Kurt Kluge
Der Herr Kortüm
Kurt Kluge

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Tee

Holdermanns sonst wohlverschlossene Ateliertüre ging heute unablässig auf und klappte wieder zu. Die Staffeleien waren in die Ecken geschoben und Sessel, Stühle, Hocker standen in Gruppen um kleine Tische, die nicht mit Skizzen und Malgeräten behäuft waren, sondern Teetassen Raum gaben, die höflich ausgetrunken wurden von den versammelten Freunden und Feinden des Malers. Das Gespräch summte. Jeder fand die Meinung des anderen anhörenswert und antwortete – mit bestem Dank für die freundliche Einladung – so geistvoll er konnte.

Konstanze Schröter stand vor einem kleinen Aquarell: »Was ist denn das?«

Holdermann machte ein verlegenes Gesicht: »Ja, wissen Sie, gnädige Frau, das ist die Gramme. Die Gramme ist ein Bach. Hinterm Ettersberg.«

Konstanze lachte: »Ach. Und die Häuser bedeuten wahrscheinlich ein Dorf.«

»Das Dorf heißt Zimmern. Und eine halbe Stunde hinter Zimmern liegt ein Feld, auf dem Weiden gezogen werden. Der Zimmernsche Korbmacher holt sich von Zeit zu Zeit eine Fuhre, stellt die Weiden in die Gramme, und wenn die Stecken eine Weile im Wasser gestanden haben, schlagen sie wieder aus und stehn da als wunderbare grüne Garben.«

»Herr Schart«, sagte Konstanze zu dem Schulmeister, der nicht aus ihrem Bannkreis wich, »malen Sie niemals abgeschnittene Stecken, die wieder ausschlagen und dann dastehn, als ob sie lebten.«

»Ich male gar nicht mehr.«

»Und wenn Sie«, fuhr Konstanze fort, »etwa schreiben sollten: geschrieben ist dieses Phänomen noch mißverständlicher.«

Holdermann mußte einen neuen Gast begrüßen. Konstanze gab einem Herrn von der Presse Auskunft, welche Rollen sie diesen Winter spielen werde, und Klaus fragte sich, was wohl Frau Schröter von ihm am liebsten dargestellt wünsche. Sobald sie ihrem Ausfrager entronnen war, kam Klaus mit seiner Frage.

»Das werde ich beantworten, sobald ich den wohl nun endlich fertiggestellten Richtspruch kenne. Ich wünsche ihn an einem Abend dieser Woche vorgelesen zu bekommen.«

»Oh, ich danke Ihnen. Morgen?«

437 »Morgen also. Ist die Geschichte lang geworden?«

»Welche – ach so. Daran habe ich noch gar nicht wieder gearbeitet.«

Konstanze lachte: »Sie kommen aber trotzdem?«

Im Jahr vorher wäre Klaus jetzt ängstlich geworden. Heute sprach er: »Ja. Ohne.«

Konstanze sah ihn nachdenklich lächelnd an: »Macht Ihnen das Schreiben Mühe?«

»Mühe?« Klaus suchte nach Worten, wischte mit ein paar Fingern über Hand und Gesicht und sagte: »Mühe . . . Alle Poren stehen offen, keine dichte Haut mehr, alles strömt nach außen. Als ob man verrinnt. Mühe ist es nicht. Aber man ist froh, wenn man aufwacht und wieder überlegen und für sich leben kann.«

»Für sich«, Konstanze nickte mit dem Kopfe, »das könnte euch passen. Die Türe zweimal rumgeschlossen, Zigarren paffen, oder wenn's den Herren beliebt, ein bißchen im Tumult rumgehn, die Hände in den Taschen natürlich –«

Auf der Orgelempore in Besenroda hatte ihm einer gesagt, tote Männer oder lebende Frauen wären die einzigen, deren Augen manchmal bis auf den Grund reichten, für den der Blick der lebendigen Männer zu kurz sei. Vor Klaus saß eine wunderbare lebende Frau. Und er begann: »Wer berühmt ist wie Sie, hat gut reden.«

