Johann Wolfgang von Goethe
Briefe an Charlotte Stein, Bd. 2
Johann Wolfgang von Goethe

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1640

[Donnerstag 23. August?]

. . . Noch muß ich ein Blättchen einschieben um dir zu sagen wie gut es mir mit dem modelliren geht. Sage es doch Herders. Die menschliche Gestalt tritt in alle ihre Rechte und das übrige fällt mir wie Lumpen vom Leibe. Ich habe ein Prinzip gefunden das mich wie ein Ariadnischer Faden durch die Labyrinthe der Menschen Bildung durchführen wird. Wenigstens hoff ichs. Ich will sehn wie weit ich damit komme.

Indeß bin ich sehr vergnügt, weil mir auf einmal wie ein Vorhang vor allen Statuen wegfällt. Ich habe einen Herkuleskopf angefangen, worüber sie sich alle verwundern, weil sie dencken ich hab ihn durch einen Zufall so getroffen, ich hab ihn aber nach meinem Grundsatz gemacht und wenn ich Zeit und Fleiß habe diesen Grundsatz zu entwickeln und mich mechanisch zu üben; kann ich andre eben so machen. Empfiel mich der Herzoginn.

1641

[Montag] d. 17 Sept. 87. Rom.

Endlich ist mein Wunsch erfüllt worden die Arbeiten des Hrn. Casas eines französchen Architeckten, wenigstens zum Theil zu sehen. Sie sind über allen Ausdruck interessant. Er hat auf seinen Reisen die wichtigsten alten Monumente, besonders die noch nicht herausgegebnen, gemeßen, auch die Gegenden gezeichnet und mit großer Precision und Geschmack einen Theil seiner Zeichnungen ausgeführt. Er gedenckt ein Werck in's Publicum zu geben. Eine kurze Beschreibung der Stücke die ich gesehen, wird einen entfernten Begriff von dem Vergnügen geben, das sie dem Anschauer machen müßen.

  1. Das Serail von Constantinopel von der See-Seite, mit einem Theil der Stadt und der Sophien Moschee. Auf der reitzenden Spitze von Europa ist der Wohnort des Großherrn so luftig angebaut als man es nur dencken kann. Hohe und immer respecktirte Bäume stehen in großen und meist verbundnen Gruppen hinter einander darunter sieht man nicht etwa große Mauern und Palläste, sondern, Haüßchen, Gitterwercke, Gänge, Kiosken, ausgespannte Teppiche, so häuslich, klein und freundlich durch einander gemischt daß es eine Lust ist. Da die Zeichnung mit Farben ausgeführt ist macht es einen gar freundlichen Effeckt. Ein schönes Stück Meer bespült die so bebaute Küste. Gegen über liegt Asien und man sieht in die Meer Enge die nach den Dardanellen führt. Die Zeichnung ist bey 7 Fuß lang und 3 bis 4 hoch.
  2. General Aussicht der Ruinen von Palmyra, in derselben Größe.
    Er zeigte uns vorher einen Grundriß der Stadt, wie er ihn aus den Trümmern herausgesucht.
    Eine Colonnade eine Italianische Meile lang ging vom Thore durch die Stadt biß zum Sonnentempel, nicht in ganz gerader Linie, sie macht in der Mitte ein sanftes Knie. Die Colonnade war von vier Säulenreihen, die Säule 10 Diameter hoch. Man sieht nicht daß sie oben bedeckt gewesen, er glaubt es sey durch Teppiche geschehen. Auf der grosen Zeichnung sieht man einen Theil der Colonnade noch aufrecht stehend im Vordergrunde. Er hat eine Caravane die eben quer durchzieht mit vielem Glück angebracht. Im Hintergrunde steht der Sonnen Tempel, und auf der rechten Seite zieht sich eine grose Fläche hin, auf welcher einige Janitscharen in Carriere fort eilen. Das sonderbarste Phenomen ist daß eine blaue Linie, wie eine Meereslinie das Bild schließt. Er erklärte es uns daß der Horizont der Wüste der in der Ferne blau werden muß so völlig wie das Meer den Gesichtskreis schließt, daß es in der Natur das Auge trügt wie es uns im Bilde Anfangs getrogen, da wir doch wußten daß Palmyra vom Meer entfernt genug war.
  3. Gräber von Palmyra.
  4. Restauration des Sonnentempels zu Balbeck, auch eine Landschaft mit den Ruinen wie sie stehen.
  5. Die große Moschee zu Jerusalem auf den Grund des Salomonischen Tempels gebaut.
  6. Ruinen eines kleinen Tempels in Phenicien.
  7. Gegend am Fuße des Bergs Libanon anmutig wie man sich dencken mag. Ein Pinienwäldchen, ein Waßer, daran Hängeweiden und Gräber drunter, der Berg in der Entfernung.
  8. Türckische Gräber. Jeder Grabstein trägt den Hauptschmuck des Verstorbnen und da sich die Türcken durch den Kopfschmuck unterscheiden, sieht man gleich die Würde des Begrabnen. Auf den Gräbern der Jungfrauen werden Blumen mit großer Sorgfalt erzogen.
  9. Egyptische Pyramide mit dem großen Sphinx Kopfe. Er sey sagt Casas von einem Kalcksteine, in den Felsen gehauen und weil der Fels Sprünge gehabt und Ungleichheiten habe man den Coloß mit Stuck überzogen und gemahlt, wie man noch in den Falten des Kopfschmucks bemercke. Eine Gesichts Partie ist ohngefähr 10 Schuh hoch, auf der Unterlippe hat er bequem spazieren können.
  10. Eine Pyramide, nach einigen Urkunden Anläßen und Muthmasungen restaurirt. Sie hat von vier Seiten vorstehende Hallen, mit darneben stehenden Obelisken, auf die Hallen gehen Gänge loß mit Sphinxen besetzt, wie sich solche noch in Oberegypten befinden. Es ist diese Zeichnung die ungeheuerste Architeckturidee die ich zeitlebens gesehen und ich glaube nicht daß man weiter kann.

|: das übrige ein andermal :|

1642

[Donnerstag 15. Dezember]

Hier schicke ich ein andres Löwchen, ist es nicht so artig als das erste; so hats doch auch seine Verdienste und macht jenen Verlust erträglicher. Das Fischchen ist für die Gräfinn Werther grüße sie recht sehr von mir, sie soll sichs auch in eine Halsnadel fassen laßen, das Steinchen ist artig. Ich bleibe noch ihr Schuldner, sie soll noch etwas für ihren Ducaten haben. Liebe mich.

Rom d. 15 Dez 87.

G.


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