Johann Wolfgang von Goethe
Briefe an Charlotte Stein, Bd. 2
Johann Wolfgang von Goethe

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1730

[Weimar, Sonnabend 8. Oktober?]

Schon ganz früh überlegte ich was ich zur Sühne schicken wollte; kann aber leider die Papiere nicht finden.

Die gestrige Debauche ist mir ganz wohl bekommen. Ich hoffe bald wieder aufzuwarten und etwas interessantes Mitzubringen.

G.

1731

Gestern, theure Freundinn, wollt ich anfragen, ob Sie heute noch von den unsern seyn mögen? Heute haben Sie mich wohl entschuldigt da ich abermals ausblieb. Es drängt sich jetzt gar zu viel übereinnander.

G.

1732

Nach einer, wie immer, unerfreulichen Theatersession befinde ich mich ganz leidl. Wie ich gestern vom Wege zu Ihnen abgelenckt ward mündl. Morgen früh hoffe ich soll mich gutes Wetter zu Ihnen führen. Hier das IIIte Fasc.

1733

[Montag 16. Januar 1809]

Gern hätte ich Ihnen, verehrte Freundinn, dieser Tage aufgewartet, um manches zu erzählen und zu bereden. Es geht mir aber nicht sonderlich und ich habe Ursache mich sehr in Acht zu nehmen.

Gegenwärtiges erlasse ich, um einen Vorschlag zu einer Mittwochs-Unterhaltung zu thun. Ein nordischer gelehrter Antiquarius, mit Namen Arendt, befindet sich hier, der aber nicht mit jenem moralisch politischen Arendt zu verwechseln ist. Der gegenwärtige hat ein unscheinbares, ärmliches äußeres Ansehen; doch ist er nicht unangenehm, vielmehr wenn man seine Originalität einmal zugiebt, ganz erfreulich. Sein Wesen und Wissen erinnert an Büttner und Benreis, ob er gleich ihr Alter noch nicht erreicht hat. Er ist 1773 in Altona geboren, verdankt seine literarische Kultur dem dortigen Gymnasium, von welchem er erst 1794 abging und im Jahre 96 nach Paris und der Lombardey reiste, um dort Reste der, durch frühe Wanderungen und Schicksale hinverpflanzten, nordischen Alterthümer aufzusuchen. Im Jahre 97 ging er von Koppenhagen zu Schiff nach Finnmarken und landete bey Hammerfest unter dem 71sten Grad nordischer Breite. Zehn Jahre brachte er in Norwegen und Schweden zu, studierte die Runen, copierte und ordnete sie und bemühte sich überhaupt um eine genaue Kenntniß der alten nordischen, besonders isländischen, Cultur und Literatur. Ihn beschäftigte die scandinavische Sprachlehre so wie die beyden Edden. Nachher hielt er sich in Mecklenburg und Pommern, wegen der wendischen Alterthümer auf, besuchte in der Gegend von Neubrandenburg die Stelle, wo Nethra, ein Hauptort eines alten Völkerstammes, gestanden haben soll, und wo man früher merkwürdige, halbgeschmolzene, eherne, größere und kleinere Götterbilder gefunden hatte. 1808 ging er zum zweyten Mal nach Paris und erneuerte seine Bekanntschaften.

Gegenwärtig kommt er von Bremen und hat einige interessante Alterthümer und Manuscripte bey sich.

Wäre es Durchlaucht der Herzoginn nicht ungefällig, so würde ich ihn Mittwoch vorführen, und die Unterhaltung so zu leiten suchen, daß er 1) von seinen Reisen erzählte, 2) von der isländischen Cultur des 11. und 12. Jahrhunderts einen kurzen Vortrag thäte, 3) von dem was uns daher übrig geblieben ist, Nachricht gäbe und einiges vorzeigte. Sein ärmliches Äußere verschwindet dem Blicke gar bald, wenn man seinem bestimmten, lebhaften und heitern Vortrage zuhört. Ich erbitte mir bald eine gefällige Antwort, um mit ihm einige Einleitung treffen zu können.

