Kurt Kluge
Der Herr Kortüm
Kurt Kluge

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Goldenes Gebälk

Am anderen Morgen frühstückte Holdermann bei guter Zeit. Er aß hastig und konnte mit Herrn Kortüm nur wenig Worte wechseln. Noch ehe er den letzten Schluck seines Kaffees getrunken hatte, bat er, man möge sogleich eine Bockleiter in den Saal bringen und vor dem Bildnis Kortüms aufstellen. Die Malgerätschaften hatte er schon neben sich auf dem Stuhl liegen. Jetzt raffte er sie zusammen, steckte den Rest eines butterbestrichenen Hörnchens in den Mund, bestieg kauend die Leiter und begann, ohne nach links oder rechts zu sehen, mit der Wappenmalerei.

Aha, dachte Herr Kortüm, jetzt ist der Meister endlich in Stimmung gekommen. Er verließ auf den Zehen den Saal und befahl draußen mit gedämpfter Stimme: »Leise reden, nicht singen, keine Türen schlagen, Ruhe – der Meister arbeitet. Aber gut aufpassen. Sobald er fertig ist, die Leiter aus dem Saal schaffen: Frau Konstanze Schröter kommt heute.«

Der Meister auf der Bockleiter aber dachte: »Verflucht – jetzt geht er über den Hof und sieht den Brunnen.«

Holdermann malte mit großem Eifer. Solange er malte, war er geborgen. Niemand würde ihn stören, am wenigsten Herr Kortüm. Wenn er bis Mittag auf diesem Leitersitz aushielt, war die Überraschung des Bauherrn abgeklungen – freilich, bis Mittag war noch lange hin, und das Leiterbrett war schmal. Er versuchte es so und so. Das Holz drückte auf die Dauer. Rasch kletterte er noch einmal herunter, holte ein Kissen . . . Ja, so ging es.

Holdermann malte. Sehr langsam und sorgfältig. Die viele Zeit bis Mittag muß den Wappen meines Gastgebers zugute kommen, sagte sich der Professor. Die Rechnung war gut, aber das Exempel kam falsch heraus. Wohl setzte sich Herr Kortüm den Hut auf und begann mit dem Morgenrundgang durch seine Liegenschaften. Er ging durch die Anrichte in die Küche, er wollte eben die Küchentür zum Hof hinaus öffnen, als diese Türe mit einigem Schwung von selber aufging und eine buntfarbig gekleidete Dame im Türrahmen erschien. Kortüm mußte einen Schritt zurückweichen, hatte kaum Zeit zu denken: wer ist das? – da ergriff ihn die lichte Erscheinung bei seinen beiden Händen und rief: »Liebster Friedrich Joachim.«

»Aber –«

»Wie reizend! Da kommen wir nun herauf, und das erste, was wir erblicken, ist dein liebes Gesicht!«

280 Nur das Wort »Gesicht« ging in Kortüms Ohr – denn er starrte an der Erscheinung vorbei in den Hof und hatte dort eine andere Erscheinung . . . das Gesicht des Püsterich . . . das lebte . . . das spie Wasser, immer weiter Wasser spie es –

»Ach und ganz der alte ist er geblieben! Ulrich! Komm doch mal her, Ulrich!«

»Verzeihung, gnädige Frau –«

Sie lachte mit einer perlend frischen Stimme: »Gnädige Frau nennt er mich! Ulrich –«

Hinter ihr tauchte, soweit im Türrahmen noch Platz war, ein ältlicher Herr auf – das ist der stille Mann, durchfuhr es Kortüm, und das Weib – oh, Monichs Rosaband!

»Hör doch bloß, Ulrich! Gnädige, sagt Joachim! Erkennst du mich wirklich nicht?! Aber geh, du stellst dich so! Ich bin doch die Sidonie Lautenschlager! Ulrich, komm näher. Sieh mal, Joachim, das ist mein Mann –«

Herr Kortüm war sehr erschrocken: drei Gesichter im Türrahmen lachten ihn an – links Sidonie, rechts Ulrich, in der Mitte der Püsterich. Persönlich kannte er nur den letzteren.

