Johann Wolfgang von Goethe
Briefe an Charlotte Stein, Bd. 2
Johann Wolfgang von Goethe

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1440

[Sonntag 11. September]

Wüsstest du liebste Seele wie sehr du mir fehlst du würdest wenig Ruhe in deiner Einsamkeit haben, du würdest iede Stunde wünschen zu mir herüber zu fliegen und ein Leben mit mir zu theilen das mir ohne dich ganz und gar abgeschmackt und unerträglich wird.

Deine Entfernung ist mir ein rechter Probstein meiner Selbst. Ich sehe wie wenig ich für mich bestehe und wie nothwendig mir dein Daseyn bleibt daß aus dem meinigen ein Ganzes werde.

Ich war in Jena und fand es einsam, ich kam zurück und fand es leer. Bey Herders bin ich und wir leben angenehm zusammen, manchmal mit dem Prinzen, u. s. w. Das wäre alles recht gut wenn du da wärest, deine Gegenwart macht alles reizend deine Abwesenheit kan mir nichts ersezen.

Noch immer les ich an Neckern und seinen Gegnern, es ist ein sonderbar Studium. Vielleicht kann ich Dir einmal die Resultate referiren.

Von Friz ist hier der Brief aus Salmünster, weiter hab ich noch nichts, ich schreib ihm heute und schick ihm allerley Briefe und Billetgen die an ihn gekommen sind.

Grüsse Steinen ich hab ihn seit deiner Abreise nicht gesehen, er war nie zu Hause wenn ich ihn suchte.

Der Herzog ist mit der Herzoginn nach Gotha um den Prinzen von Mecklenburg dort zu sehen, sie logieren bey Prinz August.

Camper hat gar einen guten Brief über den ersten Theil der Ideen an Herder geschrieben. Ich mögte alles Gute mit dir theilen.

Jakobi macht mir einen tollen Streich. In seinem Gespräche mit Lessing kommt doch das Gedicht Prometheus vor, ietzt da er seine Götterlehre drucken lässt, setzt er das andre Gedicht: edel sey der Mensch! mit meinem Nahmen voraus, damit ia iedermann sehe daß Prometheus von mir ist. Wie du aus beyliegendem Wercklein sehn kannst.

An meinem Wilh. fahr ich fort, wo möglich im November Wort zu halten.

Ich habe nun gewisse Nachricht daß Blanchard auffährt. Vielleicht zu Ende dieser Woche. Sein Ballon wird etwas gröser als unsre Schnecke seyn. Es freut mich für Fr[izzen] unendl.

Sobald du zurückkommst musst du mit zu Lossius, wir haben einige gute Stunden da zugebracht, du wirst dich an der Herrlichkeit des himmlischen Heers erfreuen.

Eben erhalte ich eine schöne Melone und fasse den Entschluß dir einen Boten zu schicken. Ich habe solange nichts von dir gehört und das ist nicht natürlich. Gute Nacht beste. Laß dir die innre Überzeugung bleiben daß ich ganz dein bin.

W. d. 11. Sept. 85.

G.

1441

[Freitag 16. September]

Noch habe ich wenig Hoffnung meine Beste zu sehen. Der alte Schnaus ist noch nicht wieder zurück und ieder Tag bringt seine Plage mit.

Der iüngere Forster war hier mit seinem iungen Weibgen, einer gebohrnen Heyne von Göttingen, sie asen Abends bey mir mit Herders, Wieland und Amalie Seidler, die von Gotha aus eine Vertraute der ietzigen Forster ist. Sie waren beyde viel um die sterbende Schneider.

Der Prinz ist noch immer hier, ich sehe ihn wenig, bin viel allein und lese viel. Mein Camin wird nun gut und ich freue mich schon im voraus dich daran zu bewirthen. Von Fritzen habe ich nichts weiter gehört, es wird ihm nun recht wohlgehn, daß ich ihm sein Stillschweigen verzeihe.