Weimar den 16. Januar 1809.

Goethe.

1734

[Montag 16. Januar]

Mögen Sie, theure Freundinn, beykommendes an Durchl. die Herzoginn befördern. Ich hoffe es soll dieser wunderliche Mann in mehr als einem Sinne eine angenehme und lehrreiche Unterhaltung verschaffen. In Hoffnung Sie bald zu sehen.

G.

1735

[Freitag 28. April]

Hierbey, verehrte Freundinn, ein Brief von August, der Sie unterhalten wird. Sie theilen wohl das Blat Frau v. Schiller mit. Morgen will ich einmal wieder versuchen wie es in Jena aussieht. Heut Abend führ ich noch zu guter Letzt meine Geister wieder vor.

d. 28. Apr. 1809

G.

1736

[Jena, Dienstag 9. Mai]

Indessen man in Weimar meiner so gnädig und freundlich gedachte und von meinen romantischen Mittheilungen einen guten Nachklang empfand, ist es mir zum Eintritt hier gleich sehr übel gegangen, indem ich einen Anfall erleiden mußte von dem ich nun drey Jahre befreyt geblieben, und der mir um somehr Apprehension gibt, als es doch immer unwahrscheinlich bleibt, daß ich nach Carlsbad gelangen kann. Für den Augenblick tröstet mich am meisten die Nähe des geheimen Hofraths Stark, der mich täglich besucht, um mich vor einem Rückfall sicher zu stellen und der überbleibenden Schwäche nachzuhelfen. Daß unter solchen Aspecten nicht viel geleistet wird, können Sie wohl denken. Ich habe schon einigemal mein Gebet an die heilige Ottilie gewendet; allein ich habe noch keine Gegenwirkung empfunden. Es jammert mich nur, daß die schöne Zeit so ganz ungenützt vorbeystreichen soll. Vielleicht, wenn ich noch eine Zeitlang hier bleibe, genieße ich besserer Einflüsse. Lassen Sie mich manchmal vernehmen, daß Sie Dienstags und Mittwochs meiner gedenken.

Die Lebensbeschreibung Alfieri's liegt hier bey; sie ist höchst interessant. Empfehlen Sie mich Durchlaucht der Herzoginn bey dieser Gelegenheit zum angelegentlichsten.

Knebel besucht mich treulich morgens und Abends. Wir gehn zusammen spazieren und schwätzen manches durch.

Das französische Blättchen, das ich beylege werden Sie gewiß mit Theilnahme lesen. Ich erbitte mir es zurück. Leben Sie recht wohl und lassen mich bald wieder vernehmen, dass Sie mein gedenken.

Jena den 9. May 1809

Goethe.

1737

[Dienstag 30. Mai]

Zwar vernehm' ich von Knebeln, theuerste Freundinn, daß wir Sie den Donnerstag hier sehen sollen; darauf wollen wir uns nun möglichst vorbereiten und Ihnen hoffentlich leidenlos entgegen kommen, aber doch will ich die heutigen Boten nicht ohne ein lange versäumtes Wort abgehen lassen. Von mir war bisher leider nicht viel zu sagen. An die physische Existenz habe ich keine großen Anforderungen; wenn mir es aber auch nicht einmal gelingt geistig thätig zu seyn, indem ich mich in die Wüste begebe; so wäre mir eine gewisse Ungeduld wohl zu verzeihn. Indeß nun habe ich's auf die alte Art doch wieder durchgesetzt und es ist mir in diesen Tagen gelungen an dem Roman fortzuarbeiten, der mir durch die gute Aufnahme seiner ersten Hälfte erst wieder werth geworden. Mögen Sie unserer verehrten Fürstinn sagen, daß ich, indem ich mir jene Wirkungen zurückrief, die dasjenige hervorgebracht hatte, was schon auf dem Papier fixirt war, mir den Muth und die Freude geben konnte das übrige was noch zwischen Seyn und Nichtseyn schwebte, hervorzurufen und festzuhalten. So viel habe ich mir fest vorgesetzt: ich will alles abweisen und vermeiden was mich hindern könnte das angefangene zu Stand zu bringen. Verzeihen Sie, wenn ich Sie von dem ausschließlich unterhalte was mich jetzt interessirt. Ein künftiges Interesse hängt vom gegenwärtigen ab. Wenn Sie herüberkommen, sollen Sie dafür blos mannigfaltig grünende Thäler sehn. Die wenigen Blüten dieses Jahrs sind vorüber. Gestern mit einer Gelegenheit schickte ich Ihnen ein Gedicht, gedruckt, das Sie früher wohl schon geschrieben kannten. Ich will keine Reflexion hinzufügen, daß die Poesie zu einer Zeit, wo so ungeheure Thaten geschehen, sich gegen die naivgroße Handlung eines Bauernmädchens flüchtet – und da die Seite herunter ist, will ich mich auf Wiedersehen zum besten empfohlen haben.

