Sie das so genau wissen, was schrein Sie'n da im ganzen Lande rum, Sie hätten keine Straße un deshalb kämen keine Gäste hier raus?«

»Hehe« – Herr Mickewitz nahm einen kleinen Bissen von seinem mitgebrachten Butterbrot: »Ist denn Ihre Eingabe wegen des Straßenbaues genehmigt?«

Jetzt aber lächelte Herr Kortüm überlegen und geheimnisvoll. Er zog die Augenbrauen hoch und sprach wieder so hamburgisch, daß die Thüringer um ihn gereizte Gesichter machten: »Ich weiß, wie schlechte Straßen, Gemeinheiten und Gemeindeumtriebe überwunden werden. Die kleinen Leute da unten können tun, was sie wollen; ich, Kortüm, werde dieses Land für die erholungsbedürftige Menschheit doch noch urbar machen. Und zwar werde ich als erstes –«

»Ruhe! Kortüm macht wieder mal was erstes!«

»Als erstes werde ich für die Fremden ein Teehäuschen errichten. Ein Häuschen, meine Herren, welches eine umfassende Aussicht bietet –«

»Das machen Sie mal! Das laß ich mir gefallen. Ihr jetziges Häuschen hat nämlich bloß ein Herze in die Türe gesägt. Da is von Aussicht keine Rede.«

»Eine Aussicht, die hinüberreicht bis zum Ettersberg –«

»Ei, Verehrter, da werden Sie manchen Baum in Richtung Nordost schlagen müssen.«

»Und zu diesem Zweck, meine verehrten Herren« – Herr Kortüm machte eine Pause, es wurde still, die Tafelrunde sah ihn erwartungsvoll an –

»Zu diesem Zweck – schaffe ich soeben einen künstlichen Berg. Aus Scherben und allerlei sonstigen Abfällen.«

Kuffert brach in dröhnendes Gelächter aus. Dem Apotheker war ein 25 Schluck Kaffee in die falsche Kehle geraten. Sogar Bilmes hinten an der Türe strich mehrmals über seinen Bart.

Aber Herr Kortüm sprach laut, um das Gelächter zu übertönen. »Sehen Sie den Ahorn, meine Herren?«

»Der baut einen Berg!« rief Kuffert.

»Nein, Herr Apotheker, den zweiten Ahorn. Ja, den. Der Hügel daneben ist der Anfang.«

»Na, mein lieber Bergbaumeister.« Kuffert klopfte Herrn Kortüm auf die Schulter. »Liese, bring mir mal 'en Schnaps.«

»Alle Scherben und Abfälle des Hauses, meine Herren –«

»Alle Abfälle des Hauses! Nee, Kortüm!«

»– lasse ich dort aufhäufen, und sobald der Scherbenberg drei Meter hoch ist, beginnt der Bau des Pavillons.« Herr Kortüm zog aus der Tasche eine Zeichnung und gab sie Klaus: »Sie haben künstlerisches Verständnis, Herr Schart. An milden Sommerabenden sitzen dann die Fremden –«

»Auf Ihren Abfällen!«

»– in dem von einer bunten Papierlaterne gedämpft erleuchteten Häuschen, und ihr Blick kann ungehindert schweifen vom Inselbergmassiv bis hin zum Ettersberg.«

»Also Apotheker, nu rührn Sie nich immer in Ihrem Kaffee. Jetzt sagen Sie auch mal 'n Wort. Einen Bergbaumeister hat's je noch nich gegeben. Kortüm is der erste. Aber alles was sein kann – die Fremden erst herlocken, dann auf Scherben setzen –«

Kortüms Stimme zitterte: »Ein Porzellanfabrikant hat keinen Sinn für ideale Bestrebungen.«

»Nee, Kortüm. Aber der hat Porzellangegenstände zu verkaufen – im Dutzend billiger – die von Natur bestimmt sind, die Abkömmlichkeiten des Hauses –«

»Schweigen Sie!« schrie Herr Kortüm.

Klaus legte die Hand auf Kufferts Arm. Aber der sprach mit brutaler Ruhe: »Halt. Sind Sie Gast un ich der Wirt, oder bin ich hier oben der Gast un bezahle?«

»Mir auch noch einen«, rief Klaus dazwischen und hielt sein Schnapsglas hin. Eigentlich trank Klaus nie Schnaps, aber jetzt behauptete er, das Kirschwasser sei ausgezeichnet.

»Nun, wir verstehen einen Spaß, nicht wahr?« sagte Mickewitz, der für das Kirschwasser dankte. Er kannte es: Herr Kortüm bezog es vom Apotheker in Esperstedt. Klaus fing schnell an, den Verlauf des

26 Schützenfestes in Schmiedefeld zu erzählen. Er war zwar nicht dort gewesen, aber ihm fiel in der Eile nichts anderes ein. Das Gespräch kam in ruhige Bahnen. Herr Kortüm saß still und sah vor sich hin. Als Kuffert meinte: »Apotheker, 's wird dunkel. Kommen Sie mit?« erhob sich auch der Schulmeister.

»Ich wollte Sie nur noch was fragen«, sagte Herr Kortüm zu Klaus. »Haben Sie eine Minute Zeit?«

»Na, auf Wiedersehn, Kortüm. Das war heute wirklich 'n fröhlicher Nachmittag«, rief Kuffert.

Herr Kortüm brachte seine Gäste vor die Tür. Die lachenden Stimmen entfernten sich.

Im Hause war es totenstill.

»Er wollte mich doch etwas fragen«, murmelte Klaus. Draußen sanken tiefe Schatten auf das Land. Im halbhellen Himmel stand schon der Mond. Klaus wartete noch eine Weile. Dann ging er, ohne bezahlen zu können. Er trat auf den Vorplatz und sah am Haus hoch. Alle Fenster waren dunkel.

Der neue Lehrer ging ein paar Schritte in die Wiese hinein. Vor ihm wölbte sich schwarz der runde Berg in den eisblauen Himmel. Das Tal, in dem sein Tisch und sein Bett standen, konnte er von hier oben nicht sehen. Für Menschenaugen war das Schottenhaus allein in der Welt. Der Wald war eine schwarze Wand geworden. In dem Schatten unter der großen Tanne bewegte sich jemand – ist das Herr Kortüm? Der Mann kam auf ihn zu, nein, Herr Kortüm konnte das nicht sein. Spaten und Hacke trug er über der Schulter, hinkte – da fiel das volle Mondlicht über ihn: der Evangelist!

Bilmes lugte nach Klausens Gesicht, leckte seine Unterlippe: »Sind Sie auch noch da?«

»So spät fertig mit der Arbeit? Jetzt geht's nach Hause.«

»Nach Hause? Da kann der Mensch lange laufen. Die Füchse haben Höhlen.«

»Na, Herr Bilmes –«

»Aber wir, wir haben nischt.« Eben wurde im ersten Stock des Schottenhauses ein Fenster hell; Bilmes sah hinauf und nickte: »Gar nischt. 's sieht ganz schöne aus, nich? Hä. Ein Haus un keine Straße dazu is noch schlimmer als eine Straße un kein Haus daneben. Gute Nacht auch.«

Langsam ging er, Schritt für Schritt, zum Wald hinauf. Klaus sah ihm nach, bis er verschwunden war. 27

 


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