»Schüttelt euch nur recht die Hände, ihr lieben beiden! Nun lernt ihr euch doch noch kennen. Mich kennt Joachim schon. Ich freue mich ja so! Dem Ulrich habe ich viel von dir erzählt. Aus dem wird noch mal was, habe ich immer zu Ulrich gesagt. Der hat Gaben.« Sie henkelte Herrn Kortüm ein. »Auf mich kannst du dich ja noch besinnen. Gott, ich sehe dich noch vor mir. Du trugst damals so süße blaue Matrosenhöschen.« Sie führte Herrn Kortüm an der entsetzten Liese vorbei durch die Küche. Ulrich ging hinterher, der Püsterich blieb draußen und spie Kortüms Quelle von sich. Plautz! flog die Tür im Zugwind zu. Wenigstens das eine Gespenst ist weg, dachte Herr Kortüm verstört.

»Mein Vetter, der angeheiratete, weißt du, Joachim, der Daniel Lautenschlager, ist doch der Bruder von unserem guten Hermann, und der –«

Holdermann malte. Aber er malte seines schlechten Gewissens wegen nicht wie sonst. Der Professor hörte bei der Arbeit noch, was in der Umwelt vorging. Jetzt lauschte er mit schiefgehaltenem rechten Ohr . . . »Allmächtiger, was redet denn da so . . .« Das kam aus dem Hofe . . . Aller Berechnung nach mußte aber jetzt Herr Kortüm auf dem Hofe stehen, stumm den Püsterichbrunnen ansehen, die Augenbrauen 281 hochziehen – und nun brach da draußen eine weibliche Stimme los. Holdermann erhob sich vorsichtig auf den Leiterstufen und machte einen langen Hals. Der Hof war leer. Der wasserspeiende Püsterich stand ganz allein in der Mitte. Da schlug wieder eine Türe. Die weibliche Stimme klang bedeutend näher. Holdermann setzte sich wieder fest auf sein Kissen und malte.

Die Tür des Kaminsaales ging auf. Sogleich prasselte Reden herein: »– und als wir in Geestemünde wohnten, blieb das so dabei. Damals lebte ja deine liebe Frau noch, Joachim. Die kam so oft zu uns –«

»Pst«, hörte Holdermann hinter sich, »psssst.«

Die Stimme brach ab.

Die Türe schloß sich leise. Aber draußen, ein wenig durch das Türholz gedämpft, begann es wieder: »Aber nein doch! Genau wie bei uns, nicht wahr, Ulrich?« lachte sie, »wenn zu uns jemand auf Besuch kommt, das ist wie gemacht: da ist auch allemal ein Handwerker im Hause. Maler, Ofensetzer, Klempner –«

Die Stimme verlor sich.

Holdermann drehte sich vorsichtig um. Der Saal war leer. Was war das? Maler, hat sie gesagt? Und Ofensetzer? Klempner? Bin ich mit dem Maler gemeint? Und Herr Kortüm wandelt unter solchen Reden Arm in Arm mit diesem Weibe herum . . .? Hier geht was vor, sagte sich der Maler. Er überlegte eine Weile und stieg dann lautlos von der Leiter herunter. Er öffnete vorsichtig die Tür, über der »Zutritt verboten« stand. Holdermann öffnete ebenso vorsichtig die Tür der Anrichte, der Küche – alles leer. Er eilte über den Hof, drängte sich durch die Gerüststangen des östlichen Flügelbaues – und verschwand im Walde.

Im Kaminsaal war Totenstille. Ein achtlos weggelegter Pinsel tropfte auf den Fußboden. Voreilige Frühjahrsfliegen summten. Jetzt knackte die Türklinke. Die Tür ging einen Spalt breit auf, und der Besitzer von Tür und Saal und Haus und Hof lugte herein – leer? Die Tür ging etwas weiter auf – leer? Der ewige Kortüm blickte aus seinem goldenen Rahmen von der Wand herab, aber weit hinweg über sein ängstliches Vorbild. Der leibliche Kortüm trat ein, schloß leise die Tür, eilte durch den Saal, durch Zettelgang, Anrichte, Küche, Hof – alles leer. Er drängte sich durch die Gerüste des westlichen Flügelbaues – und verschwand im Walde.

Wieder eine Stunde Totenstille im Saal.

Liese kam herein, deckte Tische, sah sich um. »Herr Kortüm!« rief sie gedämpft. Laut rufen durfte sie ja heute nicht. So konnte sie denn 282 auch niemand hören. Kopfschüttelnd klappte sie Holdermanns Leiter zusammen und trug sie hinaus.

