Kurt Kluge
Der Herr Kortüm
Kurt Kluge

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Messing

Ein Matrose«, sagte Kortüm am anderen Morgen zu Frau Wingen. »Ich habe ihn oben im Unterkunftsraum schlafen lassen. Sie sollten sich den Mann mal ansehn. Wir brauchen jemand hier oben.«

»In Dienst wollen Sie den nehmen?« fragte Lotte erschrocken.

»Gestern früh hat der Kellner das Wasser raufgeholt, und als ich nachmittags auf meinem Balkon saß, habe ich Sie mit dem Eimer gehen sehen. Das sollten Sie nicht, Frau Wingen.«

Das Lohberghaus war eine wohleingerichtete kleine Wirtschaft. Sie bot Schutz vor schlechtem Wetter, Licht und Wärme am Abend, gute Betten bei Nacht; nur eines gab es auf dem Lohberg nicht: Wasser. Dreimal, viermal am Tage mußte die schwappende Last heraufgeschleppt werden. »Wir brauchen einen Wasserholer, Frau Wingen. Der Mann kann auch den Garten besorgen, die Feuerung – kurzum ein Mensch, der immer da ist und alles kann. Sehen Sie sich den Mann mal in Ruhe von der Seite an. Er ist jemand.«

653 Georg Stannebein wurde als Wasserholer und Hausknecht auf dem Lohberghaus angestellt. Das Schottengelände war um einen bemerkenswerten Einwohner reicher. Dem Wirt behagte es, in seinem Hause nach einem Diener rufen zu können, der zwar nicht in Hamburg geboren war, aber doch »den Hafen« kannte. Es tat seinem alten Herzen wohl, endlich wieder einen lebenden Menschen ungefähr so anreden zu können: »Jaa, George, wir in Hamburg . . .« Kortüm begann seine Sätze sehr oft mit diesen Worten, besonders dann, wenn Lotte eben anderer Meinung gewesen war als Herr Kortüm. Stannebein, der nie und um niemandes willen seine Hände aus den Hosentaschen zog, stellte sich bei solcher Anrede vor Kortüm auf, wie er an Bord vor dem Kapitän gestanden hatte, und antwortete in einer seltsamen Mischung von Hamburger und Thüringer Mundart, die Kortüm bisher leider noch nicht gelungen war: »Düwel ok, was verschtehn hierzulanne de Lüt von unsereen.«

Die Lohbergbewohner lebten sich gut ineinander. Stannebein war ein grober Kerl und blieb es, aber nach ein paar Wochen begann doch in seinem Matrosenherzen jener mißmutige Respekt zu keimen, der auch den rauhesten Lebensmusketier übermannt vor einer Frau, die nachweislich zu wirtschaften versteht. Wenngleich Stannebein sich lediglich als den Diener seines Herrn empfand und den Rest der Umwelt nur eben knurrend in Kauf nahm, führte er doch Lottes Anordnungen so aus, daß ihr von Georges grundsätzlich anderer Ansicht nichts zu Ohren kam.

Herr Kortüm aber konnte nur immer wieder in höchster Zufriedenheit zu Frau Wingen sagen: »Der hat uns noch gefehlt.«

Wenn Kortüm sprach: »George, ich will eben mal für eine Stunde oder zwei an mein Fernrohr, bin für niemand da«, so setzte sich Stannebein auf die Hausschwelle und sorgte dafür, daß sein Herr nicht mehr vorhanden war. Eine angenehmere Aufgabe konnte es ja auch nicht geben – keine andere Leistung wurde von Stannebein erwartet, als erforderlichenfalls grob zu werden. Herr Kortüm konnte ungestört durch seinen Aquamarin blicken. Ihn behelligte jetzt bestimmt niemand. Stannebein besaß Verständnis für das Wesen des Fernrohres. Kapitäne blicken durch Fernrohre. Das ist so. Überhaupt fühlte sich Stannebein jeden Tag mehr geborgen und an Bord auf dem Lohberg. Der einzige kleine Mangel war dieser: der Lohberg schwankte nicht, sonst hätte Stannebein vollends glauben können, in der Takelage zu stehen, hoch oben windflatternd in freier Luft, weltweiter Blick ringsum. 654 Und das Schwanken – nun, hier ist der Ort, einen kleinen Fehler Stannebeins anzudeuten: der Lohberg nicht, aber George schwankte manchmal – nicht oft! Auch nur ein klein wenig und kaum wahrnehmbar. Nicht einmal Lotte bemerkte es.