Jena den 30. May 1809.

Goethe.

1738

[Dienstag 6. Juni]

Das übersendete Tuch, wofür ich den allerschönsten Dank sage, ist so vortrefflich, daß ich mich kaum getraue es umzuthun: es sollte vielmehr als ein Musterwerk aufgehoben werden.

Es war gar freundlich, daß Sie uns neulich besuchten, und unsre Einsamkeit aufheiterten. Ich kann eben nicht sagen, daß sie mir dießmal sehr erfreulich ist: denn ungeachtet des schönen Wetters und der grünenden Flächen und Hügel, der blühenden Gärten und mancher andern guten Ingredienzen des Lebens, ist doch alles was mich in Jena umgiebt so trümmerhaft gegen vorige Zeiten, und ehe man sichs versieht, stolpert man einmal wieder über einen Erdhöcker, wo, wie man zu sagen pflegt, der Spielmann oder der Hund begraben liegt.

Vielleicht aber sind diese Umstände gerade daran schuld, daß ich mehr in mich selbst zurückgewiesen werde und meine Arbeit mir ganz gut von Statten geht. Über die Hauptschwierigkeiten bin ich hinaus und wenn ich noch 14 Tage weder rechts noch links hinsehe; so ist dieses wunderliche Unternehmen geborgen. Freylich gehört zum letzten Zusammenarbeiten, ich will es nicht Ausarbeiten nennen, noch die größte innere Harmonie, damit auch das Werk harmonisch würde.

Empfehlen Sie mich Durchlaucht der Herzoginn zu gnädigem Andenken. Ich wünsche nur fertig zu werden, um wieder zum Vorlesen zu gelangen.

An Kaazens Unterricht wird unsre liebe Prinzeß viel Freude haben. Ich hoffe der Anfang ist schon gemacht.

Den Freundinnen das Freundlichste.

Jena den 6. Juny 1809.

G.

1739

[Sonnabend 2. September]

Indem Sie mich, theure Freundinn, von dem lieben Kreise weit entfernt glauben; so bin ich ihm nicht leicht näher gewesen. Meine einzige Beschäftigung ist dasjenige zu endigen dessen Anfang Freude zu machen schien. Die gestrige Anwesenheit unsrer gnädigsten Herrschaften erleichterte mir die Gewährung des Wunsches noch eine Zeitlang hierbleiben zu können, ja nicht eher wegzugehen als nach völlig vollbrachter Arbeit. Ich muß daher noch eine Zeitlang Verzicht thun Ihnen mündlich zu glücklich vollbrachter Cur meine Freude zu bezeigen. Unsrer lieben Prinzess für die köstliche Frucht zu dancken ergriff ich mit Eifer die gestrige Gelegenheit und ziehe mich nun wieder ins Einsame zurück. Ihr Andencken mir erbittend.

Jena d. 2. Sept. 1809.

Goethe.


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