Johann Wolfgang von Goethe
Briefe an Charlotte Stein, Bd. 2
Johann Wolfgang von Goethe

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1788

1643

Rom [Sonnabend] d. 19. Jan. 88.

Diese Woche ist wieder fleisig zugebracht worden. Anatomie und Perspecktiv sind vorwärts geruckt, wenn man gleich immer mehr zu thun hofft als man würcklich thut.

Die beyden ersten Ackte Claudinens sind heute auch fertig geworden. Ich lasse sie nun abschreiben und nächsten Sonnabend d. 26. sollen sie abgehen. Sie können also, wenn alles in der Ordnung auf der Post geht d. 11. Febr. bey Euch seyn. Sage das Herdern damit er seine Maasregeln darnach nehme. Der dritte Ackt soll sobald als möglich folgen.

Es ist schweer so ein Werckchen, nach anerkannten Gesetzen, mit Einsicht und Verstand und zugleich mit Leichtigkeit und Laune zu machen. Es geht viel Zeit darüber hin.

d.17ten am Feste des Heil. Antonius Abbas machten wir uns einen lustigen Tag. Es war das schönste Wetter von der Welt. Es hatte die Nacht Eis gefroren, der Tag war heiter und warm. Bey der Kirche des Heiligen werden Pferde, Ochsen, Esel geweiht, welches ein lustig Specktakul ist. Die Thiere sind an Köpfen und Schwänzen mit Bändern geputzt man bringt die Thiere vor einer kleinen Kapelle vorbey, wo ein Priester mit einem großen Wedel versehen, das Wasser nicht spart und auf die Thiere losspritzt. Andächtige Kutscher bringen Kerzen und erhalten dagegen geweihte Bildchen, die Herrschafften schicken Almosen und Geschencke. Alles damit die vierfüsigen Geschöpfe ein Jahr über für allem Unfall sicher bleiben sollen. Nachher machten wir eine große Tour und erfreuten uns unter einem so glücklichen Himmel, umgeben von den interessantesten Gegenständen, wohl und vergnügt einen schönen Tag gelebt zu haben.

Wenn ich von deinen Übeln, von deinem Zahnweh höre, wird mir's im Gemüthe wie ich dirs nicht ausdrucken kann, daß dir unter dem unglücklichen Himmel das Leben unter Schmerzen hingehn soll. Ich habe doch diese ganze Zeit keine Empfindung aller der Übel gehabt die mich in Norden peinigten und lebe mit eben derselben Constitution hier wohl und munter, so sehr als ich dort litt.

Ich habe manche Anzeigen daß ich dieses Wohlseyn, wie manches andre Gute, in Italien zurücklassen werde.

Still und ohne weiter zu dencken und zu grübeln benutz ich jeden Tag und eile mir die nötigsten Kenntnisse zu erwerben, suche ein wenig mich in Übung zu setzen. Doch ist das alles nichts. Wer Rom verläßt muß auf Kunst Verzicht thun, ausserhalb ist alles Pfuscherey.

Wenn du nur einen Abend bey uns seyn solltest unter den vielen Gypssachen, wenn man die besten Sachen neben einander setzen kann und sich dann das fürtreffliche vom Guten so sehr, ja unendlich absondert. Ich spreche nicht aus wie glücklich ich bin, daß ich da zu sehen anfange, wo ich Zeitlebens nur getappt habe.

Es sey nun und werde wie es wolle; so hab ich das Vergnügen genossen und einen guten Grund gelegt. Keiner der mir nun aus Rom nach Norden kommt, kann mir imponiren oder etwas weiß machen und da doch einmal Kunst und Nachbildung eine der entschiedensten Eigenschaften meiner Natur sind; so bin ich wenigstens ganzer geworden als ich war, wenn ich auch schon wieder einen großen Teil in Rom zurück lassen muß.

Grüße die Freunde und Fritzen.

Der Herzog ist wohl noch nicht zurück?

Laß doch Bertuchen sagen: ich werde ihm für Masken Zeichnungen und Beschreibungen sorgen.

Empfiel mich der Herzoginn.

Der dritte Ackt von Claudinen wird ganz kurz werden, es ist schon wie ihr sehen werdet eine so große Masse Musick in den beyden ersten, daß man im letzten Haushältisch zu Wercke gehen muß. Leider hab ich vielen poetischen Stoff wegwerfen und der Möglichkeit des Gesangs aufopfern müssen.

Lebe wohl und liebe mich.

G.

Dein Brief No 39. kommt eben an. Tausend Danck! Grüse Fritzen. Seine Augen machen mir Sorge.

1644

[Sonnabend 26. Januar]

Heute meine liebe erhälst du wenig. Diese ganze Woche ist auf Claudinen gewendet worden und heute bin ich herzlich müde und habe das Schreiben satt. Genieße die beyden Ackte mit Herders und laß sie dir statt des heutigen Briefes seyn. Schreibt mir bald wie es euch gefällt auch wie Erwin gefallen hat. Ihr müßt immer dencken daß diese Stücke gespielt und gesungen werden müssen, zum Lesen, auch zum blosen Aufführen hätte man sie viel besser machen können und müssen. Grüße Fritzen. Liebe mich. Lebe wohl.

G.

Eben kommt dein Brief No 1. ich dancke dir. Auch Alle vorhergehende Nummern 39 incl. sind angekommen, setze mir deine Liebe fort.

Grüße Fritzen. Es ist albern von Krausen die Zeichnung der Angelika zu radiren ohne vorher anzufragen. Doch mag es hingehn.

Grüße die Imhof herzlich. Gieb von meinen Zeichnungen die ich dir schicke nichts aus den Händen. Lebe wohl. Liebe mich.

d. 26. Jan. 88.