Aber der Herr Kortüm. »George!« sprach er kopfschüttelnd.

»Käptn?« – in solchen Augenblicken gab Stannebein seinem Herrn die Amtsbezeichnung, in der für seine Begriffe die Hochachtung schlechthin zusammengefaßt war. Auch nahm Stannebein dann manchmal Stellung vor Kortüm.

»Sie sollen nicht saufen.«

»Nee, Käptn.« George kannte keinen Widerspruch vor dem Lenker des Lohberges. »Nich saufen, nee nee«, versicherte er und ging an seine Arbeit, die Stannebein in solch gehobenen Augenblicken nicht etwa lässiger verrichtete, sondern doppelt gut. Gewiß konnte es nun vorkommen, daß er beim Absetzen der Wasserbutte in der Küche nicht scharf den Tisch traf. Dann klatschte ein Schwapp auf den Fußboden.

»Dummheit!« sagte Lotte. »Gleich wischen Sie's auf.«

»Dafür kann ich nich. Dadran is der Tisch schuld. Der Buttentisch is zu klein«, widersprach Stannebein.

»Da ist das Scheuertuch« – diese Frau Wingen ließ sich überhaupt nicht auf die Verkettung von Ursache und Wirkung ein. Der Wasserholer schnüffelte verdrossen. Er fing an zu wischen. »Wenn nämlich der Tisch nich so klein wäre, fände man ihn viel leichter. 'n verständiger Mensch sollte sich doch überlegen, daß man dem Tisch 'n Hintern zudrehn muß, wenn die Butte abgesetzt wird. Das kommt daher, daß man die Butte hinten trägt. Anders geht das eben nich. Man kann den Tisch nich sehn. Weil der Mensch hinten keine Augen hat.« Er drückte das Wasser aus dem Lappen. »Un nich bloß ich habe hinten keine Augen, manche andre auch nich, un wenn sie noch so gescheit reden.« Stannebein wischte wieder. »Die Butte absetzen, das is gar nich so leichte. Das is Gefühlssache. Manchen Tag hat man 's Gefühl un manchen nich.«

Lotte rührte in ihren Töpfen und ließ Stannebein reden. Ein Vorzug eignete diesem neuen Hausknecht, den Lotte in solcher Vollendung an noch keiner Hilfskraft erlebt hatte. Stannebein konnte Messing putzen. Das war ihm an Bord beigebracht worden. Er entdeckte das kleinste Häkchen und Knöpfchen im Hause und zauberte ihm jenen grünlichgelben Goldglanz an, der gepflegtes Messing in die Nähe der Edelmetalle rückt. Wie andre Leute ein Taschentuch, so trug Stannebein 655 einen kreidestäubigen Wollstrumpf in der Hosentasche mit sich herum, den er im Vorübergehen über die Messinggegenstände streicheln ließ. Eines Tages kam er dahinter, daß der von Wetter und Ruß schwärzlich verdreckte Püsterich durch und durch aus schönstem Messing bestand. Als sich Kortüm mittags zu Tische setzte, blitzte draußen im Sonnenlicht der Püsterich wie ein Satan. Die Augen taten Kortüm weh. Er mußte wegsehen. Nach dem Essen rief er Stannebein.

»Hat das Frau Wingen angeordnet?« fragte er zunächst vorsichtig.