Daß du wohl bist und nicht leidest freut mich unendlich, denn ich kann nichts geniesen wenn du Schmerzen hast. Ich freue mich iedes Tags der vorüber ist weil das Ziel näher rückt, da ich dich wiedersehe. Du gute, treffliche, einzige liebe. Ich bitte dich liebe mich nicht nur sondern werde auch nicht müde mich es fühlen zu lassen.

Sonnabend d. 17ten.

Heute den ganzen Tag hab ich auf ein Wort von dir gewartet. Es ist nicht gekommen und ich will Morgen Götzen den Weeg schicken den ich so gerne ging.

Edelsheim ist hier und das Wetter ist so böse und es hindert mich alles.

Wenn du doch balde wieder kommen könntest! da mir auch Fritz fehlt möcht ich kranck werden für Sehnsucht. Ich kann dir nicht beschreiben wie mir zu Muthe ist.

Was ich thue verschwindet mir und was ich schreibe scheint mir nichts. O komm wieder damit ich wieder mein Daseyn fühle. Gute Nacht beste. Wann werd ich dir es wieder mündlich sagen können. Adieu. Ich bin ewig dein.

G.

1442

[Dienstag] d. 20. Sept. 85.

Die Fürstinn Gallizin ist hier mit Fürstenberg und Hemsterhuis die du also auch nicht sehn wirst. Es sind interessante Menschen und wunderbar sie mit einander zu sehen, du sollst das ausführliche mündlich hören du weisst ich schreibe nicht gern über Menschen. Edelsheim ist auch hier und sein Umgang macht mir mehr Freude als iemals, ich kenne keinen klügeren Menschen. Er hat mir manches zur Charackteristick der Stände geholfen, worauf ich so ausgehe. Könnt ich nur ein Vierteljahr mit ihm seyn. Da er sieht wie ich die Sachen nehme; so ruckt er auch heraus, er ist höchst fein, ich habe aber nur wenig vor ihm zu verbergen und das soll er auch nicht vermuthen.

Das alles da der Prinz auch noch mit uns lebt giebt mir Zerstreuung daß ich stundenlang weniger fühle wie du mir fehlst. Doch wenn ich meine Augen nach einem Wesen kehre dem ich mich ganz offenbaren mögte dann such ich vergebens etwas das dir ähnlich wäre. Ich darf dir nicht sagen komme bald zurück, denn du lässt mich wenig hoffen. Fritzen werd ich dir aber nicht schicken um dich nicht in deinem Aussenbleiben zu bestärcken.

Hier ein Brief von ihm der abscheulich gesudelt ist, ich habe ihm darüber eine Lecktion zugedacht.

Wie freu ich mich daß er die Welt so frühe schon so sieht.

Auf den Sonntag steigt also Blanchard. Wie bin ich auf Fritzens beschreibung neugierig, der gewiss auch davon schreiben wird als wenn es nichts wäre.

Hier auch einige Bücher die dir gewiß Freude machen.

d. 21. Sept.

Ich will das Packet schliesen weil heut dein Bote kommen kann. Mit der Gallizin und uns will es noch nicht fort. Ich weis nicht sie ist unter uns nicht am Platze. Mit den Männern geht es schon besser.

Lebe wohl. So viel weis ich man soll nicht zu sehr aus dem Costume der Welt und Zeit worinn man lebt schreiten und ein Weib soll ihre Weiblichkeit nicht ausziehen wollen.

Lebe wohl du süses Herz komme bald zurück damit mein Leben wieder anfange, und habe mich recht, recht zärtlich lieb.

G.

1443

[Donnerstag] d. 22. Sept. 85. Abends.

Es regnet so sehr und ich dencke mir meine Liebe in dem alten Schlosse wo ich sie vor zehen Jahren zum erstenmal besuchte und wo sie mich durch ihre Liebe so fest hielt. Wie gerne wäre ich bey dir und ginge meinem Wesen in der Stille nach und erfreute mich an deinem Daseyn, wenn du noch lange aussenbleibst wird es übel mit mir werden. Die Fürstinn ist noch da und kranck und – ich weis nicht! Es will sich nichts machen. Mit den beyden Männern geht es besser. Wir wollen es ruhen lassen und nichts hetzen. Am Ende wird sich's zeigen.