Die Sonne stieg höher. Der Mittag kam. Endlich trappten auf den Fliesen draußen kräftige Männerschritte. Ein Stock wurde in die Ecke gestellt.

»Na, da sind wir denn ja wieder.« Der Kapitän trat ein und gab ein behagliches, scheinbar endloses »Ahhh« von sich. Er hatte einen guten Marsch hinter sich. Es gab in der Umgebung doch allerlei über das Schottenhaus zu hören. Heute hatte er den nordwestlichen Sektor zwischen Esperstedt und Heidstein ausgefragt: nein nein, an Abreise war noch nicht zu denken. Hier ließ sich noch viel in Erfahrung bringen. Sein Sohn, der Schiffsarzt, sollte sich freuen über die lehrreiche Ausstellung aller der Einrichtungen, die ein Gaststättenbesitzer unterlassen muß, wenn der Betrieb blühen soll . . . Aber jetzt hatte Langloff Hunger und Durst: »He! Halloh!«

Nichts regte sich.

»Mangelhafte Bedienung«, sagte Langloff, zog sein Taschenbuch und begann zu rechnen. Hin und wieder murmelte er Bruchstücke von Sätzen: »Bei zwanzig Zimmern vier Angestellte mehr, macht sechseinhalb Prozent Unkostenzuschlag . . .« Langloff vergaß Hunger und Durst. Langloff rechnete. Nicht einmal die Türe hörte er aufgehen hinter sich. »Wenn ich Besitzer vom Schottenhaus wäre«, überlegte er gerade, »würden die Abzüge auf viereinhalb erhöht –«

»Da sitzt er!« rief Frau Lautenschlager vorwurfsvoll. »Ach so«, setzte sie hinzu, »ich dachte nämlich, Herr Kortüm wäre hier.«

»Den suche ich auch«, sprach der Kapitän. »Wann bekommt man denn eigentlich was zu essen heute?«

»Nicht wahr? Ulrich hat auch so'n Hunger.«

»Herr Kortüm hat zu viel Abhaltungen. Das kommt vom Bauen. Wenn einer baut, soll man ihn nicht besuchen.«

Unruhig forschte die Lautenschlager in seinem Gesicht: »Sie sind wohl auch bloß zu Besuch hier?«

»Ich bin Gast.«

»Wie schön! Ach, und ich dachte schon, Sie wären auch ein entfernter Verwandter«, sagte sie erleichtert, »wir sind nämlich ein bißchen verwandt mit Herrn Kortüm.«

»Sieh da«, sprach der Kapitän. Er verbeugte sich kurz vor dem näherkommenden Ulrich und kam in ein recht aufschlußreiches Gespräch mit der Lautenschlager über Kortüm, Kortüms Unternehmungen, seine 283 Hypotheken, Sicherheiten, Aussichten und Möglichkeiten. Mit Freude erkannten die beiden, wie glücklich sich ihre Kenntnisse gegenseitig ergänzten.

Inzwischen war der Schöpfer des Kortümbrunnens den Schottenhügel hinabgeschritten. Er brannte sich eine Zigarre an, bewegte behaglich die Schultern und knöpfte im Gefühl des Geborgenseins auch noch den Rock zu: »Ich kann ja ebensogut im Besenröder Gasthof Mittag essen.«

Gemütlich schlenderte er um die Wegebiegung am Steinbruch, besah die wilden Steinblöcke, die hohen Wolken, die tiefbeschatteten Farne. Ruckartig hob er den Kopf: da – der Mann, der dort den Berg heraufkam – kein Zweifel, das war der Herr Kortüm. Und neben ihm eine Dame . . . Holdermann riß die Augen auf: wie geht das zu in diesem Schottengelände? Oben war er ausgerissen vor einer Dame, die Arm in Arm mit Kortüm redend im Hause umging. Und jetzt stieg dieser selbe Kortüm von unten aus dem Tal herauf, eine Dame am Arm . . . Holdermann sah sich um – nein, zur Flucht war es zu spät.

Kortüm und die Dame kamen näher . . . sie redet übrigens nicht . . . alle Wetter . . . der Professor ging nur zögernd weiter: da schritt neben Herrn Kortüm eine Frau hin, deretwegen auch sehr bedeutende Maler plötzlich langsamer auf der Straße gehen. Sie blieb stehen, grade dort, wo die Steinbruchwand hart in die Tiefe bricht.