1645

[Weimar, zweite Hälfte des Juli 1788?]

Ich dancke dir für das überschickte und für die Besorgung das Geld will ich dir gleich oder allenfalls Fritzen geben der doch deine Haushaltung fortführt.

Diesen Nachmittag will ich suchen bey Zeit von Hof abzukommen, ich komme zu dir hinüber.

Heute früh komm ich auch noch einen Augenblick. Gerne will ich alles hören was du mir zu sagen hast, ich muß nur bitten daß du es nicht zu genau mit meinem jetzt so zerstreuten, ich will nicht sagen zerrißnen Wesen nehmest. Dir darf ich wohl sagen daß mein innres nicht ist wie mein äusres. Lebe wohl.

G.

1646

[Dienstag 22. Juli]

Die Papiere der Voß habe ich in der Stadt, ich will sie ihr bringen oder schicken, ich weiß daß sie solche nicht durch die Hände der Meyern will gehen laßen. Ich dancke dir fürs Frühstück. Fritz soll mir lieb seyn, es freut mich immer seine Gegenwart, und wenn ich ihm was seyn kann. Laß mir die Archiv Scheine zurück und Lebe wohl. Mögest du in dem stillen Kochberg vergnügt und vorzüglich gesund seyn. Ich will so fortleben wie ich kann ob es gleich eine sonderbare Aufgabe ist. Kayser geht mit der Herzoginn wieder fort, das sage nicht weiter, ob ich gleich dencke es ist kein Geheimniß mehr und so schließt sich alle Hoffnung auf die schöne Tonkunst ganz für mich zu. Der trübe Himmel verschlingt alle Farben. Herder geht nun auch und – so lebe tausendmal wohl.

G.

1647

[Dienstag 12. August]

Es war mir sehr erfreulich Fritzen wieder zu sehen, er wird mir wohl bleiben wenn alles sich entfernt. Herder ist nun fort, die Herzoginn geht auf den Freytag, der Herzog hat einen bösen Fuß, sonst wäre er Sonnabends mit den Gores gegangen. Ich soll im Sept. mit nach Dresden, wenn ich es ablehnen kann thue ichs. Gores sind recht gut, wenn man in ihrer Art mit ihnen lebt, sie sind aber in sittlichen und Kunstbegriffen so eingeschränckt, daß ich gewissermassen gar nicht mit ihnen reden kann. Sie sind glücklich, ich mag sie auch nicht in ihrem Glück stören, so wenig ich daran Theil nehmen kann.

Mein achter Band ist bald zusammengeschrieben. Wenn ihn Wieland durchgesehn hat, erhältst du ihn eh er nach Leipzig geht, er soll auf Michael herauskommen. Tasso rückt auch obgleich langsam ich habe noch immer Zutrauen zu dem Stück. Lebe wohl. Liebe mich. Danck fürs Frühstück.

W. d. 12 . Aug.88.

G.

1648

[Sonntag 24. August]

Den Herzog hat sein Fuß gezwungen zurückzukehren, er wird nicht zum Regimente und wahrscheinlich auch nicht nach Dresden gehen können. Es ist wieder ein rechtes Probestückchen wie er sich und andern das Leben sauer macht. Ich mache so ein gut Gesicht als möglich und bin in einer innerlichen Verzweiflung, nicht über diesen besondern Fall, sondern weil dieser Fall wieder sein und unser ganzes Schicksal repräsentirt. Ich mag nichts weiter sagen und klagen.

In einiger Zeit schicke ich dir die Abschriften meiner Gedichte Wieland hat sie jetzt. Fritz ist gar gut, nur helfe ich auch ihm wenig, wie ich denn überhaupt gänzlich unnütz bin.

Herders Briefe sind gar interessant. Wie viel menschlicher ist er, wie viel menschlicher reist er als ich.

Lebe wohl, erfreue dich deiner Einsamkeit! es wird nicht lange währen; so hab ich, wills Gott, sie auch wieder gewonnen, um sie nie zu verlassen. Adieu.

W. d. 24. Aug.88

G.

1649

[Sonntag 31. August]

Vergieb mir meine Liebe, wenn mein letzter Brief ein wenig konfus war, es wird sich alles geben und auflösen, man muß nur sich und den Verhältnißen Zeit laßen.

Ich fürchte mich dergestalt für Himmel und Erde daß ich schwerlich zu dir kommen kann. Die Witterung macht mich ganz unglücklich und ich befinde mich nirgends wohl als in meinem Stübchen, da wird ein Caminfeuer angemacht und es mag regnen wie es will.

Deiner Schwester fällt der Tod ihres Mannes sehr empfindlich, sie wird auch einsehn lernen daß er zu ihrem Glück gestorben sey.

Des Herzogs Fuß geht sehr viel besser, nur fürchte ich, er wird die Cur nicht ganz auswarten und es wird wieder umschlagen. Es sind schon vier Wochen.

Sey doch so gut mir die Briefe die ich auf der Reise an dich geschrieben zu schicken wenn du sie mit hast, oder anzuzeigen wo sie liegen, wenn sie noch hier sind, ich will nach und nach etwas daraus zusammen schreiben und es dem Wiel[and] in den Merckur geben. So sehe ich nach und nach selbst was ich habe und ob ich was habe. Ohne einen solchen Vorsatz hätte ich die alten Papiere gar nicht wieder ansehen mögen.

Von Rom hab ich eine sehr schöne Muse in einen Sardonix geschnitten erhalten. Fritz hat dir sagt er davon geschrieben. Er ist recht gut und artig. Lebe wohl, grüße Stein und behalte mich lieb.

d. 31. Aug. 88.

G.


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