An Wilh. fahr ich langsam fort und röste das Holz. Endlich soll es hoff ich in Flammen schlagen.

Hier Briefe von und über Fritzen die dich hoffentl. wie mich freuen werden. Ich bin recht glücklich einen glücklichen Menschen zu wissen.

d. 23. Nach Tische.

Eben erwische ich den Bedienten deines Bruders der dir dieses bringen soll. Ich hoffe nun von dir zu hören. Lebe wohl! Liebe mich. Imhof macht Anstalt hierher zu kommen.

G.

1444

[Sonntag 25. September]

Eben wollt ich mich gegen dich beklagen daß du mich so allein lassen magst, denn ich bin doch allein mit alle denen Menschen und mein Herz verzehrt sich in Sehnsucht nach dir.

Die Fürstinn war kranck und es wollte die ersten Tage nicht gehen. Jetzt wird es etwas besser da sie auf der Abreise sind. Man hat mich gestern dazu gebracht daß ich meine Operette vorgelesen habe, und das hat sie sehr unterhalten. Es sind würcklich alle drey sehr interessante Menschen und es thut mir leid daß du sie nicht kennen lernest. Hemsterhuis besonders wäre für dich gewesen und man liest seine Schrifften gewiss mit mehr Interesse wenn man ihn kennt. Die Herdern ist gar gut mit der Fürstinn, das hält die Gesellschafft am besten zusammen.

Fritz muß um den Donnerstag daseyn und ich wünschte herzlich du kämest balde, daß mich dein Mund deiner Liebe versichern könnte. Denn du musst mich sehr lieb behalten.

Ich bin einigemal bis nach Mitternacht in den neuen Anlagen herumgegangen der Mond machte alles gar herrlich. Dieses Jahr werd ich nicht viel mehr mit dir spazieren können.

Der Anfang des zweyten Akts ist komponirt angekommen. Er ist gar gut gerathen. Mit voller Musick habe ich den ersten noch nicht hören können.

Ich dancke für deine Briefe. Stein geht mit Wedeln auf den Mittwoch zu dir. Ich bedaure dich und das deinige um des bösen Wetters willen. Die Endursachen sind dem Gemüthe zu dencken so nötig daß du aus den Nichtendursachen erst eine rechte End-Ursache machst.

Lebe tausendmal wohl. Ich liebe dich von ganzem Herzen.

d. 25. Sept. 85.

Was mag Blanchard gestern für ein Schicksal gehabt haben?

G.

1445

[Sonnabend] d. 1. Oktbr. früh gegen Viere.

Ein Feuerlärm hat mich aufgeweckt und ich will mich nicht niederlegen ohne meiner Geliebtesten guten Morgen gesagt zu haben. Das Feuer war auf dem Schweinsmarckte das Eckhaus des Schmids wenn man nach dem äussern Erfurter Thore hingeht. Die Flamme war starck zwischen zwey Häusern, die Gänge, Schindelställe und Dächer brannten licht auf. Es wehte kein Lüfftgen und wie einmal die Sprützen da waren brannte nichts weiter.

Unsre Anstalten haben sich gut bewiesen, und die Maschinen fürtreffl. Es ist mir lieb daß ich da war um der Erfahrung an der Sache und an mir selbst willen und seh es als eine Schickung an denn ich bin sehr wieder meinen Willen für diesmal hier, wie ich dir weiter erzählen will.

Denn ich bin gestern in einer Art Verzweiflung von Jena herübergefahren.

Ich hatte die Fürstin Gallizin mit den ihrigen dort aufgesucht und wollte sie nicht reisen lassen ohne ihnen alle Achtung zu bezeigen die man ihnen schuldig ist denn es sind würcklich vorzügliche Menschen. Die ersten Tage wollte es durch seltsame Schickungen nicht gehn, nach und nach gab sich's und da ich ihnen nach Jena folgte ward alles zulezt recht gut und gewann ein menschliches Ende.

Von da nahm ich mir vor zu dir zu reiten und konnte kein Pferd finden. Alles war auf den Buttstädter Jahrmarckt. Endlich wollte ich gar zu Fuse fort, aber es fing an zu regnen, und der Wind war starck und kalt, ich musste also hierher, wo ich nun zum erstenmal zur seltsamen Stunde, an meinem Camin sitzend dir dieses schreibe.