»Halt!« rief Herr Kortüm, »nicht so nahe an den Rand, um Gottes willen!«

»Nein«, sagte sie und trat ganz an den Abgrund heran. Holdermann sah sie bewundernd an. Wer ist diese Frau? Herr Kortüm hatte vor Schreck die Hand auf die Weste gelegt – Holdermann blieb ruhig: die ist eine von denen, die genau wissen, wie weit man an Abgründe heran kann.

Kortüm wechselte seinen Platz und ging zu ihrer Rechten. Er schaltete sich zwischen sie und den Abgrund ein. In angeregtem Gespräch kamen sie heran. Der Professor grüßte höflich. Die Dame nickte. Aber dieser Herr Kortüm beachtete den Maler kaum und griff nur knapp an die Hutkrempe. Er übersah seine Autorität in Schönheitsfragen beinahe. Holdermann ärgerte sich, aber hörte doch zu, was Kortüm eben auf das dunkeläugige Wesen einzureden hatte: »Das war im Schottenhaus, Gnädigste – jetzt aber mache ich daraus ein Flügelhaus . . .« Dabei hob der Mann seine Arme ein wenig, als ob er zum Fluge 284 ansetzen wollte, fortfliegen über den schwindelnden Abgrund an seiner Seite – er, der leibliche Kortüm . . .

Die freundliche Wirtin von Besenroda setzte dem Professor die Suppe vor: »Gesegneten Appetit!«

Als Antwort vernahm sie nur das Bruchstück einer Melodie, welche der gedankenversunkene Gast vor sich hin summte.

Neugierig sah die Wirtin den Fremden von der Seite an: »Das is auch einer vom Schottenhaus«, sagte sie leise zu ihrem Mann, der den Bierhahn putzte.

»Hat er die Speisekarte gelesen?«

»Nee.«

»Schlag 'n Fuffz'ger drauf.«

Die Wirtsleute hätten ruhig laut reden können. Holdermann malte nicht, aber er hörte jetzt trotzdem nicht, tauchte den Löffel in die Suppe, hielt still: »Eigentlich muß ich sie kennen«, murmelte er, »der Gang, die Augen, der Mund . . . hm.« Plötzlich legte er den Löffel hin und sah starr gradaus: »Aber ja doch . . . Ja! Das ist sie . . . das war die Schröter. Die Konstanze Schröter von unserem Theater . . .«

Der Professor hörte auf zu murmeln. Er aß und schüttelte nur von Zeit zu Zeit den Kopf. Als er beim Nachtisch war, sagte er plötzlich halblaut zu der Himbeergrütze: »So ein alter Halunke.«

Der Wirt am Bierhahn musterte mit gefalteter Stirne den Fremdling, schob die Unterlippe vor und sprach zu seiner Frau: »Jetzt nimmste 'ne Mark mehr.«

Herr Kortüm hatte Konstanze bis an die Wegebiegung geführt.

»Das alte Bild«, sagte sie aufatmend.

»Nicht ganz das alte.« Er bat sie, ein paar Schritte zurückzutreten: Über dem schwarzgrünen Tannicht hob sich ein goldenes Gitterwerk in den tiefblauen Himmel: »Das Dachgebälk des Flügelhauses ist vollendet!« sprach er mit leichter Verbeugung. Herr Kortüm hatte sich lange auf diesen Augenblick gefreut. Er war sehr glücklich.

Konstanze sah auf das sonnbeschienene Holzwerk: »Goldenes Gebälk«, sagte sie lächelnd, »schade, daß es nun bald von den Dachsteinen verdeckt wird.«

»Der Regen, Gnädigste – der Schnee, der Wind . . .«

»Ja, die hält auch das goldenste Gebälk nicht ab.«

Herr Kortüm seufzte: »Im Alter lernt man wetterfest bauen.«

285 »Und sitzt dann trocken!« Sie lachte ihn mit blitzenden Augen an. War da ein wenig Spott dabei? Eine Spur von Spott?