»Nee. Aber sie hat gefragt, ob Sie das angeordnet haben.«

»Unfug, George. Nun fällt das Scheusal noch mehr in die Augen.« Er schilderte in kurzen Sätzen den Sinn und Zweck des Gebildes und schloß: »Ein dunkles Äußere steht ihm besser an.«

Stannebein horchte auf: »Schnaps . . . Donnerwetter, da drinne?«

»In alten Zeiten, George.«

Nun erinnerte sich Stannebein mancher seltsamen Aufbereitung gärungsfähiger Vegetabilien in fernen Ländern, die heute noch im Schwange war. Worte wie Gin fielen, Raki, Uso, Black and White und Namen wie Bahia, Aden, Albany klangen auf. Kortüm lächelte. Aus halbgeschlossenen Augen blickte er in die Ferne: Ob er diese Plätze kannte! Herr Kortüm ergänzte Stannebeins Erfahrungen; Stannebein versah Kortüms Angaben mit Anmerkungen – sie reisten um die Welt. Merkwürdige Häfen wurden genannt, geheimnisvolle Getränke, dunkle Viertel hinter den Docks, ja, und dahinter wogte das warmviolette Meer . . . Sie reisten von Hafen zu Hafen, bis Kortüm nachdenklich sagte: »George, wissen Sie – es braucht nicht immer weit her zu sein. In dem Püsterich da ist vor nicht viel Jahren einmal Likör gebraut worden, in einer Sommernacht, George – ein Likör . . .«

Kortüm trat an seinen Schreibtisch und suchte Albrechts Rezept: »Ich habe es seinerzeit erworben. Hat nicht wenig gekostet. Es ging aber nicht anders. Albrecht war gekränkt. Mit Recht vielleicht. Man hat . . . hm, das ging auch nicht anders, man hat diesen Püsterich als Brunnenfigur benutzen müssen. Jahr und Tag ist Wasser durch ihn gelaufen. Jetzt aber überlege ich mir: der Lohberg hat keine Quelle, der Püsterich steht trocken – sollte man es mit ihm vielleicht wieder einmal anders versuchen?«

In gleicher Stunde machte sich Stannebein auf den Weg zum alten Albrecht. Er klopfte auch in Kortüms Auftrag bei Monich an. Stannebein trug den Püsterich hinter das Haus. In der Nähe des Kortümarchivs wurde ein eiserner Rost aufgebaut. Albrecht begann. Kortüm 656 saß auf einem Gartenstuhl daneben und beaufsichtigte die Arbeit. Die Küche konnte über Wassermangel klagen, wie sie wollte – Stannebein kauerte vor dem Püsterich, half, ließ kein Auge von der Sache. Der Kobold verlor seinen Glanz in diesen Tagen. Er bekam ihn nie mehr wieder.

In den Schenken am Wege und in den besseren Gaststätten etwas abseits vom Wege konnten bald Einheimische und Fremde neben anderen magenstärkenden Mitteln auch einen »Püsterich« verlangen, und sie bekamen ihn. Kortüms Name lief wieder einmal über das Schottengelände – ja, diesmal weit ins Reich hinein. Längst gab der kleine altmodische Messingkessel nicht so viel »Püsterich« her, wie die Welt von Kortüm forderte. Mit Albrechts Hilfe wurde im Schuppen ein zeitgemäßer Destillierapparat aufgestellt. Schwartenmacher entwarf ein buntes Flaschenschild, und auf diesem Schild war zu lesen, daß Friedrich Joachim Kortüm der Alleinhersteller dieses Labsals sei und jede Nachahmung unnachsichtlich verfolgen werde.

»Das kann aus einer Quelle werden, George«, sprach Kortüm und wußte nicht recht, ob er seufzen oder lächeln sollte.

Stannebein nickte: »'s kommt eben alles aufn Zusatz an.«

Monich aber schlückelte an seinem Glas und hob den Zeigefinger: »Aufn Geist, Stannebein.«

 


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