»Sieh mal. Geben Sie mir eine Zigarette. So. Danke. Ja – berühmter Herr, was werden Sie zuerst tun? Ein Auto kaufen? Erster Klasse fahren? In lautlosen Hotels wohnen? Solche schönen Dinge aber geben Abstand, Herr Schart. Sie verändern das Lebensgefühl. Aus den teuren schnellen Wagen heraus, aus Ehrenlogen, Grandhotels und Häusern mit Parks sieht die Welt freilich anders aus. Leider aber: falsch. So ist sie gar nicht, wie sie scheint, wenn man gefeiert wird. Macht Ihnen nun die Welt was vor – bleibt Ihnen da andres übrig, als ihr was vorzuspielen? Der berühmte Schart muß sich nun schon eine Maske leisten. Aber so Dinger, wie unsereiner sie trägt beim Schauspielen und die sich hinterher wieder abwaschen lassen, die langen nicht.« Sie hielt einen Herrn fest, der eben an ihrem Sessel vorüberging: »Nicht wahr, Herr Professor, wir beide brauchen in unserem Beruf die Maske nur als Zwischenhilfe?«

Der alte Herr rückte schmunzelnd an der goldenen Brille: »Gnädige Frau?«

»Sie freilich«, fuhr Konstanze fort, »tröpfeln Chloroform hinein.«

438 »Was soll ein Chirurg tun? Wir müssen schmerzlos arbeiten können.«

»Und wir«, lachte Konstanze, »kriegen das ohne Chloroform fertig.«

Der alte Herr neigte artig den Kopf vor der schönen Frau: »Wenn – ein Dichter hinter Ihnen steht.«

»Also ein Gesicht«, sie rüttelte Klaus am Ärmel. »Hören Sie's, Schart?«

Der ehemalige Besenröder Schulmeister glaubte doch das Maskenwesen an Ort und Stelle aus dem Grunde studiert zu haben, konnte lachende und weinende Masken unterscheiden, hatte auch seinerzeit ein paar besessen, aber bei einer anderen Gelegenheit wieder zerknüllt – an diese dritte Art von anderem Gesicht jedoch hatte er bisher nicht gedacht: »Ob es etwa – noch mehr Maskensorten gibt?«

»Das will ich hoffen«, mischte sich der herantretende Holdermann in das Gespräch, »sonst könnte sich ein Porträtmaler aufhängen. Freilich«, der Maler nahm Platz an Konstanzes Tisch, »freilich fragt man sich immer wieder, wo die Wirklichkeit aufhört und das Bild anfängt. Besonders im Schottengelände scheinen da wieder merkwürdige Ereignisse zu spielen.«

»Lieber Gott«, sagte Konstanze ergeben und wartete der Dinge, die man jetzt hören werde.

»Sie wohnen doch im Flügelhause, Schart«, sagte Holdermann, »was ist mit unserem Freunde Wingen?«

Klaus' Auge streifte Konstanze. Aber die Schauspielerin rührte mit marmornem Gesicht in ihrem Tee herum. »Wingen?« fragte Klaus, »der ist krank.«

Holdermann nickte: »Deshalb ist er beurlaubt. Aber die Leute erzählen hier, es müsse ihm ausgezeichnet gehen, denn er spiele Orgel, daß es ganz Besenroda in den Ohren dröhnt.«

»Wer sagt das?!« rief Klaus.

»Entschuldigen Sie – ich nicht. Aber wenn er dort wochentags orgelt, könnte er's hier im Amte ja auch Sonntags, sagt man. ›Man‹ ist der Superlativ von alle – uns ausgenommen. Könnten Sie nicht mal mit Wingen reden? Ich glaube, ›man‹ will ihm an den Kragen.«

»Das ist ein Skandal!«

»Wie es uns Künstlern geht: wenn wir am besten arbeiten – und das heißt doch für alle arbeiten – dann vergessen wir den Allerleikram, und man sagt: dem Kerl muß es gut gehen, der kümmert sich um nichts.«

439 »Aber Wingen kann doch gar nicht arbeiten!« rief Klaus. »Ich bin erschrocken, als ich ihn sah. Er hat in der Besenröder Kirche Orgel gespielt, so gegen Abend meist –«

»Da haben Sie's.«

Klaus erzählte sein Erlebnis auf der Besenröder Orgelempore. Er war kein guter Advokat. Dem Publikum an diesem Tisch freilich konnte er ohne viel Mühe deutlich machen, daß Orgelspiel und Orgeldienst zweierlei ist.

Konstanze schwieg und sah an Klaus vorbei auf das Aquarell mit den grünenden Garben der toten Weidenstecken im Grammebach. Holdermann wiegte bedenklich den Kopf: »Schart, gehn Sie morgen zu Lobedanz. Das ist der Vorstand von der, vom – ich glaube, vom Orgelausschuß, oder wie der Verein heißt. Stellen Sie dem Mann die Sache vor. Wenn ich recht verstanden habe, was geredet wird, eilt es. Also: Lobedanz. Hinter der Kirche wohnt er. In dem hohen Giebelhaus.«

 


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