Johann Wolfgang von Goethe
Briefe an Charlotte Stein, Bd. 2
Johann Wolfgang von Goethe

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1460

[Sonnabend 5. November]

Gestern Abend hätte mich die Sehnsucht bald wieder zu dir geführt, wo bist du heute, ich sehe dich doch Abends noch. Liebe mich denn das ist der Grund von allem meinem Glück.

d. 5. Nov. 85.

G.

Die Lügnerinn aus Liebe ist artig. Ich gehe gern hinein wenn ich dich drinne weis.

1461

[Sonntag 6. November]

Ich gehe und mein Herz bleibt hier. O du gute daß Liebe und Sehnsucht sich immer vermehren soll. Ich habe dich unsäglich lieb und mögte nicht von dir weichen, dich überall wiederfinden. Lebewohl du beste und dencke recht fleisig an mich.

d. 6. Nov. 85.

G.

1462

[Stadt Ilm, Montag 7. November ?]

Ich muß Dir noch m. L. eine gute Nacht sagen und dich versichern daß ich dich recht herzlich liebe. Wie schweer ward es mir dich zu verlassen, du gutes, treues, einziges Herz. Ich bin bey dir und liebe dich über alle Worte.

G.

1463

[Ilmenau, Montag 7. November ?]

Kaum hatte ich dir das Zettelgen in Stadt Ilm geschrieben als schon Wolcken vom Walde gezogen kamen, ich ritt noch bey Sonnenschein fort, und bin hier von einem gewaltigen Sturm empfangen worden.

Ich konnte meine Neugier nur im allgemeinsten befriedigen, und habe angefangen die Leute zu sprechen, nun sag ich dir nur noch daß mein Herz und Sinn bey dir ist.

Ich habe unterweegs das sechste Buch ausgesonnen und mir überhaupt vielerley Mährgen erzählt, auch eine alte Operette wieder vorgenommen, und sie reicher ausgeführt.

Dieses grose Blat war bestimmt dir nach und nach viel zu schreiben. Es geht ein Husar und ich schicke dir das wenige. Du liebstes bestes einziges Wesen nimm mein ganzes Herz in diesem Morgengruse.

d. 8. Nov. 85.

G.

1464

(Montag) d. 7. Nov.

Das Wetter hat sich gebessert, noch sind Wolcken über den Bergen, der iunge Mond verbirgt sich, ich kann es ihm zulassen, denn eh er voll wird will ich ihn schon wieder an deiner Seite belauschen. O du gute! liebe! Wie hoffe ich daß du mir ein Briefgen zuschicken wirst.

Meine Sachen gehen hier sehr gut, wie wünschte ich einmal dich bey schönem Sommerwetter hier zu sehn! Ach werden wir denn auch ie wieder Sommer haben? Noch ist an Wilh. nichts geschrieben, aber korrigirt habe ich in dem fertigen. Mit groser Sorgfalt habe ich es durchgegangen und finde doch daß man es noch besser machen könnte. Wills Gott sollen die folgenden Bücher von meinen Studien zeugen.

(Dienstag) d. 8. Nov.

Ich habe heute einen grosen Spaziergang gemacht, den ganzen Graben hinauf, wo mir die Wasser, die das Werck treiben sollen, entgegen kamen und zum erstenmal wieder seit vielen Jahren diesen Weeg machten.

Alle Arten von Wolcken, Duft, Nebel, Gestöber, Geriesel, Schnee, Graupeln wechselten in der Atmosphäre, doch war der Morgen freundlich und fröhlich und die Berge sehr schön.

Hier schicke ich dir vom allerschönsten Moos das artigste und beste Stückgen. Wie Albertingen nach Carlsruh ging, fand ich so ein Stück und schenckte es ihr als Zierrath auf den schwarzen Hut. Seit der Zeit habe ich es nicht wieder finden können. Jetzt erscheints auf einmal. Wahrscheinlich sind die Tellergen eine Art Befruchtung die in diesem Monat vorgeht, in welchem ich seit mehreren Jahren nicht hier war.

Gute esbare Schwämme bringe ich getrocknet mit, du siehst in welchen Classen der Vegetation ich hier lebe.

Ich habe Linnés Botanische Philosophie bey mir, und hoffe sie in dieser Einsamkeit endlich einmal in der Folge zu lesen, ich habe immer nur so dran gekostet.