Gute Nacht oder vielmehr guten Morgen Schlafe ruhig und träume von mir.

Mögte doch das Gefühl wie nötig du mir bist recht lebendig in dir werden und dich bald zu mir führen. Adieu.

d. 1ten um 10 Uhr.

Mein Tag hat spät angefangen, ich schliese um zu hören ob die Botenfrau da ist.

Hier ein Brief von Fr[itz]. Blanchard ist vergangnen Sonntag nicht gestiegen, also wird Fr. auch noch nicht kommen. Adieu, liebe mich wie ich dein bin.

G.

1446

[Montag 3. Oktober]

Ich schicke diesen Boten dir die Nachricht zu geben daß Fritz glücklich wiedergekommen ist, und um von dir zu hören. Wollte Gott du bestimmtest deine Rückkunft denn ohne dich ist doch kein Leben. Fritz ist gar gut und klug, die Reise ist ihm von unsäglichem Werthe. Es wird dir viel Freude machen ihn erzählen zu hören, wie viel und wie gut er gesehen hat. Komm nur bald zurück. Lebe wohl ich kann nicht mehr sagen und wünsche nur herzlich daß du wohl seyn mögest.

d. 3. Oktbr. 85.

G.

1447

[Donnerstag 6. Oktober]

So muss ich denn noch bis künftigen Mittwoch harren und werden mir die Tage still vorübergehn wenn Fritz nicht Lärm macht. Er ist lustiger als iemals. Er hat in Franckfurt erst recht Freyheit kennen lernen, und meine Mutter hat ihn die Philosophie des lustigen Lebens erst noch recht ausführlich kennen gelehrt. Du wirst dich wundern wie er in allem zugenommen hat. Er schickt hier der Frl. Lengefeld einen Brief, die du von mir grüsen magst, und entschuldigt sich daß er nicht auch dir schreibt. Komme ja bald und gesund zurück mein Gemüthe gewöhnt sich nach und nach an's alleine seyn, denn nur mit dir bin ich ganz wie ich bin. Lebe wohl Liebe mich du einziges Glück.

d. 6. Oktbr. 1785.

G.

1448

[Freitag 7. Oktober]

Du sendest mir meine Liebe gar viel gutes auf einmal. Das Landschäfftgen gefällt mir recht wohl, du hast würcklich etwas von der Oeserischen Manier erhascht und recht glücklich angewendet. Es soll vor mir stehen bis du selbst kommst.

Der Schwamm ist meiner doppelten Liebhaberey sehr behäglich. Ich war eben über diesem Geschlechte und den verwandten und Fritz hat mir heut eine Wassermoosart von dem Teich in der Teichgasse und noch dazu im Regen gehohlt. Wir sind gar gut mit einander, auch ist er recht artig, ich freue mich recht wenn du ihn wieder sehen wirst.

Ich habe nun kein Verlangen als dich wiederzusehen, ich lebe den ganzen Tag stille für mich hin und bin fleisig wie es gehen will.

Ob das versprochne Buch Wilh. fertig werden wird weis ich nicht, die guten Einflüsse müssten mit dir erst wieder kommen.

Lebe wohl. Behalte mich recht in einem warmen Herzen denn ich will und kann von Glück und Zufriedenheit ausser dir nicht wissen,

d. 7. Oktbr. 1785.

G.

1449

[Montag 10. Oktober]

Es ist Zeit daß du kommst mich durch deine Gegenwart wieder zu erquicken, denn es will mir alle Lebensfreude ganz und gar ausgehn.

Selbst der Anblick der Imhof hat mir weh gethan, da sie dir so ähnlich ist und doch nicht du. Sie ist wie eine Septime die das Ohr nach dem Akkorde verlangen macht.

An Wilh. hab ich wieder geschrieben das Micros. ruht bis du kommst. Ich habe gute Sachen gesammelt. Adieu. Der Bote eilt.

d. 10. Sept. 85.

G.


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