Herr Kortüm nahm den Hut ab und machte einen ganz spitzen Mund: »Davon« – er bemühte sich, ganz höflich dazustehen – »davon verstehen Sie nichts.«

»So!«

»Sonst könnten Sie ja nicht Theater spielen.«

Konstanze lachte: »Nun – der Herr Kortüm, der baut hier aber ein ernstliches Haus.«

Jetzt ließ Herr Kortüm den Kopf hängen: »Was baut man schon, wenn man baut . . . Gedanken aus Tagen, die längst gelebt sind.«

»Aber Herr Kortüm« – sie zeigte auf das Gebälk des Flügelhauses – »das über den Tannen da drüben ist Gott sei Dank solide Gegenwart, hoff' ich.«

Langsam fuhr Kortüm mit der flachen Hand hin und her und winkte dann langsam ab: »Sehen Sie . . . mein Vater, ja, der hat auch ein Haus gehabt. Ein Flügelhaus« – er wies auf die Dächer – »so eins. Wie ein Hufeisen gebaut. In der Mitte der Grasgarten, die offene Seite« – Herr Kortüm neigte den Kopf – »die offene Seite ging allerdings auf das Meer hinaus. Hm . . . morgens las mein Vater die Zeitung im Garten. Da stand im Gras ein alter Holzstuhl. Auf dem saß er. Es saß sich, glaub ich, trotzdem gut: die Apfelbäume gaben Schatten – Sie wissen, den grünen Sommerschatten mit den unruhigen Lichtflecken auf dem Papier. Ja. Solche Apfelbäume gibt's nicht mehr. Borsdorfer, Gnädigste. Recht gedeihen wollten sie nie. Der Nordwind. Und das Fohlen. Wir hatten ein Fohlen im Garten. Wenn mein Vater las, schnupperte es an der Zeitung, schnappte, dann hob es den Kopf hoch. So ruckend. Und plötzlich riß es eine Ecke Zeitung ab . . . Ja – das Haus ist schon lange abgebrochen« – er blickte zum Schottenhaus hinüber – »aber es läßt sich neu bauen. Den Garten legt man an. Ein Fohlen ist überall zu kaufen. Die Zeitung erscheint auch noch« – er rieb sich langsam in den Bartstoppeln am Kinn – »aber – es stehen andre Nachrichten drin . . .«

Über dem Schottenhaus segelte schweres Frühjahrsgewölk, geballt und mächtig hochgetürmt, das Wolkengewölbe von der sinkenden Sonne gerötet. Herr Kortüm sah es nicht. Die schöne Frau neben ihm beschwingte ihn wie Musik. Ihre Schönheit hatte Herrn Kortüm angeklungen, in dem Klang wuchs unversehens die Erinnerung in ihm empor und überwucherte das lebendige Gelände vor ihm. Er suchte nach den 286 Landschaften seiner Kindheit – unruhevolle Augenblicke, gärend wie in der Jugend. Nur zielt dieser Drang umgekehrt: Herr Kortüm kam immer näher auf sich selbst zu. Er sah mit einem Male alt aus.

»Um Gott«, sagte Konstanze und hielt sich mit der Hand an seinem Arm fest.

Bei Kortüms Rede waren sie auf den Hof gekommen. Konstanze starrte den Brunnen an. Kortüm hatte ihr doch geschrieben von einem wunderbaren Brunnen, den er bauen wolle, einen Brunnen, der Göttin der Ruhe gewidmet. Und da stand er . . .

»Verzeihung«, stotterte Herr Kortüm – nein, dieser Kortüm sah doch nicht alt aus: noch war ihm das saftvolle Erleben des Gegenwärtigen reichlich vergönnt. Das Erinnern zerstob, er stand noch in der Gnade – mitten drin im Leben: »Wirklich – ich hatte den Brunnen vergessen. Es ist so viel geschehen seit heute früh. Ich bedaure unendlich« – er verbeugte sich.

»Herr Kortüm . . .«, sagte Konstanze leise und sah unverwandt das wasserspeiende Scheusal an.

»Ich kann nichts dafür.«

Jetzt blickte Konstanze den Herrn Kortüm an.

»Wirklich«, versicherte er, »wie meine Quelle zu dem Brunnen kommt, weiß ich nicht.«

»Wenn Sie das nicht sagten – einem andern glaubte ich's nicht.«

Herr Kortüm zog die Stirn in Falten: »Ich werde den Brunnen sofort beseitigen lassen.«

Konstanze besah den Kortümbrunnen von allen Seiten.

»Das Wasser springt schön«, sagte sie endlich, »sehr schön. Der große flache Bogen . . . nein, Herr Kortüm, beseitigen nicht, aber vielleicht läßt sich's mit Kletterrosen bepflanzen. Oder mit Efeu.«

»Hm. Efeu. Der deckt zu.«

 


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