Ich habe wieder einige artige botanische Ideen, und habe ein Gelübde gethan diesmal keinen Stein anzurühren.

In meinem guten warmen Stübgen fehlt mir nur deine Gegenwart, alles ist sonst so ruhig und artig. Ein neuer Schreibtisch den ich mir letztes Frühjahr bestellt giebt auch meinem häuslichen Wesen mehr Anmuth und Bequemlichkeit. Es fehlt nichts als der Thee.

Lebe wohl beste. Ich bin ganz und gar dein, nichts scheidet mich von dir.

G.

Grüse die Schwester und Fritzen.

1465

Ilmenau [Mittwoch] d. 9 Nov. 85.

Hier ist der völlige Winter eingetreten und hat die ganze Gegend in sein weises Kleid gehüllt. Man sieht keinen Berg für Wolcken und es wäre recht heimlich wenn man nicht so allein wäre. Ich dencke mir den armen Ernst hier, es wäre ein Aufenthalt zum Erhängen.

Ich lese im Linné fort, denn ich muß wohl, ich habe kein ander Buch. Es ist das die beste Art ein Buch gewiss zu lesen, die ich öffters prackticiren muß, besonders da ich nicht leicht ein Buch auslese. Dieses ist aber vorzüglich nicht zum lesen sondern zum recapituliren gemacht und thut mir nun treffliche Dienste, da ich über die meisten Punckte selbst gedacht habe.

Noch finde ich in meinen Angelegenheiten hier nichts als was mir Freude machen könnte. Es geht gut was ich angelegt habe und wird iährlich besser werden. Wenn ich noch eine Zeitlang daure und aushalte, dann kann es wieder eine Weile von selbst gehn. Ach meine liebe wie viel wäre zu thun und wie wenig thun wir.

Heute habe ich ein Capitel an Wilh. geschrieben und nun noch eins dann ist der Theil geschlossen. Wie freue ich mich euch diesen Abschnitt vorzulesen. Es soll Thee gemacht werden und Caminfeuer, damit es an Dekoration und Accompagnement nicht fehle.

d. 10ten.

Es geht mir ganz gut hier, nur daß ich dich Abends immer vermisse. Es ist die Art der Geschäffte daß sie sich vermehren wie man tiefer hineindringt. Sie machen mir Freude, weil ich auf viele Seiten würcken kann und wenn man nur Licht wohin bringt schon viel gethan ist.

Wenn ich rechne daß ich nur 8 Stunden auf Gotha habe, so mögt ich wohl meinen Rückweg über dort nehmen und meine Freunde mit dem Conradin besuchen. Ich komme einige Tage später zu dir, das ist alles was mich abhält.

Hier ist nun völlig Winter, alles überschneit die Berge im Duft und nur landwärts sieht man von der Sonne bestrahlte Höhen. Es ist schön und reizend, obgleich für unsre Arbeiten zu früh.

Von mir kan ich dir nichts weiter sagen, wenn ich unbeschäfftigt bin dencke ich an dich.

Lebe wohl. Die Augen thun mir weh. Der Schnee hat mich geblendet und das Licht auf dem Weissen Papiere schmerzt mich. Gute Nacht.

Eben erhalte ich noch deine wenigen Worte und dancke dir herzlich.

d. 11ten.

Heute hab' ich endlich das sechste Buch geendigt. Möge es euch soviel Freude machen als es mir Sorge gemacht hat, ich darf nicht sagen Mühe. Denn die ist nicht bey diesen Arbeiten, aber wenn man so genau weis was man will, ist man in der Ausführung niemals mit sich selbst zufrieden. Ich wünschte nun du hättest noch nichts davon gehört. Doch du bist gut und hörst es wohl noch einmal, auch wenn es zusammen ist nimmt sich's anders aus, besonders da dieses Buch wieder für sich ein Ganzes ausmacht. Ich freue mich auf Herders und die Imhof.

Hab ich doch Wort gehalten d. 12 Nov vorigen Jahrs war das vorige Buch fertig. Wenn es so fort geht, so werden wir alt zusammen eh wir dieses Kunstwerck vollendet sehn.

Meine Sachen sind soweit abgethan. Das schöne Wetter lockt mich, ich will morgen auf Gotha reiten, um dort meinen Freunden auch einmal eine Freude zu machen und den Conradin zu sehen. Der Anblick dieses, ienseits der Alpen gefertigten Wercks, wird mich auch auf den Thüringischen Winter stärcken helfen. Wenn ich es nur in deiner Gesellschafft sehen könnte.

Grüse Fritzen und die Imh[of] und denckt an mich. Frizen dancke für sein Briefgen. Wenn seine Hand sich so hält und weiter bessert soll mich's freuen. Lebe wohl.

Meinen ersten Brief wirst du erhalten haben. Adieu.

G.

Ich habe noch eine köstliche Scene gehabt die ich wünschte dir wiedergeben zu können. Ich lies einen Buchbinder rufen um mir das Buch Wilh. in meiner Gegenwart zu heften, er erinnerte eine Bitte die er bey der Steuerkomm[ission] angebracht und unter der Arbeit erzählte er mir seine Geschichte und sprach über sein Leben. Jedes Wort das er sagte war so schweer wie Gold und ich verweise dich auf ein Dutzend Lavaterische Pleonasmen um dir die Ehrfurcht auszudrucken die ich für den Menschen empfand.

Lebe wohl meine Beste, ich hoffe daß meine verlängerte Abwesenheit auch dir zur Freude gereichen werde, denn es wird mich aufmuntern mehr Menschen zu sehen. Adieu mein süßes bestes Herz, du fühlst doch wie lieb ich dich habe, wie dein ich bin und wie ich mich durch alles hin nach dir sehne

d. 11ten Abends.

1466

Gotha [Sonntag] d. 13ten Nov. 85 nachts 11.

Den ganzen Tag habe ich in Gesellschafft zugebracht und nun noch ein Wörtgen mit dir.

Lass dich die paar Tage längerer Abwesenheit nicht reuen, ich komme und eile wo möglich mit vollerer Seele zu dir zurück.

Wie glücklich werde ich seyn dir ausdrucken zu können wie sehr ich deinen Werth fühle und wie allein du vor allen Wesen der Welt mich glücklich machen kannst.

Die Schicksale meiner Wanderschafft werden dich, wenn ich sie dir erzähle, mehr davon überzeugen als die wärmsten Versicherungen kaum thun können. Ich bin dein und muß dein seyn. Alles leitet treibt, drängt mich wieder zu dir. Ich mag nichts weiter sagen.

Dienstag Abend bin ich wieder bey dir wenn nichts sonderliches vorkommt. Ich bin schon bey dir, mein Herz verzehrt sich für dich.

G.

1467

[Dienstag 15. November]

Ich habe dir geschrieben Beste daß ich Dienstag Abends bey dir seyn würde, ich muß noch diesen Tag bleiben, man verlangt es zu eifrig. Ich habe Conradin noch nicht bey Tage gesehen, der Herzog hat einige phisikalische Instrumente aufstellen lassen und so w. Damit du nicht vergeblich wartest schicke ich dir diesen Boten. Denn eine Sorge um dich, ein Verlangen nach dir verlässt mich nicht einen Augenblick. Nur wünsche ich daß du es recht fühlen mögest. Ich hänge an dir mit allen Fasern meines Wesens und freue mich ieden Tages des nächsten Winters wenn du mir nur wohl bleibst.

Wie mancherley interessantes habe ich dir von meiner kleinen Wandrung zu erzählen.

Wenn du nur Conradin und die übrigen Sachen des Herzogs sehen könntest. Du gute, liebe, einzige! Mein Herz hängt mit der innigsten Leidenschafft an dir. Ich bin dir ganz verwandt und verbunden.

Mittwoch Abends bin ich gewiß bey dir. Wie freu ich mich auf den Empfang. Daß ich doch nichts von dir vernehmen kann! Adieu.

Montag Nachts, halb 1.

G.

1468

[Weimar, Mitte November]

Guten Morgen Geliebte ich mögte ein Wort von dir hören. Hier sind die Zeitungen. Die Tauscherey Wallensteins hat mir auch geholfen. Die Herzoginn Mutter hat die Partitur des Re Theod[oro] wieder eingetauscht und mir geschenckt. Ich schicke sie Kaysern.

G.

1469

[Sonntag 20. November]

Beyliegenden Brief erhalte ich von Brühl. Ich werde ihm schreiben daß für den Unterricht seines Sohns hier der Ort gar nicht ist. Daß hier nur Unterrichtete Leute leben können. Hast du mich recht lieb? und was wirst du heute beginnen? Wo seyn?

d. 20. Nov. 85.

G.


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